Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Vergütung einer Krankenhausbehandlung.
Die 1930 geborene Patientin war im Zeitraum der Behandlung bei der Beklagten krankenversichert. Sie befand sich in der Zeit
vom 2. bis zum 10. September 2010 in stationärer Behandlung im Krankenhaus der Klägerin. Die Aufnahme erfolgte mit der Diagnose
„Spinalstenose und Pseudospondylolisthese L4/5“ zur Spondylodese (operative Versteifung der Wirbelsäule) und Dekompression.
Im Operationsbericht vom 8. September 2010 werden als Diagnosen angeben: Spinale Stenose, Pseudospondylolisthese (degenerativ
bedingtes Wirbelgleiten) und linkskonvexe Skoliose L4/5. Im am Folgetag erstellten Entlassungsbrief sind als Diagnosen „spinale
Stenose und zwar durch Spondylolisthese L4/5“ vermerkt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Operations- und den Entlassungsbericht
Bezug genommen.
Die Klägerin stellte der Beklagten für die Behandlung Kosten in Höhe von 11.259,28 EUR in Rechnung. Dabei legte sie die DRG-Fallpauschale
I09C (Bestimmte Eingriffe an der Wirbelsäule mit Eingriffen bei deformierenden Erkrankungen der Wirbelsäule, komplexen Spondylodesen
oder Implantation eines Schrauben-Stabsystems mit Kyphoplastie, Alter > 15 Jahre) zugrunde. Als Nebendiagnosen verschlüsselte
sie neben weiteren, zwischen den Beteiligten unstreitigen Diagnosen und Prozeduren unter anderem M43.16 (Spondylolisthesis:
Lumbalbereich) und M41.86 (Sonstige Formen der Skoliose: Lumbalbereich).
Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der
Prüfung der Kodierung. In seinem sozialmedizinischen Gutachten kam der MDK zu dem Ergebnis, dass die Nebendiagnosen M41.86
(Sonstige Formen der Skoliose: Lumbalbereich) und M43.16 (Spondylolisthesis: Lumbalbereich) nicht zu kodieren seien. Bei degenerativen
Veränderungen sei lediglich ein Segment der Wirbelsäule operiert worden und keine Skoliosebehandlung im eigentlichen Sinn
erfolgt. Aus den entsprechenden Änderungen resultiere im Ergebnis die DRG-Fallpauschale I09D (Bestimmte Eingriffe an der Wirbelsäule
mit komplexer Ostheosynthese und schwerem CC oder mit allogener Knochentransplantation oder Implantation eines Schrauben-Stabsystems
oder mit Kyphoplastie, mehr als 2 Segmente oder bis 2 Segmente mit äußerst schwerem CC). Daraufhin verrechnete die Beklagte
am 21. Februar 2011 einen Betrag von 1.853,36 EUR gegen eine unstreitige Forderung der Klägerin aus einem anderen Behandlungsfall.
Am 29. Juli 2013 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben. Sie hat dies damit begründet, dass die Nebendiagnose
M43.16 zu recht kodiert worden sei. Der MDK habe nicht berücksichtigt, dass das bei der Versicherten neben der Bandscheibendegeneration
vorliegende Wirbelgleiten über die Kodierung M51.3 (Sonstige näher bezeichnete Bandscheibendegeneration) nicht abgebildet
wäre. Dieses Wirbelgleiten sei jedoch neben der Seitenabweichung der Wirbelsäule entscheidend für die Operationsindikation
gewesen. Auch die Kodierung der Nebendiagnose M41.86 sei nicht zu beanstanden. Es sei nicht zutreffend, dass eine Skoliosebehandlung
mehrere betroffene bzw. operierte Segmente der Wirbelsäule voraussetze. In der Fachliteratur lasse sich keine Definition finden,
die für die Wirbelsäulenverkrümmung eine unphysiologische Krümmung der Wirbelsäule über eine längere Strecke bzw. mehrere
Etagen voraussetze. Auch habe die Skoliose zu einem Mehraufwand geführt, weil bei der intraoperativen Durchleuchtung der Strahlengang
habe geändert werden müssen. Zudem erfordere die Rotation der Wirbelkörper eine besondere Sorgfalt bei der Zielplanung der
Pedikelschrauben.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf die Ausführungen des MDK verwiesen.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Orthopädie
und Unfallchirurgie Prof. Dr. H.. Dieser ist in seinem Gutachten vom 24. Januar 2014 und seiner ergänzenden Stellungnahme
vom 20. August 2014 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kodierung M41.86 (Sonstige Formen der Skoliose: Lumbalbereich) nichtzutreffend
sei. Bei der Patientin sei vor der Operation neben einer symptomatischen Spinalkanalstenose eine Pseudospondylosisthesis auf
der Etage L4/5 diagnostiziert worden. Dabei handele es sich um eine Instabilität zwischen zwei Wirbelkörpern, die zu entsprechenden
Beschwerden und auch zur Abknickung in diesem Bereich führten. Neben einer operativen Sanierung der Spinalkanalstenose und
der Implantation eines Cages sei der behandelte Wirbelsäulenabschnitt zusätzlich noch durch einen Fixateur interne stabilisiert
worden. Es sei damit lediglich die Stabilität eines einzelnen Wirbelsäulenabschnittes wiederhergestellt worden. Dies entspreche
nicht der Definition einer Skoliose. Der Verlauf der gesamten Wirbelsäule werde mit Bestimmung des sogenannten Cobb-Winkels
bewertet, wobei ein entsprechender Cobb-Winkel bis 10° nicht behandlungsbedürftig sei. Im vorliegenden Fall handele es sich
um das klassische operative Vorgehen zur Sanierung einer symptomatischen Spondylolisthesis. Es habe eine Pseudospondylolisthesis
vorgelegen und sei auch entsprechend behandelt worden. Die Nebendiagnose M43.16 sei daher zu Recht verschlüsselt worden. Dies
sei jedoch ohne Einfluss auf die DRG. Im Ergebnis sei die DRG I09D zugrunde zu legen.
Am 19. Juni 2017 hat das Sozialgericht über den Rechtsstreit mündlich verhandelt. Da die von der Klägerin vorgelegte Dokumentation
keine Befunde enthielt, aus denen sich eine präoperative Krümmung der Wirbelsäule ergab, und die Prozessbevollmächtigte der
Klägerin angekündigt hat, eine präoperative Bildgebung vorzulegen, ist die mündliche Verhandlung vertagt worden.
Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte eingewandt, dass in der Dokumentation keine Skoliose beschrieben werde.
Ein präoperatives Röntgenbild mit radiologischer Befundung sei nicht vorhanden. In der Operationsaufklärung sei die Achsenkorrektur
nicht angekreuzt. Eine Angabe der Krümmung unter Zuhilfenahme des Cobb-Winkels sei nicht erfolgt.
Die Klägerin hat erwidert, dass eine Skoliose nicht nach Krümmungsgrad, sondern nach Ätiologie bestimmt werde. Dementsprechend
könne eine Abgrenzung auch nicht über den Cobb-Winkel vorgenommen werden. Die Skoliose sei der Grund für die Entscheidung
zur Stabilisierung gewesen. Ohne eine seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule hätte keine Veranlassung für die Versteifung bestanden.
Es sei ein Gutachten auf neurochirurgischem Fachgebiet einzuholen.
Daraufhin hat das Gericht Beweis erhoben durch ein Sachverständigengutachten der Fachärztin für Neurochirurgie Dr. K.. In
ihrem Gutachten vom 12. August 2018 ist die Sachverständige – allerdings unter Hinweis darauf, dass ihr die präoperative bildgebende
Diagnostik gefehlt habe – zu dem Ergebnis gelangt, dass eine klinisch oder radiologisch relevante Skoliose bei der Patientin
nicht vorgelegen habe. Eine gewisse Abweichung der Wirbelsäulenausrichtung resultiere schon allein aus der Pseudospondylolisthesis.
Selbst wenn man annehme, dass eine Wirbelsäulenverkrümmung i.S. einer Skoliose vorgelegen habe, sei diese allenfalls minimal
gewesen und habe keinen pflegerischen, medikamentösen diagnostischen oder therapeutischen Mehraufwand ausgelöst. Es könne
sich ohne Vorlage der notwendigen präoperativen Diagnostik allenfalls um eine Operation aus anderen Gründen mit begleitender
Skoliose handeln. Die allenfalls minimale Wirbelsäulenverkrümmung habe zudem intraoperativ zu keinem Mehraufwand geführt.
Eine Skoliose sei nicht monosegmental, monosegmentale Achsabknickungen könnten jedoch dieselben Befunde wie eine Skoliose
zeigen und könnten behandlungserschwerend wirken. Das zeige sich dann in den Behandlungsunterlagen, die hier aber nicht vollständig
gewesen sein. Eine seitliche, pathologische Beweglichkeit mit Achsabknickung der LWS im betroffenen Segment habe auch bei
der Versicherten vorgelegen. Dabei handele es sich aber nicht um ein eigenständiges Krankheitsbild. Nach den ihr vorliegenden
Unterlagen könne sie nicht feststellen, dass die Skoliose ausreichend schwerwiegend gewesen sei, um sie als Nebendiagnose
zu rechtfertigen.
Nach Erstellung dieses Gutachtens hat die Klägerin am 12. April 2019 präoperative MRT-Bilder vorgelegt. Daraufhin hat das
Gericht eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen eingeholt. In ihrer Stellungnahme vom 6. November 2019 kommt die
Sachverständige zu dem Ergebnis, dass bei der Patientin eine degenerative Spondylolysthesis vorgelegen habe, die zu einer
pathologischen Beweglichkeit mit Achsabknickung der LWS im betroffenen Segment (Aufhebung der Wirbelsäulenachse) geführt habe.
Dabei handele es sich jedoch nicht um ein verkomplizierendes Krankheitsbild oder eine Nebendiagnose, sondern um ein Charakteristikum
der degenerativen Spondylolisthesis. Sie könne im Einzelfall auftreten, müsse das aber nicht. Die behandelnden Ärzte würden
das ggf. im Rahmen der Operation berücksichtigen und mitbeheben.
Nachdem der Chefarzt der Klägerin, Prof. Dr. G., dem Gutachten unter Hinweis darauf, dass es sich hier sehr wohl um eine Skoliose
gehandelt habe und diese auch parallel zur Spondylolisthesis eigenständig auftreten und kodiert werden könne, entgegengetreten
ist, hat das Gericht den Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. K1 als Sachverständigen zum Termin hinzugezogen. Dr.
K1 hat dem Gericht vorab ein fachchirurgisches Gutachten vom 5. Juni 2020 übersandt. Darin ist er zu dem Ergebnis gelangt,
dass man unter einer Skoliose eine fixierte Abweichung der Wirbelsäulenachse mit primären und sekundären Veränderungen an
Knochen und Weichteilen verstehe. Zusätzlich könne es auch noch eine Torsions- bzw. Rotationskomponente geben. Von einer fixierten
seitlichen Wirbelsäulenverkrümmung spreche man, wenn der Winkel mindestens 10° betrage. Es existierten auch monosegmentale
Skoliosen. Diese seien behandlungsbedürftig, sofern sie ein eigenständiges Krankheitsbild darstellten. Letztendlich sei dieser
Fall juristisch zu entscheiden. Es habe eine seitliche Abknickung vorgelegen, die man theoretisch als Skoliose bezeichnen
könne. Die MRT-Aufnahmen ließen erahnen, dass ein Skoliose-Winkel von knapp 10° vorliege, eher 8°. Erst bei 10° spreche man
tatsächlich von einer Skoliose. Es sei auch nicht beschrieben, um wie viel Grad die Skoliose aufgerichtet worden sei, eine
komplette Planung fehle. Die Seitabknickung sei mit der Bandscheibendegeneration verbunden gewesen und stelle kein eigenständiges
Krankheitsbild dar.
Das Sozialgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2020 Dr. K1 ergänzend zu seinem Gutachten befragt.
Der Sachverständige hat dort erklärt, er wisse nicht, ob hier eine Skoliose unabhängig von dem bestehenden Wirbelgleiten vorgelegen
habe. Er bestätigte aber, dass es einen durch die Seitabknickung der Wirbelsäule entstandenen Mehraufwand gegeben habe, der
durch die Neuausrichtung des Bildwandlers für die Implantation der Schrauben bzw. eine Distraktion und Reposition der Wirbelkörper
durch Einschrauben eines einseitigen Distraktionsinstrumentes entstanden sei. Die Klägerin hat in diesem Termin eine präoperative,
im Liegen erstellte Röntgenaufnahme der Wirbelsäule der Versicherten vom 13. August 2010 vorgelegt, aus der sich ein Cobb-Winkel
von 13,2° ergibt. Der Sachverständige hat hierzu erklärt, dass der Krümmungswinkel sich bei einer Aufnahme im Stehen erhöhen
könne.
Mit Urteil vom selben Tag hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die nach §
54 Abs.
5 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) statthafte und auch sonst zulässige Leistungsklage in der Sache ohne Erfolg bleibe. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf
Zahlung einer weiteren Vergütung in Höhe von 1.853,36 EUR gegen die Beklagte.
1. Streitgegenstand sei hier nicht mehr der ursprüngliche Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Behandlungsfalles der Versicherten.
Denn diese Forderung habe die Beklagte beglichen. Im Streit stehe vielmehr, ob die Beklagte berechtigt gewesen sei, mit einem
öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch aus dem Behandlungsfall der Versicherten gegen eine spätere, unstreitige Forderung
der Klägerin aus einem anderen Behandlungsfall aufzurechnen. Eine solche Aufrechnung sei nach §
69 Abs.
1 Satz 3 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB V) i.V.m §§
387 ff. des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (
BGB) grundsätzlich möglich.
2. Der Beklagten habe eine solche öffentlich-rechtliche Erstattungsforderung aus §
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V i.V.m §
812 Abs.
1 Satz 1, 1. Alt.
BGB in Höhe der Klagesumme zugestanden. Denn die Vergütung für die Behandlung des Versicherten sei in Höhe der Klagesumme rechtsgrundlos
erfolgt. Berechtigte Einwendungen der Klägerin seien nicht ersichtlich.
Die Zahlung der Vergütung für die Behandlung des Versicherten sei ohne Rechtsgrund erfolgt. Anspruchsgrundlage für den Vergütungsanspruch
der Klägerin sei §
109 Abs.
3 Satz 3
SGB V, § 17b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG), § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) i.V.m. der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2010 (FPV 2010)
sowie dem Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft
e.V. und unter anderem der Beklagten (Vertrag nach §
112 SGB V).
a. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung seien dem Grunde nach unstreitig erfüllt. Die Zahlungsverpflichtung
einer Krankenkasse entstehe – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten
kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt werde und im Sinne von §
39 Abs.
1 Satz 2
SGB V erforderlich sei.
b. Streitig sei vorliegend aber die DRG, von der die Vergütungshöhe abhänge. Zwischen den Beteiligten bestünden unterschiedliche
Auffassungen zu der Frage, ob neben der nicht mehr streitigen Nebendiagnose M43.16 (Spondylolisthesis: Lumbalbereich) und
den anderen unstreitigen Diagnosen und Prozeduren als weitere Nebendiagnose M41.56 (Sonstige sekundäre Skoliose: Lumbalbereich)
zu kodieren sei. Nach der von der Klägerin zugrunde gelegten DRG I09C (Bestimmte Eingriffe an der Wirbelsäule mit Eingriffen
bei deformierenden Erkrankungen der Wirbelsäule, komplexen Spondylodesen oder Implantation eines Schrauben-Stabsystems mit
Kyphoplastie, Alter > 15 Jahre) ergebe sich – einschließlich der hier unstreitigen Zuschläge – ein Betrag von 11.259,28 EUR.
Die von der Beklagten angenommene DRG I09D (Bestimmte Eingriffe an der Wirbelsäule mit komplexer Osteosynthese und schweren
CC oder mit allogener Knochentransplantation oder Implantation eines Schrauben-Stabsystems oder mit Kyphoplastie, mehr als
2 Segmente od. bis 2 Segmente mit äußerst schweren CC) führe zu einem um 1.853,36 EUR geringeren Erlös.
Die Kammer sei zu der Überzeugung gelangt, dass die Behandlung der Versicherten auf der Grundlage der DRG I09D abzurechnen
sei, denn entgegen der Auffassung der Klägerin sei als Nebendiagnose M41.86 (Sonstige Formen der Skoliose: Lumbalbereich)
hier nicht zu kodieren. Dies beruhe auf folgenden Erwägungen:
Die Deutschen Kodierrichtlinien in der zum Behandlungszeitpunkt geltenden Fassung (DKR 2010) definierten eine Nebendiagnose
unter Ziffer D003i als
„eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes
entwickelt. Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in
der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:
o therapeutische Maßnahmen
o diagnostische Maßnahmen
o erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand
Bei Patienten, bei denen einer dieser erbrachten Faktoren auf mehrere Diagnosen ausgerichtet ist, können alle betroffenen
Diagnosen kodiert werden.
(1.) Voraussetzung für die Kodierung einer Skoliose als Nebendiagnose sei daher zunächst, dass diese Krankheit bei der Versicherten
habe diagnostiziert werden können. Dies sei nicht der Fall.
Der Begriff der Skoliose sei weder im ICD-10 noch im Fallpauschalenkatalog näher definiert. Ihm komme daher der Sinngehalt
zu, der ihm im medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch zugemessen werde (vgl. zum OPS BSG, Beschluss vom 19. Juli 2012, B 1 KR 65/11 B, Rn. 18, juris).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe für die Kammer fest, dass in der medizinischen Wissenschaft eine allgemeingültige,
präzise und abschließende Begriffsbestimmung für eine Skoliose nicht existiere. Vielmehr sei das Begriffsverständnis im medizinischen
Sprachgebrauch uneinheitlich und werfe zudem erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten auf. Zudem erfolge die Begriffsbestimmung
oftmals anhand von Einzelfallbeschreibungen und konkreten Beispielen in Form von Bildgebung und/oder Zeichnungen, was die
Bildung eines einheitlichen, international gültigen Begriffsverständnisses erschwere. Klarheit bestehe in medizinischen Fachkreisen
lediglich darüber, dass es sich bei einer Skoliose um eine fixierte Seitabknickung der Wirbelsäule handele. Zusätzlich könne
auch eine Torsion bzw. Rotation der Wirbelkörper vorliegen. Dies hätten die gerichtlichen Sachverständigen übereinstimmend
festgestellt und stehe zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit.
Unterschiedliche Auffassung bestünden jedoch hinsichtlich der Frage, ob darüber hinaus noch weitere Voraussetzungen vorliegen
müssten, um eine Skoliose zu diagnostizieren. Dies sei aus Sicht der Kammer der Fall. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass
nicht bei jeglicher seitlichen Verkrümmung der Wirbelsäule unmittelbar von einer Skoliose gesprochen werden könne.
(a.) Zunächst gehe das Gericht davon aus, dass eine Skoliose nicht unabhängig von dem konkreten Krümmungsgrad der Wirbelsäule
diagnostiziert werden könne. Sämtliche gerichtlichen Sachverständige hätten schlüssig ausgeführt, dass zur Diagnose einer
Skoliose die Bestimmung des Krümmungs- und damit des Schweregrades nach Cobb erfolge, wobei bei einem Winkel von weniger als
10° nach Cobb bereits keine Skoliose, bzw. keine relevante Skoliose vorliege. Zwar seien die Sachverständigen in der Verwendung
der Begrifflichkeiten zum Teil nicht ganz trennscharf vorgegangen und sprächen zum Teil von „erkrankungsrelevanter“ bzw. „nicht
relevanter“ Skoliose (so Dr. K. in ihrem Sachverständigengutachten vom 10. August 2018, Bl. 127 bzw. 132 PA), jedoch habe
Dr. K1 in seinem Sachverständigengutachten klargestellt, dass erst ab einem Winkel von mehr als 10° nach Cobb von einer leichten
Skoliose und damit überhaupt von einer Skoliose gesprochen werde (vgl. Bl. 242 bzw. Bl. 244 PA). In der mündlichen Verhandlung
habe Dr. K1 auf Frage des Gerichts noch einmal bestätigt, dass demnach bei einem Winkel von weniger als 10° bereits begrifflich
keine Skoliose vorliege. Dieses Begriffsverständnis werde bestätigt durch die von der medizinischen Sachverständigen Dr. K.
als Anlage zu ihrem Gutachten überreichte Literatur sowie die Definition in der mittlerweile in Überarbeitung befindlichen
Leitlinie „Idiopathische Skoliose im Wachstumsalter“ der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie
und des Berufsverbandes der Ärzte für Orthopädie, in der die idiopathische Skoliose als „eine seitliche Verkrümmung von mehr
als 10° Cobb-Winkel“ definiert sei. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei diese Definition nicht auf die idiopathische
Skoliose im Wachstumsalter beschränkt, sondern lasse sich auf Skoliosen im Erwachsenenalter übertragen. So werde diese Definition
in der von der medizinischen Sachverständigen Dr. K. zitierten Literatur uneingeschränkt auf die sekundäre bzw. degenerative
Skoliose beim Erwachsenen angewandt (vgl. Kotwal et al. (2011) 7:257-264 (258); Cho et al. 2014 8(3): 371-381 (371); Garcia-Ramos
et al. (2018); 32(2): 60-64 (61)).
Ein solcher, die Diagnose einer Skoliose rechtfertigender Krümmungsgrad der Wirbelsäule habe hier nicht vorgelegen. Zwar bestehe
Einigkeit darüber, dass bei der Versicherten im vorliegenden Fall eine Abknickung der Wirbelsäule zur Seite bestanden habe.
Es sei jedoch weder dokumentiert noch nachprüfbar, ob diese Achsabweichung präoperativ einen Winkel von mehr als 10° Cobb
aufgewiesen habe. Sowohl der Sachverständige Dr. K1 als auch die Sachverständige Dr. K. seien bei ihren Messungen anhand des
von der Klägerin vorgelegten Bildmaterials zu dem Ergebnis gekommen, dass von einem Skoliosewinkel von knapp unter 10° ausgegangen
werden müsse. Dies sei aus Sicht der Kammer auch schlüssig, denn auch die Klägerin selbst habe zunächst behauptet, dass die
MRT-Bilder einen Winkel von 9-10° zeigten. Erst in der mündlichen Verhandlung habe die Klägerin den Ausdruck eines MRT-Bildes
vorgelegt, auf dem ein Winkel von 13° Cobb ausgewiesen worden sei. Ob dies zutreffend gewesen sei, lasse sich indes nicht
nachprüfen. Der Sachverständige Dr. K1 habe nachvollziehbar dargelegt, dass eine exakte Bestimmung des Skoliosewinkels anhand
der vorhandenen MRT-Aufnahmen, die im entscheidenden Bildabschnitt unscharf seien, nicht möglich sei. Hierzu sei eine im Stehen
angefertigte Röntgenaufnahme erforderlich, die nicht vorliege. In den Behandlungsunterlagen finde sich keine Angabe des fraglichen
Winkels.
(b.) Selbst, wenn man jedoch ein Begriffsverständnis zugrunde lege, nach welchem eine Skoliose auch bei einem Winkel von 10°
oder weniger vorliegen könne, wäre im vorliegenden Fall die Diagnose einer Skoliose unzutreffend. So habe die Begriffsbestimmung
auch in Abgrenzung zu verwandten Diagnosen zu erfolgen. Eine solche Abgrenzung gelinge im vorliegenden Fall nicht. Die Sachverständigen
Prof. Dr. H. und Dr. K. hätten nachvollziehbar dargelegt, dass die bei der Versicherten vorliegende Abknickung zwischen den
Wirbelkörpern bereits Ausdruck der Spondylolisthesis, also des Wirbelgleitens sei und damit kein eigenständiges Krankheitsbild,
sondern ein inhärentes Begleitmerkmal der degenerativen Spondylolisthesis darstelle. Demgegenüber legt sich der Sachverständige
Dr. K1 zwar nicht abschließend fest, auch er bestätigt jedoch, dass das Wirbelgleiten das seitliche Abknicken der Wirbelsäule
bei der Versicherten verursacht haben könne. Eine trennscharfe Abgrenzung sei jedoch nur unter Auswertung einer entsprechenden
Bildgebung möglich, die hier nicht vorliege.
Soweit die Klägerin behaupte, dass sich dies nicht im Einklang mit der gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis befinde und
zudem nicht der medizinischen Erfahrung aus der Behandlung sekundärer Skoliosen im Erwachsenenalter entspreche, sei dies nicht
geeignet, die Feststellungen der Sachverständigen in Frage zu stellen. Alle drei Sachverständigen der mit dieser Erkrankung
grundsätzlich befassten Fachgebiete seien sich darüber einig, dass auch das Wirbelgleiten zu einer seitlichen Achsabweichung
der Wirbelsäule führen könne. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige Dr. K1 zudem sehr anschaulich und
nachvollziehbar beschrieben, dass bei einem Wirbelgleiten die Wirbelkörper nicht zuletzt durch zusätzliche Torsion durchaus
so verrutschen könnten, dass es zu einem seitlichen Abknicken der Wirbelsäule in nur einem Segment, also zwischen zwei Wirbelkörpern,
komme. In diesem Fall sei die Seitabknickung der Wirbelsäule durch die Spondylolisthesis verursacht und stelle kein eigenständiges
Krankheitsbild in Form einer Skoliose dar. Aus Sicht des Gerichts vermöge dies auch zu erklären, warum der MDK und überwiegend
auch die übrigen gerichtlichen Sachverständigen davon ausgegangen sein, ein seitliches Abknicken in einem Wirbelsäulensegment
könne bereits per definitionem keine Skoliose darstellen. Nach dem Begriffsverständnis der Mediziner könne dies durchaus eine
typische Ausprägung des Krankheitsbilds einer Spondylolysthesis sein.
Nach Auffassung der Kammer habe dies zwar nicht zur Folge, dass eine Skoliose nicht auch neben einer Spondylolysthesis bestehen
könne und schließe daher eine gleichzeitige Kodierung beider Diagnosen nicht grundsätzlich aus. Wie der Sachverständige Dr.
K1 dargelegt habe, setze die Kodierung einer Skoliose neben einer Spondylolysthesis jedoch voraus, dass ein eigenständiges
Krankheitsbild in Form einer behandlungsbedürftigen Skoliose vorliege. Dieser Bewertung schließe sich die Kammer an, denn
nur so gelinge eine Abgrenzung zur Spondylolisthesis. Ein eigenständiges Krankheitsbild in Form einer behandlungsbedürftigen
Skoliose sei hier jedoch nicht erkennbar. Der Sachverständige Dr. K1 habe ausgeführt, dass von einer Behandlungsbedürftigkeit
grundsätzlich erst bei einem Winkel von 20-25° nach Cobb ausgegangen werden könne. Unbeschadet der Frage, ob die Seitabknickung
der Wirbelsäule hier der Einschätzung der Sachverständigen folgend eher unter 10° Cobb oder – wie die Klägerin zuletzt behauptet
habe – bei 13° Cobb gelegen habe, liege eine Skoliose eines solchen Ausmaßes hier jedenfalls nicht vor. Andere Hinweise auf
das Bestehen einer zu der bestehenden Spondylolisthesis hinzutretenden Skoliose fänden sich in der Behandlungsdokumentation
nicht. Einzig im OP-Bericht finde sich die Diagnose „linkskonvexe Skoliose L4/5“. Angesichts des vorliegenden Bildmaterials
sei diese Feststellung ohne weitere Beschreibung jedoch nicht geeignet, eine neben einer Spondylolisthesis bestehende Skoliose
nachzuweisen. Wie der Sachverständige Dr. K1 ausgeführt habe, wäre eine entsprechende Beschreibung im Operationsbericht erforderlich
gewesen. Eine solche liege jedoch nicht vor. Auch eine entsprechende OP-Planung oder Patientenaufklärung finde sich in den
Behandlungsunterlagen nicht.
(2.) Angesichts dessen, dass die Diagnose einer Skoliose bereits unzutreffend gewesen sei, sei über die Frage, ob eine Skoliose
das Patientenmanagement beeinflusst habe, indem therapeutische Maßnahmen erforderlich geworden seien, nicht mehr zu entscheiden.
Das Urteil ist der Klägerin am 6. Juli 2020 zugestellt worden. Am 29. Juli hat sie die vorliegende Berufung erhoben. Zur Begründung
betont sie, dass eine Skoliose entgegen der Auffassung des Sozialgerichts unabhängig von Krümmungsgrad der Wirbelsäule diagnostiziert
werden könne. Auch sei die Skoliose hier von den anderen Erkrankungen der Versicherten durchaus abgrenzbar. Der Irrtum des
Sozialgerichts beruhe auf der fehlenden Fachkompetenz der gerichtlichen Sachverständigen. Zudem habe das Sozialgericht die
Vorgaben des Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus GmbH (InEK) und die der Kodierrichtlinien ignoriert. Der Sachverständige
Prof. H. sei als Bauchchirurg dem Irrtum erlegen, sein Gutachten an der langstreckigen, jugendlichen und idiopathischen Skoliose
auszurichten. Diese sei aber im DRG-System anderweitig kodierbar. Auch Dr. K. sei als von ihr selbst als Spezialistin für
Hirntumore bezeichnete Ärztin fachfremd. Sie sei auch befangen gewesen, da sie der Klägerin vorgeworfen habe, Bildmaterial
zurückgehalten zu haben, um die Sachverhaltsaufklärung zu behindern. Sie habe auch die Höhe der Vergütung gerügt, das sei
jedoch Folge der Abrechnung über das DRG-System und nicht beeinflussbar. Von beiden Gutachtern habe das Gericht sich in der
mündlichen Verhandlung distanziert, weshalb es dort auch den dritten Gutachter Dr. K1 hinzugezogen habe. Aber auch Dr. K1
verfüge als Unfallchirurg und Rettungsarzt nicht über das notwendige Fachwissen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass Dr.
K1 den Cobb-Winkel nicht habe bestimmen können, weil ihm dazu ein Bild unter Abbildung des Kreuzbeins gefehlt habe. Er habe
aber zwei Flächen gekannt und daraus den Winkel ableiten können. Überdies habe er auf der Bestimmung des Cobb-Winkels bestanden,
was bei der degenerativen Skoliose aber ganz andere Werte generiere als bei der jugendlichen, die durchaus über 15 Segmente
hinweg befundet werden könne. Ein Winkel von 10° sei innerhalb eines Segments etwas gänzlich anderes als über 15 Segmente.
Dr. K1 habe auf Nachfrage auch zugegeben, dass eine seitliche Verkippung der Wirbelsäule, wie hier vorliegend, behandlungsbedürftig
sei. Er habe trotzdem behauptet, dass es sich nicht um eine relevante Erkrankung gehandelt habe. Das sei jedoch widersprüchlich.
Er habe auch eingeräumt, dass die Implantation der Schrauben unter erschwerten Bedingungen erfolgt sei. Letztlich gehe aus
dem OP-Bericht hervor, dass ein einseitiges Distraktionsinstrument angeschraubt worden sei, welches bei einem symmetrischen
Wirbelgleiten nicht nötig gewesen wäre. Für die Kodierung einer Nebendiagnose sei die Eigenständigkeit der Erkrankung jedoch
nicht nötig. Es komme für die Kodierung der Nebendiagnose daher nicht darauf an, ob die degenerative Skoliose eine Spielart
des Wirbelgleitens sei. Das Sozialgericht habe eine unzutreffende Bewertung vorgenommen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts vom 17. Juni 2020 die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.853,36 EUR
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent seit dem 22. Februar 2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils, ihren Vortrag aus der ersten Instanz und die Ausführungen des Gutachters
vom MDK. Überdies möge Dr. K1 sich mit den Ausführungen der Klägerin in ihrer Berufung gutachterlich auseinandersetzen.
In seiner vom Senat eingeleiteten ergänzenden Begutachtung im Berufungsverfahren hat der Sachverständige Dr. K1 betont, dass
es sich hier um ein degeneratives Wirbelgleiten gehandelt habe, welches bei Bandscheibendegeneration entstehe. Die Bandscheibe
werde ausgeräumt, das Segment ggf. mit einem Cage auf die normale Höhe gebracht, um die Bandscheibe zu ersetzen. Dabei würden
unter Zuhilfenahme eines Röntgengeräts unter Sicht Schrauben in den Wirbelkörper eingebracht und eine Reposition des Wirbelgleitens
ggf. unter Verwendung von Repositionsinstrumenten, die an den Schrauben angesetzt würden, durchgeführt. Diese Art des Wirbelgleitens
sei nicht symmetrisch. Es könnten je nach Degeneration der Bandscheiben Rotationskomponenten wie auch unterschiedliche Höhen
vorliegen. Es handele sich dabei nicht um eine eigenständige monosegmentale Skoliose. Die Krankheit des Gleitwirbels könne
aus Vorwärts- und Seitwärtsbewegungen bestehen, die eine Schrägstellung bewirkten. Diese unterschiedlichen Gleitrichtungen
seien aber eine Krankheit. Man kodiere nicht die Vorwärtsbewegung neben der Schrägstellung gesondert. Hier gleite der Wirbel
und müsse reponiert werden. Alleine die Benutzung eines Distraktionsinstruments (zur Begradigung der Wirbelsäule) könne weder
einen zusätzlichen Aufwand noch eine zusätzliche Diagnose begründen. Es würden bei der Behandlung des Wirbelgleitens nur unterschiedliche
Hilfsmittel eingesetzt.
Die Klägerin hat hierzu erneut erwidert, dass nach den Regeln der DKR eine Eigenständigkeit der Skoliose nicht gefordert werde.
Unbestritten habe eine Seitabknickung der Wirbelsäule vorgelegen, die auch behandelt worden sei und deshalb in eine Nebendiagnose
gemündet habe. Es sei auch sicher nicht so, dass ein degeneratives Wirbelgleiten in der Regel nicht symmetrisch sei. Im Patientengut
der Beklagten träten etwa 80% der Fälle von Wirbelgleiten ohne Skoliose auf. Bei Nebendiagnosen würden deren Eigenständigkeit
oft nicht voraus-gesetzt. Auch könne nicht ignoriert werden, dass die Begradigung der Wirbelsäule einen Mehraufwand verursacht
habe. Dieser habe im An- und Abschrauben des Distraktionsinstruments gelegen.
Der Sachverständige hat sich hierzu geäußert, indem er betont hat, dass der an der Wirbelsäule eingebrachte Fixateur im Rahmen
einer Versteifung eingestellt werde. Das sei aber keine Behandlung einer Skoliose. Man müsse sich juristisch überlegen, inwieweit
einzelne Operationsschritte aufgeteilt werden müssten. Es gäbe im Rahmen derselben Art eines operativen Eingriffs, aufwändige
und weniger aufwändige Eingriffe. Trotzdem würden diese mit derselben Kodierung abgerechnet, denn das System sei auf Pauschalen
angelegt. Folgte man der Auffassung der Klägerin, wäre jedes degenerative Wirbelgleiten, welches nicht absolut symmetrisch
sei, auch eine Skoliose.
Die Klägerin tritt dem entgegen, indem sie noch einmal darauf abstellt, dass die DKR keine Eigenständigkeit der Skoliose fordere.
Auch in späteren Jahren sei die Skoliose als Nebendiagnose in diesen Fällen kodiert worden, ohne dass dies beanstandet worden
sei, allerdings habe das dann keine Auswirkung auf die Vergütung mehr gehabt. Maßgeblich sei jedoch das Groupierungsergebnis
im Behandlungsjahr, in welchem das InEK hierfür eine höhere Vergütung habe erreichen wollen.
Der gerichtliche Sachverständige ist in der mündlichen Verhandlung des Senats vom 17.2.2022 befragt worden und hat sein bisher
erstelltes Gutachten dahin korrigiert, dass er deutlich gemacht hat, dass die Skoliose keine Torsionsbewegung voraussetze.
In den meisten Fällen der Skoliose sei dies zwar der Fall, es sei aber definitorisch nicht Bedingung für eine Skoliose; es
gebe in seltenen Fällen auch eine rein seitliche Verkippung. Ein Mehraufwand sei bei einer seitlichen Verkippung mit Torsion
dann gegeben, wenn man noch eine zweite Röntgenaufnahme zur Bestimmung der Torsion machen müsse. Letzteres sei hier der Fall
gewesen, so dass von einem Mehraufwand auszugehen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Krankenakte der Klägerin und die
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die dem Senat vorgelegen haben und zur Grundlage der Entscheidung gemacht worden
sind.
Die Kodierung des Codes M 41.86 ist auch in Fällen wie diesem, in dem nur ein Segment der Wirbelsäule (das sind 2 Wirbelkörper)
– hier L 4/5 – betroffen ist, als Behandlung einer Skoliose – hier als Nebendiagnose – gerechtfertigt. Diese primär medizinische
Frage, die eine Definition der Skoliose erfordert, führt hier durch die geänderte Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen
im Rahmen des Berufungsverfahrens dazu, dass eine neben der Spondylolysthesis mitbehandelte Skoliose bei der Versicherten
vorlag. Dann aber war diese als Nebendiagnose kodierbar und deren Abrechnung nicht zu beanstanden.
Eine Nebendiagnose wird nach der Deutschen Kodierrichtlinien in der zum Behandlungszeitpunkt geltenden Fassung (Ziffer D003i
der DKR 2010), wie das Sozialgericht bereits richtig ausgeführt hat, wie folgt definiert:
„eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes
entwickelt. Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in
der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:
Bei Patienten, bei denen einer dieser erbrachten Faktoren auf mehrere Diagnosen ausgerichtet ist, können alle betroffenen
Diagnosen kodiert werden.
Eine Eigenständigkeit der Krankheit, hier also unabhängig von der Spondylolisthesis, wie sie von den Sachverständigen gefordert
worden ist, ist danach keine Voraussetzung.
Nach der Legaldefinition im Pschychrembel (Klinisches Wörterbuch 260. Auflage 2004) ist eine Skoliose „eine strukturelle Wachstumsdeformität
der Wirbelsäule mit fixierter seitlicher Verbiegung, Drehung der einzelnen Wirbel und Rotation der Wirbelsäule im Krümmungsbereich“.
Dabei ist es nach den den Senat überzeugenden Aussagen zweier Sachverständiger nicht erforderlich, dass die Verkrümmung immer
über mehrere Segmente vorliegt; auch innerhalb eines Wirbelsäulensegments könne eine Skoliose auftreten. Der erste sachverständige
Gutachter Prof. H. hat zwar (in einem sehr kurz gehaltenen Gutachten und ohne, dass ihm die bildgebenden Dokumente vorgelegen
haben) ohne weitere Begründung die Auffassung vertreten, dass „eine Skoliose nicht nur einen einzigen Wirbelsäulenabschnitt
zwischen 2 einzelnen Wirbeln betreffen“ könne und deshalb das Vorliegen derselben verneint. Diese Aussage ist jedoch sowohl
von der zweiten Sachverständigen Dr. K. als auch dem dritten Sachverständigen Dr. K1 zur Überzeugung des Senats widerlegt
worden. Beide Sachverständige haben ausgeführt, dass die Definition der Skoliose nicht voraussetze, dass diese über mehrere
Segmente der Wirbelsäule zu verlaufen habe. Auch eine monosegmentale Wirbelsäulenverkrümmung stelle definitorisch eine Skoliose
dar.
Die weitere gerichtliche Sachverständige Dr. K. hat in ihrem (insgesamt 64-seitigen) Gutachten zwar zunächst ausgeführt, dass
im vorliegenden Fall keine typischen morphologischen Kriterien einer degenerativen Skoliose vorlägen. Die einzig in Betracht
kommende skolioseähnliche Pathologie, die nach Untergang von autochthoner (ortsständiger) Rückenmuskulatur infrage käme und
zu einer unphysiologisch schnell fortschreitenden Pseudospondylolisthesis und Stenosierung hätte beitragen können, setze präoperative
MRT- oder CT-Bildgebung voraus. Auch nach Übersendung des bildgebenden Materials durch die Klägerin ist die Sachverständige
bei ihrer Auffassung geblieben. Sie hat nunmehr eingeräumt, dass sich eine Achsabknickung auf den Bildern zwischen LWK 4 und
LWK 5 nunmehr erkennen lasse. Diese sei aber keine skoliotische Fehlhaltung, sondern ein inhärentes Begleitmerkmal der degenerativen
Spondylolisthesis. Weder verkompliziere sie die OP noch die Krankheitsbehandlung. Die seitliche Achsabknickung eines einzigen
Segmentes, welches durch eine degenerative Spondylolisthesis pathologisch erhöht mobil sei, erfülle nicht die Krankheitsdefinition
einer Skoliose. Abschließend hat sie erklärt, die Skoliose sei häufiger Ausdruck der Spondylolisthesis. Zusammenfassend könne
allenfalls von einer geringfügigen begleitenden Skoliose gesprochen werden, die aber nicht ausreichend sei, um als Nebendiagnose
kodiert zu werden.
Der dritte Gutachter, Dr. K1, war zwar auch zunächst zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Skoliose nicht vorgelegen habe. Es
habe sich allein um ein Wirbelgleiten im Segment L4/5 mit Einengung des Spinalkanals gehandelt. In seinem letzten gegenüber
der Berufungsinstanz abgegebenen ergänzenden Gutachten hat der Sachverständige allerdings eingeräumt, dass eine Skoliose nach
herrschender Meinung auch bereits innerhalb eines Wirbelsegments auftreten könne. Die seitliche Verkippung eines aus der Symmetrie
geratenen Wirbelkörpers führe zu einer Verkrümmung der Wirbelsäule, die im Rahmen des von der Klägerin vorgenommenen Eingriffs
begradigt worden sei. Die Skoliose sei mit und ohne Torsionsbewegung der Wirbelsäule als solche definiert. Und die Spondylolisthesis
könne ebenfalls mit und ohne seitliche Abknickung der Wirbelkörper auftreten. Ein für die Abrechnung einer Nebendiagnose erforderlicher
Mehraufwand habe vorliegend darin bestanden, dass eine zusätzliche Röntgenaufnahme veranlasst worden sei und zusätzlich Pedikelschrauben
erst eingestellt hätten werden müssen, ebenso wie man Spreizer habe einbringen müssen, um den Bandscheibenraum ausräumen zu
können, da die Wirbelkörper gegeneinander verklebt gewesen seien. Ein Mehraufwand habe hier jedenfalls darin bestanden, dass
noch eine zweite Röntgenaufnahme zur Bestimmung der Torsion der Wirbelsäule habe erstellt werden müssen. Letzteres hat er
ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung des Senats noch einmal bestätigt.
Das für die Skoliose geforderte Mindestmaß einer Wirbelsäulenverkrümmung von wenigstens 10° ist von der Klägerin letztlich
auch nachgewiesen worden. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat sie eine präoperative Röntgenaufnahme
der Versicherten zur Akte gereicht, aus der sich ein Krümmungsgrad der Wirbelsäule um 13,2° ergeben hat. Der Sachverständige
hat vor dem Sozialgericht zudem eingeräumt, dass diese Aufnahme im Liegen erfolgt sei, im Stehen könne sogar ein größerer
Krümmungswinkel bestehen.
Überdies handelt es sich auch bei einer im Rahmen der Spondylolisthesis auftretenden Skoliose auch um ein eigenständiges Krankheitsbild,
denn die Klägerin hat unwidersprochen und von Dr. K1 auch bestätigt erklärt, dass die streitige Behandlung der Spondylolisthesis
zwei Formen der notwendigen Korrektureingriffe aufweise. In 80 Prozent der Fälle werde die Spondylolisthesis ohne und in 20
Prozent mit Skoliosebehandlung ausgeführt, da nur in den 20 Prozent selteneren Fällen eine Torsions- bzw. Kippbewegung der
Wirbelsäule mit der Erkrankung verbunden sei.
Das vorliegende Kodierungsproblem existiert überdies seit einigen Jahren nicht mehr. Die Klägerin und der Sachverständige
Dr. K1 haben in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die Kodierung der Skoliose in Fällen der operativen Behandlung
der Spondylolisthesis seit einigen Jahren nicht (mehr) zu einem Mehrerlös führe. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass die Vertragspartner
der Abrechnungsregeln die Kodierung der Skoliose in diesen Fällen als Nebendiagnose für zulässig erachtet haben, dies jedoch
keine Erlössteigerung (mehr) bewirken sollte.