Grundsicherung für Arbeitsuchende
sozialgerichtliches Verfahren
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Verfügung, durch die der Antragsgegner
mit seinem Rückzahlungsanspruch aus einem dem Antragsteller gewährten Mietkautionsdarlehen gegen dessen Ansprüche auf laufende
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) aufgerechnet hat.
Der 1957 geborene, alleinstehende Antragsteller erhält laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von dem Antragsgegner,
zuletzt bewilligt durch Bescheid vom 20. Mai 2021 für die Zeit vom 1. Juli 2021 bis zum 30. Juni 2022 in Höhe von monatlich
641,- Euro. Bei der Leistungsberechnung berücksichtigte der Antragsgegner einen Regelbedarf des Antragstellers in Höhe von
446,- Euro monatlich. Wegen der Einzelheiten wird auf Dokument Nr. 5 der vom Antragsgegner in elektronischer Form vorgelegten
Leistungsakte – im Folgenden: eLA – Bezug genommen.
Der Antragsteller mietete durch Mietvertrag vom 22. August 2021 (eLA Dok. Nr. 29) zum 1. September 2021 eine neue Wohnung
an. Zuvor hatte er mit Schreiben vom 9. August 2021 neben der Anerkennung der laufenden Aufwendungen für die neue Wohnung
als angemessenen Unterkunftsbedarf auch die Gewährung eines Darlehens zur Aufbringung der Mietkaution in Höhe von 600,- Euro
beantragt. Die Ratenzahlung „in Höhe von 40,00 EURO (oder nach Ihrer Rechnung) für die Kaution“ könne, so erklärte er in diesem
Schreiben, der Antragsgegner monatlich von seiner „Regelleistung abziehen bis die Kautionssumme in Höhe von 600,00 EURO ausgezahlt
wird“. Wegen der Einzelheiten wird auf das genannte Schreiben (eLA Dok. Nr. 10) Bezug genommen.
Der Antragsgegner sicherte daraufhin mit Schreiben vom 10. August 2021 die Anerkennung der laufenden Aufwendungen für die
neue Wohnung als Unterkunftsbedarf zu. Mit Änderungsbescheiden vom 18. August 2021 (eLA Dok. Nr. 23), 23. August 2021 (eLA
Dok. Nr. 35), 2. September 2021 (eLA Dok. Nr. 48) und 27. September 2021 (eLA Dok. Nr. 58) berücksichtigte er anschließend
die geänderten Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie die Kosten einer Einzugsrenovierung im Rahmen der laufenden Leistungsbewilligung,
wobei der Antragsteller wegen der Höhe der Renovierungskosten Widerspruch einlegte. Der berücksichtigte Regelbedarf blieb
durchgängig unverändert.
Auf Rückfrage des Antragsgegners, ob wegen der Kaution die Gewährung eines Darlehens in voller Höhe der Kautionssumme mit
nachfolgender Aufrechnung oder die ratenweise Zahlung aus dem jeweiligen monatlichen Leistungsanspruch gewünscht sei, hatte
der Antragsteller bereits zuvor mit Schreiben vom 17. August 2021 erklärt, er beantrage die „darlehensweise Übernahme der
Kaution und damit einhergehend die Aufrechthaltung in Höhe von 10 % meiner Regelleistung“. Auf eLA Dok. Nr. 18 wird Bezug
genommen.
Mit Bescheid vom 5. Oktober 2021 bewilligte der Antragsgegner das beantragte Darlehen für die Mietkaution in Höhe von 600,-
Euro und verfügte dessen Tilgung durch Aufrechnung mit monatlichen Raten in Höhe von 44,60 Euro gegen die dem Antragsteller
bewilligten laufenden Leistungen ab 1. November 2021. Im Rahmen der Begründung führte der Antragsgegner unter anderem aus,
solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezögen, würden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab
dem Monat, der auf die Auszahlung folge, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von zehn Prozent des maßgebenden Regelbedarfs
getilgt (§ 42a Abs. 2 SGB II). Auf eLA Dok. Nr. 66 wird verwiesen.
Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 19. Oktober 2021 Widerspruch ein. Er müsse die Aufrechnung
nicht akzeptieren, weil auf diese Weise sein Existenzminimum unterschritten werde. Die Aufrechnung des Rückzahlungsanspruchs
mit den laufenden Leistungen von Grundsicherungsempfängern sei verfassungswidrig. Wegen der Einzelheiten wird auf das Widerspruchsschreiben
(eLA Dok. Nr. 68) Bezug genommen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2021 – dessen Zugang vor dem 31. Januar 2022 der Antragsteller allerdings bestreitet
– wies der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(Urteil vom 28. November 2018 – B 14 AS 31/17 R –) bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Aufrechnung zur Tilgung eines Mietkautionsdarlehens.
Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – zur Verfassungsmäßigkeit von Minderungen des Arbeitslosengeldes II gebe keinen Anlass für eine andere Beurteilung. Die
Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22. März 2012 – B 4 AS 26/10 R –, auf die sich der Antragsteller berufen hatte, sei zu einer früheren Rechtslage ergangen, die noch keine gesetzliche
Grundlage für eine Aufrechnung von Mietkautionsdarlehen vorgesehen habe. Wegen der ausführlichen Begründung wird auf die Ausführungen
im Widerspruchsbescheid (eLA Dok. Nr. 69) verwiesen.
Mit Schreiben vom 21. Oktober 2021 ordnete der Antragsgegner sodann „die sofortige Vollziehung der im Bescheid vom 05.10.2021
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2021 verfügten Aufrechnung der monatlichen Raten in Höhe von 44,60 € zur Tilgung
des gewährten Mietkautions-Darlehens beginnend ab 01.11.2021“ an. Zur Begründung führte er namentlich aus, die zuständige
Stelle könne nach §
86a Abs.
2 Nr.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse anordnen. Die Darlehensforderung gegen den Antragsteller
belaufe sich auf 600,- Euro; bei einer Aufrechnung von monatlichen Tilgungsraten in Höhe von jeweils 44,60 Euro wäre sie bei
regelmäßigem Verlauf nach 14 Monaten vollständig getilgt. Da die Leistungsberechtigung des Antragstellers nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch wegen des Erreichens der Altersgrenze des § 7a Satz 2 SGB II voraussichtlich spätestens am 28. Februar 2023 enden werde, wäre bei einem Absehen von der Vollziehung bis zur Unanfechtbarkeit
der Aufrechnungsentscheidung die vom Gesetzgeber intendierte Rückführung des Darlehens während des Leistungsbezuges mit großer
Wahrscheinlichkeit nicht mehr realisierbar. Wie im Widerspruchsbescheid näher ausgeführt, sei die Aufrechnungsentscheidung
überdies offensichtlich rechtmäßig. Auch sei kein für den Antragsteller weniger belastendes, aber ebenso effektives Mittel
der Sicherung des Rückzahlungsanspruchs aus dem Mietkautionsdarlehen ersichtlich; insbesondere biete die Abtretung des Kautionsrückzahlungsanspruchs
gegen den Vermieter nicht die gleiche Sicherheit. Es komme hinzu, dass der Antragsteller die Tilgung des Darlehens bereits
in seinem Antrag vom 9. August 2021 und erneut mit dem Schreiben vom 17. August 2021 selbst beantragt habe. Dementsprechend
stelle die nunmehrige Anfechtung der Aufrechnungsentscheidung nicht nur ein durchaus fragwürdiges Verhalten dar, sondern einen
weiteren Aspekt, der dafür spreche, dass nicht von einem Überwiegen seines Interesses an einem Aufschub der Vollziehung der
Aufrechnung gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an einer möglichst zeitnahen und vollständigen Rückführung der darlehensweise
gewährten Mittel der steuerfinanzierten Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgegangen werden könne. Im Übrigen wird auf eLA
Dok. Nr. 70 Bezug genommen.
Der Antragsteller hat am 27. Oktober 2021 um einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Kassel nachgesucht. Zur Begründung
hat er insbesondere ausgeführt, sein Widerspruch vom 19. Oktober 2021 habe aufschiebende Wirkung. Der Antragsgegner beabsichtige
zu Unrecht die sofortige Vollziehung der im Bescheid vom 5. Oktober 2021 verfügten Aufrechnung. Die Mietkaution könne nicht
von der Regelleistung getilgt werden. Das Existenzminimum werde unterschritten. § 42a Abs. 2 SGB II biete den Jobcentern zu Unrecht eine gesetzliche Grundlage, das Mietkautionsdarlehen zurückzufordern. Ärmere Menschen sollten
die Kaution wie früher wieder als Zuschuss erhalten. Die Aufrechnung der Mietkautionsdarlehen auf der Grundlage von § 42a Abs. 2 SGB II sei verfassungswidrig.
Das Sozialgericht hat den Antrag mit dem angegriffenen Beschluss vom 18. November 2021 (Gerichtsakte Bl. 25 ff.) abgelehnt.
Das Begehren des Antragstellers sei unter Berücksichtigung des §
123 SGG darauf gerichtet, dass die erklärte Aufrechnung zunächst nicht vollzogen und bereits einbehaltene Leistungen ausgezahlt würden.
Gemäß §
86a Abs.
1 Satz 1
SGG hätten Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Ein Ausnahmefall des § 39 SGB II liege nicht vor. Der bereits eingelegte Widerspruch wie auch die – noch zu erhebende – Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid
hätten jedoch aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Antragsgegner keine aufschiebende Wirkung. Dem Antragsteller
gehe es also um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.
Das Gericht könne gemäß §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hätten, diese ganz oder
teilweise anordnen. Die Vorschrift komme auch in Betracht, wenn die Verwaltung die sofortige Vollziehung angeordnet habe (Keller,
in: Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
86b Rn. 5). Der Antrag könne gemäß §
86b Abs.
3 SGG bereits vor der Erhebung der Klage gestellt werden. Die Klagefrist sei noch nicht abgelaufen.
Es stelle sich die Frage, ob es bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag des Antragstellers fehle, da er selbst
bei der Beantragung des Darlehens für die Mietkaution erwähnt habe, dass er mit einer Rückzahlung in Raten durch Abzug von
seiner Regelleistung einverstanden sei. Der Antrag auf aufschiebende Wirkung sei jedenfalls nicht begründet. Die Vollziehungsanordnung
sei rechtmäßig und das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiege das Vollzugsinteresse des Antragsgegners nicht.
Das Gericht habe im Verfahren nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung formell und materiell zu prüfen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. Mai
2016 – 1 BvR 1890/15 –, juris Rn. 18). An die behördliche Begründung des Sofortvollzugs würden hohe Anforderungen gestellt; sie könne nicht mit
heilender Wirkung nachgeholt oder ersetzt werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. Mai 2016 – 1 BvR 1890/15 –, juris Rn. 18; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. November 2016 – L 7 SO 3546/16 ER-B –, juris Rn. 8; Keller, in:
Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
86a Rn. 21b f.). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde erfordere regelmäßig ein „besonderes“ öffentliches
Interesse gerade an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts, das über das allgemeine Interesse an seinem Erlass hinausgehe
(BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10. Oktober 2013 – 1 BvR 2025/03 –, juris Rn. 19 m.w.N.). Auch die voraussichtliche Erfolglosigkeit des gegen den Verwaltungsakt eingelegten Rechtsbehelfs
könne dieses Interesse nicht ersetzen (vgl. dazu etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. September 1995 – 2 BvR 1179/95 –, juris Rn. 42 f. m.w.N.).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Antragsgegners sowohl formell als auch
materiell rechtmäßig. Die Vollziehungsanordnung vom 21. Oktober 2021 sei formell rechtmäßig, da sie von der zuständigen Stelle
erlassen und mit einer ordnungsgemäßen Begründung versehen worden sei. Da es sich nicht um einen Verwaltungsakt handele, sei
eine vorherige gesonderte Anhörung im Sinne des § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) nicht erforderlich. Die Vollziehungsanordnung könne auch separat zum Bescheid vom 5. Oktober 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 20. Oktober 2021 ergehen. Die Begründung der Vollziehungsanordnung sei auch zu dem konkreten Einzelfall ergangen. Der
Antragsgegner erläutere nachvollziehbar die Umstände und die Gründe, die ihn zur Anordnung der sofortigen Vollziehung veranlasst
hätten, und erfülle mit dieser Begründung das Transparenzgebot. Die Vollziehungsanordnung werde, wie das Sozialgericht sodann
näher ausgeführt hat, im Hinblick auf das gewährte Darlehen für die Mietkaution umfassend begründet. Die herangezogenen Erwägungen
erwiesen sich auch als materiell tragfähig. Neben dem besonderen Interesse an der Rückführung der Geldforderung habe der Antragsgegner
auch dargelegt, dass der Antragsteller zunächst ein Darlehen für die Mietkaution mit einer angebotenen Aufrechnung mit der
Regelleistung beantragt habe. Es liege insoweit auch ein widersprüchliches Verhalten vor, wenn zunächst die Vorzüge des Darlehens
in Empfang genommen würden und die gesetzlich vorgesehenen Rückzahlungsmodalitäten bekannt seien, im Nachhinein jedoch dagegen
Einwände erhoben würden. Die abschließende Interessenabwägung falle zugunsten des Antragsgegners aus. Das öffentliche Interesse
an der Durchsetzung der Aufrechnung überwiege das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Der Bescheid vom 5. Oktober 2021
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2021 sei nach summarischer Prüfung voraussichtlich rechtmäßig. Auf
die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid werde gemäß §
136 Abs.
3 SGG Bezug genommen. Der Bescheid gewähre das begehrte Darlehen des Antragstellers und setze lediglich die gesetzlichen Rechtsfolgen
des § 42a Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 SGB II um. Es spreche nichts gegen die vom Gesetzgeber vorgesehene Folge, die Aufrechnung mit zehn Prozent des Regelbedarfs ab dem
Folgemonat der Auszahlung durchzuführen. Die Einwände des Antragstellers und die zitierte sozialgerichtliche Rechtsprechung
beträfen zum Teil eine ältere Rechtslage, zum Teil seien diese Entscheidungen aufgrund der Entscheidung des Bundessozialgerichts
vom 28. November 2018 überholt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien Mietkautionsdarlehen nicht von der
Aufrechnung nach § 42a Abs. 2 SGB II ausgenommen. Der gesetzlich geregelten Aufrechnung zur Tilgung von Mietkautionsdarlehen stünden durchgreifende verfassungsrechtliche
Bedenken wegen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht entgegen (BSG, Urteil vom 28. November 2018 – B 14 AS 31/17 R –, juris Leitsatz u. Rn. 36 ff.). Auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November
2019 – 1 BvL 7/16 – zur Verfassungsmäßigkeit der Minderung von Arbeitslosengeld II ergäben sich für das Gericht keine anderen Erwägungen.
Während der laufenden Beschwerdefrist hat der Antragsgegner am 27. November 2021 einen Änderungsbescheid (eLA Nr. 89) erteilt,
mit dem er wegen der Erhöhung des Regelbedarfs auf 449,- Euro ab Januar 2022 die dem Antragsteller bewilligten Leistungen
auf monatlich 914,- Euro festgesetzt hat. Die Höhe der Aufrechnung hat er bislang, soweit ersichtlich, nicht angepasst.
Der Antragsteller hat – nach Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung bei ihm am 20. November 2021 – mit Eingang am 20.
Dezember 2021 Beschwerde erhoben. Klage habe er, so hat er auf Anfrage des Berichterstatters mit Schreiben vom 20. Januar
2022 zunächst ausgeführt, bislang nicht erhoben, weil er den Widerspruchsbescheid noch gar nicht erhalten habe. Mit Schreiben
vom 1. Februar 2022 hat er sodann mitgeteilt, der Antragsgegner habe ihm den Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2021 nunmehr
am 31. Januar 2022 zur Verfügung gestellt.
Im Wesentlichen unter Beibehaltung seines bisherigen Vorbringens in der Sache beantragt er,
„den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 18.11.2021 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem
SGB II ab Rechtshängigkeit des Antrags vorläufig zu bezahlen“ (Gerichtsakte Bl. 42).
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt sein Vorgehen und die angegriffene Entscheidung. Auf Hinweis des Berichterstatters, dass Bedenken bestünden,
ob nicht auch die sofortige Vollziehung der Festsetzung der Darlehensrückzahlungsansprüche hätte angeordnet werden müssen,
hat er insbesondere ausgeführt, er teile diese Bedenken nicht. Darlehen seien zurückzuzahlen. Das ergebe sich schon aus dem
Begriff selbst. Ob daher überhaupt noch gesondert eine Entscheidung darüber getroffen werden müsse, scheine bereits fraglich.
Jedenfalls aber sehe er die Rückzahlungs- und die Aufrechnungsverfügung im Darlehensbescheid vom 5. Oktober 2021 als untrennbar
miteinander verknüpft an. Die dort verfügte Aufrechnung setze zugleich auch die Verfügung über die monatliche Rückzahlungshöhe
fest. Diese ergebe sich aus der Höhe der monatlichen Aufrechnung. Eine solche enge Verknüpfung nehme im Übrigen auch § 42a Abs. 2 SGB II vor, wenn es dort heiße, Rückzahlungsansprüche würden durch monatliche Aufrechnung getilgt. Gleiches gelte dann auch für
die Anordnung des Sofortvollzugs vom 21. Oktober 2021. Mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Aufrechnung werde
zugleich die sofortige Vollziehung der Rückzahlung des Darlehens in Höhe der genannten Rate angeordnet. Auf Anfrage des Berichterstatters
hat er mit Schreiben vom 26. Januar 2022 mitgeteilt, er könne keinen Zugangsbeleg für den Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober
2021 vorlegen. Vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller die Anordnung der sofortigen Vollziehung offenkundig erhalten habe,
erscheine dessen Vortrag, er habe den Widerspruchsbescheid nicht erhalten, jedoch nicht glaubhaft. Die Aufrechnung sei aber
auch schon im Laufe des Widerspruchsverfahrens sofort vollziehbar.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der elektronisch übermittelten
Leistungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Der angegriffene Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 18.
November 2021 kann nach Auffassung des Senats keinen Bestand haben. Die aufschiebende Wirkung des gegen die Aufrechnungsverfügung
des Antragsgegners gerichteten Widerspruchs des Antragstellers ist anzuordnen und dadurch der angeordnete Sofortvollzug zu
beseitigen.
1. Das Sozialgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers auf die Anordnung
der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Aufrechnungsentscheidung des Antragsgegners zielt, nachdem dieser
unter dem 21. Oktober 2021 deren sofortige Vollziehung angeordnet hat. Ein entsprechendes Rechtsschutzbegehren ist dem Vorbringen
des Antragstellers mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen; der von ihm gestellte Antrag ist anhand seiner erkennbaren
Interessen entsprechend auszulegen. Dessen anderslautender, an einem Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung orientierter
Wortlaut steht dem, namentlich da der Antragsteller nicht rechtskundig vertreten ist, nicht entgegen (vgl. den Rechtsgedanken
des §
123 SGG). Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die entsprechenden Ausführungen des Sozialgerichts und schließt
sich diesen nach eigener Prüfung an.
Bei der Aufrechnung, die der Antragsgegner, wie in § 42a Abs. 2 Satz 3 SGB II vorgesehen, durch Verwaltungsakt erklärt hat, handelt es sich um eine eigenständige Verfügung. Trotz ihrer Zusammenfassung
mit der Darlehensgewährung und, wohl, der Festsetzung der Darlehensrückzahlungsforderung in einem Bescheid kann sie dementsprechend
als solche Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein (vgl. nur Bittner, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 42a – Stand: 17. Januar 2022 – Rn. 107). Dementsprechend ist einstweiliger Rechtsschutz hier im Rahmen von §
86b Abs.
1 SGG zu gewähren.
Der Antrag knüpft dabei weiterhin an den Widerspruch des Antragstellers gegen die in dem Bescheid des Antragsgegners vom 5.
Oktober 2021 enthaltene (Rückzahlungs- und) Aufrechnungsverfügung an. Der Antragsteller macht geltend, dass der Widerspruchsbescheid
vom 20. Oktober 2021 ihm erst kürzlich am 31. Januar 2022 – offenbar nach erneuter Versendung von Seiten des Antragsgegners
– zugegangen sei. Dies erscheint namentlich auf Grund der von ihm gewählten Formulierungen schon bei der erstinstanzlichen
Antragstellung auch glaubhaft. Der Umstand, dass der Antragsteller die Anordnung des Sofortvollzugs vom Folgetag erhalten
hat, steht dazu nicht in Widerspruch, nachdem der Senat keine belastbaren Anhaltspunkte dafür hat, dass beide Schriftstücke
gemeinsam versandt worden sind. Überdies hat der Antragsgegner auf entsprechende Anfrage des Berichterstatters mitgeteilt,
dass er keinen Zugangsbeleg zu dem Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2021 vorlegen könne. Nachdem die materielle Beweislast
für den Zugang bei der Behörde liegt (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X)) und sich, wenn der Adressat geltend macht, einen Bescheid gar nicht erhalten zu haben, auch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X keine weiteren Anforderungen an dessen Darlegungsobliegenheiten ergeben (vgl. nur BSG, Urteil vom 26. Juli 2007 – B 13 R 4/06 R –, SozR 4-2600 § 115 Nr. 2; Engelmann, in: Schütze, SGB X – Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 37 Rn. 32), bestehen Zweifel am Zugang im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 SGB X. Angesichts des von Seiten des Antragsgegners nicht beibringbaren Nachweises für einen zeitnahen Zugang des Widerspruchsbescheides
vom 20. Oktober 2021 ist daher davon auszugehen, dass dieser dem Antragsteller erst am 31. Januar 2022 bekanntgegeben und
das Vorverfahren damit abgeschlossen worden ist (vgl. zur Notwendigkeit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides §
85 Abs.
3 Satz 1
SGG). Die Klagefrist aus §
87 Abs.
1 Satz 1, Abs.
2 SGG ist damit noch offen und der Widerspruch des Antragstellers damit angesichts der ausstehenden, aber noch fristgemäß möglichen
Klageerhebung weiterhin der zutreffende Anknüpfungspunkt für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
2. Die Beschwerde des Antragstellers ist statthaft (§ 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr.
1 i.V.m. §
143, §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG). Angesichts der Höhe der im Streit stehenden Rückzahlungsforderung von 600,- Euro und des Aufrechnungsbetrags von monatlich
44,60 Euro betrifft die Aufrechnung, gegen die sich der Antragsteller im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes wehrt, laufende
Leistungen für mehr als ein Jahr. Da die Aufrechnungsverfügung vom 5. Oktober 2021 als nicht auf den laufenden Bewilligungsabschnitt
beschränkter Grundlagenverwaltungsakt gefasst ist (vgl. hierzu Bittner, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 42a – Stand: 17. Januar 2022 – Rn. 49 sowie Bender, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 42 – Stand der Einzelkommentierung: März 2019
– Rn. 28a), ergibt sich auch aus der Fassung des Aufrechnungsbescheides keine Begrenzung auf Leistungen für höchstens ein
Jahr.
Auch im Übrigen bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Beschwerde, namentlich ist sie form- und fristgerecht eingelegt
(vgl. zu den diesbezüglichen Vorgaben §
173 SGG).
3. Die Beschwerde des Antragstellers ist schließlich auch begründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen
Vollziehung der Aufrechnungsverfügung sind (gegenwärtig) nicht gegeben, so dass die aufschiebende Wirkung des gegen diese
gerichteten Widerspruchs des Antragstellers wiederherzustellen ist.
a) Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz war und ist zulässig.
Namentlich hat der Senat letztlich keinen Zweifel am Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses des Antragstellers, auch wenn
sein Vorgehen, wie sowohl der Antragsgegner als auch das Sozialgericht nachvollziehbar ausgeführt haben, im Hinblick auf seine
im Zusammenhang mit dem Darlehensantrag erklärte Bereitschaft, dieses im Wege der Aufrechnung zurückzuführen, in sich nicht
widerspruchsfrei erscheint. Nachdem aber §
46 Abs.
1 Halbs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (
SGB I) sogar den jederzeitigen Widerruf einer Verzichtserklärung mit Wirkung für die Zukunft zulässt, wird deutlich, dass ein Sozialleistungsbezieher
regelmäßig nicht an ihm ungünstigen Erklärungen hinsichtlich der ihm zustehenden Leistungsansprüche für die Zukunft festgehalten
werden soll. Von daher mag das Vorgehen des Antragstellers vom Antragsgegner im Rahmen der Anordnung des Sofortvollzugs durchaus
zu Recht berücksichtigt worden sein – und dürfte auch bei einer neuerlichen, durch die hiesige Entscheidung nicht ausgeschlossenen
Anordnung wiederum Berücksichtigung finden können –; der Senat hält aber das vom Antragsteller gewählte Vorgehen mit Hinblick
auf die genannte Regelung aus dem Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches nicht für unzulässig.
Auch ist die Aufrechnungsverfügung nicht bindend geworden, so dass es auch unter diesem Gesichtspunkt nicht am Rechtsschutzbedürfnis
des Antragstellers fehlt. Wie bereits ausgeführt, ist von einer Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides erst am 31. Januar
2022 auszugehen, so dass angesichts der offenen Klagefrist Bestandskraft noch nicht eingetreten ist.
b) Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist schließlich auch begründet
aa) Wegen des rechtlichen Maßstabs für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG, wenn – wie hier – die Verwaltung auf der Grundlage von §
86a Abs.
2 Nr.
5 SGG die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes angeordnet hat, nimmt der Senat wiederum auf die zutreffenden Ausführungen
des Sozialgerichts Bezug.
bb) Nach den vom Sozialgericht näher dargelegten Maßstäben liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung vor. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass die Festsetzung der zur Aufrechnung gestellten Forderung und die Aufrechnungsverfügung
selbst gemeinsam in einem Bescheid erfolgen dürfen, ist die Anordnung von deren Sofortvollzug doch jedenfalls nur dann zulässig,
wenn auch die Aktivforderung, mit der der Leistungsträger aufrechnet, (bestandskräftig oder) sofort vollziehbar ist. Das ist
vorliegend nicht der Fall.
Eine Aufrechnung setzt auch im Rahmen des öffentlichen Rechts und konkret im Rahmen von § 42 Abs. 2 SGB II, auf den der Antragsgegner die Aufrechnungsverfügung zu Recht gestützt hat, das Bestehen einer Aufrechnungslage voraus. Dabei
kann der Senat vorliegend offenlassen, ob die Aufrechnungslage zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vorliegen muss oder
ob eine antizipierte Aufrechnungsverfügung zulässig ist und daher die Aufrechnungserklärung mit (der Darlehensbewilligung
und) der Festsetzung des Darlehensrückzahlungsanspruchs in einem Bescheid verbunden werden kann (vgl. hierzu einerseits erkennender
Senat, Beschluss vom 26. Januar 2012 – L 6 AS 676/11 B ER –, juris und andererseits Bittner, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 42a – Stand: 17. Januar 2022 – Rn. 47 sowie zur vergleichbaren Problematik im Rahmen von § 43 SGB II Kallert, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 43 SGB II – Stand der Einzelkommentierung: September 2017 – Rn. 28).
Jedenfalls ist die Anordnung des Sofortvollzugs nicht zulässig, wenn die Forderung, mit der der Leistungsträger aufrechnet,
hier also der Rückzahlungsanspruch aus dem auf der Grundlage von § 22 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2, Satz 3 SGB II gegebenen Mietkautionsdarlehen, aktuell nicht vollziehbar ist, andernfalls die aufschiebende Wirkung als umfassender Schutz
des Betroffenen vor einer Realisierung der im Streit stehenden Forderung nicht gewahrt wäre (zur Vollziehbarkeit der Forderung,
mit der der Leistungsträger aufrechnen will, als Voraussetzung für die Aufrechnung oder jedenfalls deren Realisierung: Keller,
in: Meyer-Ladewig u.a.,
SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 86a Rn. 5; Conradis, in: Münder, SGB II, 7. Aufl. 2021, § 43 Rn. 8; Burkiczak, in: jurisPK-SGB II, § 43 – Stand: 1. September 2021 – Rn. 26; Kallert, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 43 – Stand der Einzelkommentierung: September
2017 – Rn. 28).
So verhält es sich hier. Aus Sicht des Senats spricht zwar viel dafür – ohne dass er dies vorliegend abschließend entscheiden
müsste –, dass der Antragsgegner mit der Darlehensgewährung zugleich dessen Rückzahlung konkludent geregelt hat. Dem Bescheid
vom 5. Oktober 2021 dürfte dies, obwohl dort die Rückzahlungs- und die Aufrechnungsverfügung textlich zusammengefasst sind
und die Regelung der Aufrechnung dabei im Vordergrund steht, mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein.
Der Rückzahlungsanspruch war und ist aber gegenwärtig nicht vollziehbar. Die Vollziehungsanordnung vom 21. Oktober 2022 lässt
für eine erweiternde Auslegung keinen Raum: Ihr Wortlaut ist eindeutig und ordnet nur „die sofortige Vollziehung der im Bescheid
vom 05.10.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2021 verfügten Aufrechnung der monatlichen Raten in Höhe von
44,60 € zur Tilgung des Ihnen gewährten Mietkautions-Darlehens beginnend ab 01.11.2021 an“ (eLA Dok. Nr. 70). Die Begründung
– die angesichts des klaren Wortlauts der Anordnung ohnehin kaum ausreichen dürfte, um von einer (hinreichend eindeutigen)
Erstreckung Anordnung des Sofortvollzugs auch auf die Verfügung zur Darlehensrückzahlung auszugehen – lässt zwar erkennen,
dass der Antragsgegner das Bestehen einer Darlehensrückzahlungsforderung voraussetzt. Auch im Rahmen der Begründung sind jedoch
die Überlegungen zur Rechtfertigung des Sofortvollzugs unmittelbar allein auf die Aufrechnungsverfügung bezogen; die Rückzahlungsverpflichtung
spielt nur insofern und damit mittelbar eine Rolle, als die Aufrechnung ihrer Realisierung dient und der Antragsgegner sich
(nur) insofern auf sie bezieht. Von daher lässt sich auch der Begründung keine konkludente auf die Rückzahlungsverpflichtung
bezogene Anordnung des Sofortvollzugs entnehmen.
Auch wenn die Anordnung des Sofortvollzuges keinen Verwaltungsakt darstellt, ist angesichts ihrer vollstreckungsrechtlichen
Relevanz doch auch und gerade für sie zu verlangen, dass mit hinreichender Bestimmtheit aus ihr hervorgeht, welche Verfügung
für sofort vollziehbar erklärt wird. Vor diesem Hintergrund kann sich der Senat der Auffassung des Antragsgegners, dass mit
der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Aufrechnung zugleich und gewissermaßen automatisch die sofortige Vollziehung
der Darlehensrückzahlung angeordnet wird, nicht anschließen.
Eine auf die Rückzahlungsforderung bezogene Anordnung des Sofortvollzugs ist auch nicht verzichtbar; sie entsteht nicht (sofort
vollziehbar) von Gesetzes wegen. Namentlich ist ihre Festsetzung und eine daran anknüpfende Anordnung des Sofortvollzugs nicht
deswegen entbehrlich, weil, wie der Antragsgegner meint, Darlehen, wie sich schon aus ihrem Begriff selbst ergebe, zurückzuzahlen
seien. Das trifft zwar im Ausgangspunkt sicherlich zu, ändert aber nichts daran, dass die Darlehensgewährung, der Rückzahlungsanspruch
und die Aufrechnung – woran im Übrigen auch der Gesetzestext von § 42a SGB II keinen Zweifel lässt – zu unterscheiden sind. Ebenso wie die Aufrechnungsentscheidung bedarf zudem die Festsetzung des Darlehensrückzahlungsanspruchs
– wie viele andere gesetzlich vorgesehene Pflichten der Leistungsbezieher – im Einzelfall der Regelung durch Verwaltungsakt,
auch wenn diese Pflichten gesetzlich weitgehend vorgezeichnet ist. So ist im konkreten Fall etwa die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs,
auch wenn sie in § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II abstrakt-generell eindeutig vorgegebenen ist, durch eine entsprechende Festsetzung der Rückzahlungsforderung im Einzelfall
zu regeln (vgl. Bittner, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 42a – Stand: 17. Januar 2022 – Rn. 46). Weiter setzt gerade die Aufrechnung voraus, dass der Anspruch, mit dem aufgerechnet wird,
(zuvor oder jedenfalls gleichzeitig) beziffert wird; dabei handelt es sich um einen von der Aufrechnungsverfügung getrennten
selbständigen Verfügungssatz (vgl. Bittner, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 42a – Stand: 17. Januar 2022 – Rn. 49). Bei der Festsetzung der Rückzahlungsverpflichtung handelt es sich im Ergebnis um eine
– durch Verwaltungsakt zu treffende – eigenstände Regelung, die als solche für sofort vollziehbar zu erklären ist, wenn sie,
wie hier, sofort (durch Aufrechnung) realisiert werden soll.
Das aber ist vorliegend nicht geschehen. Es spricht zwar, wie bereits ausgeführt, viel dafür, dass dem Bescheid vom 5. Oktober
2021 in Gestalt des nunmehr bekanntgegebenen Widerspruchs mit hinreichender Klarheit (auch) eine Festsetzung des Rückzahlungsanspruchs
zu entnehmen ist, umso mehr als der Antragsgegner auch insoweit im Ausgangspunkt zutreffend darauf hinweist, dass durch §
42a Abs. 2 SGB II Aufrechnung und Rückzahlung eng miteinander verknüpft sind. Allerdings verdeutlicht umgekehrt sogleich der folgende Absatz
der Vorschrift, der diese enge Verbindung beim Ausscheiden des Betroffenen aus dem Leistungsbezug löst, dass rechtlich zwischen
beiden zu unterscheiden ist. Angesichts des eindeutig allein auf die Aufrechnungsverfügung beschränkten Wortlauts der Anordnung
des Sofortvollzugs genügt daher auch die enge inhaltliche Verknüpfung beider Regelungen nicht, um, wie der Antragsgegner meint,
davon auszugehen, dass mit diesem sogleich auch die sofortige Vollziehung der Rückzahlungsverfügung verbunden wäre.
in der Konsequenz kann die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Aufrechnungsverfügung keinen Bestand haben: Auch die Festsetzung
von Rückzahlungsansprüchen aus einem Darlehen wird von § 39 SGB II nicht erfasst und ist daher nicht von Gesetzes wegen sofort vollziehbar. Weiter ist der Bescheid vom 5. Oktober 2021 und
damit auch die darin – wohl – enthaltene Rückzahlungsverfügung nicht bindend geworden, da, wie ausgeführt, eine wirksame Bekanntgabe
des Widerspruchsbescheides erst am 31. Januar 2022 erfolgt ist. Selbst wenn man daher davon ausgeht, dass Darlehensvergabe,
Festsetzung der Rückzahlungsforderung und Aufrechnung in einem Bescheid verbunden werden können, scheidet unter diesen Umständen
doch jedenfalls die Anordnung des Sofortvollzugs der Aufrechnung aus, wenn nicht gleichzeitig auch der der Rückzahlungsverpflichtung
angeordnet wird.
Nach allem ist die aufschiebende Wirkung des gegen die Aufrechnung gerichteten Widerspruchs wiederherzustellen. Der Antragsgegner
ist allerdings – vorbehaltlich der hier offengelassenen Frage, inwieweit eine Aufrechnungsverfügung rechtmäßig bereits vor
dem Eintritt der Aufrechnungslage erlassen werden kann – nicht gehindert, erneut deren Sofortvollzug anzuordnen, sofern er
(jedenfalls gleichzeitig) dafür sorgt, dass (auch) die Forderung, mit der er aufrechnet, vollziehbar ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).