Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Sozialversicherungspflicht der Klägerin und Berufungsbeklagten in der Kranken- und Pflegeversicherung
für ihre Tätigkeit als Stadtverordnete für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2017.
Die Klägerin ist seit dem 1. Januar 2015 in der Krankenversicherung der Rentner bei der Beklagten und Berufungsklägerin Mitglied.
Neben den Renteneinkünften erhält die Klägerin eine Aufwandsentschädigung für die ehrenamtliche Tätigkeit als Stadtverordnete
von ca. 480 € pro Monat sowie eine Vergütung für die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied bei einer kommunalen Gesellschaft.
Im Einkommensteuerbescheid wird die Aufwandsentschädigung als „Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit - aus freiberuflicher
Tätigkeit“ geführt.
Nachdem die Beklagte mit Bescheiden vom 7. Mai 2015 und 21. Dezember 2015, jeweils auch im Namen der Beigeladenen, wegen des
Unterschreitens der Geringfügigkeitsgrenze zunächst von einer Beitragserhebung in Bezug auf die vorgenannten Einkünfte absah,
setzte sie, nachdem sie von der Klägerin neuere Einkommensteuerbescheide vorgelegt bekam, mit Bescheid vom 1. Dezember 2016
Beiträge in der Kranken- und Pflegeversicherung, rückwirkend ab dem 1. November 2015, dergestalt fest, dass sie die oben genannten
Einnahmen als Arbeitseinkommen der Beitragsberechnung zugrunde legte. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben
vom 11. Dezember 2016 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, ihre Tätigkeit als Stadtverordnete sei ein Ehrenamt und
nicht sozialversicherungspflichtig.
Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 6. Januar 2017 die Beiträge aufgrund einer Erhöhung des anteiligen Pflegeversicherungsbeitrages
ab 1. Januar 2017 insgesamt erhöhte, veränderte sie den Zeitpunkt der vorgenannten Änderung mit Bescheid vom 7. März 2017
auf den 1. Februar 2017. Mit Bescheid vom 7. August 2017 schließlich änderte sie die mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 festgelegte
generelle rückwirkende Erhebung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen auf den (späteren) Beginnzeitpunkt des 1. Januar
2017 ab. Sie geht hierbei, bei einem zu berücksichtigenden monatlichen Einkommen der Klägerin in Höhe von 421 €, von einem
monatlichen Beitrag in der Krankenversicherung nebst Zusatzbeitrag und der Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 75,57
€ aus, ab Februar 2017 von insgesamt 76,42 €.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung verweist die Beklagte
auf den Einkommensteuerbescheid der Klägerin. Die Aufwandentschädigungen aus der Tätigkeit als Stadtverordnete seien in den
Steuerbescheiden als steuerpflichtige Einkünfte aus selbständiger Arbeit ausgewiesen. In dem aktuellsten Steuerbescheid 2015
seien Einkünfte aus selbständige Arbeit in Höhe von insgesamt monatlich 421 € aufgeführt. Daher habe die Beklagte hieraus
Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu fordern. Die Beklagte fordere die Beiträge aus dem Arbeitseinkommen aus verfahrensrechtlichen
Gründen erst ab dem 1. Januar 2017.
Dagegen hat die Klägerin am 17. Oktober 2017 Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben und zur Begründung
auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verwiesen. Das Sozialgericht Darmstadt hat der Klage mit Urteil vom 24. Juli
2020 stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, der Bescheid vom
1. Dezember 2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 7. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September
2017 sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Bei der Aufwandsentschädigung der Klägerin als Stadtverordnete
handele es sich nicht um Arbeitseinkommen gemäß §
237 Satz 1 Nr. 3
SGB V, das bei versicherungspflichtigen Rentnern der Beitragsbemessung zugrunde gelegt werde. Es liege kein Arbeitseinkommen im
Sinne des §
15 SGB IV vor, da es sich bei der Tätigkeit der Klägerin als Stadtverordnete nicht um eine selbstständige Tätigkeit im Sinne dieser
Vorschrift handele. Zunächst liege nach Überzeugung der Kammer, die auch dem Vortrag der Beklagten entspreche, keine eine
selbständige Tätigkeit ausschließende abhängige Beschäftigung vor. Nach Maßgabe des §
7 SGB IV sei Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung
seien eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der älteren
Rechtsprechung des BSG stünden ehrenamtlich Tätige in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, wenn sie dabei (auch) dem allgemeinen Erwerbsleben
zugängliche Verwaltungsaufgaben wahrnähmen und hierfür eine den tatsächlichen Aufwand übersteigende pauschale Aufwandsentschädigung
erhielten (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 12/05 R). Diese Rechtsprechung habe das BSG in seiner Entscheidung vom 16. August 2017 (Az.: B 12 KR 14/16 R) dahingehend fortentwickelt, dass Aufgaben und Tätigkeiten, die Ausfluss der organschaftlichen Stellung einer ein Ehrenamt
ausübenden Person und auch nicht für jedermann frei zugänglich seien, regelmäßig nicht zu der in §
7 Abs.
1 SGB V umschriebenen Abhängigkeit führten. Nach diesen Vorgaben liege keine abhängige Beschäftigung im Sinne des §
7 SGB IV bei der Klägerin vor. Sie nehme als Stadtverordnete keine Verwaltungsaufgaben der Exekutive wahr und sei auch nicht weisungsgebunden.
Hessische Stadtverordnete übten gemäß § 35 HGO ihre Tätigkeit nach ihrer freien, nur durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl bestimmten Überzeugung aus und seien an Aufträge
und Wünsche der Wähler nicht gebunden. Gemäß § 50 Abs. 1 und Abs. 2 HGO gehöre zu den Aufgaben der Gemeindevertretung das Beschließen über Angelegenheiten der Gemeinde sowie die Überwachung der
gesamten Verwaltung der Gemeinde. Die ehrenamtliche Tätigkeit der Klägerin als Stadtverordnete stelle auch keine beitragspflichtige
selbständige Tätigkeit im Sinne des §
15 SGB IV dar. Nach §
15 SGB Abs.
1 Satz 1
SGB IV sei Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus
einer selbstständigen Tätigkeit. Gemäß §
15 Abs.
1 Satz 2
SGB IV sei Einkommen als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten sei. Bei der
Aufwandsentschädigung handele es sich um Einkünfte aus selbständiger Arbeit i. S. d. §
2 Abs.
1 Nr.
3 i.V.m. §
18 Abs.
1 Nr.
3 EStG. Ehrenamtliche Mitglieder kommunaler Volksvertretungen unterlägen mit den ihnen gewährten Entschädigungen grundsätzlich der
Einkommensteuer (vgl. BFH, Beschluss vom 13. Juni 2013 - III B 156/12). Aus der steuerrechtlichen Qualifizierung bestimmter Einkünfte und ihrer Zuordnung zum Gewinn könne jedoch nicht automatisch
geschlossen werden, dass damit auch in jedem Fall Arbeitseinkommen i.S.d. §
15 SGB IV vorliege; dieses sei nicht in jedem Fall identisch mit dem vom Finanzamt ermittelten Gewinn (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 1999 - B 4 RA 17/98). Vorliegend führe die steuerrechtliche Bewertung nicht dazu, dass es sich bei der Tätigkeit der Klägerin um eine selbständige
Tätigkeit und aus hieraus resultierenden Einkünften aus Arbeitseinkommen handele. Bei der Aufwandsentschädigung aus einer
Stadtverordnetentätigkeit handele es sich nicht um Einkünfte aus selbständiger Arbeit (vgl. auch BSG, Urteil vom 4. Mai 1999 - B 4 RA 55/98 R für Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft; anders, aber mit ähnlichem Ergebnis, BSG, Urteil vom 18. Februar 2016 - B 3 KS 1/15 R). Selbständig erwerbstätig sei nur, wer als natürliche Person selbst mit Gewinnerzielungsabsicht
eine Tätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft, in einem Gewerbebetrieb oder einer sonstigen insbesondere freiberuflichen
Arbeit in persönlicher Unabhängigkeit und auf eigene Rechnung und Gefahr ausübe (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2009 - B 12 KR 3/08 R). Es fehle bei der Klägerin für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit an der Ausrichtung auf die Erzielung von Einkünften
aus entgeltlichen Dienstleistungen. Dabei schließe der Erhalt von finanziellen Zuwendungen die Unentgeltlichkeit einer ehrenamtlichen
Tätigkeit nicht aus. Der vollständige Verzicht auf Zahlungen wie Aufwandsentschädigungen hätte zur Folge, dass die über Art.
28 Abs.
2 GG garantierte Funktion der kommunalen Selbstverwaltung, die auch in der Aktivierung bürgerschaftlicher Mitwirkung liege, nicht
mehr gewährleistet wäre. Würden die mit der Wahrnehmung des Mandats verbundenen Beschwernisse und finanziellen Einbußen nicht
ausgeglichen, wäre eine grundsätzlich allen Einwohnern offenstehende ehrenamtliche Mitwirkung an der kommunalen politischen
Gestaltung und Verwaltung nicht mehr gegeben. Realistisch betrachtet könnten nur noch Personen in größerem Umfang kommunalpolitisch
tätig sein, die über erhebliches Vermögen verfügten oder bei denen andere Personen oder Institutionen (z. B. Arbeitgeber,
Anwaltssozietät) den Ausfall an Arbeitskraft kompensierten (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2016 - B 3 KS 1/15 R). Nach der Rechtsprechung des BSG sei die ehrenamtliche Tätigkeit durch ihren ideellen Zweck und ihrer Unentgeltlichkeit geprägt (vgl. Urteil vom 16. August
2017 - B 12 KR 14/16 R). Das BSG führe in dem Urteil vom 16. August 2017 u.a. weiter aus: „Die Unentgeltlichkeit, die für diverse Ehrenämter auch von Gesetzes
wegen angeordnet ist […], ist Ausdruck dafür, dass bei der im Rahmen ideeller Zwecke "geleisteten Arbeit" keine maßgebliche
Erwerbsabsicht im Vordergrund steht. Eine Gegenleistung für geleistete Arbeit wird nicht erbracht und regelmäßig auch nicht
erwartet. Der Senat sieht sich insoweit in Einklang mit der Rechtsprechung des BAG. Dieses differenziert im Arbeitsrecht ebenfalls
anhand einer Vergütungserwartung, wenn festzustellen ist, ob einer ehrenamtlichen Betätigung ein Arbeitsverhältnis zugrunde
liegt. Mit einem Arbeitsverhältnis ist nämlich typischerweise die Vereinbarung oder jedenfalls die berechtigte Erwartung einer
angemessenen Gegenleistung für die versprochenen Dienste verbunden. Ob eine berechtigte Vergütungserwartung besteht, richtet
sich nach der Art der Arbeit und nach den Umständen, unter denen sie geleistet werde (§
612 Abs.
1 BGB). Auch wenn die Erwerbsabsicht keine notwendige Bedingung für die Arbeitnehmereigenschaft ist, spricht ihr Fehlen doch im
Rahmen einer Gesamtwürdigung gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses. Denn typischerweise verfolgt ein Arbeitnehmer das
Ziel, für seine Arbeit ein Entgelt zu erhalten. Dass neben diesem materiellen Interesse oftmals auch immaterielle Interessen
eine Rolle spielen, schließt nicht aus, die Erwerbsabsicht als wesentliches Merkmal zur Abgrenzung von Tätigkeiten heranzuziehen,
die vorwiegend auf ideellen Beweggründen beruhen (BAG Urteil vom 29. August 2012 - 10 AZR 499/11 - BAGE 143, 77). Sofern finanzielle Zuwendungen erfolgen, schließen diese die Unentgeltlichkeit des ehrenamtlichen Engagements nicht prinzipiell
aus. Sie sind unschädlich, wenn sie in Form von Aufwendungsersatz konkrete oder pauschal berechnete Aufwände abdecken. Im
Rahmen einer Aufwandsentschädigung kann auch ein pauschaler Ausgleich für die übernommene Verpflichtung gewährt werden (vgl.
Seewald, SGb 2006, 538). Finanzielle Zuwendungen können auch Ausfall für Zeitversäumnis oder Verdienstausfall enthalten (vgl. auch BFH Urteil vom
31. Januar 2017 - IX R 10/16 - BFHE 256, 250 - Zuwendungen für eine Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter). Die Beurteilung der Erwerbsmäßigkeit erfolgt dabei nicht aus
der subjektiven Sicht des Einzelnen; das ehrenamtliche Engagement ist objektiv abzugrenzen. Dazu ist zu klären, was vom ehrenamtlich
Tätigen im konkreten Fall normativ oder mangels rechtlicher Regelung nach allgemeiner Verkehrsanschauung - von Aufwandsentschädigung
und Aufwendungsersatz abgesehen - ohne Entlohnung seiner Arbeitskraft erwartet werden kann. Dabei sind - in Fällen wie dem
vorliegenden - auch Körperschaften des öffentlichen Rechts hinsichtlich der Satzungsmacht Grenzen gesetzt. Die Verrichtung
von Tätigkeiten zur Verfolgung eines ideellen Zwecks ohne Erwerbsabsicht muss objektiv erkennbar vorliegen; die gewährte Aufwandsentschädigung
darf sich nicht als verdeckte Entlohnung einer Erwerbsarbeit darstellen.“ Diese Grundsätze seien nach Auffassung der Kammer
auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Die Klägerin übe ihre Tätigkeit als Stadtverordnete mittlerweile als Rentnerin aus.
Sie übe die Tätigkeit unentgeltlich und nach Überzeugung der Kammer ohne objektivierbare Erwerbsabsichten aus. Den Zahlungen
liege nicht der Grundsatz der Entgeltlichkeit zugrunde, da die Klägerin nicht für ihre im Rahmen des Ehrenamts geleistete
Arbeit als Stadtverordnete bezahlt werde. Das ergebe sich daraus, dass die Klägerin eine jährliche Aufwandsentschädigung nach
§ 27 HGO in Höhe von 6.840 €, also monatlich 570 €, erhalte. Nach den für die Kammer glaubhaften Angaben der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung betrage ihr Zeitaufwand für die Ausübung ihrer Tätigkeit als Stadtverordnete in der Woche zwischen 15 und 20 Stunden.
Aus dem Verhältnis des zeitlichen Aufwands zur Höhe der Entschädigung ergebe sich für die Kammer kein Grund für die Annahme,
dass die Klägerin bei der Ausübung der Tätigkeit einen Erwerbszweck verfolge. Vielmehr sei die Aufwandsentschädigung dazu
bestimmt, der Klägerin die mit der ehrenamtlichen Dienstleistung verbundenen Beschwernisse und den Aufwand pauschal auszugleichen.
Dass die Zahlungen mit einem darüber hinausgehenden Zweck verbunden seien, vermöge die Kammer nicht zu erkennen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 10. Oktober 2020 zugestellte Urteil am 6. November 2020 vor dem Hessischen Landessozialgericht
Berufung eingelegt. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass die in den Steuerbescheiden als Einkünfte aus selbständiger
Arbeit berücksichtigten Aufwandsentschädigungen der Beitragspflicht unterliegen. Die vom Sozialgericht herangezogene Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts stelle zwar klar, dass finanzielle Zuwendungen die Unentgeltlichkeit eines ehrenamtlichen Engagements
nicht ausschlössen und damit die Tätigkeiten nicht automatisch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt werde. Die zitierten
Urteile träfen aber keine Aussagen zu der Frage, ob die finanziellen Zuwendungen der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken-
und Pflegeversicherung unterlägen.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. Juli 2020 aufzuheben.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Sinngemäß sieht sie keinen Gleichklang zwischen steuer- und sozialrechtlicher
Bewertung, hält es für eine Benachteiligung von Rentnern, dass diese, nicht aber Berufstätige, mit Beitragserhebungen für
die Zuwendungen aus der Stadtverordnetentätigkeit belastet würden und sieht das Ehrenamt durch die Verfahrensweise der Beklagten
als gefährdet an.
Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten am 12. Januar 2021 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand
der Beratung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise einverstanden
erklärt haben, §§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Zu Recht hat das Sozialgericht mit Urteil vom 24. Juli 2020 den Bescheid der Beklagten vom 1. Dezember 2016 in der Fassung
des Änderungsbescheids vom 7. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2017 aufgehoben. Dieser
ist nämlich rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Streitgegenstand der Klage ist allerdings der Bescheid vom 1. Dezember 2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 6. Januar
2017, vom 7. März 2017 und vom 7. August 2017, allesamt in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2017. Denn
nach dem Widerspruch der Klägerin vom 11. Dezember 2016 änderte die Beklagte mit den beiden Bescheiden vom 6. Januar 2017
und 7. März 2017 jeweils den Pflegeversicherungsbeitrag bzw. dessen Zahlzeitraum ab. Wird während des Vorverfahrens der Verwaltungsakt
abgeändert, so wird auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens, §
86 SGG. Mangels Berufungseinlegung durch die Klägerin ist es dem Senat zwar verwehrt das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt entsprechend
abzuändern bzw. zu ergänzen. Gleichwohl ändert sich am in der Sache zutreffenden rechtlichen Ergebnis des Urteils nichts.
Aufgrund ihrer Rechtsbindung wird sich die Beklagte mit einer Beitragsforderung auch nicht auf die lediglich Beitragshöhe
und Zahlzeitraum betreffenden Bescheide vom 6. Januar 2017 bzw. 7. März 2017 stützen können, sofern der Beitragserhebungsgrund
entfallen ist.
Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide sind im Wesentlichen § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und §
237 S. 1 Nr.
3 SGB V, §
57 Abs.
1 S. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI).
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen
haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Nachdem sich die Aufhebung anfänglich noch auf die Vergangenheit richtete, ist sie
nunmehr nur noch auf die Zukunft, nämlich auf den Zeitraum ab dem 1. Januar 2017 gerichtet. Die tatsächliche Änderung liegt
in dem insgesamt gestiegenen Einkommen der Klägerin. Diese Änderung ist aber nicht wesentlich im Sinne der genannten Vorschrift.
Es widerspricht nämlich den rechtlichen Vorgaben, die Aufwandsentschädigung einer hessischen Stadtverordneten der Beitragsbemessung
der Krankenversicherung der Rentner zugrunde zu legen. Grundlage für diese Beitragsbemessung ist §
237 SGB V. Nach dessen Satz 1 werden der Beitragsbemessung bei versicherungspflichtigen Rentnern zugrunde gelegt 1. der Zahlbetrag
der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, 2. der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen und 3. das Arbeitseinkommen.
Nach §
57 Abs.
1 S. 1
SGB XI gilt §
237 SGB V auch für die Beitragsbemessung in der sozialen Pflegeversicherung. Wegen §
46 Abs.
2 S. 4 - 6
SGB XI bestehen im Übrigen keine Bedenken, dass die beklagte Krankenkasse die Bescheide auch im Namen der beigeladenen Pflegeversicherung
erlassen hat.
Die Beklagte ordnete die Aufwandsentschädigung der Klägerin als Arbeitseinkommen ein. Dies ist unzutreffend. Arbeitseinkommen
ist nach §
15 Abs.
1 S. 1 u. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen
Tätigkeit. Einkommen ist demnach grundsätzlich als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht
zu bewerten ist. Das Arbeitseinkommen bildet somit das Gegenstück zum Arbeitsentgelt, bei dem es sich nach §
14 Abs.
1 S. 1, 1. HS
SGB IV um alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung handelt.
Der Senat teilt zunächst die Auffassung des Sozialgerichts und insoweit auch die Auffassung der Beklagten, dass es sich bei
der Aufwandsentschädigung der Klägerin nicht um Arbeitsentgelt handelt, weil sie in ihrer Funktion als Stadtverordnete nicht
abhängig beschäftigt ist.
Die abhängige Beschäftigung wird in §
7 Abs.
1 SGB IV definiert. Demnach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte
für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Das Bundessozialgericht hat die Einordnung ehrenamtlich Tätiger, insbesondere bei Körperschaften hinreichend präzisiert. Demnach
schließt eine ehrenamtliche Tätigkeit die Abhängigkeit der Beschäftigung zwar nicht aus (ständige Rspr. des BSG, vgl. aktuell Urteil vom 27. April 2021 - B 12 KR 25/19 R, m.w.N.). Vielmehr ist - explizit auch bei Wahlämtern der kommunalen Selbstverwaltung - eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen.
Neben den allgemeingültigen Abgrenzungsmaßstäben von §
7 SGB IV ist im Besonderen zu prüfen, ob die Amtsausübung entweder geprägt ist durch Aufgaben und Tätigkeiten, die gerade Ausfluss
des Wahlamts und damit auch nicht für jedermann frei zugänglich sind, oder durch darüberhinausgehende Verwaltungsaufgaben,
die ihrer Art nach auch durch Dritte ausgeübt oder an diese delegiert werden können (BSG, Urteil vom 16. August 2017 - B 12 KR 14/16 R). Das BSG trennt die letztgenannten Verwaltungsaufgaben von solchen, die notwendigerweise mit der Amtsausführung zusammenhängen und
deshalb nicht für eine abhängige Beschäftigung sprechen und zieht zur Beurteilung auch die gesetzliche Ausgestaltung des Amtes
durch das jeweilige Kommunalverfassungsrecht heran. Schließlich nimmt das BSG auch das Ausmaß der finanziellen Zuwendungen in den Blick (BSG, Urteil vom 27. April 2021 - B 12 KR 25/19 R).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe, die sich der Senat zu Eigen macht und die auch das erstinstanzliche Urteil seiner
Entscheidung zugrunde gelegt hat, ist die Klägerin als Stadtverordnete weisungsunabhängig und nicht in die Arbeitsorganisation
eingegliedert, also nicht abhängig beschäftigt. Die Stadtverordnetenversammlung ist nach § 9 Abs. 1 S. 3 u. 1 Hessische Gemeindeordnung (HGO) das oberste Organ einer Gemeinde. Ihre Mitglieder werden von den Bürgern gewählt, § 36 HGO und üben gem. § 35 Abs. 1 HGO ihre Tätigkeit nach ihrer freien, nur durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl bestimmten Überzeugung aus und sind an Aufträge
und Wünsche der Wähler nicht gebunden. Die Stadtverordnetenversammlung ist zwar Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft
und kein Parlament (BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 1988 - 2 BvR 975/83). Allerdings finden parlamentarische Grundsätze Anwendung (vgl. etwa VGH Kassel, Urteil vom 10. Oktober 1991 - 6 UE 2578/90
). So gliedert sich die Stadtverordnetenversammlung in Fraktionen, § 36a HGO , und die Unabhängigkeit der Amtsausübung wird gesetzlich geschützt, § 35a HGO . Eine arbeitsteilige Inanspruchnahme der Organisationsstrukturen des Dienstgebers findet in der Tätigkeit des Stadtverordneten
nicht statt, sondern lediglich der Zugriff auf die Verwaltungsressourcen der Gemeinde zur Ausübung des Mandats. Schließlich
bestätigt die Höhe der Aufwandsentschädigung von 480 € pro Monat den ideellen Charakter dieser Zuwendung für die verantwortungsvolle
und gemeinwohlorientierte Tätigkeit.
Aus der Einordnung der Tätigkeit der Klägerin als nicht abhängig beschäftigt abzuleiten, dass die damit verbundene Aufwandsentschädigung
als Arbeitseinkommen zu qualifizieren ist, geht indes fehl. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich bei der Aufwandsentschädigung
für ihr Ehrenamt nicht um Arbeitseinkommen der Klägerin. Zwar bilden sozialrechtlich die Begriffe der selbständigen Tätigkeit
und des Arbeitseinkommens, wie oben erwähnt, die Gegenstücke zur abhängigen Beschäftigung mit Arbeitsentgelt. Der sozialrechtliche
Begriff der selbständigen Tätigkeit deckt sich aber nicht mit dem steuerrechtlichen Begriff der selbständigen Arbeit i.S.d.
§§
2 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3,
18 Einkommensteuergesetz (
EStG). (BSG, Urteil vom 17. Juli 1985 - 1 RA 41/84). Zwar intendierte der Gesetzgeber mit der Regelung von §
15 Abs.
1 SGB IV ausdrücklich eine „volle Parallelität von Einkommensteuerrecht und Sozialversicherungsrecht, sowohl bei der Zuordnung zum
Arbeitseinkommen als auch bei der Höhe des Arbeitseinkommens“, um eine Verwaltungserleichterung bei den Sozialversicherungsträgern
durch Wegfall eigener Nachprüfungen zu erreichen (vgl. BT-Drs. 12/5700, S. 92). Hieraus kann deshalb aber kein ausnahmsloser
Automatismus abgeleitet werden. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass die Begrifflichkeiten nicht kongruent sind (BSG, Urteil vom 18. Februar 2016 - B 3 KS 1/15 R; KassKomm/Zieglmeier, 116. EL September 2021,
SGB IV §
15 Rn. 10; Winkler,
Sozialgesetzbuch IV,
SGB IV §
15 Rn. 8, beck-online). So verwendet das Steuerrecht den Begriff des Arbeitseinkommens nicht (vgl. hierbei die Aufzählung von
§
18 Abs.
1 EStG), so dass dieser auslegungsfähig und auslegungspflichtig ist. Auch zeigt die unterschiedliche Handhabung von Einkommen aus
Land- und Forstwirtschaft als Einkommen aus selbständiger Tätigkeit in den beiden Gesetzen, vgl. §
15 Abs.
2 SGB IV einerseits mit §
2 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 und Nr.
3 EStG andererseits, dass nicht nur begrifflich, sondern auch hinsichtlich der Regelungsreichweite Unterschiede bestehen. Die Sozialversicherungsträger
haben deshalb eine eigene Bewertung vorzunehmen (BSG, Urteil vom 27. Januar 1999 - B 4 RA 17/98 R, mit umfassender Herleitung aus der Gesetzeshistorie; zwar im anderen Zusammenhang, dennoch mit der gleichen Aussage: BSG, Urteil vom 29. Juli 2015 - B 12 KR 4/13 R; a.A.: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2020 - L 11 KR 3394/19, das den Prüfaufwand der Träger diesbezüglich als unzumutbar einordnet).
Dementsprechend hätte auch die Beklagte im Falle der ehrenamtlichen Tätigkeit der Klägerin als Stadtverordnete eine differenzierte
Bewertung vornehmen müssen. Steuerrechtlich liegen Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit gem. §
18 Abs.
1 Nr.
3 EStG (vgl. zu vergleichbaren Fällen BFH, Beschluss vom 13. Juni 2013 - III B 156/12 und Beschluss vom 14. April 2011 VIII B 110/10) mit einer steuerlichen Vergünstigung nach §
3 Nr. 12 S. 2
EStG vor. Sozialrechtlich hingegen ist es nicht sachgerecht, die Aufwandsentschädigung der Klägerin als Gewinn aus selbständiger
Tätigkeit zu bewerten. Das Gegenteil abhängiger Beschäftigung ist, wie schon der Wortlaut von §
7 Abs.
1 SGB IV erkennen lässt, zwar die selbständige Tätigkeit. Es fehlt vorliegend aber am Gewinnmerkmal im Sinne von §
15 Abs.
1 SGB IV. Dieser verlangt, dass der Tätige mit Gewinnerzielungsabsicht nachhaltig auf eigene Rechnung und Gefahr am allgemeinen wirtschaftlichen
Verkehr teilnimmt (BSG, Urteil vom 4. Juni 2009 - B 12 KR 3/08 R; vgl. auch Fischer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB IV, 4. Aufl., §
15 SGB IV (Stand: 1. August 2021), Rn. 33). Hieran fehlt es zum Beispiel, wenn die Tätigkeit ausschließlich aus „Liebhaberei“ erfolgt
(Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Mai 2021 - L 9 KR 534/17). Hieran fehlt es aber gleichermaßen typischerweise bei einer ehrenamtlichen Tätigkeit als Stadtverordnete. Aufwandsentschädigungen
und Sitzungsgelder ehrenamtlicher kommunaler Mandatsträger stellen keinen Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit dar (BSG, Urteil vom 18. Februar 2016 - B 3 KS 1/15 R, bezogen auf eine Fragestellung des Künstersozialversicherungsgesetzes). Dieser
Einschätzung schließt sich der Senat aus eigener Überzeugung an. Die Motivation für eine Teilhabe am politischen Willensbildungsprozess
in der kommunalen Selbstverwaltung ist typischerweise eine Mischung aus politischem Gestaltungswillen, subjektiver Gemeinwohlverpflichtung
und möglicherweise weiteren individuellen Zielen, nicht aber der Absicht zur Erzielung von unmittelbarem finanziellem Gewinn.
Im Übrigen sieht der Senat zwischen der Tätigkeit und dem Einkommen keinen ursächlichen Zusammenhang in einer Weise, dass
letzteres ein Äquivalent für ersteres darstellt. Es handelt sich vielmehr um einen Auslagenersatz, der bei einer lebensnahen
Betrachtung auch nicht zu einer Vermögensmehrung der Tätigen führen. Das BSG hat ebenso entschieden für die Tätigkeit von Landtagsabgeordneten bzw. Bürgerschaftsmitgliedern in Stadtstaaten (BSG, Urteil vom 23. Februar 2000 - B 5 RJ 26/99 R; BSG, Urteil vom 4. Mai 1999 - B 4 RA 55/98 R). Wenngleich Stadtverordnete keine Parlamentsangehörigen sind, handelt es sich doch um eine wesensähnliche Tätigkeit der
Bürger- oder Volksvertretung. Die fehlende Gewinnerzielungsabsicht wird im Hinblick auf die kommunale Tätigkeit überdies aufgrund
der ihrer Höhe nach geringen Entschädigung im Verhältnis zu dem üblicherweise damit verbundenen tatsächlichen zeitlichen und
finanziellen Aufwand unterstrichen. Das erstinstanzliche Urteil hat im Übrigen anschaulich auch die verfassungsrechtliche
Dimension, die mit der ehrenamtlichen Tätigkeit für die kommunale Selbstverwaltung in einer demokratischen Gesellschaft einhergeht,
hervorgehoben.
Diese abstrakte Betrachtung deckt sich auch mit der Bewertung im vorliegenden Einzelfall. Die Klägerin erzielt, wie sie im
Erörterungstermin am 12. Januar 2021 vorgetragen hat, eine Aufwandsentschädigung von 480 € pro Monat, was in Anbetracht der
von ihr genannten 15 - 20 Stunden an Aufwand für die ehrenamtliche Tätigkeit pro Woche zu einem fiktiven Stundenlohn von ca.
5,50 - 7,60 € führt. Sie sei, was mit Blick auf ihre anderen Einnahmen nachvollziehbar ist, keinesfalls auf die Aufwandsentschädigungen
angewiesen, um ihr Leben zu bestreiten. Sie dienten allein dazu, den Aufwand, den sie für die Tätigkeit habe, teilweise abzudecken.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.