Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten.
Der 1951 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 17.02.2017 informierte er sich telefonisch bei der Beklagten
bezüglich des Gesetzesentwurfs zu Cannabis (gemeint ist Art. 4 des späteren Gesetzes zur Änderung betäubungsrechtlicher und
anderer Vorschriften vom 06.03.2017, BGBl I 2017, 403, 404). Auf die Mitteilung, dass die Beklagte hierzu noch keine Auskünfte geben könne, erklärte der Kläger, dass er sich gegebenenfalls
später noch einmal melden werde.
Am 13.03.2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten telefonisch die Kostenübernahme der Medikamententherapie mit Cannabisblüten.
In diesem Telefonat teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen
(MDK) nötig sei und daher ein Arztfragebogen für den behandelnden Arzt zugesandt werde. Mit Schreiben vom gleichen Tag bat
die Beklagte, aufgrund ihrer Bindung an vorgegebene Fristen, den Kläger, dass er den Fragebogen seinem Arzt spätestens nach
drei Tagen übermittle. Mit Schreiben vom 28.03.2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass mangels Vorlage der angeforderten
Unterlagen der Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen abschließend bearbeitet werden könne. Er solle die angeforderten
Unterlagen direkt an den MDK schicken. Die Entscheidung über den Antrag erhalte er innerhalb von 28 Tagen nach Eingang der
Unterlagen beim MDK. Am 30.03.2017 teilte der Kläger telefonisch mit, dass er im Hinblick auf seine Alkoholerkrankung schon
15 Jahre Selbsttherapie mit Cannabis mache. Er finde keinen Arzt für die von der Beklagten geforderten Unterlagen. Dr. B.
(sein bisheriger Arzt) sei schon abgesprungen. Die Beklagte erklärte ihm, dass sie aktuelle ärztliche Unterlagen benötige.
Mit Schreiben vom 04.04.2017 erklärte der Kläger gegenüber dem MDK, dass er Alkoholiker sei. Abgesehen von einem oder zwei
Rückfällen sei er seit ca. 15 Jahren abstinent. Seinen Drang zum Alkoholkonsum habe er in den letzten Jahren in Eigentherapie
mit Cannabis kompensiert. Im September 2016 sei sein Eigenanbau von der Polizei beschlagnahmt worden. Seitdem leide er vermehrt
unter Stimmungswechseln (von aggressiver Hyperaktivität bis zu tiefer Niedergeschlagenheit) und schlechtem Schlaf. Zudem verspüre
er einen vermehrten Drang nach Alkohol. Er müsse erhebliche Energie aufwenden, um nicht rückfällig zu werden. Seine Lebensqualität
sei dadurch erheblich gemindert. Seinem Schreiben fügte der Kläger einen selbst ausgefüllten Arztfragebogen bei. Darin gab
er unter anderem an, dass ihm Cannabis-Blüten verordnet werden sollen, wobei die optimale Darreichungsform und die Dosierung
im Laufe der Therapie ermittelt werden müsse, da hierzu bisher keine Angaben möglich seien. Ferner übersandte der Kläger dem
MDK eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. C. vom 10.04.2017. Dieser bescheinigte, dass dem Kläger, der
sich neu in seiner ärztlichen Behandlung befinde, der Selbstanbau von Cannabis nicht mehr möglich sei und daher die Genehmigung
einer Cannabisversorgung beantragt werde. Zudem reichte der Kläger eine Bescheinigung von Dr. D. vom Suchthilfezentrum E-Stadt
vom 01.12.2010 ein, der bestätigte, dass Tetrahydrocannabinol (THC) aus fachlicher Sicht in Einzelfällen durchaus geeignet
sei, das alkoholtypische Craving beherrschbar zu machen. THC könne über das Medikament Dronabinol oral verabreicht werden.
In dem darüber hinaus vorgelegten Gutachten nach Aktenlage vom 04.10.2010, das allerdings allein auf Basis von Telefon- und
E-Mail-Kontakt zwischen Gutachter und Kläger erstellt wurde, berichtete Dr. F. von positiven Studien über Cannabiskonsum bei
der Alkoholkrankheit. Der Kläger habe ihm gegenüber angegeben, dass er seit seinem 19. Lebensjahr täglich Alkohol konsumiert
und seit 1996 eine Vielzahl von Versuchen des Alkoholentzugs unternommen habe, zum Teil allein, zum Teil unter Inanspruchnahme
offizieller Hilfsangebote für Alkoholkranke, wie Selbsthilfegruppen, Ärzte und Psychotherapeuten. Im Jahr 2002 habe er eine
stationäre Entgiftung durchführen lassen. Eher zufällig habe er dann die Erfahrung gemacht, dass Cannabis ihm dabei helfe
abstinent zu bleiben. Mit Hilfe des selbstangebauten Cannabis sei es ihm gelungen abstinent zu bleiben und ein stabiles Leben
zu führen. Je nach Lebenssituation brauche er Cannabis nicht regelmäßig einzunehmen. Cannabis besitze – so der Kläger – jedoch
die wichtige Eigenschaft, den “Saufdruck“ in kritischen Situationen innerhalb weniger Minuten zum Verschwinden zu bringen.
Die legalen Medikamente würden erst nach längerer Einnahmezeit wirken, ihre Wirksamkeit sei nicht sicher und sie besäßen ein
Abhängigkeitspotenzial. Im Jahr 2008 sei das Cannabis des Klägers beschlagnahmt worden. Er sei wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden. Es sei bereits einmal ein Rückfall in den Alkoholkonsum aufgetreten. Dr. F. führte aus, dass diese Angaben
des Klägers zu den an sich selbst beobachteten therapeutischen Effekten von Cannabis auf der Basis der wissenschaftlichen
Datenlage nachvollziehbar seien. In dem vorgelegten Befundbericht vom 30.11.2010 führte der Allgemeinmediziner G. aus, dass
der Kläger ein Alkoholproblem angegeben habe, welches in den letzten Jahren kompensiert gewesen sei. Er habe über ein fibromyalgisches
Beschwerdebild und über Tinnitus geklagt. Unter THC würden seine Beschwerden sich bessern. Eine Blutuntersuchung am 14. April
2010 habe einen altersentsprechenden Befund ergeben. Nach den Angaben des Klägers habe dieser im Mai 2010 einen Rückfall mit
Apfelwein gehabt. Die versuchsweise Gabe von Amitriptylin 10 mg sei von dem Kläger aufgrund von Nebenwirkungen nicht toleriert
worden. Der Kläger habe ihm gegenüber von der früheren Einnahme verschiedener Psychopharmaka berichtet, welche ihn nie deutlich
vom Alkohol haben distanzieren lassen.
Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme des MDK ein. Dieser verneinte in seiner Stellungnahme vom 13.04.2017 das Vorliegen
der Voraussetzungen für die beantragte Versorgung. Insbesondere könne aufgrund der vorgelegten Unterlagen nicht mit der wünschenswerten
Klarheit bestätigt werden, dass eine schwerwiegende Erkrankung vorliege, wegen der Dronabinol eingesetzt werden solle. Ferner
wurde darauf verwiesen, dass eine Verordnung bisher nicht ausgestellt worden sei und die Voraussetzungen gemäß §
31 Abs.
6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) nicht vorlägen.
Mit Bescheid vom 18.04.2017 lehnte die Beklagte die beantragte Versorgung unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des MDK ab.
Cannabisprodukte könnten nur in besonderen Ausnahmefällen mit Kassenrezept verordnet werden. Aufgrund der Gesetzesänderung
sei dies für schwerstkranke Patienten möglich, wenn durch die Behandlung eine Verbesserung der Symptome oder des Krankheitsverlaufs
zu erwarten sei und keine andere vertragliche Therapie zur Anwendung kommen könne. Diese Voraussetzungen lägen beim Kläger
nicht vor.
Hiergegen erhob der Kläger unter dem Datum des 24.04.2017 Widerspruch. Er gab an, ohne Cannabis befinde er sich in einer permanenten
Notsituation, weil er nichts habe, womit er einen möglichen Kontrollverlust mit Blick auf seine Alkoholkrankheit stoppen könne.
Dem Widerspruch fügte er eine Stellungnahme von Dr. C. vom 24.04.2017 bei, der darauf hinwies, dass bei einer Alkoholkrankheit
eine schwerwiegende Erkrankung mit Anspruch auf Versorgung mit Cannabis vorliege. Der Kläger habe seine Alkoholkrankheit bislang
mit Cannabis erfolgreich behandelt und weitere Rückfälle vermeiden können. Nunmehr drohe ein Rückfall. Es bestehe somit eine
spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.
In einer weiteren Stellungnahme vom 11.05.2017 kam der MDK, nun unter Berücksichtigung der neuen Unterlagen, zusammenfassend
zu dem Ergebnis, dass doch eine schwerwiegende Erkrankung vorliege, weshalb eine Therapie notwendig sei. Entzugserscheinungen
seien als kurzfristig auf Absetzen oder Dosisreduktion eines längerfristigen Alkoholkonsums auftretende Symptome von Rückfällen
als erneuter Alkoholkonsum nach einer Phase der Abstinenz zu unterscheiden. Dem Kläger dürfe eine suffiziente Therapie mit
entsprechend begleitender Verlaufskontrolle bzw. mit Maßnahmen zur Rückfallprophylaxe nicht vorenthalten werden. Anhand der
übermittelten Unterlagen seien die aktuelle Therapie und der aktuelle Verlauf nicht nachvollziehbar. Zudem sei eine fundierte
Risikoabwägung der Anwendung von Cannabis unter Berücksichtigung der im Fall des Klägers vorliegenden Konstellation nicht
übermittelt worden. Die Ausführungen, dass der Kläger sich über Jahre selbst mit Cannabis erfolgreich behandelt habe und dadurch
weitere Rückfälle habe vermeiden können, sei hierzu jedenfalls nicht hinreichend.
Am 18.05.2017 beantragte der Kläger bei dem Sozialgericht Gießen einstweiligen Rechtsschutz (Az. S 15 KR 263/17 ER ). Er trug vor, vor dem Beginn seiner Eigentherapie habe er verschiedene Therapieversuche unternommen, u. a. in Form
von Psychotherapie und durch Medikamenteneinnahme (Zoloft). Im Jahr 2002 habe er eine Entgiftung in der Klinik in E-Stadt
durchgeführt. Da dies schon lange her sei, habe er hierzu jedoch kaum Nachweise. Cannabisblüten benötige er nicht dauerhaft,
sondern nur bei aufkommendem Drang, Alkohol zu konsumieren. Dronabinol sei dann in seiner Wirkung zu langsam.
Aus den vom Kläger im Rahmen des Eilverfahrens vorgelegten medizinischen und sonstigen Unterlagen sowie den vom Gericht eingeholten
Befundberichten ergibt sich, dass der Kläger aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Gießen vom 22.05.1996 vorläufig im Psychiatrischen
Krankenhaus in E-Stadt untergebracht war. Aus dem Beschluss geht hervor, dass dem Kläger seinerzeit eine organische Psychose
nach Alkoholentzug mit deliranter Symptomatik bescheinigt worden ist. Der Kläger war weiterhin von Januar 2003 bis Februar
2010 Mitglied einer angeleiteten Abstinenzgruppe (Bescheinigung des Landkreises Gießen vom 24.06.2010). Der Leiter der Abstinenzgruppe
äußert in der Bescheinigung, dass der Kläger in dieser Zeit nicht rückfällig geworden sei. In den Jahren 2009 und 2010 war
der Kläger dreimal bei Dr. H. (Facharzt für Psychiatrie) in Behandlung. Dieser stellte die folgenden Diagnosen: Abhängigkeitssyndrom
bei Alkoholgebrauch, zurzeit abstinent; Abhängigkeitssyndrom bei Gebrauch von Cannabinoiden; rezidivierende depressive Störung.
Der Kläger konsumiere Cannabis gegen den Alkohol-Suchtdruck. Ein Therapieversuch mit Citalopram sei mit Nebenwirkungen verbunden
gewesen und daher nicht fortgesetzt worden. Der Empfehlung einer stationären Behandlung seiner Suchterkrankung habe der Kläger
nicht nachkommen können. Auf Anfrage des Sozialgerichts gab Herr Dr. H. unter dem 11.07.2017 an, dass der Kläger als Beschwerden
geäußert habe: „Depressive Verstimmungen/Herbsttief. Suchtdruck, gegen den er Cannabis konsumiere.“. Eine psychiatrisch-psychotherapeutische
Behandlung sei nicht zustande gekommen. (Fachärztliche Bescheinigung vom 03.09.2010 und Befundbericht vom 11.07.2017). Von
April 2010 bis März 2012 war der Kläger bei dem Allgemeinmediziner Herrn G. in Behandlung. Zudem hat am 21.03.2017 ein einmaliger
Kontakt stattgefunden. Herr G. berichtete von dem oben beschriebenen Therapieversuch mit Amitriptylin im Jahr 2010 sowie einer
durch das Suchthilfe Zentrum E-Stadt eingeleiteten Therapie mit Sativex. 2010 habe er eine Entgiftungstherapie mit anschließender
Langzeittherapie angeboten (Befundbericht vom 29.06.2017).
Ab April 2017 war der Kläger bei dem Allgemeinmediziner Dr. C. in Behandlung. Dieser teilte mit, bei dem Kläger liege eine
Alkoholkrankheit vor, welche bekanntlich ein Leben lang bestehe. Die Erkrankung sei schwerwiegend. Der Kläger habe sich seinerzeit
bewusst gegen eine stationäre Entzugsbehandlung entschieden. Dies sei aus ärztlicher Sicht durchaus nachvollziehbar, da die
Rückfallquote bekanntlich enorm sei. Er habe seine Alkoholsucht über Jahre mit Cannabisprodukten gut kompensiert. Die medizinische
Indikation für eine Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung liege vor. Es gäbe
keinen medizinischen Grund, die jahrelang problemlos durchgeführte erfolgreiche Substitution einer Alkoholkrankheit mit Cannabinoiden
jetzt zu unterbinden. Alternativen stünden nicht zur Verfügung. Der Kläger verwende Cannabinoide nur bei akuten Entzugssymptomen/akuter
Rückfallgefahr, weshalb er auf eine schnelle Wirksamkeit angewiesen sei. Dies sei bei Dronabinol oder Nabilon nicht gegeben.
Es seien spürbar positive Einwirkungen auf den Krankheitsverlauf zu erwarten. Es gäbe keinen medizinischen Grund, die jahrelang
problemlos durchgeführte erfolgreiche Substitution jetzt zu unterbinden. Aufgrund der nun fehlenden Therapie habe der Kläger
berichtet, es komme zu Schlafstörungen, Angstzuständen und ein Gewichtsverlust von 10 kg sei eingetreten. Der Zustand ohne
Cannabis verschlechtere sich zunehmend, ein Rückfall sei nicht auszuschließen. Kontraindikationen bestünden nicht (Stellungnahme
vom 14.06.2017, Befundberichte vom 30.06.2017 und 06.07.2017). Am 28.07.2017 stellt Herr Dr. C. eine Verordnung für Cannabisblüten
Bedrocan in näher bezeichneter Zusammensetzung und Dosierung aus mit dem Zusatz „nach Genehmigung der Kasse“.
Der MDK gelangte in seiner weiteren Stellungnahme vom 02.08.2017 zu dem Ergebnis, dass nicht nachvollziehbar sei, dass allgemein
bzw. im speziellen Einzelfall Behandlungsalternativen nicht bestünden. Zudem fehle eine fundierte Risikoabwägung. Insbesondere
schwere Abhängigkeitserkrankungen seien nach den Regeln der ärztlichen Kunst adäquat (Entgiftung, Entwöhnung) zu behandeln.
Aus medizinischer Sicht sei bei Cannabisabhängigkeit das Behandlungsziel Abstinenz anzustreben.
Mit Beschluss vom 10.08.2017 verpflichtete das Sozialgericht im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin, den
Kläger bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache mit Medizinal-Cannabisblüten der Sorte Bedrocan in der
maximalen Monatsdosis von 10 g, der Sorte Pedanios 8/8 in der maximalen Monatsdosis von 10 g und der Sorte Pedanios 22/1 in
der maximalen Monatsdosis von 10 g zu versorgen.
Auf die Beschwerde der Beklagte hin hob das Landessozialgericht den Beschluss des Sozialgerichts am 09.10.2017 auf und lehnte
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers schließlich zurück. Zur Begründung führte
sie aus, mit einer Therapie zur Entgiftung und Entwöhnung des Alkohols sei eine vertragliche Alternative vorhanden. Gründe,
warum diese Therapie nicht möglich sei, seien nicht vorgetragen worden. Zudem fehle eine fundierte Risikoabwägung.
Der Kläger hat am 13.11.2017 Klage gegen den Bescheid vom 18.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.10.2017 erhoben.
Zur Begründung hat er, wie schon im Eilverfahren, sinngemäß ausgeführt, dass er die gesetzlichen Voraussetzungen als gegeben
ansieht, dass das Risiko der Alkoholsucht das einer Cannabissucht weit überwiegt und dass er die Medizinalblüten benötige,
um alkoholabstinent zu bleiben. Keine dem medizinischen Standard entsprechende Leistung vermöge eine entsprechend schnelle
Wirkung gegen den Alkoholdrang zu entwickeln wie Cannabis. Die Therapie sei auch wirtschaftlich. Er habe vor 15 Jahren alle
ihm bekannten Methoden der Standardmedizin versucht, ohne Erfolg zu haben. Weitere Arztbesuche, als die im Zuge des Eilverfahrens
bekannt gewordenen, hätten wegen Aussichtslosigkeit nicht stattgefunden. Mit Schriftsatz vom 26.05.2020 hat er noch mitgeteilt,
er habe seit 2017 von Arztbesuchen abgesehen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger angegeben, eine Langzeittherapie
habe er bisher nicht durchgeführt, eine solche käme für ihn nicht in Betracht. Außer Verschleißerkrankungen habe er (über
die hier alkoholbezogenen hinaus) keine weiteren Erkrankungen. Er sei weiterhin alkoholabstinent und könne auch nicht riskieren,
Alkohol zu trinken, da dies sein Tod wäre.
Das Sozialgericht hat die Klage am 23.09.2020 durch Urteil als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid vom 18.04.2017 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2017 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Er habe keinen Anspruch
auf die Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten. Ein solcher Anspruch ergebe sich nicht aus §
13 Abs.
3a SGB V. In diesem Zusammenhang habe bereits das Hessische Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 09.10.2017 zum Aktenzeichen
L 1 KR 338/17 B ER ausgeführt: „Ein Anspruch auf die geltend gemachte Versorgung folgt nicht aus einer fiktiven Genehmigung gemäß §
13 Abs.
3a SGB V. Diese Norm ist zwar auch hinsichtlich §
31 Abs.
6 SGB V anwendbar (so ausdrücklich BT-Drucks. 18/8965 S. 25; ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. Juli 2017, L 5 KR 140/17 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. September 2017, L 1 KR 305/17 B ER; SG Trier, Beschluss vom 4. September 2017, S 3 KR 143717 ER). Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. April 2017 ist
jedoch nicht erst nach Ablauf der 3- bzw. 5-Wochenfrist gemäß §
13 Abs.
3a SGB V ergangen. Maßgeblich für den Fristbeginn ist der Eingang eines fiktionsfähigen Antrags bei der Antragsgegnerin. Der am 13.
März 2017 bei der Antragsgegnerin telefonisch gestellte Antrag war nicht hinreichend bestimmt, so dass ein fiktionsfähiger
Antrag nicht vorlag. Hierfür hätte es unter anderem der Angabe des Behandlungszieles bedurft (vgl. BSG, Urteil vom 11. Juli 2017, B 1 KR 26/16 R, juris, Rn. 18). Der Antragsteller hat jedoch lediglich eine Kostenübernahme für Cannabis beantragt. Erst durch seine Angaben
mit Schreiben vom 4. April 2017 und der Vorlage medizinischer Unterlagen ist ersichtlich geworden, weshalb der Antragsteller
die Cannabisversorgung beantragt. Ob am 4. April 2017 ein fiktionsfähiger Antrag vorlag, kann hier dahinstehen, da die Antragsgegnerin
den Antrag bereits am 18. April 2017 und damit innerhalb von 3 Wochen beschieden hat.“
Diesen überzeugenden Ausführungen schließe sich die Kammer an. Eine Genehmigungsfiktion sei nicht eingetreten. Entgegen der
zunächst im gerichtlichen Eilverfahren vertretenen Ansicht ergebe sich ein Anspruch zudem nicht aus §
31 Abs.
6 SGB V. Die im Eilverfahren vertretene Ansicht gebe das Gericht auf. Nach §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V hätten Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten
oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon,
wenn 1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung a) nicht zur Verfügung stehe oder b)
im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter
Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht
zur Anwendung kommen könne, 2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
oder auf schwerwiegende Symptome bestehe. Die Leistung bedürfe bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten
der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen
sei (§
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V). Die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 a)
SGB V seien nicht gegeben, da allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen zur Verfügung stünden.
Hier sei insbesondere verwiesen auf die S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“, Stand:
28. Februar 2016, insbesondere unter 3.8. „Entwöhnungsbehandlung und andere Formen der Postakutbehandlung“. Genannt werde
dort u. a. auch die vom Kläger bislang abgelehnte stationäre Langzeittherapie sowie weitere ambulante, teilstationäre oder
stationäre Maßnahmen, Psychotherapie, medikamentöse Therapie. Insbesondere eine stationäre Langzeittherapie sei bisher nicht
versucht worden und stehe weiterhin zur Verfügung. Auch die beiden zuletzt genannten Maßnahmen seien vom Kläger bisher nicht
ausgeschöpft worden und lediglich kurzzeitig (¾ Jahr an Physiotherapie) bzw. vereinzelt (Therapieversuch mit einzelnen Medikamenten)
durchgeführt worden. Die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V seien ebenso wenig erfüllt.
Hierzu habe das Hessische Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 09.10.2017 zum Aktenzeichen L 1 KR 338/17 ER ausgeführt: „Mit dem o.g. Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften soll Personen mit schwerwiegenden
Erkrankungen (z.B. schwerwiegend erkrankte Schmerzpatienten, s. BT-Drucks. 18/8965 S. 13) nach entsprechender Indikationsstellung
und bei fehlenden Therapiealternativen ermöglicht werden, die entsprechenden Arzneimittel zu therapeutischen Zwecken in standardisierter
Qualität durch Abgabe in Apotheken zu erhalten. Zudem soll für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung in eng begrenzten
Ausnahmefällen ein Anspruch auf Versorgung mit diesen Arzneimitteln geschaffen werden (BT-Drucks. 18/8965, S. 23 und 18/10902,
S. 2 sowie Bundesrat-Drucks. 233/16, S. 6 und 17). „Die Voraussetzung, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard
entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht, entspricht grundsätzlich derjenigen in § 2 Abs. 1a Satz 1.
Den betroffenen Versicherten soll im Rahmen der ärztlichen Behandlung eine Möglichkeit eröffnet werden, nach Versagen empfohlener
Therapieverfahren einen individuellen Therapieversuch zu unternehmen; bei Erfolg sollte die längerfristige Gabe eines Cannabisarzneimittels
erwogen werden. Die gesetzliche Voraussetzung bedeutet nicht, dass eine Versicherte oder ein Versicherter langjährig schwerwiegenden
Nebenwirkungen ertragen muss, bevor die Therapiealternative eines Cannabisarzneimittels genehmigt werden kann. Eine Ärztin
oder ein Arzt soll Cannabisarzneimittel als Therapiealternative dann anwenden können, wenn sie oder er durch die Studien belegten
schulmedizinische Behandlungsmöglichkeiten auch unter Berücksichtigung von Nebenwirkungen im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen
Krankheit, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eintreten werden, ausgeschöpft hat. Dabei sind von der Ärztin oder dem
Arzt allerdings auch die Nebenwirkungen von Cannabisarzneimitteln zu berücksichtigen. Die ebenfalls aus § 2 Abs. 1a Satz 1
bekannte Voraussetzung, dass eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
bestehen muss, wurde um die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf schwerwiegende
Symptome ergänzt, da auch Konstellationen erfasst werden sollen, in denen mit dem cannabishaltigen Arzneimittel keine Grunderkrankung
adressiert werden soll. Denkbar sind beispielsweise Fälle in denen eine Versicherte oder ein Versicherter im Rahmen einer
onkologischen Erkrankung mit Chemotherapie an Appetitlosigkeit und Übelkeit leitet. Auch in diesen Fällen muss jedoch eine
besondere Schwere der Symptome vorliegen.“ (BT-Drucks. 18/8965, S. 24).
Hieraus folgt, dass nur eine entsprechend substantiierte Begründung des behandelnden Vertragsarztes den Anforderungen gemäß
§
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V genügt. Diese muss sich zum einen auf die schwerwiegende Erkrankung, den Krankheitsverlauf sowie die schwerwiegenden Symptome
beziehen. Zum anderen ist detailliert darzulegen, weshalb eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende
Leistung im Einzelfall unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes
der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare
positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Ist die Einschätzung des behandelnden
Vertragsarztes im Wesentlichen auf die Wiedergabe des Gesetzeswortlautes beschränkt, liegt eine begründete ärztliche Einschätzung
gemäß §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 SGB V nicht vor. Dies gilt auch dann, wenn der Arzt den Versicherten erst seit kurzer Zeit behandelt und seine Einschätzung sich
lediglich auf Angaben des Versicherten sowie ärztliche Befundberichte über bereits Jahre zurückliegende Behandlungen stützt
(zu den Anforderungen an die ärztlichen Darlegungen s.a. SG Düsseldorf, Beschluss vom 08.08.2017, S 27 K 698/17 ER, juris).
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist nicht dargetan, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard
entsprechende Leistung im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der
zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten nicht zur Anwendung kommen
kann, §
31 Abs.
6 Satz 1 b)
SGB V.
Dr. C., der den Antragsteller erst seit dem 6. April 2017 behandelt, hat diesem keine anderen Vertragsleistungen angeboten.
Er bezieht sich in seiner Einschätzung lediglich auf die Angaben des Antragstellers sowie auf Befundberichte von Ärzten, die
den Antragsteller in den Jahren 2009 bis 2010 (Dr. H., Facharzt für Psychiatrie) bzw. 2010 bis 2012 (Allgemeinmediziner G.)
behandelt haben. Eine stationäre Behandlung der Alkoholerkrankung des Antragstellers ist letztmalig im Jahr 2002 in der Vitos
Klinik in E-Stadt erfolgt. Unterlagen hierzu hat der Antragsteller nicht vorgelegt und sind bei der Klinik nicht mehr vorhanden.
Weder die Alkoholerkrankung des Antragstellers noch dessen Abhängigkeit von Cannabis ist nach dem 07.03.2012 (letzter Behandlungstermin
durch den Allgemeinmediziner G.) ärztlich behandelt worden. Erst unter dem 06.04.2017 hat sich der Antragsteller in die Behandlung
von Dr. C. begeben. Hinsichtlich der zuvor erfolgten Behandlungen mit Medikamenten liegen nur wenige Angaben der behandelnden
Ärzte vor. Nach dem Bericht des Mediziners G. hat der Antragsteller Amitriptylin im Jahr 2010 wegen Nebenwirkungen nicht toleriert.
Dr. H. hat dies für das Jahr 2010 hinsichtlich Citalopram angegeben. Dr. C. hat die Angaben des Antragstellers hinsichtlich
der Nebenwirkungen übernommen und keine weiteren in Betracht kommenden Medikamente (s. S3-Leitlinie „Sreening, Diagnose und
Behandlung alkoholbezogener Störungen“, Stand: 28.02.2016) aufgeführt. Darüber hinaus hat Dr. C. hinsichtlich der dem Antragsteller
empfohlenen Entgiftungstherapie (G.) bzw. der stationären Behandlung der Suchterkrankung (Dr. H.) lediglich angegeben, dass
die Rückfallgefahr bei alternativen Behandlungsmethoden enorm sei.
Damit liegt keine begründete Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes Dr. C. dafür vor, dass eine allgemein anerkannte,
dem medizinischen Standard entsprechende Leistung unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung
des Krankheitszustandes des Antragstellers nicht zur Anwendung kommen kann.
Wie die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des MDK zu Recht vorträgt, liegen damit die Voraussetzungen
gemäß §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V nicht vor. Somit kann vorliegend dahinstehen, ob aus §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V, wonach die Leistung bei der ersten Verordnung der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung bedarf, folgt,
dass die Krankenkasse bei Vorliegen einer Verordnung darlegen und beweisen muss, dass eine Standardbehandlung gemäß §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V existiert bzw. geeignet ist (so Beck/Pitz in: jurisPK §
31 SGB V, Rn. 97.2).“
Diesen überzeugenden Ausführungen schließe sich die Kammer unter Aufgabe der im gerichtlichen Eilverfahren vertretenen Ansicht
an. Hier sei inzwischen durch die Rechtsprechung (wie beispielsweise durch die oben genannte Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts)
sowie die Gesetzeskommentierung genauer konkretisiert, welche Anforderungen an die begründete Einschätzung des behandelnden
Vertragsarztes zu stellen seien. Insbesondere sei erforderlich, dass der behandelnde Vertragsarzt im Rahmen eines Abwägungsprozesses,
der nachvollziehbar darzulegen sei und auch die Nebenwirkungen des Cannabisarzneimittels einfließen lassen müsse, zu dem Ergebnis
komme, dass die Standardtherapie nicht zur Anwendung kommen könne. Zusätzlich sei in diesen Fällen erforderlich, dass eine
spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehe. Es reiche hierbei nicht aus,
die Annahme einer positiven Einwirkung nur auf Vermutungen zu stützen. Vielmehr seien Indizien im Sinne einer Minimalevidenz
erforderlich (vgl. Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 4. Aufl., §
31 SGB V [Stand: 15.06.2020], Rn. 126, m.w.N.). Diesen Anforderungen werde die Einschätzung des Vertragsarztes Dr. C. nicht gerecht.
Insbesondere thematisiere dieser mögliche Nebenwirkungen der Cannabis-Medikation und insbesondere das bei dem Kläger durch
Dr. H. diagnostizierte Abhängigkeitssyndrom bei Gebrauch von Cannabis nicht. Alternative Therapieversuche seien durch Dr.
C. nicht unternommen worden. Die Einschätzung zu deren Unwirksamkeit stütze Dr. C. im Wesentlichen auf die Angaben des Klägers.
Seine Annahme einer enormen Rückfallgefahr bei alternativen Behandlungsmethoden sei allgemein und nicht auf den speziellen
Fall des Klägers bezogen. Dies sei nicht ausreichend. Im Übrigen werde auf die obigen Ausführungen des Hessischen Landessozialgerichts
verwiesen. Hinsichtlich der Einschätzung des Vertragsarztes werde jedoch diskutiert, ob diese bereits im Verwaltungsverfahren
vorliegen müsse (so das LSG NRW, Beschluss vom 25.02.2019 – L 11 KR 240/18 B ER -, Rn. 74, juris), ob diese im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden könne (so das SG Berlin, Urteil vom 04.12.2019
- S 211 KR 1405/18 -, Rn. 22, juris) oder ob diese im gerichtlichen Verfahren durch die Einschätzung eines Sachverständigen
in einem gerichtlichen Sachverständigengutachten ersetzt werden könne (ablehnend beispielsweise Schleswig-Holsteinisches LSG,
Beschluss vom 26.06.2019 - L 5 KR 71/19 B ER -, Rn. 17, juris, m.w.N.). Dies könne jedoch vorliegend dahingestellt bleiben. Denn Dr. C. habe auch im Klageverfahren
keine den oben genannten Anforderungen entsprechende Einschätzung abgegeben, noch könnte er eine solche abgeben. Denn der
Kläger habe angegeben, seit der Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts im Jahr 2017 nicht mehr in ärztlicher Behandlung
gewesen zu sein. Die oben genannten Defizite der Einschätzung von Dr. C. könnte dieser also gar nicht beheben. Denn auch weiterhin
hätte dieser keine anderweitigen Therapieversuche unternommen und müsste seine Einschätzung weiterhin im Wesentlichen auf
die Angaben des Klägers sowie die nur wenigen vorhandenen weiteren medizinischen Unterlagen aus den Jahren 2009 und 2010 stützen.
Eine konkrete Einschätzung zu alternativen Behandlungsmethoden dürfte ihm ebenso wenig möglich sein. Gleiches gelte für ein
gerichtliches Sachverständigengutachten. Auch ein Sachverständiger hätte lediglich die Angaben des Klägers sowie die oben
aufgeführten medizinischen Unterlagen zur Verfügung, die als Grundlage für eine ärztliche Einschätzung nach den obigen Ausführungen
nicht ausreichend wären. Weitere Erkenntnismöglichkeiten existierten nicht.
Der Kläger hat gegen das ihm am 20.10.2020 zugestellte Urteil am 12.11.2020 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung
eingelegt.
Er behauptet, der Ausgang des Rechtsstreits habe schon vor Beginn der mündlichen Verhandlung festgestanden und das Gericht
habe nicht objektiv geurteilt. Er äußert die sinngemäße Wahrnehmung, die Kammer des Sozialgerichts hätte den Sachverhalt nicht
vollständig erfasst und hält die Gesellschaft insgesamt für voreingenommen. Er trägt näher vor, dass eine Langzeittherapie
für ihn früher nicht in Betracht kam und auch heute nicht in Betracht komme. Er sieht die Versorgung mit Cannabisblüten als
einzige für ihn in Betracht kommende Möglichkeit Alkoholabusus zu vermeiden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts vom 23.09.2020 aufzuheben, den Bescheid vom 18.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 19.10.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten
in standardisierter Qualität zu genehmigen, und die Beklagte weiterhin zu verurteilen, ihm diese Versorgung als Sachleistung
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Das Gericht hat zur Klärung des Sachverhalts eine nicht förmliche Telefonkonferenz mit den Beteiligten durchgeführt, in der
vereinbart wurde, dass der Kläger seinen Hausarzt, Herrn Dr. C., aufsuchen werde, um seine aktuelle Behandlungsbedürftigkeit
ärztlich überprüfen zu lassen. Dem ist der Kläger nachgekommen, woraufhin Herr Dr. C. unter dem Datum des 15.01.2021 eine
ärztliche Bescheinigung und auf Anforderung durch das Gericht unter dem Datum des 30.08.2021 ein Befundbericht vorgelegt hat.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand
der Beratung waren, Bezug genommen.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 23.09.2020 abgewiesen.
Der Bescheid des Beklagten vom 18.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2017 ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten.
Zum einen stehen allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen vorliegend zur Verfügung (soweit
zu lit.a). Auf die entsprechenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils kann insoweit verwiesen werden, wobei die dort
erwähnte S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ mittlerweile zum Überarbeitungsstand
Januar 2021 vorliegt. Sie benennt nach wie vor die vorliegend relevanten Alternativbehandlungen. Es heißt dort u.a. „Diese
Postakutbehandlung kann entweder als ambulante, ganztägig ambulante bzw. teilstationäre oder stationäre Rehabilitationsbehandlung
(inklusive einer Adaptionsbehandlung als letzte Phase der medizinischen Rehabilitation), als medikamentöse Rückfallprophylaxe
oder in anderen Formen erfolgen. Andere Formen der Postakutbehandlung umfassen u.a. die vertragsärztliche Versorgung bzw.
ambulante Psychotherapie und die ambulante oder stationäre psychiatrische Weiterbehandlung. Weitere Formen postakuter Interventionen
sind Angebote von Einrichtungen, insbesondere soziotherapeutische Einrichtungen für Menschen mit einer Abhängigkeit, die chronisch
mehrfach geschädigt sind (CMA), Angebote der Eingliederungshilfe, niedrigschwellige Hilfeangebote, Beratungsangebote sowie
Maßnahmen der Arbeitsförderung und beruflichen Rehabilitation.“.
Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Kläger nach eigenem Vortrag seit über vier Jahren nicht in ärztlicher Behandlung
war. Auch die Wiederaufnahme einer Behandlung könnte ohne aktuelle medizinische Beurteilungsgrundlage nicht unmittelbar in
die Verschreibung von Cannabis-Blüten münden (so sinngemäß auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.05.2019 – L 9 KR 72/19 B ER).