Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren; Entstehung einer Einigungsgebühr im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten um die Höhe der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung des im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung (Sozialgericht Marburg, Az.: S 5 AS 230/06 ER - SN. gegen Landkreis ZW.) nach den Vorschriften des im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordneten Beschwerdegegners
(Rechtsanwaltes).
Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Höhe der dem Antragsteller zustehenden Kosten der Unterkunft und Heizung nach §
22 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II). Nach dem im zugrundeliegenden Antragsverfahren auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung nach §
86b Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) maßgebenden Sachverhalt war der dortige Antragsteller mit Wirkung zum 1. Oktober 2006 in eine neue Wohnung umgezogen. Unter
Berufung darauf, der Antragsteller habe ihm den Umzug nicht rechtzeitig mitgeteilt, bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid
vom 18.10.2006 auch nach dem Umzug weiterhin Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II lediglich in der bisherigen
Höhe von insgesamt 188,07 EUR monatlich wie zuvor in der Zeit bis zum 30.09.2006, in der der Antragsteller als Mitbewohner
in einer Wohngemeinschaft gelebt hatte. Hiergegen erhob der Antragsteller selbst ohne anwaltlichen Beistand mit Schreiben
vom 23.10.2006 Widerspruch. Durch seinen prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt, den Erinnerungsführer und Beschwerdegegner
im vorliegenden Kostenverfahren, stellte der Antragsteller bei dem Sozialgericht Marburg (eingehend am 18.12.2006) einen Antrag
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem Ziel, dem Antragsteller die Kosten der Unterkunft und Heizung für die ab
dem 01.10.2006 bewohnte Wohnung in Höhe von 435,00 EUR monatlich bis zur Entscheidung in der Hauptsache, mindestens jedoch
bis zur Entscheidung über den Widerspruch durch die Antragsgegnerin, zu gewähren. Gleichzeitig stellte der Antragsteller einen
Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwaltes, des Beschwerdegegners. Dem Kläger wurde
mit Beschluss des Sozialgerichts Marburg im Erörterungstermin vom 15.01.2007 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdegegners
für den ersten Rechtszug bewilligt. Zuvor hatte der Antragsgegner im Ausgangsverfahren mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2006
dem Antragsteller weitere Leistungen nach dem SGB II für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 163,60 EUR monatlich
bewilligt. Im Erörterungstermin des Sozialgerichts Marburg vom 15.01.2007 schlossen die Beteiligten schließlich folgenden
Vergleich:
"1. Der Antragsgegner verpflichtet sich, bei dem Antragsteller ab dem 01.10.2006 Unterkunftskosten in Höhe von 325,00 EUR
und Heizkosten in Höhe von 34,40 EUR zu berücksichtigen. 2. Der Antragsgegner verpflichtet sich weiter, dem Antragsteller
die Hälfte seiner zur zweckgerichteten Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten."
Mit Schriftsatz vom 31.01.2007 beantragte der Beschwerdegegner, im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung nachstehende Gebühren
und Auslagen festzusetzen:
3102 Verfahren vor dem Sozialgericht
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250,00 EUR
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250,00 EUR
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3106 Terminsgebühr in sozialrechtlicher Angelegenheit
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200,00 EUR
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200,00 EUR
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1006 Einigung / Erledigung in sozialrechtlicher Angelegenheit
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190,00 EUR
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190,00 EUR
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bei anhängigem gerichtlichen Verfahren
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7002 Post- und Telekommunikationspauschale
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20,00 EUR
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20,00 EUR
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Nettobetrag
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660,00 EUR
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Umsatzsteuer 19 %
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125,40 EUR
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Bruttobetrag
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785,40 EUR
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Mit Beschluss vom 24.05.2007 setzte der Urkundsbeamte des Sozialgerichts Marburg die gemäß § 45 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zu erstattenden Gebühren und Auslagen wie folgt fest:
1. 1.1 Verfahrensgebühr 3102
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250,00 EUR
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180,00 EUR
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1.2 Terminsgebühr 3106
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200,00 EUR
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150,00 EUR
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1.3 Einigungs-Aussöhnungsgebühr 1006
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190,00 EUR
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0,00 EUR
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2. Post-, Telegrafen- und Fernschreibgebühren Pauschale 7002
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20,00 EUR
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20,00 EUR
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3. Schreibauslagen
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4. Reisekosten (§ 46 RVG)
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Summe:
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660,00 EUR
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350,00 EUR
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5. Umsatzsteuer/Ausgleichsbetrag 7008
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125,40 EUR
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66,50 EUR
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Summe:
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785,40 EUR
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416,50 EUR
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Betrag
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416,50 EUR
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Hiergegen richtete sich die vom Beschwerdegegner erhobene Erinnerung vom 5. Juni 2007, mit der er sich gegen die Kürzung der
Verfahrens- und Terminsgebühr sowie gegen die Nichtberücksichtigung der Einigungsgebühr wandte. Mit richterlichem Beschluss
vom 11. Dezember 2008 setzte das Sozialgericht Marburg unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Marburg vom 24.05.2007 weitere 226,10 EUR an Gebühren und Auslagen fest und wies die
Erinnerung des Beschwerdegegners im Übrigen zurück. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine Verfahrensgebühr in Höhe von
200,00 EUR und eine Terminsgebühr in Höhe von 165,00 EUR als angemessen betrachtet werde. Darüber hinaus sei entgegen den
Feststellungen des Urkundsbeamten des Sozialgerichts Marburg eine Einigungsgebühr entstanden, die das Gericht mit 155,00 EUR
für angemessen erachte. Hinsichtlich der Einigungsgebühr sei eine kausale Mitwirkung des Beschwerdegegners an der Beilegung
des Rechtsstreits im stattgefundenen Erörterungstermin anzunehmen. Zuzüglich der Auslagenpauschale von 20,00 EUR sowie der
auf den Gesamtbetrag entfallenden Umsatzsteuer in Höhe von 102,60 EUR ergebe sich ein festzusetzender Betrag von 642,60 EUR,
sodass ein weiterer Unterschiedsbetrag zur Feststellung des Urkundsbeamten von 416,50 EUR in Höhe von 226,10 EUR entstanden
sei.
Hiergegen hat der Erinnerungsgegner und Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19.12.2008 (eingehend bei dem Sozialgericht Marburg
am 23.12.2008) Rechtsmittel eingelegt. Er hat zum einen ausgeführt, die entstandenen Gebühren seien jeweils in Höhe von zwei
Dritteln der Mittelgebühr angefallen, da es sich bei dem vorliegenden Ausgangsverfahren um einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung gehandelt habe, für die nach der Kostenrechtssprechung des Hessischen Landessozialgerichtes eine Reduzierung auf
zwei Drittel wegen der im Verhältnis zu einem Hauptsacheverfahren geringeren Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes geboten
sei. Zum anderen sei eine Einigungsgebühr - wie vom Kostenbeamten zutreffend festgestellt - im Ausgangsverfahren nicht angefallen.
Zwar sei die Begründung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, der Vergleich sei nicht kausal unter Mitwirkung des beteiligten
Rechtsanwaltes geschlossen worden, im Ergebnis nicht als durchgreifend zu bezeichnen. Jedoch habe sich der geschlossene Vergleich
im Erörterungstermin vom 15.01.2007 bereits auf eine Einigung der Beteiligten in der Hauptsache bezogen, nicht jedoch auf
eine Einigung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Dieser Vergleichsschluss sei vom Umfang der Beiordnung des Beschwerdegegners
im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht gedeckt, selbst wenn im Wortlaut des Vergleiches ein wechselseitiges
Nachgeben hinsichtlich der vom Antragsteller begehrten Unterkunftskosten zu erkennen sei. Allerdings beziehe sich der geschlossene
Vergleich nicht auf eine zeitlich begrenzte Regelung - wie im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz begehrt -, sondern
auf eine Dauerregelung, die nicht Gegenstand des Eilverfahrens gewesen sei. Im Ausgangsverfahren sei somit ein Vergleich außerhalb
des Gegenstandes des Eilverfahrens geschlossen worden, indem die Beteiligten die Hauptsache selbst geregelt hätten. Dadurch
habe der Vergleich nicht das Eilverfahren, sondern das Hauptsacheverfahren erledigt. Der Bewilligungsentscheidung über Prozesskostenhilfe
sei aber nicht zu entnehmen, dass sie für einen solchen "Mehrvergleich" wirken und eine Vergütungsverpflichtung der Staatskasse
begründen sollte. Aus der Aktenlage sei zudem zu schließen, dass das Widerspruchsverfahren im Zeitpunkt des Erörterungstermins
am 15. Januar 2007 noch anhängig gewesen sei. Die Beendigung des Eilverfahrens sei demnach nicht durch Vergleich, sondern
auf sonstige Art und Weise erfolgt, weil die Einigung in der Hauptsache keinen Raum mehr für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung als vorläufige Regelung ab dem Zeitpunkt des einstweiligen Rechtsschutzantrages gelassen habe. Daher sei ein Grund
für die Festsetzung einer Einigungsgebühr im Sinne der Nr. 1006 des Vergütungsverzeichnisses nach dem Rechtsanwaltvergütungsgesetz
(VV-RVG) zu Recht vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgelehnt worden. Schließlich sei eine Einigungsgebühr auch nicht deswegen
entstanden, weil der Antragsgegner zusätzlich zu den bereits bewilligten Kosten der Unterkunft von 188,07 EUR weitere 163,80
EUR bewilligt habe. Denn der Antragsgegner habe mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2006 Kosten der Unterkunft und Heizung
von 364,07 EUR (richtig: 351,87 EUR) ab dem 01.10.2006 bewilligt. Hiernach stelle sich der im Erörterungstermin am 15.01.2007
geschlossene Vergleich über die Kosten der Unterkunft und Heizung von insgesamt 359,40 EUR monatlich sogar als Anspruchsverzicht
des Antragstellers dar. Dies nehme der Erklärung der Beteiligten den Charakter eines gegenseitigen Nachgebens im gerichtlichen
Eilverfahren, was für einen Vergleich erforderlich wäre. Hätte sich hingegen und im Gegensatz zu dieser Sachlage als Ergebnis
des Termins im Eilverfahren tatsächlich eine insgesamt höhere Leistung für Kosten der Unterkunft und Heizung gegenüber dem
Leistungsstand nach dem Widerspruchsbescheid ergeben, so läge ein gegenseitiges Nachgeben der Antragsbeteiligten vor, sodass
eine Mitwirkung des Beschwerdegegners an der Einigung nicht zu bestreiten wäre. Nur in einem solchen Falle wäre vom Entstehen
einer Einigungsgebühr auszugehen. Aber auch dann stelle sich die Frage des Umfanges der Eintrittspflicht der Staatskasse für
die Anwaltsvergütung, die vom Umfang der Beiordnung abhänge. Die Vergütung aus der Prozesskostenhilfe sei hiernach mit der
Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG, der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG sowie der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV-RVG und der nach Nr. 7008 VV-RVG zu erstattenden Umsatzsteuer auf insgesamt 360,80 EUR festzusetzen; wegen des Verböserungsverbotes sei jedoch weiterhin der
vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle im Festsetzungsverfahren festgesetzte Betrag in Höhe von 416,50 EUR festzusetzen.
Der Beschwerdeführer beantragt (sinngemäß),
die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung des beigeordneten Rechtsanwaltes für die Tätigkeit im Rechtsstreit S 5 AS 230/06 ER unter Änderung des Feststellungsbeschlusses des Sozialgerichts Marburg vom 11.12.2008 und des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses
des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 24.05.2007 auf insgesamt 416,50 EUR festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er stellt klar, der Antragsteller habe im Ausgangsverfahren gegen den strittigen Bescheid selbst Widerspruch eingelegt; erst
mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei er als Rechtsanwalt des Antragstellers in den Streit eingetreten.
Auch sei das Widerspruchsverfahren zum Zeitpunkt der Einigung mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2006 bereits beendet gewesen,
ohne dass bereits Klage in der Hauptsache erhoben gewesen sei. Zum Zeitpunkt des Erörterungstermin am 15.01.2007 bei dem Sozialgericht
Marburg sei daher zum einen das Widerspruchsverfahren beendet gewesen, zum anderen jedoch das Verfahren über die einstweiligen
Anordnungen noch anhängig gewesen. Die Entscheidung über eine Klageerhebung habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgestanden.
Das Gericht habe angedeutet, auch in einem evtl. Hauptsacheverfahren zugunsten des Antragstellers zu entscheiden. Prozessökonomisch
sei es unsinnig gewesen, zunächst über die einstweilige Anordnung zu entscheiden und dann eine gleichlautende Entscheidung
in einem Hauptsacheverfahren anzustreben, sodass sich die Beteiligten auf den aktenkundigen Vergleich geeinigt hätten. Dies
sei vor dem Hintergrund geschehen, dass zwar der Widerspruchsbescheid eine Verbesserung für den Antragsteller enthalten habe,
ihn aber nicht vollkommen zu befriedigen vermochte. Von einem sogenannten Mehrvergleich könne vorliegend nicht die Rede sein.
Der Streitgegenstand im Eilverfahren und in einem möglichen Hauptsacheverfahren sei identisch. Mit dem geschlossenen Vergleich
sei auch ein Verzicht des Antragstellers auf weitere Rechtsmittel gegen den Widerspruchsbescheid einhergegangen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Gerichtsakte zum Rechtsstreit S 5 AS 230/06 ER vor dem Sozialgericht Marburg samt Kostenheft sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II. Der Senat hat die Beschwerde durch seine Berufsrichter entschieden, nachdem der Berichterstatter das Verfahren dem Senat
wegen grundsätzlicher Bedeutung nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) übertragen hat.
Gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 und 3 RVG ist die Beschwerde zulässig; sie ist insbesondere statthaft, da die Festsetzung einen Beschwerdewert von 200,00 EUR übersteigt
(§ 33 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG). Sie ist im Übrigen innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 33 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 56 Abs. 2 RVG erhoben.
Die Beschwerde ist jedoch nur zum Teil begründet. Die Vergütung des Beschwerdegegners ist auf insgesamt 531,54 EUR festzusetzen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse
zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Es handelt sich bei dem Ausgangsverfahren um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit kostenprivilegierten Beteiligten
im Sinne von §
183 Satz 1
SGG, sodass die Anwendung des Gerichtskostengesetzes (§
197a Abs.
1 Satz 1
SGG) ausscheidet und sich die Höhe der Vergütung somit nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmt (VV-RVG). Nach § 45 Abs. 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt seine gesetzliche Vergütung, die er sonst vom Mandanten
verlangen könne, aus der Staatskasse, soweit im 8. Abschnitt des RVG (§§ 44 bis 59) nichts anderes bestimmt ist. Er kann dabei nach § 48 Abs. 1 RVG sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab dem Wirksamwerden seiner Beiordnung ergeben.
Die von ihm danach aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird auf Antrag des Rechtsanwaltes grundsätzlich vom Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle des Gerichtes des ersten Rechtszuges festgesetzt (§ 55 Abs. 1 Satz 1 RVG) mit der gesetzlichen Ausnahme des § 55 Abs. 2 RVG. Gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren eine Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, des Umfangs
und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse
des Auftraggebers nach billigen Ermessen.
Die vom Beschwerdegegner in seinem Antrag auf Festsetzung der Gebühren vom 31.01.2007 berechneten Gebühren von brutto 785,40
EUR sind jedoch unbillig im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG.
Im Ausgangsverfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor dem Sozialgericht Marburg (S 5 AS 230/06 ER), das im Erörterungstermin vom 15.01.2007 durch gerichtlich geschlossenen Vergleich endete, sind die Gebührenstatbestände
einer Verfahrensgebühr nach Ziffer 3102 VV-RVG, einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG sowie einer Erledigungs- bzw. Einigungsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten nach Ziffer 1006 VV-RVG während eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens entstanden.
An der Entstehung der Verfahrensgebühr nach Ziffer 3102 VV-RVG und der Terminsgebühr nach Ziffer 3106 VV-RVG besteht vorliegend kein Zweifel, sie sind nicht im Streit. Zutreffend ist die Auffassung des Sozialgerichtes, wonach auch
eine Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr nach Ziffer 1006 entstanden ist. Eine Einigung ist im Ausgangsverfahren für eine Teilleistung
erzielt worden. Denn zusätzlich zu den bereits von dem Antragsgegner im Ausgangsverfahren mit Bescheid vom 18.10.2006 bewilligten
Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II in Höhe von 188,07 EUR monatlich sind mit Widerspruchsbescheid des Antragsgegners
vom 27.12.2006 weitere 163,60 EUR dem Antragsteller bewilligt worden, mithin eine Gesamtsumme von monatlich 351,67 EUR. Entgegen
der Einschätzung des Beschwerdeführers, dem ein Rechenfehler unterlaufen ist, haben sich die Beteiligten somit im Erörterungstermin
vom 15.01.2007 bei gegenseitigem Nachgeben auf einen gerichtlichen Vergleich geeinigt, indem der Antragsgegner nicht mehr
die ursprünglich verlangten 435,00 EUR monatlich an Kosten der Unterkunft und Heizung verlangte und die Antragsgegnerin nicht
auf den bereits bewilligten 351,67 EUR (188,07 EUR zzgl. 163,60 EUR) monatlich beharrte, sondern sich die Beteiligten darauf
verständigten, dass dem Antragsteller seit dem 01.10.2006 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 359,40 EUR
bewilligt wurden, somit ein Betrag von 7,73 EUR monatlich mehr als im vorangegangenen Widerspruchsbescheid. Die Einschätzung
des Beschwerdeführers, der Vergleichstext lege einen Verzicht des Antragstellers auf seine Ansprüche nahe, beruht lediglich
auf einem Rechenfehler, soweit der Beschwerdeführer davon ausgeht, dass nach dem Widerspruchsbescheid des Antragstellers vom
27.12.2006 dem Antragsteller 364,07 EUR monatlich ab dem 01.10.2006 bewilligt worden seien. Ebenso wie das Sozialgericht im
Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.12.2008 hält es auch der Senat für evident, dass der Beschwerdegegner als beigeordneter
Rechtsanwalt an dem Vergleichsbeschluss der Gestalt beteiligt gewesen ist, dass ohne ihn der gerichtliche Vergleich nicht
geschlossen wäre. Entgegenstehende Anhaltspunkte sind jedenfalls nicht zu erkennen. Dies rechtfertigt das Entstehen der Einigungsgebühr
nach Ziffer 1006 VV-RVG dem Grunde nach, wobei im vorliegenden Falle die Ziffer 1005 VV-RVG nicht zum Zuge kommt, da ein gerichtliches Verfahren anhängig war.
Soweit der Beschwerdegegner zusammengefasst geltend macht, mit dem geschlossenen Vergleich vom 15.01.2007 sei ein sogenannter
"Mehrvergleich" geschlossen worden, weil nicht über den Streitgegenstand des Antragsverfahrens im einstweiligen Rechtsschutz,
sondern über rechtliche und tatsächliche Hauptsache entschieden worden sei, so führt dies zu keiner anderweitigen rechtlichen
Beurteilung. § 48 Abs. 1 RVG ordnet an, dass sich der Vergütungsanspruch des Rechtsanwaltes nach den Beschlüssen bestimmt, durch die die Prozesskostenhilfe
bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Die Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr nach den Ziffern
1005, 1006 VV-RVG ergibt sich ihrerseits aus der Erledigung des Rechtsstreites aufgrund einer Einigung der Beteiligten. Die Einigung und die
mit ihr einhergehende Erledigung des Rechtsstreites richten sich wiederum nach dem Streitgegenstand. Im vorliegenden Verfahren
ist - wie vom Beschwerdeführer zutreffend ausgeführt - die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zwar alleine für das Verfahren
im einstweiligen Rechtsschutz nach § 85b Abs. 2
SGG bewilligt worden, ein anderes Verfahren war auch gar nicht anhängig. Streitgegenstand bei einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung ist grundsätzlich eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache, wie sie auch hier beantragt war.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Beteiligten sich nicht in einem Antragsverfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
auch innerhalb ihrer Verfügungsgewalt über weitergehende Ansprüche, insbesondere in einem anhängigen bzw. möglicherweise noch
später anhängig zu machenden Hauptsacheverfahren, einigen könnten. Einigen sich die Beteiligten - wie im vorliegenden Verfahren
- bereits im einstweiligen Rechtsschutz auch auf eine Erledigung der Hauptsache, ist für die Annahme eine sogenannten "Mehrvergleiches"
kein Raum. Ein Mehrvergleich bedeutet, dass die Beteiligten über den eigentlichen Streitgegenstand des Verfahrens hinaus weitere
Regelungen treffen und sich diese hinausgehenden Regelungen bei der Gebührenhöhe niederschlagen. Ein solcher Mehrvergleich
ist den Vorschriften über Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG fremd, da Streitwerte ohne Belang sind. Dementsprechend sieht das Vergütungsverzeichnis zum RVG, soweit Betragsrahmengebühren geregelt sind, eine besondere Berücksichtigung von sogenannten Mehrvergleichen nicht vor. Die
Einbeziehung von weiteren Streitgegenständen ist in Betragsrahmengebührenverfahren nach § 3 RVG auch ohne Bedeutung. Entscheidend ist jeweils die prozessuale Beendigung des betroffenen Rechtsstreites allein. Die Erledigung
von weiteren, über den eigentlichen Prozessstoff hinausreichenden Streitgegenständen, die ggfs. in anderen Verfahren anhängig
sind, ist für die Entstehung einer Einigungsgebühr ohne Bedeutung, sofern der eigentliche Streitgegenstand vollständig geregelt
und erledigt wird. Die Einigungsgebühr entsteht in demjenigen Verfahren, in dem der Vergleich geschlossen wird. Dadurch entfällt
im jeweils anderen Verfahren wegen Fortfalls des Rechtsschutzinteresses der bisherige Streitgegenstand. Ist nur ein Verfahren
anhängig, entsteht naturgemäß nur in ihm die Einigungsgebühr.
Im vorliegenden Falle, bei dem das Antragsverfahren aufgrund einer Regelung in der Hauptsache erledigt worden ist, führt dies
zu dem Ergebnis, dass eine Einigungsgebühr im Sinne von Ziffer 1006 VV-RVG sehr wohl entstanden ist; denn der anhängige Rechtsstreit auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist durch den Vergleich
vom 15.01.2007 beendet worden. Die Beteiligten haben sich, indem sie sich in der Hauptsache über die endgültige Höhe der Wohnkosten
einigten, auch über den geringer gefassten Streitgegenstand des Antragsverfahrens (mit-)geeinigt. Indem die Beteiligten sich
im Antragsverfahren - im Übrigen prozessökonomisch - auf eine Regelung der Hauptsache selbst geeinigt haben, entfiel mit Vergleichsschluss
der Anordnungsanspruch im Rahmen von §
86b Abs.
2 SGG, sodass mit dem Mitwirken an dem Vergleichsschluss zwingend auch eine Einigung im einstweiligen Anordnungsverfahren erzielt
wurde.
Zutreffend ist vom Beschwerdegegner jedoch gerügt worden, das Sozialgericht habe in seiner Entscheidung die Rechtsprechung
des Senates zum Ansatz einer lediglich gebotenen 2/3-Gebühr im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens unterlassen.
Die Festsetzung eines 2/3-Betrages der Rahmengebühren im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz ist vom Senat bereits mit
Beschluss vom 25. Mai 2009 (Az.: L 2 SF 50/09 E, juris) entschieden. Die Wertigkeit der Betragsrahmengebühr ist in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im
Verhältnis zu entsprechend gleichartigen Streitgegenständen der Hauptsacheverfahren in der Regel geringer. Ausgangswert für
Antragsverfahren im einstweiligen Rechtsschutz ist generell nicht die Mittelgebühr, sondern eine auf 2/3 reduzierte Mittelgebühr.
An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Sie betrifft sämtliche im vorliegenden Ausgangsverfahren angefallene Gebühren
wie die Verfahrens-, die Termins- und die Einigungsgebühr. Es lassen sich auch keine tatsächlichen oder rechtlichen Anhaltspunkte
dafür ableiten, dass es sich bei dem Ausgangsverfahren um ein überdurchschnittlich schwieriges Verfahren gehandelt hätte.
Bereits ausgehend vom Streitgegenstand (Höhe der Kosten der Unterkunft und Heizung) handelte es sich um ein durchschnittliches
Verfahren, da derartige Streitgegenstände im SGB II regelmäßig auftreten. Eine besonders schwierige Angelegenheit lässt sich
angesichts des Sachverhaltes und der Aktenlage sowie aufgrund der Erörterungen im Termin am 15.01.2007 nicht erkennen. Eine
Erhöhung der Mittelgebühr ist somit nicht geboten.
Damit ergibt sich folgende Festsetzung der Gebührenhöhe für das Ausgangsverfahren:
Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG (Mittelgebühr)
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250,00 EUR
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Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG (Mittelgebühr)
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200,00 EUR
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Einigungsgebühr Nr. 1006 VV-RVG (Mittelgebühr)
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190,00 EUR
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Zwischensumme 640,00 EUR x 2/3 =
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426,67 EUR
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Entgeltpauschale Nr. 1006 VV-RVG
|
20,00 EUR
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Zwischensumme
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446,67 EUR
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Umsatzsteuer 19 % Nr. 7008 VV-RVG
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84,87 EUR
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Gesamtsumme
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531,54 EUR
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Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 RVG).
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).