Gründe
I.
Streitgegenstand ist die vorläufige Gewährung von Regelbedarfsleistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes.
Die am 00.00.1976 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige und lebt aktuell in einer Notunterkunft der Diakonie.
Sie ist u.a. alkoholkrank und steht seit Juli 2021 unter gesetzlicher Betreuung. Von Mitte Juni bis zum 08.07.2021 befand
sich die Antragstellerin in stationärer Behandlung.
Die Antragstellerin war nach ihrer erstmaligen Einreise in die Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden: Deutschland) im Jahr
1997 bis zum 23.04.2013 mit kleineren Unterbrechungen in Düsseldorf gemeldet. Ausweislich einer Meldebescheinigung erfolgte
im Jahr 2013 eine Abmeldung ins Ausland und zum Dezember 2018 ein Zuzug aus Polen. Eine von der Ausländerbehörde der Stadt
Düsseldorf im Januar 2020 ausgestellte Aufenthaltsbescheinigung weist aus, dass bei ununterbrochener Meldung in Düsseldorf
seit Dezember 2018 noch kein Daueraufenthaltsrecht bestehe.
Am 16.02.2021 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach
dem SGB II, den der Antragsgegner mit dem Verweis auf die fehlende Feststellung eines Daueraufenthaltsrechtes durch die Ausländerbehörde
ablehnte. Insbesondere scheide eine Leistungsgewährung aufgrund der Rückausnahme des § 7 Abs. 1 S. 4, 5 SGB II aus (Bescheid vom 14.04.2021; Widerspruchsbescheid vom 09.07.2021). Hiergegen hat die Antragstellerin eine beim Sozialgericht
(SG) Düsseldorf rechtshängige Klage erhoben.
Einen weiteren Leistungsantrag der Antragstellerin vom 01.07.2021 suchte der Antragsgegner mit Bescheid vom 06.07.2021 abzulehnen.
Die Antragstellerin bestreitet den Zugang.
Am 05.08.2021 hat die Antragstellerin beim SG Düsseldorf einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und
verschiedene Unterlagen vorgelegt, um ihren Vortrag glaubhaft zu machen, sie lebe seit 1997 ununterbrochen in Deutschland.
Die Abmeldung beim Einwohnermeldeamt nach Polen sei fälschlicherweise erfolgt, möglicherweise aufgrund von sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten.
Tatsächlich habe sich die Antragstellerin im Jahr 2013 lediglich aufgrund eines Umzuges innerhalb des Stadtgebietes Düsseldorf
ummelden wollen. Eine entsprechende Ummeldung sei Auslöser für die Erfassung einer Rückkehr aus Polen zum Dezember 2018 gewesen.
Ihren Lebensunterhalt habe sie bis in das Jahr 2020 mit Hilfe ihrer jeweiligen Lebensgefährten sichergestellt. Sie habe keinerlei
Vermögen oder Einkommen und verfüge über keinen Krankenversicherungsschutz, obwohl sie dringend ärztlicher Behandlung bedürfe.
Die Antragstellerin hat beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, ihr ab Eingang des Antrages bei Gericht vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem SGB II i.H.v. 446 € monatlich zu gewähren.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, er sei an die Feststellung der Ausländerbehörde, dass kein Daueraufenthaltsrecht
bestehe, gebunden. Ohnehin spreche gegen einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland der Umstand einer fehlenden Bankverbindung
der Antragstellerin.
Der Antragsgegner hat beabsichtigt, einen Versagungsbescheid vom 14.09.2021 zu erlassen, dessen Zugang die Antragstellerin
bestreitet. Deren erneuter Leistungsantrag vom 17.09.2021 ist noch nicht beschieden.
Mit Beschluss vom 18.10.2021 hat das SG den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen für den Regelbedarf nach Maßgabe der gesetzlichen
Bestimmungen für die Zeit ab dem 05.08.2021, längstens bis zum 31.01.2022, zu erbringen.
Da der Zugang des Ablehnungsbescheides vom 06.07.2021 nicht geklärt werden könne, sei eine erneute Vorbefassung des Antragsgegners
für das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses nicht erforderlich. Im Rahmen einer Folgenabwägung sei der Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung begründet. Die Antragstellerin sei hiernach nicht gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, sondern habe die Voraussetzungen der Rückausnahme nach § 7 Abs. 1 S. 4, 5 SGB II hinreichend glaubhaft gemacht. Dass der gewöhnliche Aufenthalt im Bundesgebiet von mindestens fünf Jahren nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II eine durchgehende Meldung erfordere, habe im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden. Unter näherer Auswertung der von
der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen sei vorläufig von einem seit über fünf Jahre bestehenden gewöhnlichen Aufenthalt
der Antragstellerin auszugehen. Die endgültige Klärung müsse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Gegen den ihm am 28.10.2021 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 03.11.2021 Beschwerde eingelegt.
Der Ablehnungsbescheid vom 06.07.2021 sei bestandskräftig. Er sei am 27.07.2021 an die Postadresse der Antragstellerin bei
der Caritas versandt worden, ohne dass ein Postrückläufer zu verzeichnen sei. Wenige Tage zuvor, am 23.07.2021, habe die Caritas
mitgeteilt, die Antragstellerin sei über diese Adresse erreichbar. Entsprechendes gelte für den Versagungsbescheid vom 14.09.2021.
Ohnedies bestehe kein Anordnungsanspruch, weil keine mindestens seit fünf Jahren bestehende Meldung gegeben sei. Der zuzustimmenden
Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 31.05.2021, L 5 AS 457/21 B ER) zufolge sei Voraussetzung der Rückausnahme des § 7 Abs. 1 S. 4, 5 SGB II nicht nur eine einmalige Anmeldung bei der Meldebehörde, sondern eine durchgehende Meldung. Selbst auf Grundlage einer gegenteiligen
Auffassung hindere der melderechtliche Wegzug der Antragstellerin im Jahr 2013 ins Ausland als zeitliche Zäsur den Eintritt
der Rückausnahme. Es sei nicht davon auszugehen, dass es sich bei den Eintragungen ins Melderegister um ein Versehen der Ausländerbehörde
gehandelt habe. Melde- und Aufenthaltsbescheinigung kämen konstitutive Wirkung zu. Außerdem stimmten die gemeldeten Adressen
nicht mit den von der Antragstellerin angegebenen Wohnanschriften überein. Zuletzt seien Hilfebedürftigkeit und die Erwerbsfähigkeit
der Antragstellerin anzuzweifeln, die Voraussetzungen für den Bezug steuerfinanzierter Transferleistungen nach dem SGB II seien.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des SG Düsseldorf vom 18.10.2021 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen sowie
ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwaltes H aus Düsseldorf zu bewilligen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Der Senat hat den Antrag des Antragsgegners, die Vollstreckung aus dem Beschluss des SG auszusetzen, mit Beschluss vom 24.11.2021 abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten
Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des SG Düsseldorf vom 18.10.2021 hat keinen Erfolg.
Das SG hat dem Antragsgegner aufgegeben, der Antragstellerin für die Zeit ab dem 05.08.2021 bis zum Abschluss der Hauptsache, längstens
bis zum 31.01.2022, Regelbedarfsleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zu gewähren. Der hiernach zu leistende Regelbedarf nach Regelbedarfsstufe 1 von 446 €(§ 8 Nr. 1 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ab dem Jahr 2021 <RBEG vom 09.12.2020>) übersteigt bereits nach zwei Monaten den maßgeblichen Beschwerdewert (§§
172 Abs.
3 Nr.
1,
144 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGG). Der Antragsgegner hat die Beschwerde auch fristgerecht eingelegt (§
173 S. 1
SGG).
B. Die Beschwerde ist aber unbegründet. Das SG hat dem Antragsgegner zu Recht einstweilen auferlegt, der Antragstellerin für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum Leistungen
der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe des maßgeblichen Regelbedarfs zu gewähren.
1. Gemäß §
86b Abs.
2 S. 2
SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint
(Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen
Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung
aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund
sind glaubhaft zu machen, §
86b Abs.
2 S. 4
SGG i.V.m. §§
920 Abs.
2,
294 Zivilprozessordnung (
ZPO). Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des
Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit
unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit
spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung: BSG Urteil vom 17.04.2013,B 9 V 1/12 R und Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, jeweils juris).
Die mit einer einstweiligen Anordnung auf die Durchführung einer Maßnahme in der Regel zugleich verbundene Vorwegnahme der
Entscheidung in der Hauptsache erfordert darüber hinaus erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs
und des Anordnungsgrundes, da der einstweilige Rechtsschutz trotz des berechtigten Interesses des Rechtsuchenden an unaufschiebbaren
gerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Vorverlagerung der Entscheidung in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
führen soll. Erforderlich ist mithin das Vorliegen einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine sofortige Entscheidung
unumgänglich macht. Eine solche besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist nur zu bejahen, wenn
dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung
seiner Rechte droht, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann,
es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG Beschluss vom 16.05.1995,
1 BvR 1087/91).
Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für Anfechtungs- und (wie hier) für Vornahmesachen dürfen grundsätzlich
sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden
(vgl. BVerfG Beschlüsse vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, SGb 2015, 175, m.w.N. und vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, BVerfGK 20, 196). Die summarische Prüfung kann sich insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Auflage 2020, §
86b Rn. 16c), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt. Hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden
und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach
Möglichkeit zu verhindern (BVerfG Beschluss vom 13.04.2010, 1 BvR 216/07, BVerfGE 126, 1 (27 f.), m.w.N.; vgl. zur Prüfungsdichte bei rechtlichen Fragen: BVerfG Beschluss vom 27.05.1998, 2 BvR 378/98, NVwZ-RR 1999, 217). Dabei ist eine weitergehende tatsächliche und rechtliche Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs
aus verfassungsrechtlichen Gründen dann erforderlich, wenn dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende
Verletzung seiner Grundrechte droht, die durch eine nachträgliche Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden
kann. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver
hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen
(vgl. BVerfG Beschluss vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, a.a.O.). Ist einem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand
einer Folgenabwägung zu entscheiden. In diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die
Abwägung einzustellen.
2. Nach diesen Maßgaben ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben. Die Antragstellerin hat sowohl
einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
a) Die Antragstellerin hat mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im streitigen Zeitraum ab 05.08.2021 einen Anspruch auf Leistungen
für den Regelbedarf nach § 20 Abs. 1, 2 S. 1 SGB II.
Das für die Grundsicherung für Arbeitsuchende maßgebliche SGB II bestimmt in§ 7 Abs. 1 SGB II die nach diesem Gesetz Leistungsberechtigten. Die Grundvoraussetzungen sind nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II neben der hier unproblematischen Einhaltung von Altersgrenzen (Nr. 1 i.V.m. § 7a SGB II) und dem gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet (Nr. 4) die Erwerbsfähigkeit (Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II) und Hilfebedürftigkeit (Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II).
aa) Soweit der Antragsgegner die in § 8 Abs. 1 SGB II näher definierte Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin aus gesundheitlichen Gründen anzweifelt, kann dies einem Anspruch nicht
entgegengehalten werden. Die Frage der Erwerbsfähigkeit ist für die Leistungsberechtigung im vorliegenden Kontext allein für
die Abgrenzung zu Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) bedeutsam (vgl. § 21 S. 1 SGB XII). Im Falle des Zweifels ist die Erwerbsfähigkeit nach Maßgabe des in § 44a SGB II normierten Verfahrens festzustellen (Leopold in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 7 Rn. 66), das der Antragsgegner jedoch nicht eingeleitet hat. Bis zum Abschluss eines entsprechenden Verfahrens bleibt der
Antragsgegner als SGB II-Träger (§§ 6, 44b, 6d SGB II) für die Gewährung der existenzsichernden Leistungen zuständig. Die Nahtlosigkeitsregelung in § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II fingiert das gesundheitliche Leistungsvermögen des Arbeitslosen bis zur gegenteiligen Feststellung, um zu verhindern, dass
sich Unsicherheiten über die Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen zu Lasten des Hilfebedürftigen auswirken. Zur Verwirklichung
dieses Ziels tritt die Fiktion nicht nur bei einem bestehenden Streit zwischen den Leistungsträgern bis zu einer Entscheidung
über den Widerspruch (§ 44a Abs. 1 S. 1-6 SGB II), sondern schon im Vorfeld ein (BSG Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 10/06 R, Rn. 19f., juris; Blüggel in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 44a Rn. 66f.; Brems in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 44a Rn. 11, 31, 52, 77).
bb) Nicht nachvollziehbar erscheint es, dass der Antragsgegner die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin in Zweifel zieht.
Nach dem gesamten Akteninhalt deutet nichts darauf hin, dass die eidesstattlich versicherten Angaben der zwischenzeitlich
wohnungslosen und ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz dastehenden Antragstellerin, sie sei zurzeit völlig mittellos,
habe kein Einkommen und kein nennenswertes Vermögen, nicht den Tatsachen entsprechen könnte. Der Antragsgegner verkennt in
der Auffassung, in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gelte im Wege eines Erst-Recht-Schlusses der Maßstab des Vollbeweises
nicht nur den Maßstab der Glaubhaftmachung. Sein Argwohn, die Hilfebedürftigkeit betreffend, beruht letztlich allein auf der
Annahme, es sei schlichtweg unmöglich, dass die Antragstellerin seit mindestens einem Jahr ohne die ihr verwehrten Leistungen
und ohne nennenswerte eigene Mittel ihren Lebensunterhalt bestritten habe. Existenzsichernde Leistungen können aber weder
aufgrund bloßer Mutmaßungen verweigert werden (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 28, juris), noch aufgrund des Umstandes, dass der Hilfesuchende auch ohne die ihm verweigerten Leistungen überlebt hat
(vgl. BSG Urteil vom 06.10.2011, B 14 AS 66/11 R, Rn. 18, juris; Hessisches LSG Beschluss vom 26.10.2005, L 7 AS 65/05 ER, Rn. 25, juris).
cc) Die Antragstellerin ist auch nicht als polnische Staatsangehörige gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, der Ausländerinnen und Ausländer von einem Anspruch ausnimmt, die entweder über kein Aufenthaltsrecht
verfügen (lit a) oder deren Aufenthaltsrecht sich allein zum Zweck der Arbeitsuche ergibt (lit. b).
Dabei kann dahinstehen, ob die Antragstellerin über ein dem Leistungsausschluss entgegenstehendes Daueraufenthaltsrecht nach
§ 4a Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) verfügt, das einen seit 5 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestehenden Aufenthalt voraussetzt.
Denn die Antragstellerin hat die Voraussetzungen der Rückausnahme vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II glaubhaft gemacht. Nach dem mit dem Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (BGBl 2016 Teil I Nr. 65, S 3155) zum 29.12.2016 eingeführten § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II, der entgegen der Vermengung in der Argumentation des Antragsgegners keine Abbildung des Daueraufenthaltsrechtes einleitet
(Becker in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 7 Rn. 53f.; Siefert in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage 2020, § 23 Rn. 111), erhalten abweichend von S. 2 Nr. 2 Ausländerinnen und Ausländer Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechtes
nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde. Die Frist beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde (S. 5). Zeiten des nicht rechtmäßigen
Aufenthaltes, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet (S.
6). Die Antragstellerin betreffend ist jedoch weder der Verlust des Rechtes nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt, noch sind seit ihrer (erstmaligen) Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde in Düsseldorf am 12.02.1997 Zeiten
einer Ausreisepflicht in Abzug zu bringen. Denn eine Ausreisepflicht i. S. d. § 7 Abs. 1 S. 6 SGB II besteht nur nach Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts (§ 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU). Bis dahin gilt die sog. "Freizügigkeitsvermutung". Nicht anzurechnen, d.h. aus dem Fünf-Jahres-Zeitraum herauszurechnen,
ist damit lediglich die weitere Aufenthaltszeit nach der Verlustfeststellung (Leopold in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 7 Rn. 166; Becker in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 7 Rn. 53).
(1) Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt seit ihrer erstmaligen Meldung in Deutschland
im Jahr 1997 durchgehend im Bundesgebiet gehabt hat, insbesondere auch in der Zeit, in der das Einwohnermeldeamt sie als nach
Polen verzogen registriert hat (23.04.2013 bis 30.11.2018).
Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand nach der gesetzlichen Definition in §
30 Abs.
3 S. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (
SGB I) dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend
verweilt. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen
im streitigen Zeitraum zu beurteilen. Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft
im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen
ist. Kurze Unterbrechungen, die die Zukunftsoffenheit des Aufenthalts in Deutschland nicht infrage stellen, etwa kurze Heimatbesuche,
hindern die Annahme des gewöhnlichen Aufenthalts nicht, wohl aber wesentliche Unterbrechungen (BSG Urteil vom 10.12.2013, B 13 R 9/13 R, Rn. 28ff., juris; Spellbrink in KassKomm,
SGB I, §
30 Rn. 15ff. m.w.N.; vgl. BT-Drs. 18/10211, S. 14;).
Daran gemessen ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dargetan, dass die Antragstellerin seit ihrer Meldung im Jahr 1997
nie einen anderen gewöhnlichen Aufenthalt als in Deutschland, im Raum Düsseldorf, gehabt hat. Die Antragstellerin hat eine
Erklärung ihrer im Februar 2000 in Deutschland geborenen und in der Hauptsache als Zeugin angebotenen und zu hörenden Tochter
vom 07.07.2021 vorgelegt, die dargelegt hat, zu der Antragstellerin regelmäßig Kontakt gehabt zu haben und damit bestätigen
zu können, dass ihre Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt Zeit ihres, des Lebens der Tochter, bis heute in Deutschland gehabt
habe. Dies werde sie in einem Gerichtsverfahren als Zeugin bestätigen. Ihre Darstellung hat die Tochter der Antragstellerin
unter dem 05.08.2021 eidesstattlich versichert und damit die eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin vom selben Tage
gestützt, die erklärt, seit 1997 ununterbrochen in Düsseldorf gewohnt und hier ihren ständigen Aufenthalt gehabt zu haben.
Der Auszug aus dem Melderegister vom 30.09.2021 stützt den Vortrag der Antragstellerin immerhin durch neun Meldungen für Anschriften
im Stadtgebiet Düsseldorf bzw. in der Nachbargemeinde Meerbusch seit dem 12.02.1997. Verschiedene Meldelücken sind mit einer
nachlässigen Erfüllung der Meldepflicht gerade vor dem Hintergrund der erkennbaren Beeinträchtigung lebenspraktischer Fertigkeiten
und der Sozialisation der Antragstellerin plausibel erklärbar. Auch die Möglichkeit, dass eine Abmeldung zum 24.04.2013 nach
Polen aufgrund eines Versehens oder Missverständnisses erfasst wurde, erscheint vor dem Hintergrund der dargelegten Mittel
der Glaubhaftmachung nicht abwegig und relativiert das indizielle Gewicht des Melderegistereintrages empfindlich. Der Eintrag
eines Zuzugs aus Polen bei erneuter Erfassung zum 01.12.2018 kann sich als Konsequenz des vorangegangenen Fehlers darstellen.
Entgegen der Annahme des Antragsgegners ist der Eintrag des Zuzuges aus Polen damit nicht ohne weiteres mit einer entsprechenden
Angabe der Antragstellerin gegenüber der Meldebehörde gleichzusetzen. Flankiert wird der Vortrag der Antragstellerin durch
die Vorlage eines Mietvertrages für eine Wohnung in Düsseldorf vom 18.07.2014 und einer SCHUFA - Auskunft, aus der sich eine
Anschriftenmeldung der B GmbH für die Anschrift N-Straße 6 in Düsseldorf im Januar 2016 ergibt. Auch diese Unterlagen sprechen
dafür, dass die erfassten Meldedaten für die Zeit nach dem 23.04.2013 nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen.
Die Antragstellerin hat in Kongruenz mit Angaben im Verwaltungsverfahren weiter vorgetragen, in der Zeit von November 2015
bis November 2018 mit einem Herrn H1 in einer Wohngemeinschaft in der N-Straße 6 in Düsseldorf gelebt zu haben. Vermieter
sei ein Herr V T aus Düsseldorf gewesen. Sie habe diese Wohnung nach einer Räumungsklage des Vermieters verlassen müssen.
Der darauf folgende Umzug zu ihrem Lebensgefährten (Herrn I) in die G-Straße 10, Düsseldorf, sei Anlass für die Meldung beim
Einwohnermeldeamt für die Zeit ab Dezember 2018 gewesen. Ihren so substantiierten Vortrag hat die Antragstellerin immerhin
durch bereits im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 23.04.2021 vorgelegte Unterlagen glaubhaft machen können. Sie
hat eine Wohnungsgeberbestätigung des Herrn T vom 16.11.2018 vorgelegt, der einen Einzug in die von ihm vermietete Wohnung
zum 01.11.2015 bestätigte. Zusätzlich ist die E-Mail eines Rechtsanwaltes (ohne erkennbares Datum) vorgelegt worden, der im
Rahmen eines Räumungsklageverfahrens in der Sache "T ./. L & H1" die Ausübung des Vermieterpfandrechtes ausgesprochen hat.
Der Inhalt der Mail lässt sich in sinnvollen zeitlichen Zusammenhang mit einer im Kontext eines Räumungsverfahrens stehenden
Rechnung desselben Rechtsanwaltes an die Antragstellerin vom 16.11.2018 bringen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor,
dass es sich hierbei um gefälschte Urkunden handelt. Sofern der Antragsgegner allgemein die Validität der seitens der Antragstellerin
vorgelegten Unterlagen bezweifelt, mögen in den Hauptsachen (insbesondere im durch den Antragsgegner zu bearbeitenden Verfahren
auf den Antrag vom 17.09.2021 hin) ergänzende Ermittlungen angestrengt werden. Die Anschrift des Herrn T ergibt sich aus der
Wohnungsgeberbestätigung, so dass neben einer Vernehmung als Zeuge im Klageverfahren auch eine schriftliche Bitte um Auskunft
in Betracht kommt.
Die streitigen Einzelheiten zu den seit Dezember 2018 bewohnten Wohnungen und den hierzu vorgelegten Mietverträgen sind im
Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ohne durchgreifende Bedeutung. Weder stehen Leistungen für Kosten der Unterkunft
und Heizung in Streit noch ergeben sich Anhaltspunkte, um an einem Fortbestehen eines gewöhnlichen Aufenthaltes der Antragstellerin
in Deutschland nach ihrer Wiedererfassung im Melderegister gewichtig zu zweifeln. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners
drängt sich trotz der erschwerten Nachvollziehbarkeit der Wohnverhältnisse weniger der Verdacht eines versuchten Leistungsbetruges
durch Scheinmietverträge auf, als sich vielmehr das Bild einer den Halt bis in die Obdachlosigkeit verlierenden Antragstellerin
abzeichnet. Hinsichtlich verbleibender Unklarheiten ist auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen, in dem sich insoweit insbesondere
die Vernehmung des Herrn Hofmann anbietet, der die Angaben der Antragstellerin schriftlich bestätigt hat.
Allein der Umstand, dass die Antragstellerin erst im Juni 2020, nach ihren nachvollziehbaren Angaben in Erwartung der Leistungsgewährung
des Antragsgegners, ein Konto bei der Stadtsparkasse Düsseldorf eröffnet hat, steht der Glaubhaftmachung eines mindestens
fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthaltes in Deutschland mitnichten entgegen.
(2) Soweit in Rechtsprechung und Literatur die seitens des Antragsgegners aufgegriffene Auffassung vertreten wird, § 7 Abs. 1 S. 4, 5 SGB II setze fortwährende (und überdies melderechtskonforme) Anmeldungen während der gesamten Dauer der Fünfjahresfrist voraus (so
LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 31.05.2021, L 5 AS 457/21 B ER, Rn. 7, juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 04.05.2020, L 31 AS 602/20 B ER, Rn. 5f., juris; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 04.05.2018, L 6 AS 59/18 B ER, Rn. 27, juris; Hessisches LSG Beschluss vom 16.10.2019, L 7 AS 343/19 B ER, Rn. 24, juris; Groth in BeckOK, SGB XII, 09/2021, § 23 Rn. 18e; Schlette in Hauck/Noftz SGB XII, 07/2021, § 23 Rn. 89d), folgt der Senat dem nicht (wie hier: LSG NRW Beschluss vom 18.08.2021, L 21 AS 1016/21 B ER, Rn. 8, juris; LSG NRW Beschluss vom 23.04.2018, L 7 AS 2162/17 B ER, Rn. 21, juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 21.10.2021, L 19 AS 929/21 B ER, Rn. R, juris; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 13.09.2021, L 2 AS 446/21 B ER, Rn. 37, juris; LSG Hamburg Beschluss vom 20.06.2019, L 4 AS 34/19 B ER, Rn. 5, juris; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 11.05.2020, L 18 AS 1812/19, Rn. 20, juris; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 09.12.2019, L 6 AS 152/19 B ER, Rn. 9, juris; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 03.07.2020, L 8 SO 73/20 B ER, Rn. 29, juris; Geiger, in Münder/Geiger,
SGB II, 7. Auflage 2021, § 7 Rn. 42; Becker in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 7 Rn. 55; noch weitergehender: Siefert in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage 2020, § 23 Rn. 111).
Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers. Der
Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung. Ausgangspunkt und
Grenze der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz
zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (BVerfG Urteil vom 19.03.2013,
2 BvR 2628/10 u.a., Rn. 66 f, juris). Der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers darf nicht übergangen oder verfälscht werden (BVerfG Beschluss
vom 06.08.2018, 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, Rn. 74 f., juris).
Die Auffassung, § 7 Abs. 1 S. 4, 5 SGB II setze für den Lauf der Fünfjahresfrist eine durchgehende Meldung voraus, überschreitet jedoch die systematisch akzentuierte
Wortlautgrenze und übersteigt gleichermaßen die Absichten des Gesetzgebers.
§ 7 Abs. 1 S. 5 SGB II regelt das Anmeldeerfordernis eindeutig allein im Zusammenhang mit dem Beginn des Laufes der Frist, während § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II im Kontrast dazu für den Fristablauf gerade nicht an das Anmeldeerfordernis, sondern allein an den gewöhnlichen Aufenthalt
im Bundesgebiet anknüpft (LSG NRW Beschluss vom 18.08.2021, L 21 AS 1016/21 B ER, Rn. 8, juris; eindeutig auch die Formulierung der Parallelvorschrift des § 23 Abs. 3 S. 7 SGB XII: "aufhalten"). Der in seinem Inhalt bereits dargelegte Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts i.S.d. §
30 Abs.
3 S. 2
SGB I setzt unbestritten jedoch gerade keine solche Meldung voraus (vgl. BSG Urteil vom 26.07.1979, 8b RKg 12/78, Rn. 17, juris; BSG Urteil vom 28.05.1997, 14/10 RKg 14/94, Rn. 13, juris; BSG Urteil vom 24.06.1998, B 14 KG 2/98 R, Rn. 14, juris; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 13.09.2021, L 2 AS 446/21 B ER, Rn. 37, juris; Sächsisches LSG Beschluss vom 31.01.2008, L 3 B 465/07 AS-ER, Rn. 25, juris; Pitz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB I, 3. Auflage 2018, §
30 Rn. 45; Mrozynski,
SGB I, 6. Auflage 2019, §
30 Rn. 23). Wäre beabsichtigt gewesen, kumulativ eine ununterbrochene Meldung zu fordern, hätte es des Satzes 5 nicht bedurft
und nahegelegen, im Rahmen des Satzes 4 das Erfordernis des mindestens fünf Jahre bestehenden gewöhnlichen Aufenthaltes im
Bundesgebiet mit dem Erfordernis einer durchgehenden Meldung bei der zuständigen Meldebehörde zu verbinden.
Unter systematischen Gesichtspunkten verdeutlicht insofern die Trennung des Anmeldeerfordernisses und des gewöhnlichen Aufenthaltes
in zwei Sätze deren unterschiedlichen zeitlichen Aspekt. Satz 4 quantifiziert die Leistungsvoraussetzung des gewöhnlichen
Aufenthaltes aus § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II, der ebenso kein Meldeerfordernis beinhaltet (vgl. Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, 06/2021, § 7 Rn. 110; Leopold in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 7 Rn. 77, 80). Außerdem hat der Gesetzgeber die Ausnahmen vom Lauf der Frist explizit geregelt, zu denen eine Unterbrechung
der Meldung nicht gehört. Nach § 7 Abs. 1 S. 6 SGB II werden Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts
nicht angerechnet (LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 11.05.2020, L 18 AS 1812/19, Rn. 20, juris).
Wortlaut und Systematik korrespondieren der Intention der Rückausnahme, einer durch den Zeitaspekt zum Ausdruck kommenden
Verbindung zu Deutschland Rechnung zu tragen, die mit der zwischenzeitlichen Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthaltes entfällt
und erst nach erneuter Anmeldung wieder zu erwerben ist (Geiger in Münder/Geiger, SGB II, 7. Auflage 2021, § 7 Rn. 41). Die Vorstellung eines längeren und damit verfestigten Aufenthaltes in Deutschland knüpft die Begründung des Gesetzesentwurfes
der Bundesregierung, der unverändert verabschiedet worden ist, an den Ablauf eines gewöhnlichen Aufenthalts von mindestens
fünf Jahren, nicht an eine durchgehende Meldung. So wird ausgeführt: Sei abzusehen, dass ausländische erwerbstätige Personen
ohne materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht dauerhaft oder jedenfalls für einen längeren Zeitraum in Deutschland
verblieben und damit eine Verfestigung des Aufenthaltes eintrete, solle für sie nach fünf Jahren das Leistungsrecht des SGB II und damit auch der Grundsatz des Förderns und Forderns uneingeschränkt gelten. Die verpflichtende Anmeldung bei der Meldebehörde
versteht der Gesetzgeber dabei als Startpunkt der Dokumentation der Verbindung zu Deutschland, während die Vorstellung des
Entfalls des Leistungsanspruches wiederum nicht an eine (wesentliche) Unterbrechung der Meldung, sondern des Aufenthaltes
knüpft. Bei einer solchen Unterbrechung beginne die Fünfjahresfrist neu zu laufen (BT-Drs. 18/10211, S. 14, ferner S. 16 zur
Parallelvorschrift des § 23 Abs. 3 S. 7-9 SGB XII; BR-Drs. 587/16, S. 9; a. A. Schleswig-Holsteinisches LSG Beschluss vom 04.05.2018, L 6 AS 59/18 B ER, Rn. 27, juris).
Dem kann entgegen der seitens des Antragsgegners zitierten Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 31.05.2021,
L 5 AS 457/21 B ER, Rn. 7, juris) wortlautbezogen nicht entgegengehalten werden, § 7 Abs. 1 S. 5 SGB II lasse sich nicht entnehmen, welche Anmeldung für den Beginn der Fünfjahresfrist maßgeblich sei, weil weder von einer erstmaligen
oder einer letztmaligen Anmeldung die Rede sei. Dies sei indes erforderlich, ginge man nicht vom Erfordernis einer durchgehenden
Meldung aus. Diese Argumentation stellt genau besehen keine Auslegung des Wortlautes dar, sondern eine Modulation des Gesetzestext
zur Unterbindung einer Auslegungsfrage, die das LSG Berlin-Brandenburg schließlich entsprechend dazu führt, den Wortlaut in
der Verschmelzung der Sätze 4-6 des § 7 Abs. 1 SGB II neu zu fassen, als stünde dort "wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen und rechtmäßigen (...) Aufenthalt
haben, gerechnet ab dem Zeitpunkt, ab dem sie im Bundesgebiet durchgehend ordnungsgemäß gemeldet sind (a.a.O. Rn. 7 a.E.).
Es ist indes nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber zu einer entsprechenden Formulierung nicht in der Lage gewesen
wäre, hätte er ein durchgehendes Meldeerfordernis aufstellen wollen. Die verdrängte Auslegungsfrage lässt sich ohnehin wiederum
bereits unter Betrachtung des Wortlautes beantworten. Da § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II im Präsens formuliert ist, wird ohne weiteres erkennbar, dass der gewöhnliche Aufenthalt im Bundesgebiet nach der letzten
Anmeldung (nicht Ummeldung) bei der zuständigen Meldebehörde entscheidend ist. Auch insoweit bringt der Wortlaut die dargelegte
Intention zum Ausdruck.
Die Annahme, Sinn und Zweck des Meldeerfordernisses geböten eine durchgehende polizeiliche Meldung, weil nur so überprüfbar
sei, ob tatsächlich ein gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet vorliege (LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 04.05.2020,
L 31 AS 602/20 B ER, Rn. 5, juris), entspringt nicht eigentlich der aus Wortlaut und Gesetzesmaterialen zu entnehmenden Zielsetzung, sondern
trägt den typisierenden Erfahrungssatz an den Normbefehl heran, dass, wer an einem Ort gemeldet ist, dort auch seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat. Durch die Implementierung einer solchen Beweisregel wird die individuelle Tatsachenkenntnis zur schematischen
Tatsachenbestimmung und werden die Rechtsfolgevoraussetzungen wiederum selbst festgelegt. Der Gesetzgeber geht demgegenüber
ausdrücklich davon aus, dass sich der mindestens fünfjährige Aufenthalt durch freie Beweismittel und geeignete Nachweise belegen
lässt (BT-Drs. 18/10211, S. 15; BR-Drs. 587/16, S. 9).
Soweit die gegenteilige Ansicht weiter anführt, das Gleichbehandlungsgebot (Art.
3 Abs.
1 GG) gebiete für die Zeit nach der Anmeldung fortwährende (und überdies melderechtskonforme) Meldungen zu verlangen, da sich
andernfalls nicht rechtfertigen lasse, weshalb derjenige, der sich nachweislich seit mindestens fünf Jahren gewöhnlich in
Deutschland aufhalte, sich aber erst kürzlich angemeldet habe, keine Leistungen erhalte, wohl aber derjenige, der in der Folgezeit
einer Anmeldung hierzulande fristerfüllend seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe (LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 31.05.2021,
L 5 AS 457/21 B ER, Rn. 7, juris), überzeugt auch dies nicht. De facto wird das rechtfertigende Potenzial einer ordnungsgemäßen Meldung
für eine Ungleichbehandlung seit mindestens fünf Jahren in Deutschland lebender ausländischer Hilfesuchender in Abrede gestellt.
Insofern bleibt unerklärt, weshalb gerade eine Verschärfung des Erfordernisses zu einem verfassungskonformen Rechtsverständnis
führen soll.
Zuletzt führt auch der Hinweis auf die enge Auslegung von Ausnahmevorschriften nicht weiter (so aber: LSG Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 31.05.2021, L 5 AS 457/21 B ER, Rn. 7, juris; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 04.05.2018, L 6 AS 59/18 B ER, Rn. 27, juris). Zunächst stellt § 7 Abs. 1 S. 4, 5 SGB II keine Ausnahme, sondern die Begrenzung der Ausnahme des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II dar. Ohnehin aber fehlt es an einem rationalisierenden Maßstab für das Verhältnis der anerkannten Auslegungsmethoden nach
Wortlaut, Zweck, Systematik und Historie zum Postulat der engen Auslegung von Ausnahmevorschriften, das hiernach bestenfalls
ein Einfallstor für teleologische Erwägungen sein kann, sich aber nicht eignet, um den gesetzgeberischen Willen zu verschärfen
(Larenz, Methodenlehre, 6. Auflage 1991, S. 355f.; Möller, Juristische Methodenlehre, 3. Auflage 2020, S. 219f.).
dd) Schließlich können einem Anordnungsanspruch der Antragstellerin auch die materiellen Wirkungen einer Bestandskraft (§
77 SGG) des Ablehnungsbescheides vom 06.07.2021 oder des Versagungsbescheid vom 14.09.2021 nicht entgegengehalten werden. Die Antragstellerin
hat den für die Wirksamkeit erforderlichen Zugang der Bescheide (§§ 37, 39 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren
und Sozialdatenschutz <SGB X>) bestritten, ohne dass dies als bloße Schutzbehauptung abgetan werden könnte. Der Ablehnungsbescheid
vom 06.07.2021 kam zunächst als unzustellbar zurück. Der Nachweis, dass der Ablehnungsbescheid vom 06.07.2021 bzw. der Versagungsbescheid
vom 14.09.2021 nach Versendung an den Caritasverband als Empfangsboten der Antragstellerin während deren Aufenthaltes in einem
Krankenhaus zugegangen sind, lässt sich nicht führen. Auch eine Anfrage der Antragstellerin beim Caritasverband hat keine
Aufklärung ergeben. Dies geht zulasten des Antragsgegners (§ 37 Abs. 2 S. 3 SGB X). Weitere Ermittlungen bleiben wiederum dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
b) Ein Anordnungsgrund liegt in der Mittellosigkeit der Antragstellerin, durch die eine Beeinträchtigung ihres Existenzminimums
bereits eingetreten ist. Zudem ist die Antragstellerin ohne den Bezug von SGB II-Leistungen (vergleiche § 5 Abs. 1 Nr. 2a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung <SGB V>) derzeit von einem vollständigen Krankenversicherungsschutz
ausgeschlossen, gleichwohl ihr Gesundheitszustand ärztlicher Hilfe bedarf.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§
183,
193 SGG.
D. Der Antrag der Antragstellerin auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres bevollmächtigten Rechtsanwaltes hat keinen
Erfolg.
Nach §
73a SGG i.V.m. mit §§
114,117
ZPO kann Prozesskostenhilfe erst ab dem Zeitpunkt bewilligt werden, ab dem ein vollständiger Antrag vorliegt. Der vollständige
Antrag, insbesondere einschließlich der gemäß §
202 SGG i.V.m. §
117 Abs.
2 bis
4 ZPO erforderlichen Erklärung unter Verwendung des amtlichen Vordruckes muss vor Abschluss der Instanz (vgl. §
202 SGG i.V.m §
119 Abs.
1 S. 1
ZPO), für die Prozesskostenhilfe begehrt wird, vorliegen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufgrund eines nach Abschluss
des Verfahrens in der Hauptsache gestellten oder vervollständigten Antrages kommt nicht in Betracht (vgl. BGH Beschluss vom
17.10.2013, III ZA 274/13, Rn. 7, juris; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Auflage 2020, §
73a Rn. 11a, b).
Bis zum Abschluss des Verfahrens durch den vorliegenden Beschluss hat die Antragstellerin keinen vollständigen Antrag vorgelegt.
Es fehlt bereits an der für das Beschwerdeverfahren angekündigten Vorlage einer Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).