Statthaftigkeit der Beschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren gegen das Aufhebungsverfahren gemäß § 73a SGG
Gründe:
Die am 1. April 2012 bei dem Thüringer Landessozialgericht eingelegte Beschwerde des damaligen Prozessbevollmächtigten der
Klägerin gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufhebenden Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 24. Januar 2012,
der Klägerin zugestellt am 25. Februar 2012, ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten tatsächlich zugegangen am 19. März 2012,
ist zulässig, insbesondere statthaft und fristgemäß eingelegt.
Die Beschwerdefrist nach §
173 SGG ist gewahrt, weil der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe
des Beschlusses ihm gegenüber eingelegt hat und die vorherige Zustellung gegenüber der Klägerin gemäß §
73 Abs.
6 S. 5
SGG den Lauf der Frist nicht zu begründen vermag (vgl. BSG, Beschluss vom 16. Dezember 2009 - B 6 KA 37/09, juris). Auch für die Überprüfung der Prozesskostenhilfe nach §
73a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
120 Abs.
4 ZPO bleibt die Bevollmächtigung in dem zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren wirksam, wenn der Prozessbevollmächtigte den Beteiligten
bereits bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe vertreten hat (LSG NRW, Beschluss vom 25. Mai 2012 - L 7 AS 752/12 B m.w.N.; BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2010 - XII ZB 151/10; beide juris).
Ebenso ist die Beschwerde gemäß §
172 Abs.
1 SGG statthaft. Insbesondere ist sie nicht nach §
172 Abs.
3 Nr.
2 SGG i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl I 2008, 444) - F.2008 - ausgeschlossen. Der Senat hält an seiner Rechtsauffassung (Beschluss vom 19. April 2012 - L 4 AS 517/12 B, unveröffentlicht) trotz nachfolgend abweichender Rechtsprechung fest, die im Wege einer zweckorientierten Auslegung des
§
172 Abs.
3 Nr.
2 SGG F.2008 den Beschwerdeausschluss gegen den Wortlaut der Norm auf Aufhebungsentscheidungen nach §
124 Nr. 2
ZPO ausdehnt (so: Thüringer LSG, Beschluss vom 6. Juli 2012 - L 9 AS 896/12 B; juris unter Bezugnahme auf das Sächsische LSG, Beschluss vom 31. August 2011 - L 7 AS 553/111 B PKH, juris).
Sind grundsätzlich bei der Auslegung von Rechtsnormen alle Auslegungsmethoden gleichwertig heranzuziehen, d.h. ist nicht zwingend
dem Wortlaut einer Norm im Zweifel der Vorrang einzuräumen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. April 2000 - 1 BvL 18/99 u.a. m.w.N., juris), gebietet bereits die verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsmittelklarheit ausnahmsweise eine vorrangig
an dem eindeutigen Wortlaut orientierte Auslegung, wenn Rechtsnormen betroffen sind, welche die Reichweite gerichtlicher Rechtsbehelfe
regeln (vgl. LSG Berlin-Brandenburg vom 18. Oktober 2012 - L 33 R 751/12 B PKH, juris unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29. Januar 1998 - B 12 KR 18/97 R, juris).
Steht danach bereits der Wortlaut des §
172 Abs.
3 Nr.
2 SGG F.2008, der allein auf Entscheidungen über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, genauer deren Ablehnung, abstellt, einer
Auslegung entgegen, nach welcher der Beschwerdeausschluss auf das gegenüber dem Bewilligungsverfahren nach §
118 ZPO gesondert geregelte Aufhebungsverfahren nach §
124 ZPO zu erstrecken sein soll, sprechen dafür auch systematische Gründe, nach denen Ausnahmeregelungen im Zweifel eng auszulegen
sind.
Eine zweckorientierte Auslegung könnte einen weitergehenden Beschwerdeausschluss daher nur begründen, wenn der erkennbare
Gesetzeszweck es nahelegt, dass der Gesetzgeber den Beschwerdeausschluss stets greifen lassen will, wenn die gerichtliche
Entscheidung über die Prozesskostenhilfe allein von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Antragsteller,
d.h. deren Bedürftigkeit, oder deren fehlendem Nachweis abhängt.
Eine so weitreichende Zwecksetzung ist den Gesetzesmaterialien jedoch nicht zu entnehmen. Das Änderungsgesetz vom 26. März
2008 sollte wesentlich dazu beitragen, durch eine Straffung und Vereinfachung der sozialgerichtlichen Verfahren zu einer Entlastung
beizutragen (Gesetzesbegründung: BT-Drucks 16/7716, S. 1 f.). Für den Beschwerdeausschluss nach §
172 Abs.
3 Nr.
2 SGG F.2008 wird in der Gesetzesbegründung dem Wortlaut der Norm entsprechend allein auf Verfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe
abgestellt (Gesetzesbegründung, aaO., S. 2, 22), obwohl im Prozesskostenhilferecht Bewilligungs- und Aufhebungsverfahren getrennt
bezeichnet und geregelt sind (vgl. Bewilligung: §§
118 ff.
ZPO, Aufhebung: §
124 ZPO).
Gleichwohl dem Gesetzgeber zu unterstellen, er habe den Ausschluss auch auf das gesondert geregelte Aufhebungsverfahren nach
§
124 ZPO erstrecken wollen und es nur unterlassen, seinen Regelungswillen insoweit klarzustellen, wäre nur erlaubt, wenn gemessen
am erkennbaren Gesetzeszweck kein Grund für eine unterschiedliche Regelung in Betracht kommt.
Das ist jedoch aus mehreren Gründen zu verneinen.
Zunächst wird in der Rechtsprechung zu Recht hervorgehoben, dass die Aufhebung einer Bewilligung eine weitergehende Rechtsbeeinträchtigung
beinhaltet als die bloße Ablehnung. Letztere entzieht keine bereits eingeräumte Rechtsposition (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 18. Oktober 2012 - L 33 R 751/12 B PKH, juris m.w.N.). Soweit dagegen eingewandt wird, auch eine Änderung der Ratenzahlung im Verfahren nach §
120 Abs.
4 ZPO entziehe eine Rechtsposition (Thüringer LSG, 9. Senat, aaO.), sei jedoch gleichwohl vom Beschwerdeausschluss erfasst, bleibt
zu beachten, dass das Überprüfungsverfahren einerseits verfahrensrechtlich Teil des Bewilligungsverfahrens ist und die wesentlichen
mit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe verbundenen Rechtsfolgen des §
122 ZPO bei der bloßen Änderung der Bewilligung erhalten bleiben, während sie nur bei der Aufhebung entfallen. Zur Folge hat das
insbesondere, dass der Antragsteller nur bei der Aufhebung den Schutz des §
122 Abs.
1 Nr.
3 ZPO mit der Maßgabe verliert, unmittelbar wieder dem Vergütungsanspruch seines Prozessbevollmächtigten ausgesetzt zu sein.
Letzteres lässt zudem weiterreichende wirtschaftliche Folgen für den Antragsteller bei der Aufhebung der Prozesskostenhilfe
gegenüber der Ablehnung erkennen. Nur im Falle einer rechtzeitigen Ablehnung von Prozesskostenhilfe verbleibt dem Antragsteller
die Möglichkeit, die Kosten des Rechtsstreits erheblich zu mindern, indem er ohne Prozesskostenhilfe von einer anwaltlichen
Vertretung im Rechtsstreit absieht.
Schließlich kann mit diesem weiter gehenden Rechtsverlust bei der Aufhebung für den Antragsteller ein geringerer Entlastungsgewinn
für die Sozialgerichtsbarkeit verbunden sein, weil Aufhebungsentscheidungen nach §
124 ZPO jedenfalls bei sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten insgesamt - ggf. im Gegensatz zu Verfahren über existenzsichernde
Leistungen - seltener getroffen werden als Ablehnungs- und Änderungsentscheidungen.
Ist damit der von der Gegenauffassung unterstellte gesetzgeberische Wille nicht zweifelsfrei anzunehmen, da hinreichende Gründe
für eine unterschiedliche Regelung zu erkennen sind, verbleibt es bei der anfangs benannten vorrangig am Wortlaut ausgerichteten
Auslegung, um der verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsmittelklarheit zu genügen.
Für eine entsprechende Anwendung des §
172 Abs.
2 Nr.
3 SGG ist ohnehin kein Raum, weil nach den vorbenannten Ausführungen bereits eine planwidrige Regelungslücke nicht zu erkennen
ist (Senat, aaO.).
Weiter ist die Beschwerde nicht nach §
202 SGG i.V.m. §
127 Abs.
2 S. 2 2. Teilsatz
ZPO ausgeschlossen, weil der Wert der Beschwer in der Hauptsache für die Berufung mehr als 750 Euro betragen hätte (zur Anwendung
des §
127 Abs.
2 S. 2 2. Teilsatz
ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren: Senat, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - L 4 AS 1878/11 B, unveröffentlicht). Dahingestellt bleiben kann daher, ob der vorbenannte Beschwerdeausschluss überhaupt greift. Sieht insoweit
§
127 Abs.
2 S. 2 3. Teilsatz
ZPO eine Ausnahme für den Beschwerdeausschluss vor, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen
für die Prozesskostenhilfe verneint hat, ist die Regelung erkennbar Ausdruck der Besonderheit im Zivilprozess, gegen Entscheidungen
des Rechtspflegers im Bewilligungs- oder Aufhebungsverfahren nach §§
118 ff., 124
ZPO, im Aufhebungsverfahren bei den Nr. 2 bis 4 des §
124 ZPO, eine richterliche Überprüfung ermöglichen zu müssen. Das lässt es zweifelhaft erscheinen, die Rückausnahme zum Beschwerdeausschluss
auf das sozialgerichtliche Verfahren nach §
202 SGG zu übertragen. Zumal §
172 Abs.
3 Nr.
2 SGG F.2008 hierzu eine speziellere ausdrückliche Regelung vorsieht.
In der Sache hat die Beschwerde nur im tenorierten Umfang Erfolg.
Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist im Beschwerdeverfahren der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Deshalb sind auch Erkenntnisse, die erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens zu Tage getreten sind, vom Senat zu berücksichtigen
(§
202 SGG i.V.m. §
571 Abs.
2 S. 1
ZPO).
Danach liegen mit Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Voraussetzungen für eine
Aufhebung der Prozesskostenhilfe gemäß §
73a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
124 Nr.
2 ZPO nicht mehr vor. Auch eine Aufhebung aus den anderen in §
124 Abs.
2 ZPO genannten abschließenden Gründen kommt nicht in Betracht (BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 1012 - 5 PKH 7/11 u.a. - m.w.N.,
juris), so dass insoweit der Beschluss des SG aufzuheben ist.
Gleichwohl hat der Senat auf Grundlage der nunmehr vorliegenden Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
weiter zu klären, ob eine Änderung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe gemäß §
73a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
120 Abs.
4 ZPO zu erfolgen hat, weil die Bedürftigkeit der Klägerin wesentlich gemindert oder weggefallen ist. In das Überprüfungsverfahren
nach §
120 Abs.
4 ZPO einbezogen sind auch PKH-Bewilligungen, welche ohne Ratenzahlung erfolgt sind (BVerwG, aaO. m.w.N.). Dabei darf eine Änderung
der Bewilligung auch erfolgen, wenn die geänderten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers dazu
führen, dass Prozesskostenhilfe selbst mit Ratenzahlung nicht mehr hätte bewilligt werden dürfen (bei zumutbarem Einsatz aus
Vermögen: BVerwG, aaO.; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13. September 2012 - 3 Ta 144/12; beide juris).
Anhand dieses Maßstabs im Überprüfungsverfahren ist festzustellen, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klägerin
gemäß §
120 Abs.
4 ZPO wegen einer wesentlichen Änderung der Einkommensverhältnisse der Klägerin abzuändern ist.
Eine wesentliche, die Lebensverhältnisse der Klägerin prägende Änderung ihrer Einkommensverhältnisse (zu dieser Voraussetzung:
Geimer: in Zöller,
ZPO, 29. Aufl., §
120 Rn. 21) ist dadurch eingetreten, dass sie nunmehr neben ihrer nichtselbstständigen Arbeit mit einem im Wesentlichen gleichbleibenden
monatlichen Bruttoeinkommen in Höhe von ca. 400 Euro ein zusätzliches monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 1.781,94 Euro
aus ihrer selbstständigen Tätigkeit erzielt.
Aufgrund dieser Änderung ergibt sich nunmehr folgendes einzusetzendes Einkommen nach §
115 ZPO:
EINKÜNFTE
|
|
Bruttoeinkommen
|
2.231,94
|
Kindergeld
|
184,00
|
Summe der Einkünfte
|
2.415,94
|
ABZÜGE (§ 82 Abs. 2 SGB XII)
|
|
Einkommenssteuervorauszahlung
|
48,00
|
Kranken- und Pflegeversicherung
|
47,81
|
Betriebsausgaben
|
834,49
|
Kfz-Haftpflichtversicherung
|
145,26
|
Summe der Abzüge
|
1.075,56
|
FREIBETRÄGE
|
|
Erwerbsfreibetrag § 115 I Nr. 1 b ZPO
|
201,00
|
Freibetrag der Partei nach § 115 I Nr. 2 a ZPO
|
442,00
|
Summe der Freibeträge
|
643,00
|
WOHNKOSTEN
|
|
Miete
|
225,00
|
Heizkosten
|
50,00
|
sonstige Nebenkosten
|
55,00
|
anrechenbare Wohnkosten
|
330,00
|
BESONDERE BELASTUNGEN
|
|
Summe der besonderen Belastungen
|
0,00
|
SUMME ALLER ABZÜGE
|
2.048,56
|
ERGEBNIS
|
|
anrechenbares Einkommen
|
367,38
|
gerundet
|
367,00
|
PKH-Rate
|
135,00
|
Sind lediglich Kosten der Prozessführung in Höhe von 358,90 Euro für die Klägerin angefallen und wären damit nicht mehr als
vier Raten zu leisten, liegen die Voraussetzungen für eine Bewilligung gegen Ratenzahlung nicht vor. (§
73a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
115 Abs.
4 ZPO).
Die Frist für eine Änderung der Bewilligung nach §
73a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
115 Abs.
4 S. 3
ZPO ist ebenfalls gewahrt, weil das SG die Klägerin rechtzeitig vor Ablauf von vier Jahren seit Erledigung des Hauptsacheverfahrens durch Klagerücknahme am 4. Februar
2008 mit Schreiben vom 12. Dezember 2011 zur Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
aufgefordert hat, welche bei fristgerechter Vorlage durch die Klägerin innerhalb eines Monats eine Änderung der Bewilligung
innerhalb der Vier-Jahres-Frist ermöglicht hätte.
Im Rahmen des gebotenen pflichtgemäßen Ermessens ordnet daher der Senat an, dass die Klägerin eine Zahlung in Höhe ihrer festgesetzten
Kosten des Rechtsstreits zu leisten hat. Eine Zahlungsaufforderung soll gesondert erfolgen.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Bewilligungsverfahren wie das Hauptsacheverfahren kostenfrei ist (§
183 SGG) und eine Erstattung der dem Gegner entstandenen Kosten ausgeschlossen ist (§
73a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
118 Abs.
1 S. 4
ZPO, für Beschwerdeverfahren: §
127 Abs.
4 ZPO).
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).