Sozialhilferecht: Begriff des "verwertbaren Vermögens" in § 88 BSHG
Tatbestand:
Der Beklagte (gewährte) dem Kläger laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Form eines Darlehens gemäß § 89 BSHG.
Nachdem der Kläger wieder eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte, forderte der Beklagte den Kläger mit dem angefochtenen
Bescheid zur Rückzahlung der darlehensweise bewilligten Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 2.920,30 DM auf.
Sowohl die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren mit der Begründung erhobene Klage, der im Rückforderungsbescheid in Ansatz
gebrachte Vermögenswert seines Kraftfahrzeuges sei zu hoch, als auch die Berufung des Klägers hatten keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides
über verwertbares Vermögen in Höhe von zumindest 2.308,-- DM verfügte. Demzufolge konnte der Beklagte in jedenfalls dieser
Höhe durch den angefochtenen Bescheid die Rückzahlung des dem Kläger aufgrund eines bestandskräftigen Bescheides gewährten
Darlehens verlangen, dessen Höhe zwischen den Beteiligten nicht im Streit ist. Ist nämlich die Bewilligung von laufender Hilfe
zum Lebensunterhalt gemäß § 89 Satz 1 BSHG als Darlehen durch Verwaltungsakt erfolgt, kann auch die Rückzahlung des Darlehens als Kehrseite der Bewilligung gleichfalls
durch Verwaltungsakt verlangt werden,
vgl. dazu u.a. OVG Bremen, Beschluß vom 11.9.1985 - 2 B 89/85 -, FEVS 35, 56, 57 f.
Zum verwertbaren Vermögen im Sinne des § 88 Abs. 1 BSHG sind die einer Person gehörenden oder zustehenden Gegenstände (bewegliche und unbewegliche Sachen, Forderungen und sonstige
Rechte) zu rechnen, die für Zwecke der Sozialhilfe verwertet werden können. Verwertbares Vermögen im Sinne dieser Vorschrift
ist nicht etwa der Überschuß der Aktiva über die Passiva, sondern vielmehr jeder Vermögensgegenstand, durch dessen Verwertung
der Notlage ganz oder teilweise abgeholfen werden kann. Es muß sich um wirtschaftlich nutzbare Werte handeln, deren Verwertung
- und zwar grundsätzlich ohne Rücksicht auf bestehende anderweitige Verbindlichkeiten - der Deckung des Bedarfs des Hilfesuchenden
ganz oder teilweise zu dienen geeignet ist. Dabei ist auf die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit einer Bedarfsdeckung
aus der Verwertung des konkreten vorhandenen Vermögensgegenstandes abzustellen, nicht aber darauf, welche Aktiva nach Abzug
der Passiva dem Vermögensinhaber bei einer Gesamtbetrachtung seiner Vermögenslage rechnerisch verbleiben,
vgl. dazu auch u.a. VGH B.W., Urteil vom 26.1.1983 - 6 S 1733/82 -, FEVS 32, 459, 462; Gottschick/Giese, Das Bundessozialhilfegesetz, 9. Aufl. 1985, § 88 Rn. 2.
Zwar ist davon auszugehen, daß der Pkw aufgrund des zwischen dem Kläger und der Kreditbank abgeschlossenen Sicherungsübereignungsvertrages
zum hier maßgeblichen Zeitpunkt nicht im Eigentum des Klägers, sondern der Sicherungsnehmerin stand. Ungeachtet dessen verfügte
der Kläger jedoch jedenfalls in der im Widerspruchsbescheid genannten Höhe über eine vermögenswerte Forderung gegen die Sicherungsnehmerin,
die tatsächlich und rechtlich verwertbar war. Denn er konnte eine Zurückübertragung des übereigneten Pkws verlangen, sobald
die Sicherungsnehmerin wegen aller ihrer Ansprüche aus dem Kreditvertrag Befriedigung erlangt hatte. Der Durchsetzung und
Verwertung dieses (vermögenswerten) Rückübertragungsanspruches standen keine unüberwindlichen tatsächlichen oder rechtlichen
Hindernisse entgegen. Bei einem (von ihm initiierten) Verkauf des Pkws hätte der Kläger dafür sorgen können, daß die Ansprüche
der Sicherungsnehmerin mit dem erforderlichen Teilbetrag hätten befriedigt werden können, den er aus dem Verkauf des Pkws
erzielen konnte. Die Höhe des zu erzielenden Verkaufserlöses hing vom Verkehrswert des Pkws ab. Selbst wenn man zugunsten
des Klägers auf der Grundlage der von ihm eingeholten Auskünfte und seiner Angaben davon ausgeht, daß ein Pkw des hier in
Rede stehenden Fahrzeugtyps und Baujahrs einen Verkehrswert von ca. ... DM hatte und daß hiervon ein Abschlag von ca. 13%
wegen der überdurchschnittlich hohen Laufleistung erfolgen mußte, ergibt sich ein Verkehrswert von ca. ... DM, der nach Befriedigung
der Forderung der Kreditbank den vom Beklagten in Ansatz gebrachten Vermögenswert von ... DM überstieg. Soweit der Kläger
meint, von diesem Vermögenswert seien noch Reparaturkosten und Kosten für die Neubereifung in Abzug zu bringen, kann dem nicht
gefolgt werden. (Wird ausgeführt)
Der Rückübertragungsanspruch des Klägers gegenüber der Sicherungsnehmerin zählte zum hier maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht
zum Schonvermögen im Sinne des § 88 Abs. 2 BSHG.
Namentlich stand § 88 Abs. 2 Nr. 4 BSHG einer Verwertung nicht entgegen. (Wird ausgeführt)
Der dem Kläger gegenüber der Sicherungsnehmerin zustehende Rückübertragungsanspruch fällt - ebenso wie das Kraftfahrzeug selbst
- auch nicht unter die Regelung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG. Wenn nach dieser Vorschrift kleine Barbeträge oder sonstige Geldwerte geschützt werden, so sind hiermit - neben Bargeld
- etwa Bankguthaben oder Wertpapiere gemeint, nicht dagegen sonstige kleinere Vermögenswerte. § 88 Abs. 2 BSHG kennt keine allgemeine Vermögensfreigrenze. Der Vorschrift liegt eine gegenständliche, nicht eine wertmäßige Betrachtungsweise
zugrunde. § 88 Abs. 2 BSHG nimmt nur bestimmte, genau bezeichnete Gegenstände vom Vermögenseinsatz oder der Verwertung aus. Ist ein Vermögensgegenstand
nicht nach § 88 Abs. 2 BSHG geschützt, kann er verwertet werden. Der Erlös aus einer Verwertung ist dann zum Lebensunterhalt einzusetzen,
vgl. dazu u.a. OVG NW, Urteil vom 27.10.1992 - 24 A 855/92 -, FEVS 43, 338, 339 f.; Urteil vom 8.9.1993 - 24 A 2396/91 -.
Die Verwertung des dem Kläger zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides zustehenden Rückübertragungsanspruches
gegenüber der Sicherungsnehmerin stellt auch keine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG dar.
Wann die Verwertung eines nach § 88 Abs. 2 BSHG nicht geschützten Vermögensgegenstandes ausnahmsweise eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG dargestellt, ist im Gesetz nicht näher definiert. Der Inhalt des Begriffs der Härte kann jedoch durch Auslegung ermittelt
werden. Dabei ist namentlich auf die Systematik der gesetzlichen Regelungen über Schonvermögen und auf ihren Sinn und Zweck
abzustellen. Die Vorschriften über das Schonvermögen sollen gewährleisten, daß die Sozialhilfe nicht zu einer wesentlichen
Beeinträchtigung der vorhandenen Lebensgrundlagen des Hilfesuchenden führt. Dem Sozialhilfeempfänger und seinen Angehörigen
soll ein gewisser Spielraum in der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit erhalten bleiben. Überdies soll verhindert werden, daß
die Sozialhilfe, die lediglich eine vorübergehende Hilfe sein soll, zu einem wirtschaftlichen Ausverkauf führt, damit den
Willen zur Selbsthilfe lähmt und zu einer nachhaltigen sozialen Herabstufung führt. Das Ziel der Härtevorschrift des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG ist kein anderes. Wenn der Gesetzgeber eine Härtevorschrift einführt, so geschieht dies regelmäßig deshalb, weil er mit den
Regelvorschriften zwar dem dem Gesetz zugrundeliegenden typischen Lebenssachverhalt gerecht werden kann, nicht aber atypischen
Fallgestaltungen. Da die atypischen Fälle nicht mit den abstrakten Merkmalen der Gesetzessprache hinreichend erfaßt werden
können, hat der Gesetzgeber neben den Regeltatbestand einen Ausnahmetatbestand gesetzt, der zwar hinsichtlich konkreter Einzelheiten
unbestimmt ist, jedoch bei einer sinngerechten Anwendung ein Ergebnis gestattet, das dem Regelergebnis in seiner grundsätzlichen
Zielsetzung gleichwertig ist. Hiernach kommt es bei der Bestimmung des Begriffs der Härte darauf an, ob die Anwendung der
Regelvorschriften zu einem den Leitvorstellungen des § 88 Abs. 2 BSHG nicht entsprechenden Ergebnis führen würde,
vgl. BVerwG, Urteil vom 26.1.1966 - V C 88.64 -, BVerwGE 23, 149 = FEVS 14, 81; Urteil vom 19.11.1992 - 5 C 15.89 -, FEVS 42, 185; OVG NW, Urteil vom 22.6.1989 - 8 A 329/87 -, FEVS 39, 29; Urteil vom 17.12.1993 - 8 A 400/91 - m.w.N.; Urteil vom 6.2.1996 - 8 A 3537/93 -.
Ferner muß bei der Auslegung in gesetzessystematischer Hinsicht berücksichtigt werden, daß es sich bei der Regelung des §
88 Abs. 3 BSHG um eine Ausnahmevorschrift handelt, die als solche eng auszulegen und einer erweiternden Interpretation nicht zugänglich
ist,
vgl. OVG NW, Urteil vom 17.12.1993 - 8 A 400/91 -, und Urteil vom 6.2.1996 - 8 A 3537/93 -.
Es ist nicht ersichtlich, daß die Anwendung der Regelvorschriften im vorliegenden Falle zu einem den Leitvorstellungen des
§ 88 Abs. 2 BSHG nicht entsprechenden Ergebnis führen würde. Im Falle einer Verwertung des ihm gegen die Sicherungsnehmerin zustehenden Rückübertragungsanspruches,
d.h. im Falle eines vorzeitigen Verkaufs des Pkws, würde dem Kläger zwar die Möglichkeit einer weiteren Nutzung des Fahrzeugs
genommen. Wie sich aus § 88 Abs. 2 Nr. 4 BSHG ergibt, geht das Bundessozialhilfegesetz jedoch davon aus, daß nur solche Gegenstände von dem Einsatz oder von der Verwertung ausgenommen sind, die zur Aufnahme oder
Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit "unentbehrlich" sind. Gerade dies war hier aber aus den oben dargelegten
Gründen nicht der Fall.