Sozialhilfe einschließlich Landesblindenhilfe, Sonstiges Sozialrecht: Feststellung einer Sozialleistung; Verletzung der Mitwirkungspflicht;
Ermessen
Gründe:
Der auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§
124 Abs.
2 Nr.
1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
124 Abs.
2 Nr.
3 VwGO) gestützte Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Zulassungsgrund des §
124 Abs.
2 Nr.
1 VwGO setzt grundsätzlich voraus, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses des angegriffenen Urteils bestehen;
Zweifel lediglich an der Richtigkeit der Begründung sind jedenfalls dann nicht ausreichend, wenn sich die angegriffene Entscheidung
aus anderen Gründen als zutreffend darstellt, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens
mithin nicht möglich erscheint (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.12.2003 - 7 AV 2/03 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.07.1999 - 6 S 2662/97 -, juris; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll,
VwGO, 2. Aufl., §
124 RdNr. 23 f.; Kopp/Schenke,
VwGO, 13. Aufl., §
124 RdNr. 7a). Gemessen daran liegt der Zulassungsgrund nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils
bestehen nicht, da die Rechtssache jedenfalls aus anderen als den vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Gründen richtig
entschieden worden ist.
Der Bescheid des Beklagten vom 15.05.2002 und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart
vom 12.08.2002 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seiner durch § 91a BSHG eingeräumten verfahrensrechtlichen Befugnis, im eigenen Interesse und Namen ein fremdes Recht, nämlich das des Leistungsberechtigten,
gegenüber dem vorrangig verpflichteten Sozialleistungsträger geltend zu machen. Dabei kann offen bleiben, ob der in §
66 Abs.
1 SGB I geregelte Versagungsgrund gegenüber einem (überörtlichen) Träger der Sozialhilfe, der nach § 91a BSHG die Feststellung einer Sozialleistung betreibt, anwendbar ist; im vorliegenden Fall geht es nicht um die Mitwirkung des Leistungsberechtigten
selbst (vgl. die Überschrift vor §§
60 ff.
SGB I), an den bzw. dessen Betreuer sich der Beklagte insoweit auch nicht gewandt hat, sondern um ein im pflichtgemäßen Ermessen
des erstattungsberechtigten Sozialhilfeträgers stehendes Vorgehen nach § 91a BSHG gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger, so dass sich hier Handlungspflichten des Klägers aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit
der Verwaltung (Art.
20 Abs.
3 GG) und möglicherweise etwa aus den §§
16 Abs. 3,
17 Abs.
1 SGB I, §§ 3 ff., 86 SGB X ergeben können. Dies kann indes dahinstehen, ebenso die Frage, ob im vorliegenden Fall die (weiteren) Tatbestandsvoraussetzungen
des §
66 Abs.
1 und
3 SGB I als erfüllt anzusehen sind. Die streitigen Bescheide sind jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil die Behörden das ihnen in
§
66 Abs.
1 SGB I eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt haben (vgl. §§
113 Abs.
1 S. 1, 114
VwGO).
Bei einer Entscheidung über die Versagung oder die Entziehung der Leistung nach §
66 Abs.
1 SGB I hat der Sozialleistungsträger sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und dabei die Grenzen des Ermessens
einzuhalten; der Betroffene hat hierauf einen Rechtsanspruch (§
39 Abs.
1 SGB I). Eine Ermessensentscheidung erweist sich insbesondere dann als fehlerhaft, wenn die Behörde bei ihrem Handeln von unzutreffenden,
in Wahrheit nicht gegebenen, unvollständigen oder falsch gedeuteten tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht,
Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art berücksichtigt, die rechtlich nicht relevant sind, oder umgekehrt wesentliche
Gesichtspunkte außer acht lässt, die zu berücksichtigen wären (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O, § 114 RdNrn. 12 ff. m.w.N.).
Zweck des §
66 Abs.
1 SGB I ist, den Hilfesuchenden zur Mitwirkung an der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts anzuhalten, weshalb bei
der Ermessensausübung insbesondere zu berücksichtigen ist, ob, in welchem Umfang und in welchem zeitlichen Rahmen der Sozialleistungsberechtigte
zur Erfüllung dieser Pflichten in der Lage ist (vgl. BVerwGE 98, 203, 209 f.; Giese/Krahmer,
SGB I, §
66 RdNrn. 2, 17; Mrozynski,
SGB I, 3. Aufl., §
39 RdNr. 34). Bezogen auf den vorliegenden Fall ist insoweit allein auf das Verhalten und die Situation des (überörtlichen)
Sozialhilfeträgers abzustellen, der nach § 91a BSHG im eigenen Interesse und Namen die Feststellung einer Sozialleistung betreibt, um damit den Nachrang der Sozialhilfe sicherzustellen
(zu § 91a BSHG vgl. BSG, FEVS 51, 481; 49, 281; 42, 342).
Dem Beklagten war als Wohngeldbehörde bereits im Verwaltungsverfahren, spätestens jedoch im Widerspruchsverfahren, bekannt,
dass der Kläger als überörtlicher Träger der Sozialhilfe aufgrund einer Änderung des Wohngeldgesetzes zum 01.01.2001, die
sich zugunsten der auf seine Kosten untergebrachten Heimbewohner auswirkte, eine Vielzahl von Wohngeldanträgen - die Rede
ist von 18 000 Fällen - zu bearbeiten und dabei insbesondere die förmlichen Antragsformulare auszufüllen und die erforderlichen
Nachweise zu beschaffen hatte. Berücksichtigt man die Umstände im vorliegenden Fall, insbesondere die hohe Zahl der vom Kläger
gleichzeitig zu bearbeitenden Wohngeldanträge, die bei Erstanträgen für die Feststellung des geltend gemachten Wohngeldanspruchs
erforderlichen umfangreichen Unterlagen (vgl. das Aufforderungsschreiben des Beklagten vom 28.08.2001) sowie die eine Sachverhaltsermittlung
oftmals erschwerende Situation etwa durch die Heimunterbringung, die Schwerbehinderteneigenschaft oder das Vorliegen eines
Betreuungsverhältnisses, so sah sich der Kläger noch während des gesamten Zeitraumes zwischen der Antragstellung vom 21.05.2001
und der Widerspruchsentscheidung vom 12.08.2002 mit einem außergewöhnlichen Arbeitsanfall konfrontiert. Diesen besonderen
Gegebenheiten wird in der streitigen Ermessensentscheidung nicht angemessen Rechnung getragen.
Dem Versagungsbescheid des Beklagten vom 15.05.2002 kann nicht entnommen werden, ob und - falls ja - unter welchen Gesichtspunkten
Ermessen ausgeübt worden ist (zum Begründungserfordernis vgl. § 35 Abs. 1 S. 3 SGB X). Auch im Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 12.08.2002, der dem ursprünglichen Verwaltungsakt die
für die gerichtliche Überprüfung maßgebliche Gestalt gibt (vgl. §
79 Abs.
1 Nr.
1 VwGO), fehlt es - worauf der Kläger bereits im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht hingewiesen hat - an einer am Zweck der
Ermächtigung ausgerichteten Abwägung und angemessenen Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles. Es liegt auf der Hand,
dass es dem Kläger aufgrund der geschilderten besonderen Umstände nicht möglich war, im Hinblick auf die damals offenen 18
000 Wohngeldfälle sämtlichen Mitwirkungspflichten nach den §§
60 bis
62,
65 SGB I in jedem einzelnen Fall zeitnah nachzukommen. Im Widerspruchsbescheid heißt es hierzu, dass der Kläger für seine Nichtmitwirkung
innerhalb der jeweils gesetzten Fristen eine überzeugende Begründung nicht genannt habe; er habe "außer wohngeldrechtlich
unmaßgeblicher organisatorischer Gründe im eigenen Handlungsbereich keine Gründe nach §
65 SGB I, die ihn an der Ausübung seiner Mitwirkung hindern", angeführt.
Die in §
65 SGB I gezogenen Grenzen der Mitwirkung betreffen die Tatbestandsseite der in §
66 Abs.
1 SGB I normierten Handlungsermächtigung. Nach deren Zweck war bei der Ermessensausübung auf die Frage, ob, in welchem Umfang und
in welchem zeitlichen Rahmen der Kläger in der Lage gewesen ist, seine Mitwirkungspflichten zu erfüllen, einzugehen. Darauf,
dass dies im vorliegenden Fall nicht, jedenfalls nicht angemessen, geschehen ist, deutet auch die im Widerspruchsbescheid
enthaltene Aussage hin, wonach im Verwaltungsverfahren jeweils angemessene Fristen gesetzt worden seien. Vor dem Hintergrund
der geschilderten Ausnahmesituation, in der sich der Kläger im fraglichen Zeitraum befand, entbehrt auch die weitere, im Widerspruchsbescheid
getroffene Feststellung, es sei von einer bewussten Verzögerungstaktik auszugehen, einer nachvollziehbaren Grundlage. Die
somit weder sachgerechte noch angemessene Abwägung und Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles ist
zudem schwerlich mit dem in § 86 SGB X ausdrücklich festgelegten Gebot der engen Zusammenarbeit der Leistungsträger zu vereinbaren.
Die - wie aufgezeigt - fehlerhafte Ermessensentscheidung ist auch nicht durch das Vorbringen des Beklagten im Rahmen des Klageverfahrens
vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart geheilt worden (vgl. §
114 S. 2
VwGO; hierzu ferner Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, a.a.O., §
114 RdNrn. 50 ff.). Der Beklagte hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren daran festgehalten, dass es ihm nicht möglich gewesen
sei, Besonderheiten zu erkennen, da sich der Kläger auf allgemeine Aussagen zur Arbeitsüberlastung beschränkt und nicht zur
Aufklärung des Einzelfalles beigetragen habe. Weiter wird ausgeführt, dass Behörden, die Arbeitsüberlastung und organisatorische
Schwierigkeiten geltend machen würden, hinsichtlich der Einhaltung von Fristen nicht besser gestellt werden könnten als Privatpersonen;
aus der Vorgehensweise des Klägers dränge sich der Verdacht einer geplanten Verzögerung durch die wiederholt gestellten Anträge
zur Verlängerung von Fristen auf. Auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens des Beklagten im verwaltungsgerichtlichen
Verfahren vermag der Senat aus den genannten Gründen eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung im vorliegenden Fall nicht
zu erkennen.
2. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache nur dann, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich
nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte
Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse
der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Darlegung
dieser Voraussetzungen erfordert wenigstens die Bezeichnung einer konkreten Frage, die sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts
von Bedeutung war als auch für das Berufungsverfahren erheblich sein wird. Darüber hinaus muss[!Duden1] die Antragsschrift
einen Hinweis auf den Grund enthalten, der die Anerkennung der grundsätzlichen, d.h. über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung
der Sache rechtfertigen soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.07.1984, BVerwGE 70, 24; Beschluss[!Duden2] des Senats vom 18.08.1988 - A 12 S 930/88 - ). Diesen Anforderungen entspricht das Antragsvorbringen nicht. In der Begründung des Zulassungsantrags mit Schriftsatz
vom 26.06.2002 (gemeint ist 2003) ist eine hinreichend konkrete Rechtsfrage nicht formuliert worden. Selbst die im Schriftsatz
des Beklagten vom 21.08.2003 enthaltene Fragestellung ist zu ungenau, lässt insbesondere nicht hinreichend die Entscheidungserheblichkeit
erkennen und genügt damit nicht den sich aus §
124 a Abs.
4 S. 4
VwGO ergebenden Darlegungserfordernissen. Abgesehen davon ist dieser an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete und bei diesem (erst)
am 27.08.2003 eingegangene Schriftsatz mit dem darin enthaltenen erstmaligen Versuch, eine hinreichend konkrete, entscheidungserhebliche
und fallübergreifend klärungsbedürftige Rechtsfrage zu bezeichnen, nicht (mehr) berücksichtigungsfähig (vgl. §
124 a Abs.
4 S. 4 und 5
VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs.
2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 20 Abs. 3, 25 Abs. 2, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
152 Abs.
1 VwGO).