Schwerbehindertenrecht: Unentgeltliche Beförderung; Freifahrtberechtigung; Fahrgeldausfall; Beförderungsentgelt; Fahrtkostenanteil;
Kombikarte; Kombiticket; Verbundpass; Erstattungsstreit; Gerichtskostenpflicht
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Beklagte verpflichtet ist, bei der Erstattung von Fahrgeldausfällen nach §
145 Abs.
3 i.V.m. §
148 Abs.
2 SGB IX die Einnahmen aus "Kombikarten" als Fahrgeldeinnahmen zu berücksichtigen.
Schwerbehinderte Menschen werden im öffentlichen Personennahverkehr gegen Vorzeigen ihres mit einer gültigen Wertmarke versehenen
Schwerbehindertenausweises nach §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX unentgeltlich befördert. Die hierdurch entstehenden Fahrgeldausfälle werden den Verkehrsunternehmen nach einem pauschalierten
System erstattet, bei dem die jeweiligen Fahrgeldeinnahmen mit einem Schwerbehinderten-Prozentsatz multipliziert werden (vgl.
§
145 Abs.
3 i.V.m. §
148 SGB IX). Als berücksichtigungsfähige Fahrgeldeinnahmen definiert §
148 Abs.
2 SGB IX hierfür alle Erträge aus dem Fahrkartenverkauf zum genehmigten Beförderungsentgelt.
Kombikarten sind ausweislich der "Gemeinsamen Beförderungsbedingungen, Tarifbestimmungen und Fahrpreise der VVS" Eintrittkarten
mit Fahrtberechtigung, wobei sich die zeitliche und örtliche Gültigkeit aus einem Aufdruck auf der Eintrittskarte ergibt.
Sie werden insbesondere für Großveranstaltungen sportlicher, kultureller oder sonstiger Art (wie etwa Messen) angeboten. Der
Ausgabe von Eintrittskarten mit Freifahrtberechtigung für den öffentlichen Personennahverkehr liegt jeweils ein Vertrag zwischen
dem Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart GmbH (VVS) und dem jeweiligen Veranstalter zugrunde, in dem u.a. geregelt wird, welcher
Fahrtkostenanteil pro verkaufter Eintrittskarte an den VVS abzuführen ist. Der im Preis der Eintrittskarte enthaltene Fahrpreisanteil
wird nach einer Formel berechnet, deren Anwendung das Regierungspräsidium durch Bescheid vom 06.04.1984 zugestimmt hat. Danach
wird der geschätzte Anteil der Verbundpassbesitzer für die betreffende Strecke bei der Kalkulation des Fahrtkostenanteils
nicht berücksichtigt, so dass insoweit eine Erstattung durch den Veranstalter nicht erfolgt.
Die Klägerin betreibt ein Verkehrsunternehmen im öffentlichen Personennahverkehr, dessen Strecken in den VVS-Gemeinschaftstarif
einbezogen sind. Sie beantragte für das Jahr 2003 die Erstattung von Fahrgeldausfällen für die unentgeltliche Beförderung
von schwerbehinderten Menschen im öffentlichen Personenverkehr und fügte als Berechnungsgrundlage eine Bescheinigung der Verbandregion
Stuttgart bei, nach der ihr im Abrechnungszeitraum Fahrgeldeinnahmen nach dem VVS-Gemeinschaftstarif in Höhe von 6.122.892,24
EUR zugewiesen worden waren. Hinsichtlich des Prozentsatzes für die Beförderung von Schwerbehinderten wurde ein durch Verkehrszählung
im Sinne des §
148 Abs.
5 SGB IX ermittelter Faktor von 12,3693 nachgewiesen.
Mit Bescheid vom 21.06.2004 setzte das Regierungspräsidium den Erstattungsbetrag auf 750.776,90 EUR fest. Dabei wurden die
von der Klägerin gemachten Angaben zugrunde gelegt, allerdings berücksichtigte das Regierungspräsidium die Einnahmen aus Kombikarten
in Höhe von 55.555,95 EUR nicht und reduzierte den Betrag berücksichtigungsfähiger Fahrgeldeinnahmen entsprechend. Zur Begründung
verwies das Regierungspräsidium darauf, dass hinsichtlich der Kombikarten keine unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter
Menschen vorliege.
Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Festsetzung eines um 6.624,87 EUR erhöhten Erstattungsbetrages
sowie entsprechende Prozesszinsen. Zur Begründung führte sie aus, auch bei den zugewiesenen Einnahmen aus Kombikarten handele
es sich um berücksichtigungsfähige Fahrgeldeinnahmen im Sinne des §
148 Abs.
2 SGB IX. Dies ergebe sich schon daraus, dass Kombikarten einen Fahrtkostenanteil enthielten, dessen Berechnung vom Regierungspräsidium
gemäß § 39 PBefG genehmigt worden sei. Insbesondere müsse der Kombikarten-Anteil aber deshalb einbezogen werden, weil die Freifahrtberechtigung
schwerbehinderter Menschen bereits in der Kalkulation des Fahrtkostenanteils für eine Kombikarte berücksichtigt und herausgerechnet
sei. Wirtschaftlich erhalte das Verkehrsunternehmen bei Kombikarten daher keine Gegenleistung für die Beförderung Schwerbehinderter,
so dass insoweit eine unentgeltliche Beförderung vorliege.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat der Klage mit Urteil vom 11.04.2006 stattgegeben und den Beklagten unter Abänderung des
Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 21.06.2004 verpflichtet, der Klägerin einen weiteren Ausgleich für Fahrgeldausfälle
in Höhe von 6.624,87 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bewilligen. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, schwerbehinderte Personen würden auch beim Erwerb einer Kombikarte unentgeltlich
befördert, da der VVS beim Abschluss einer Kombikartenvereinbarung vom Veranstalter kein Beförderungsentgelt für diesen Personenkreis
erhalte. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme werde bei der Berechnung des vom Veranstalter zu erstattenden Fahrtkostenanteils
derjenige Personenkreis, der ohnehin eine gültige Fahrtberechtigung besitze, nicht in Ansatz gebracht. Inhaber einer Zeitkarte
sowie Schwerbehinderte würden bei der Kalkulation des vom Veranstalter zu entrichtenden Fahrkostenanteils daher nicht einbezogen,
so dass in wirtschaftlicher Hinsicht keine Erstattung für den Transport dieses Personenkreises stattfinde.
Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Beklagten. Er beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 11. April 2006 - 12 K 2631/04 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe den Begriff der unentgeltlichen Beförderung verkannt,
weil es allein darauf abgestellt habe, ob das Verkehrsunternehmen ein Entgelt erhalte. Hierauf komme es jedoch nicht an, weil
der Schwerbehinderte - ebenso wie jeder andere Erwerber einer entsprechenden Eintrittskarte - mit seiner Eintrittskarte unmittelbar
einen Anteil an den Fahrtkosten entrichtet habe. Die tarifliche Ausgestaltung der Kombikarte lasse es nicht zu, dass der Schwerbehinderte
keinen Fahrkostenanteil entrichte. Bereits die Anspruchsvoraussetzung des §
145 Abs.
1 SGB IX sei daher nicht erfüllt, weil im Verhältnis zwischen Schwerbehinderten und Verkehrsunternehmen eine unentgeltliche Beförderung
nicht vorliege. Hieran könne die vertragliche Vereinbarung zwischen Verkehrsunternehmen und Veranstalter im Innenverhältnis
nichts ändern. Im Übrigen sei in der vom Regierungspräsidium genehmigten Berechnungsformel für die Kombikarte eine Regelung
zur Behandlung von schwerbehinderten Personen nicht getroffen. Die kalkulatorische Nichtberücksichtigung von Schwerbehinderten
sei daher auch nicht genehmigt worden. Hilfsweise werde schließlich bestritten, dass es sich bei dem Fahrtkostenanteil, den
die Verkehrsunternehmen bei Kombikarten vom Veranstalter erhielten, um Fahrgelder im Sinne des §
148 Abs.
2 SGB IX handle. Dies scheitere bereits daran, dass die Kombikarte keine Fahrkarte, sondern eine Eintrittskarte darstelle.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil und führt ergänzend aus: Weil der zu erstattende Fahrgeldausfall beim Unternehmen eintrete,
müsse auch die Betrachtung bei ihm ansetzen. Zwar setze §
145 Abs.
3 SGB IX voraus, dass der Fahrgeldausfall durch eine unentgeltliche Beförderung verursacht worden sei. Dies ändere jedoch nichts daran,
dass es Sinn und Zweck der Erstattungsregelung sei, dem Unternehmer seinen wirtschaftlichen Nachteil auszugleichen. Maßgeblich
bleibe deshalb die Tatsache, dass der VVS vom Veranstalter keinen Fahrtkostenanteil für die Beförderung Schwerbehinderter
erhalte. Im Übrigen gehe die Annahme der Berufung fehl, dass Schwerbehinderte und andere Eintrittskartenkäufer den gleichen
Preis zu entrichten hätten. Tatsächlich werde die entsprechende Eintrittskarte an Schwerbehinderte zu einem ermäßigten Preis
abgegeben, der immer höher liege als der Fahrkostenanteil.
Dem Senat liegen die Akten des Verwaltungsgerichts (- 12 K 2631/04 -) und die Behördenakten des Beklagten vor. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird hierauf sowie
auf die Akten des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch sonst zulässige Berufung des beklagten Landes, über die der Senat mit Einverständnis
der Beteiligten gemäß §§
125 Abs.
1 Satz 1,
101 Abs.
2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben,
weil die Klägerin Anspruch auf Berücksichtigung der Einnahmen aus Kombikarten bei der Berechnung der ihr entstehenden Fahrgeldausfälle
im Sinne des §
145 Abs.
3 i.V.m. §
148 Abs.
2 SGB IX hat.
1. Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruch für das Jahr 2003 ist §
145 Abs.
3 i.V.m. §
148 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch -
SGB IX - vom 19.06.2001 (BGBl. I S. 1046). Danach wird den Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs der durch die unentgeltliche Beförderung von Schwerbehinderten
entstehende Fahrgeldausfall nach Maßgabe des in §
148 SGB IX vorgesehenen Pauschalsystems erstattet.
a) Entgegen der mit der Berufung vorgetragenen Auffassung liegt für den in §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX begünstigten Personenkreis trotz des Erwerbes einer Kombikarte eine unentgeltliche Beförderung vor.
Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, dass die Kombikarten an Schwerbehinderte zu einem ermäßigten Preis abgegeben würden,
weil mit diesen Karten tatsächlich eine Fahrtberechtigung nicht erworben werde. Diesem Vortrag der Klägerin steht bereits
die rechtliche Konstruktion der Fahrtberechtigung im Falle der Kombikarte entgegen. Denn ausweislich des vorgelegten Mustervertrages
wird den Eintrittskarten ein Aufdruck mit dem Inhalt aufgebracht: "Karte berechtigt zu einer Hinfahrt zum Veranstaltungsort
und zur Rückfahrt bis Betriebsschluss mit allen VVS-Verkehrsmitteln einschl. Nachtbussen (2. Kl.) im gesamten VVS-Netz". Die
durch den Besitz der Kombikarte vermittelte Fahrtberechtigung erweist sich danach bereits nicht als personenbezogen und kann
im Falle des ohnehin freifahrtberechtigten Schwerbehinderten nicht "herausdividiert" werden. Im Übrigen trifft es bereits
in tatsächlicher Hinsicht nicht zu, dass der Erwerb von Kombikarten für Schwerbehinderte (mindestens) um den Fahrtkostenanteil
ermäßigt wäre. Darauf, dass die von der Klägerin benannte Preisgestaltung für die Heimspiele des VfB Stuttgart (die im Übrigen
nicht anhand der im §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX genannten Tatbestandsmerkmale differenziert) einen Einzelfall darstellt, hat der Beklagte bereits in der Klageerwiderung
zutreffend hingewiesen. Weitere Beispiele sind aber weder von der Klägerin vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Unentgeltlich ist die fragliche Beförderung aber deshalb, weil auch demjenigen Schwerbehinderten, der eine Kombikarte besitzt,
die gesetzliche Freifahrtberechtigung zusteht. Die Möglichkeit eines abweichenden hypothetischen Kausalverlaufes ändert hieran
nichts.
Nach §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX werden schwerbehinderte Menschen gegen Vorzeigen eines mit einer gültigen Wertmarke versehenen Schwerbehindertenausweises
von Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs unentgeltlich befördert. Dieser Anspruch, der Grundlage für die Erstattungspflicht
des §
145 Abs.
3 SGB IX ist, wird durch den zusätzlichen Besitz einer Kombikarte nicht beeinträchtigt. Die Annahme des Beklagten, die Beförderung
beruhe in diesem Fall nicht auf der Schwerbehinderung, sondern auf dem Besitz der Kombikarte, ist daher hypothetisch. Der
Schwerbehinderte könnte sich zum Nachweis seiner Fahrtberechtigung auf den in der Kombikarte enthaltenen Fahrausweis berufen,
er kann jedoch ebenso von seiner Freifahrtberechtigung nach §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX durch Vorzeigen eines Schwerbehindertenausweises Gebrauch machen. Der Anspruch des Schwerbehinderten gegen das Unternehmen
auf unentgeltliche Beförderung liegt jedenfalls vor, so dass der Wortlaut der Vorschrift einer Einbeziehung der Kombikarten-Fälle
in den Anwendungsbereich des §
145 Abs.
3 SGB IX nicht entgegensteht.
Diese Anknüpfung an den Beförderungsanspruch des Schwerbehinderten entspricht auch dem Willen des historischen Gesetzgebers.
Ausweislich der amtlichen Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im
Personennahverkehr - auf dessen Konzeption die heutige Erstattungsregelung inhaltlich unverändert basiert - sollten den Verkehrsunternehmen
diejenigen Fahrgeldausfälle erstattet werden, "die ihnen durch die auf Absatz 1 beruhende Verpflichtung zur unentgeltlichen
Beförderung Schwerbehinderter" entstehen (BT-Drs. 8/2453, S. 10). Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für den Erstattungsanspruch
ist demnach die aus §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX folgende Verpflichtung.
Eine andere Abgrenzung erscheint im Übrigen auch nicht praktikabel. Denn welcher Rechtsgrund im Einzelnen von dem Schwerbehinderten
für seine Fahrtberechtigung geltend gemacht wird, ist - jedenfalls auf Grundlage des von §
148 SGB IX zugrunde gelegten Pauschalierungssystems - nicht ermittelbar. Die genaue Differenzierung erscheint in rechtlicher Hinsicht
auch nicht erforderlich, solange für den in §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX gewährten Beförderungsanspruch keine anderweitige Vergütung entrichtet wird und daher auch das Merkmal der Unentgeltlichkeit
vorliegt.
b) Zu Recht ist das Verwaltungsgericht hier auch von korrespondierenden Fahrgeldausfällen der Klägerin ausgegangen.
Nach dem Ergebnis der vom Verwaltungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme - die in tatsächlicher Hinsicht auch vom Beklagten
nicht in Zweifel gezogen wird - wird bei der Kalkulation des Fahrtkostenanteils einer Kombikarte der durch §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX begünstigte Personenkreis nicht in Ansatz gebracht und dem Veranstalter daher auch nicht in Rechnung gestellt. Für die Beförderung
dieser schwerbehinderten Menschen erhalten die Verkehrsunternehmen daher keine Gegenleistung von den Veranstaltern. Auch die
Einnahmen, die der VVS im Abrechnungsjahr 2003 durch die vertraglich vereinbarten Zahlungen der Veranstalter pro verkaufter
Eintrittskarte einer Kombikarten-Veranstaltung erzielt hat, bewirken somit keinen Ausgleich für die Beförderung des in §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX benannten Personenkreises. Die Beförderung erweist sich in wirtschaftlicher Hinsicht als unentgeltlich, so dass dem Verkehrsunternehmen
entsprechende Fahrgeldausfälle entstehen.
Diese Fahrgeldausfälle müssen bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen erstattet werden. Durch die in §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX statuierte Verpflichtung, Schwerbehinderte gegen eine pauschale staatliche Vergütung unentgeltlich zu befördern, wird in
das Recht der Verkehrsunternehmer zur freien Berufsausübung eingegriffen. Diese, durch legitime sozialpolitische Ziele gerechtfertigte
Indienstnahme Privater ist nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zumutbar, weil der Gesetzgeber die Beförderungspflicht
mit einem Erstattungsanspruch gekoppelt hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 BvL 18/82 u.a. -, BVerfGE 68, 155 [172]). Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Berufsausübungsregelung ist demgemäß, dass die betroffenen
Verkehrsunternehmen nicht einer unvertretbaren Sonderbelastung ausgesetzt werden. Dieser verfassungsrechtlichen Ausgangslage
entspricht auch der Wille des Gesetzgebers, der mit dem Erstattungssystem sichergestellt sehen wollte, "dass die Verkehrsunternehmer
volle Erstattung der ihnen durch die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter entstehenden Fahrgeldausfälle erhalten"
(vgl. BT-Drs. 8/2453, S. 23).
Entgegen der Auffassung des Beklagten kann die Erstattung auch nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Nichtberücksichtigung
der Schwerbehinderten - und damit die fehlende Fahrtgelderstattung für diesen Personenkreis - auf der eigenständigen Entscheidung
des VVS beruhe, Schwerbehinderte im Rahmen der Kalkulation der Fahrtpreiserstattung von Kombikarten nicht zur berücksichtigen.
Denn die VVS ist (jedenfalls) nicht verpflichtet, die freifahrtberechtigten Schwerbehinderten bei der Kalkulation des Fahrtkostenanteils
einer Kombikarte miteinzubeziehen. Vielmehr liegt es nach Sinn und Zweck der vom Beklagten gebilligten Berechnungsformel nahe,
den von §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX berechtigten Personenkreis ebenso wie die Inhaber von Zeitfahrscheinen als "Verbundpassbesitzer" zu verstehen und bei der
Kalkulation des Fahrtkostenanteils preismindernd zu berücksichtigen. In beiden Fällen wird durch die Vergabe der Eintrittskarte
keine (neue) Fahrtberechtigung geschaffen, so dass keine Gegenleistung für das vom Veranstalter zu entrichtende Entgelt besteht.
Diese Verfahrensweise gewährleistet damit überdies, dass die Verkehrsunternehmen nicht zweimal für dieselbe Leistung Vergütungen
erhalten und sichert so das Gebot der gleichmäßigen Tarifanwendung aus § 39 Abs. 3 PBefG (vgl. auch Bayerischer VGH, Urteil vom 22.01.2002 - 12 B 98.1793 -).
Insbesondere aber widerspräche ein abweichendes Kalkulationsmodell den in §§
145 ff.
SGB IX enthaltenen Wertentscheidungen des Gesetzgebers. Denn danach steht den freifahrtberechtigten Schwerbehinderten eine unentgeltliche
Beförderung zu, die aus Steuermitteln aufgebracht wird. Dieser gesetzgeberischen Leitvorstellung entspräche es nicht, wenn
der VVS bei der Gestaltung der Kombikarten-Verträge die Fahrtkosten des begünstigten Personenkreises in Ansatz bringen und
vom Veranstalter ein Entgelt hierfür verlangen würde. Die vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung führt im Ergebnis aber
dazu, dass für die Beförderung der Schwerbehinderten eine wirtschaftliche Gegenleistung des Veranstalters gefordert wird,
obwohl den Schwerbehinderten die damit abgegoltene Leistung ohnehin von Gesetzes wegen zusteht. Für die damit verbundene Umwälzung
der Kosten auf den Veranstalter - oder genauer auf die jeweiligen Veranstaltungsbesucher, die den insoweit erhöhten Eintrittskartenpreis
zu entrichten haben - besteht kein sachlicher Grund. Der VVS ist daher jedenfalls nicht verpflichtet, entsprechend zu verfahren.
Eine andere Beurteilung folgt schließlich auch nicht daraus, dass auch der schwerbehinderte Kombikarten-Käufer mit dem Kaufpreis
einen Fahrtkostenanteil entrichtet. Denn angesichts der Berechnungsgrundlagen enthält dieser Fahrtkostenanteil keine Erstattung
für die Beförderung Schwerbehinderter; dieser Anteil ist in der Preiskalkulation vielmehr (wie bereits dargestellt) gerade
nicht enthalten. Dem Schwerbehinderten wird daher beim Erwerb einer Kombikarte zwar - wie jedem anderen Käufer, der nicht
von der in der Eintrittskarte enthaltenen Fahrtberechtigung profitiert - ein zusätzlicher Entgeltfaktor aufgebürdet. Da dieser
jedoch gerade nicht als Gegenleistung für die Beförderung freifahrtberechtigter Schwerbehinderter dient, steht dies der Annahme
einer unentgeltlichen Beförderung im Sinne des §
145 Abs.
3 SGB IX nicht entgegen.
2. Auch die übrigen Voraussetzungen des geltend gemachten Erstattungsanspruchs sind erfüllt; insbesondere handelt es sich
bei den der VVS zustehenden Fahrtkostenanteilen aus dem Erlös der Kombikarten um berücksichtigungsfähige Fahrgeldeinnahmen
im Sinne des §
148 Abs.
2 SGB IX.
Für den Begriff der Fahrgeldeinnahme ist ohne Bedeutung, ob das Entgelt ganz oder zum Teil vom Benutzer selbst, von dritter
Seite oder von der öffentlichen Hand gezahlt wird (vgl. BT-Drs. 8/2453, S. 12). Dass die in Rede stehenden Einnahmen den Verkehrsunternehmen
nicht vom Beförderten, sondern von dem jeweiligen Veranstalter zugeführt werden, steht der Berücksichtigung daher nicht entgegen
(vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.1979 - VII C 56.75 -, Buchholz 442.01 § 39 PBefG Nr. 1).
Entgegen der Auffassung des Beklagten stammen die Erträge auch aus dem Fahrkartenverkauf. Zwar erwirbt der Käufer einer Kombikarte
primär eine Eintrittskarte für die entsprechende Veranstaltung. Durch den gemäß Ziffer C.4. der Gemeinsamen Beförderungsbedingungen,
Tarifbestimmungen und Fahrpreise der VVS anzubringenden Aufdruck berechtigt die Eintrittskarte jedoch zugleich zur Inanspruchnahme
des öffentlichen Personennahverkehrs. Der Kombikarte kommt somit funktionell die Eigenschaft einer Fahrkarte zu. Der Verkauf
einer Eintrittskarte im Kombikarten-Modell enthält daher hinsichtlich des in der Kombikarte enthaltenen Fahrtkostenanteils
zugleich einen "Fahrkartenverkauf" im Sinne des §
148 Abs.
2 SGB IX.
Für die Einräumung dieser Fahrtberechtigung erhält der VVS das vertraglich festgelegte "Beförderungsentgelt" (vgl. § 2 des
vorgelegten Mustervertrages). Dieses ist auch "genehmigt", weil das Regierungspräsidium der Berechnungsformel für die Bestimmung
des jeweiligen Fahrtkostenanteils einer Kombikarte mit Bescheid vom 06.04.1984 zugestimmt hat (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 PBefG).
3. Auch die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Verpflichtung zur Erstattung der Prozesszinsen ist nicht zu beanstanden.
Sie findet ihre Rechtsgrundlage in §
291 BGB, der auch im Verwaltungsprozess Anwendung findet, sofern - wie hier - keine gegenteilige Regelung im Fachrecht besteht. Der
Erstreckung der Vorschrift steht auch nicht entgegen, dass die Klage nicht unmittelbar auf die Zahlung einer Geldschuld gerichtet
ist, sondern den Erlass eines die Zahlungspflicht auslösenden Verwaltungsakts erstrebt. Die Vorschaltung der durch Verwaltungsakt
erfolgenden Entscheidung ist vielmehr eine Besonderheit des Verwaltungsrechts, so dass sich die Ausdehnung der Vorschrift
auf den Fall der Verpflichtungsklage als Spezifikum der "entsprechenden" Anwendung im Verwaltungsprozess ergibt. Prozesszinsen
in entsprechender Anwendung des §
291 BGB können daher auch verlangt werden, wenn die Verwaltung zum Erlass eines die Zahlungspflicht unmittelbar auslösenden Verwaltungsakts
verpflichtet worden ist und der Umfang der hieraus resultierenden Geldschuld eindeutig bestimmt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom
27.10.1998 - 1 C 38/97 -, BVerwGE 107, 304). Diese Voraussetzungen ergeben sich hier bereits aus der Bezifferung der begehrten weiteren Fahrgelderstattung auf 6.624,87
EUR.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs.
2 VwGO. Gerichtskostenfreiheit nach §
188 Satz 2
VwGO liegt nicht vor. Zwar ist die Klägerin kein Sozialleistungsträger im formellen Sinn; sie wird hinsichtlich des in §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX eingeräumten Anspruchs auf unentgeltliche Beförderung aber aus sozialpolitischen Motiven in Anspruch genommen, so dass eine
analoge Anwendung des §
188 Satz 2
VwGO auf die Erstattungsstreitigkeiten nach §
145 Abs.
3 SGB IX gerechtfertigt erscheint.
Ein Grund für die Zulassung der Revision nach §
132 Abs.
2 VwGO besteht nicht.
[B e s c h l u s s vom 11. März 2008
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 6.624,87 EUR festgesetzt (vgl. §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 3 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.]