Erstattung einer überzahlten Erwerbsminderungsrente
Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Mit Urteil vom 4.6.2020 hat das LSG Sachsen-Anhalt die Aufhebung eines Rücknahme- und Erstattungsbescheids der Beklagten abgelehnt,
mit dem die Klägerin zur Erstattung des überzahlten Teils ihrer Erwerbsminderungsrente herangezogen wird.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 24.9.2020 begründet hat.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung genügt nicht
der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat darin weder den in erster Linie geltend gemachten Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) noch denjenigen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) noch einen Verfahrensmangel (Zulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG) in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet.
a) Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nicht-Übereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen
zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein entscheidungstragender Rechtssatz oder mehrere
derartige Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen
aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem
ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung
beruht (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 §
160a Nr 32 RdNr 21; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 15 ff mwN). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen
Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung
im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz
(vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin bringt vor, nach Auffassung des LSG sei die Beklagte zur teilweisen Rücknahme des Rentenbescheids vom 3.3.2015
für die Vergangenheit berechtigt gewesen. Darin sei der Zahlbetrag der Erwerbsminderungsrente für den streitigen Zeitraum
aufgrund einer unzutreffenden Berücksichtigung von Hinzuverdienst zu hoch festgesetzt worden. Auf Vertrauensschutz könne die
Klägerin sich nicht berufen, weil sie, so das LSG, die Rechtswidrigkeit der Rentenfestsetzung zumindest grob fahrlässig iS
des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X nicht erkannt habe. Zur Überzeugung des LSG seien insbesondere die subjektiven Voraussetzungen erfüllt. Mit der Beschwerdebegründung
macht die Klägerin unter Hinweis auf verschiedene BSG-Entscheidungen geltend, nach der ständigen Rechtsprechung des BSG sei bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit von einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab auszugehen und sei (grobe)
Fahrlässigkeit nur dann zu bejahen, wenn der Betroffene schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstelle und
daher dasjenige nicht beachte, was in der konkreten Situation jedem einleuchten müsste. Wie sie im Einzelnen ausführt, habe
sie dem Rentenbescheid vom 3.3.2015 aber nicht ohne Weiteres und ohne Mühen die fehlerhafte Rentenberechnung entnehmen können.
Diese sei für sie, anders als das LSG befunden habe, nicht offensichtlich gewesen angesichts der komplexen Berechnung der
Hinzuverdienstgrenze und ihres schwankenden Einkommens. Damit benennt die Klägerin keinen entscheidungstragenden abstrakten
Rechtssatz, mit dem das LSG von einem abstrakten Rechtssatz in einer der aufgeführten Entscheidungen oder einer anderen Entscheidung
des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte. Sie führt im Gegenteil selbst aus, das LSG habe bei zur Beurteilung der
Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit der Rentenfestsetzung einen subjektiven Maßstab angelegt. In Auseinandersetzung mit der
Rechtsprechung des BSG zum Vertrauensschutz gegenüber Rücknahmeentscheidungen für die Vergangenheit stellt die Klägerin lediglich ihre eigene Wertung
des Ermittlungsergebnisses derjenigen des LSG gegenüber. Der darin liegende Vorwurf, die Entscheidung des LSG sei unrichtig,
reicht aber wie erwähnt zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz nicht aus.
b) Die Klägerin legt ebenso wenig den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache anforderungsgerecht
dar. Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt,
deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen
Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit).
In der Beschwerdebegründung ist deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre
nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und der Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage
im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; jüngst BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 289/18 B - juris RdNr 9; vgl auch BVerfG <Kammer> Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 §
160a Nr 7 S 14; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 14 ff mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin bringt vor, mit der angegriffenen Entscheidung sei das LSG zudem von Entscheidungen des 5. Senats des LSG Sachsen-Anhalt
(Urteil vom 17.2.2015 - L 5 R 900/13) und des Hessischen LSG (Urteil vom 29.2.2008 - L 5 R 195/06) abgewichen. Sie legt aber auch insoweit keine Abweichung im Grundsätzlichen dar. Vielmehr macht sie im Kern geltend, in den
angeführten Entscheidungen seien die dortigen Ermittlungsergebnisse in ihres Erachtens vergleichbaren Konstellationen anders
gewürdigt worden als vom LSG in der vorliegend angegriffenen Entscheidung. Zudem versäumt es die Klägerin, im Zusammenhang
mit dem geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache eine hinreichend bestimmte und aus
sich heraus verständliche abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit von § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X oder einer anderen Vorschrift des Bundesrechts (§
162 SGG) mit höherrangigem Recht zu formulieren. Die Bezeichnung einer solchen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar (stRspr; zB BSG Beschluss vom 8.4.2020 - B 12 R 24/19 B - juris RdNr 8).
c) Falls die Klägerin mit ihrem Vorbringen, das LSG habe im angegriffenen Urteil keine substantiellen Ausführungen zur Würdigung
aller Umstände des Einzelfalls gemacht, einen Verstoß gegen die Begründungspflicht (§
128 Abs
1 Satz 2 iVm §
136 Abs
1 Nr
6 SGG) rügen will, bezeichnet sie den damit sinngemäß geltend gemachten Verfahrensmangel nicht anforderungsgerecht. Sie hat keine
Umstände dargetan, die eine solche Rüge zu stützen in der Lage wären. Wie sie selbst mitteilt, enthält das angegriffene Berufungsurteil
Ausführungen zu dem für sie zentralen Punkt der groben Fahrlässigkeit iS des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X und dem dabei heranzuziehenden subjektiven Maßstab. Entscheidungsgründe fehlen aber nicht bereits dann, wenn die Gründe (vermeintlich)
sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft sind (stRspr; vgl etwa BSG Beschluss vom 25.10.2017 - B 1 KR 18/17 B - juris RdNr 6 mwN). Dass die Klägerin das Urteil des LSG offensichtlich für falsch hält, kann auch unter keinem anderen Gesichtspunkt zur Revisionszulassung
führen (stRspr; vgl etwa BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BSG Beschluss vom 21.4.2020 - B 13 R 44/19 B - juris RdNr 8; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 und 4
SGG.