Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Mit Beschluss vom 10.7.2020 hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung
verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 10.9.2020 begründet hat.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung genügt nicht
der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Form. Der Kläger hat darin die als Zulassungsgrund allein geltend gemachten Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass iS von §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels
zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich,
dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen
kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.10.2010 - B 12 KR 2/10 B - juris RdNr 5; jüngst BSG Beschluss vom 9.12.2019 - B 13 R 259/19 B - juris RdNr
4). Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht
gefolgt ist. Den daraus abgeleiteten Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Ausdrücklich rügt der Kläger einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§
103 Satz 1 Halbsatz 1
SGG). Er macht geltend, das LSG habe zu Unrecht davon abgesehen, ein Sachverständigengutachten auf kardiologischem Fachgebiet einzuholen.
Für eine solche Sachaufklärungsrüge bestehen spezifische Darlegungsanforderungen. Sie muss folgende Punkte enthalten: (1)
Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das Berufungsgericht nicht gefolgt
ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten
erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen
Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen
Beweisaufnahme beruhen kann, das Berufungsgericht mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem
Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG Beschluss vom 3.12.2012 - B 13 R 351/12 B - juris RdNr 6 mwN; jüngst BSG Beschluss vom 28.11.2019 - B 13 R 169/18 B - juris RdNr 4). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG ferner die Darlegung, dass ein - wie der Kläger - bereits in der Berufungsinstanz anwaltlich vertretener Beteiligter einen
Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht nur gestellt, sondern auch zumindest hilfsweise aufrechterhalten
hat (vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 21.2.2018 - B 13 R 28/17 R, B 13 R 285/17 B - juris RdNr 14 mwN). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn das Berufungsgericht - wie hier - von der ihm durch §
153 Abs
4 Satz 1
SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen. An
die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung tritt dann der Zeitpunkt des Zugangs der Anhörungsmitteilung nach §
153 Abs
4 Satz 2
SGG. Dieser muss jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter entnehmen, dass das Berufungsgericht keine weitere Sachaufklärung
mehr beabsichtigt und etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche
Beweisanträge iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten
oder neue Beweisanträge stellen will, dem LSG ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder neue förmliche
Beweisanträge stellen (vgl BSG Beschluss vom 9.3.2016 - B 1 KR 6/16 B - juris RdNr 4 f mwN; BSG Beschluss vom 7.2.2017 - B 13 R 389/16 B - juris RdNr 9). An einer entsprechenden Darlegung fehlt es in der Beschwerdebegründung.
Der Kläger macht letztlich nicht geltend, in der Berufungsinstanz einen Beweisantrag iS des §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
403 ZPO gestellt zu haben. Er bezieht sich auf seine Ausführungen in der Berufungsbegründung zu dem aus seiner Sicht fortbestehenden
Ermittlungsbedarf, die er selbst als bloße Beweisanregung bezeichnet. Jedenfalls legt er nicht dar, anlässlich der Anhörung
zur Entscheidung im Beschlusswege einen förmlichen Beweisantrag (erneut) gestellt zu haben. Er behauptet auch nicht etwa,
keine Anhörungsmitteilung vom LSG erhalten zu haben. Soweit der Kläger im Einzelnen ausführt, dass und warum sich nach seinem
Dafürhalten das Ausmaß seiner kardiologischen Erkrankung nicht anhand der vorliegenden Befundberichte und sonstigen medizinischen
Unterlagen beurteilen lasse, wendet er sich gegen die Würdigung des Ermittlungsergebnisses durch das LSG. Der darin liegende
Vorhalt, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann jedoch nicht zur Revisionszulassung führen (stRspr; vgl zuletzt etwa BSG Beschluss vom 24.3.2021 - B 13 R 14/20 B - juris RdNr 13 mwN).
b) Der Kläger macht zudem geltend, das LSG habe die im Berufungsverfahren eingeholten aktuellen Befundberichte der auf kardiologischem
Fachgebiet behandelnden Ärzte nicht, wie mit gerichtlichem Schreiben vom 14.3.2019 angekündigt, dem Sachverständigen K - einem
Internisten und Psychotherapeuten - zur Ergänzung seines erstinstanzlich erstellten Gutachtens vorgelegt. Ein Verfahrensmangel
wird aber auch insoweit nicht anforderungsgerecht bezeichnet. Insbesondere hat der Kläger damit keine Verletzung seines Anspruchs
auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG; §
62 SGG) in Form einer Überraschungsentscheidung dargetan.
Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis
auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf
nicht zu rechnen brauchte (BVerfG <Kammer> Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 = juris RdNr 18 mwN; BSG Beschluss vom 21.1.2020 - B 13 R 287/18 B - juris RdNr 13). Dass der Prozess nach Erhalt des gerichtlichen Schreibens vom 14.3.2019 eine für ihn unerwartete Wende genommen habe, zeigt
der Kläger nicht auf. Seinem Gesamtvorbringen lässt sich im Gegenteil entnehmen, dass das LSG die erstinstanzliche Entscheidung
gerade in der Beurteilung seiner Leistungseinschränkungen aufgrund der kardiologischen Erkrankung im Wesentlichen bestätigt
habe. Im Kern rügt der Kläger wiederum einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht, ohne allerdings - wie es erforderlich
wäre - darzutun, einen ordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt und jedenfalls nach Erhalt der Anhörungsmitteilung des LSG aufrechterhalten
zu haben. Diese Darlegungsanforderung kann nicht durch eine Rüge in anderer Gestalt umgangen werden. Andernfalls liefen die
Beschränkungen, die §
160 Abs
2 Nr
3 SGG für die Sachaufklärung normiert, im Ergebnis leer (vgl BSG Beschluss vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7; BSG Beschluss vom 22.10.2008 - B 5 KN 1/06 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 28.9.2010 - B 5 R 202/10 B - juris RdNr 11).
c) Der Kläger rügt ferner sinngemäß eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG; §
62 SGG), indem das LSG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß §
153 Abs
4 Satz 1
SGG über seine Berufung entschieden habe. Eine Gehörsrüge wird aber auch insoweit nicht anforderungsgemäß erhoben. Der Kläger
legt keine Umstände dar, die eine Gehörsverletzung zu stützen in der Lage wären.
Nach §
153 Abs
4 Satz 1
SGG kann das Berufungsgericht, außer in den Fällen, in denen erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid entschieden worden ist, die
Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
hält. Die vom Berufungsgericht danach zu treffende Ermessensentscheidung für ein Vorgehen nach §
153 Abs
4 Satz 1
SGG wird vom Revisionsgericht lediglich darauf geprüft, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen unter Berücksichtigung dieser
Maßstäbe erkennbar fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung
zugrunde liegen (vgl zB BSG Beschluss vom 6.8.2019 - B 13 R 233/18 B - juris RdNr 10 mwN). Eine solche Ermessensüberschreitung durch das LSG ist nicht dargetan.
Der Kläger bringt vor, der angegriffene Beschluss lasse nicht erkennen, ob im Vorfeld eine Beratung im zuständigen Senat des
LSG stattgefunden habe. Damit ist kein fehlerhaftes Vorgehen des LSG dargetan. Bei Versenden einer Anhörungsmitteilung nach
§
153 Abs
4 Satz 2
SGG muss der zuständige Spruchkörper sich noch keine Meinung über die Erfolgsaussichten der Berufung gebildet haben. Eine Anhörungsmitteilung
ist bereits dann zulässig, wenn sich das Berufungsgericht über seine Verfahrensweise noch nicht schlüssig geworden ist, es
aber zweckmäßig und sachgerecht erscheint, die äußeren Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss
zu beschaffen (BSG Beschluss vom 19.12.2006 - B 7a AL 148/06 B - juris RdNr 7 mwN). Darüber hinaus wiederholt der Kläger auch an dieser Stelle lediglich sein Vorbringen, das LSG habe die aufgrund seiner kardiologischen
Erkrankung bestehenden Leistungseinschränkungen nicht allein anhand der vorliegenden Befundberichte beurteilen dürfen. Damit
ist keine Ermessensüberschreitung des LSG bei der Entscheidung für ein Vorgehen nach §
153 Abs
4 Satz 1
SGG schlüssig dargetan, sondern allenfalls eine Sachaufklärungsrüge erhoben. Auch insoweit gilt, dass deren Darlegungsanforderungen
nicht durch eine Rüge in anderer Gestalt umgangen werden können.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 und 4
SGG.