Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Zugunstenverfahren
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Das LSG Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 25.9.2020 einen vom Kläger im Zugunstenverfahren geltend gemachten Anspruch auf
Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit anstelle der seit 2001 gewährten Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 21.12.2020 begründet hat.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung genügt nicht
der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Form. Der Kläger hat darin die als Zulassungsgrund allein geltend gemachten Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass iS von §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels
zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich,
dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen
kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.10.2010 - B 12 KR 2/10 B - juris RdNr 5; jüngst BSG Beschluss vom 9.12.2019 - B 13 R 259/19 B - juris RdNr
4). Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht
gefolgt ist. Den daraus abgeleiteten Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Das gilt schon deswegen, weil der Kläger den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht ausreichend darstellt (vgl zu dieser Darlegungsanforderung BSG Beschluss vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14 - juris RdNr 3; s auch BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 13 R 234/17 B - juris RdNr 5). Seinem Gesamtvorbringen ist zwar noch zu entnehmen, dass er eine Rentengewährung auf einen Antrag hin begehrt, den er nach
seinem Dafürhalten bereits im März 2000 bei der Beklagten gestellt habe. Er zeigt aber allenfalls bruchstückhaft auf, welche
Tatsachen das LSG insbesondere zu der Rentenantragstellung und dem Ablauf der offensichtlich diversen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren
festgestellt hat. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen
Entscheidung herauszusuchen (BSG Beschluss vom 31.5.2017 - B 5 R 358/16 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 26.1.2018 - B 13 R 309/14 B - juris RdNr 3 f). Aber auch im Übrigen sind die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht hinreichend bezeichnet.
a) Der Kläger rügt ua als Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG; §
62 Satz 1 Halbsatz 1
SGG), das LSG sei seinem Antrag nicht gefolgt, das Berufungsverfahren analog §
114 Abs
2 Satz 1
SGG bis zu einer Entscheidung des SG Freiburg über seine dort im März 2020 erhobene Untätigkeitsklage ruhend zu stellen. Zur
Rüge eines Verstoßes gegen die Ermessensvorschrift des §
114 Abs
2 Satz 1
SGG muss dargetan werden, dass grundsätzlich eingeräumtes Ermessen im besonderen Streitfall auf null reduziert und das Gericht
zu einer Aussetzung des Verfahrens verpflichtet gewesen sei (BSG Beschluss vom 13.11.2006 - B 13 R 423/06 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 24.11.2011 - B 4 AS 177/11 B - juris RdNr 10). Eine solche Ermessensreduzierung auf null ist vom Kläger nicht schlüssig dargetan.
Er zeigt nicht auf, dass ohne Ruhensanordnung eine Sachentscheidung nicht möglich gewesen sei (vgl zu dieser Voraussetzung für eine Ermessensreduzierung auf null zB BSG Beschluss vom 18.10.2016 - B 1 KR 74/16 B - juris RdNr 5 mwN). Sein pauschales Vorbringen, die unterbliebene Ruhensanordnung beeinträchtige ihn nachteilig in seinen persönlichen Rechten,
reicht insoweit nicht aus. Da auch zu diesem gerügten Verfahrensmangel Tatsachen nicht ausreichend dargetan sind, erschließt
sich die Möglichkeit einer Ermessensreduzierung auf null auch nicht aus dem weiteren Vortrag des Klägers, im vorliegenden
Verfahren gehe es letztlich um den Rentenbeginn, sodass die Entscheidung über seine vor dem SG Freiburg erhobene Untätigkeitsklage
insoweit vorgreiflich sei; ohne die begehrte Ruhendstellung laufe sein Verfahren vor dem SG Freiburg "ins Leere". Letzteres
Vorbringen steht zudem im Widerspruch zu der Prognose des Klägers, das SG Freiburg werde die Beklagte zur Bescheidung seines
nach seinem Dafürhalten bereits im März 2000 gestellten Rentenantrags verpflichten. Mit seinen umfangreichen Ausführungen
zur Auslegung von Leistungsanträgen wendet der Kläger sich im Kern gegen die - allenfalls in Ansätzen mitgeteilte - Würdigung
des Ermittlungsergebnisses durch das LSG. Der darin liegende Vorhalt, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig,
kann jedoch nicht zur Revisionszulassung führen (stRspr; vgl zuletzt etwa BSG Beschluss vom 24.3.2021 - B 13 R 14/20 B - juris RdNr 13 mwN).
b) Der Kläger rügt eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§
103 Satz 1 Halbsatz 1
SGG), indem das LSG eine nach seinem Dafürhalten unvollständige Verwaltungsakte der Beklagten zum Gegenstand der Berufungsentscheidung
gemacht habe. Der bereits in der Berufungsinstanz durch einen Rentenberater vertretene Kläger legt jedoch nicht dar, insoweit
einen ordnungsgemäßen Beweisantrag iS des §
118 Abs
1 Satz 1
SGG, §
403 ZPO gestellt und bis zum Ende der mündlichen Verhandlung vor dem LSG zumindest hilfsweise aufrechterhalten zu haben (vgl zu diesem Darlegungserfordernis zB BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 21.2.2018 - B 13 R 28/17 R, B 13 R 285/17 B - juris RdNr 14 mwN).
Allein mit dem Vorbringen, er habe gegenüber dem LSG mehrfach das Fehlen von Aktenteilen gerügt, ist dies nicht ausreichend
aufgezeigt. Die Ausführungen des Klägers zu den Grundsätzen der Aktenvollständigkeit und der Aktenwahrheit vermögen die erforderliche
Darlegung eines gegenüber dem LSG gestellten und aufrechterhaltenen Beweisantrags nicht zu ersetzen. Indem er vorbringt, in
der Verwaltungsakte würden medizinische Unterlagen fehlen, aus denen sich seines Erachtens ein bereits im Jahr 2000 eingetretener
Leistungsfall ergebe, wendet der Kläger sich auch an dieser Stelle gegen die Richtigkeit der LSG-Entscheidung. Darauf kann
eine Revisionszulassung wie erwähnt nicht gestützt werden.
c) Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang als weitere Gehörsverletzung rügt, das LSG habe sein umfangreiches Vorbringen
zu der aus seiner Sicht unvollständigen Akte überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, wird auch ein solcher Verfahrensmangel
nicht schlüssig aufgezeigt. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen
der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hiervon ist bei vom Gericht entgegengenommenen Vorbringen
der Beteiligten grundsätzlich auszugehen (vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 27.5.2016 - 1 BvR 1890/15 - juris RdNr 14 f). Da die Gerichte nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden brauchen,
kann sich eine Gehörsverletzung insoweit nur aus den besonderen Umständen des Falles ergeben (vgl BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 316 f, juris RdNr 44 mwN). Derartige Umstände sind vom Kläger nicht hinreichend dargetan.
Das gilt schon deswegen, weil die Beschwerdebegründung auch insoweit eine zumindest geraffte Darstellung des gerichtlichen
Verfahrens und insbesondere des Inhalts der angegriffenen Entscheidung vermissen lässt. Zudem wendet der Kläger sich letztlich
dagegen, dass das LSG seinem Vorbringen zu der aus seiner Sicht unvollständigen Verwaltungsakte nicht gefolgt sei. Der Anspruch
auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gericht indes nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, ihn
also zu "erhören" (BVerfG Beschluss vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN).
Falls der Kläger mit seinem Vorwurf, das LSG habe in Bezug auf die Vollständigkeit der Verwaltungsakte ua den Beschluss des
BVerfG vom 6.6.1983 (2 BvR 244/83, 2 BvR 310/83) und denjenigen des BVerwG vom 16.3.1988 (1 B 153/87) missachtet, zudem eine Divergenz (Zulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
2 SGG) geltend machen will, ist auch dieser nicht anforderungsgerecht dargetan. Er arbeitet schon keinen entscheidungstragenden
Rechtssatz des LSG heraus, der nach seinem Dafürhalten von einem entscheidungstragenden Rechtssatz in den erwähnten Entscheidungen
abweiche.
d) Der Kläger rügt als absoluten Revisionsgrund die vorschriftswidrige Besetzung des erkennenden 8. Senats des LSG (Art
101 Abs
1 Satz 2
GG, §
202 Satz 1
SGG iVm §
16 Satz 2
GVG). Er zeigt indes nicht, wie es erforderlich wäre, eine fehlerhafte Besetzung dieses Spruchkörpers schlüssig auf.
Sein Vorbringen, jedem Senat des LSG Baden Württemberg seien "hinter den Kulissen" ein vierter und ein fünfter Richter zugeordnet,
die im Geschäftsverteilungsplan nicht genannt würden, bleibt unsubstantiiert. Es deckt sich zudem nicht mit seinen eigenen
Ausführungen, wonach ausweislich des angeführten Geschäftsverteilungsplans dem 8. Senat des LSG zum Entscheidungszeitpunkt
fünf Richter zugeordnet gewesen seien, nämlich der Vorsitzende Richter am LSG S1, der Richter am LSG S2, die Richterin am
LSG H, der Richter am LSG B und die Richterin am SG H. Von diesen hätten drei - der Vorsitzende Richter am LSG S1, der in diesem Verfahren zuletzt als Berichterstatter bestellte
Richter am LSG B und die Richterin am SG H - über die Berufung entschieden. Daraus erschließt sich nicht, dass ein möglicherweise unzuständiger Richter an der angegriffenen
Entscheidung mitgewirkt haben könnte. Soweit der Kläger vorbringt, allein im Zeitraum vom 20.4.2018 bis zum 1.6.2020 seien
dem 8. Senat des LSG neun verschiedene Richter zugewiesen gewesen und der Berichterstatter für seine Berufung habe einmal
gewechselt, ist nicht dargetan, unter welchem Gesichtspunkt hieraus eine vorschriftswidrige Besetzung erwachsen könnte. Der
pauschale Vorwurf, "dass das nicht so gehen kann", genügt insoweit nicht.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 und 4
SGG.