Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
Entscheidung über eine Berufung ohne mündliche Verhandlung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Kläger wenden sich gegen die endgültige Festsetzung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in dem Zeitraum vom 1.2.2011 bis 31.7.2011 und eine damit verbundene Rückforderung in Höhe von 2727,66 Euro. Streitig ist
die Anrechnung von Einkünften aus einer selbstständigen Tätigkeit, welche von dem Kläger zu 1. seit September 2004 in Gestalt
eines Einzelhandels mit Lebensmitteln, Obst und Gemüse betrieben wird. Das LSG hat das klageabweisende Urteil des SG bestätigt. Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machen sie einen Verfahrensmangel und eine grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe eines Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) und einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet bzw dargelegt worden sind (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG, §
169 SGG).
Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§
109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs
1 Satz 1
SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG
ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend
von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).
Nach diesen Maßstäben haben die Kläger nicht dargelegt, warum das LSG ermessensfehlerhaft nach §
153 Abs
4 SGG entschieden haben könnte. Die Entscheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß §
153 Abs
4 Satz 1
SGG zurückzuweisen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf dessen fehlerhaften Gebrauch, dh
sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüft werden (stRspr; vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38; BSG SozR 4-1500 §
153 Nr 7 RdNr 27). Zwar kann die Entscheidung nach §
153 Abs
4 Satz 1
SGG auf einer groben Fehleinschätzung beruhen, wenn der Sachverhalt nicht umfassend ermittelt worden ist und eine mündliche Verhandlung
erforderlich war, um dies sicherzustellen (vgl nur BSG vom 18.6.2019 - B 9 V 38/18 B - juris RdNr 9 ff). Die Kläger haben jedoch nicht dazu vorgetragen, dass es sich vorliegend um einen Sachverhalt handelt, den das LSG bei Durchführung
einer mündlichen Verhandlung näher hätte aufklären müssen. Sie machen geltend, das LSG habe sich bei seiner Ermessensentscheidung
nach §
153 Abs
4 SGG nicht damit auseinandergesetzt, dass in erster Instanz nach ausführlicher Beratung in einem Erörterungstermin ein Widerrufsvergleich
geschlossen worden sei. Die Grundlage der Ermessenentscheidung sei daher unvollständig. Dieser Vortrag lässt jedoch schon
nicht erkennen, dass ein noch aufzuklärender Sachverhalt vorlag. Insofern hätten sich die Kläger auch damit befassen müssen,
dass das LSG in seinen tatsächlichen Feststellungen zugrunde gelegt hat, dass weitere Angaben von den Klägern nicht erfolgen
konnten.
Auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) ist nicht in der erforderlichen Weise dargelegt worden. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine
Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung
durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung
der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ggf sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht
geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich
ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht
zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit)
sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen
(vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Die Beschwerdebegründung der Kläger wird auch diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Zwar formulieren sie eine Rechtsfrage
("Kann der selbstständige Gewerbetreibende den Nachweis der Hilfebedürftigkeit gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 11 SGB II, § 3 Alg V II - V bei fehlenden Belegen für die privaten Sachentnahmen aus dem Gewerbebetrieb durch eine Schätzung des Steuerberaters
auf der Grundlage der angepassten Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen führen oder ist der Nachweis durch
eine solche Schätzung ausgeschlossen, da die Richtsatzsammlung des Ministeriums der Finanzen grundsätzlich nicht anzuwenden
ist?"). Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit sind jedoch nicht dargelegt. Die Kläger hätten sich damit befassen müssen,
warum sich nicht bereits aus dem Wortlaut des § 3 Abs 2 Satz 1 Alg II-V, der ausdrücklich eine Berechnung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften
vorsieht, oder aus der Rechtsprechung des BSG eine Klärung der aufgeworfenen Frage ergibt (vgl BSG vom 17.2.2016 - B 4 AS 17/15 R - BSGE 120, 242 = SozR 4-4200 § 11 Nr 75, RdNr 22 ff zur Berechnung des anrechenbaren Einkommens nach eigener, die Binnensystematik des Grundsicherungsrecht
beachtenden Regeln; BSG vom 19.3.2020 - B 4 AS 1/20 R - juris RdNr 36 ff zur nicht möglichen Übertragung der steuerrechtlichen Regelungen auf das Leistungsrecht des SGB II). Schließlich legen sie nicht dar, warum es auf die Beantwortung der Rechtsfrage im vorliegenden Rechtsstreit ankommen soll
und dass die Entscheidung des LSG bei Zugrundelegung ihrer Rechtsauffassung anders hätte ausfallen müssen. Sie haben selbst
vorgetragen, dass das LSG seine zurückweisende Entscheidung mit dem Fehlen jeglichen Nachweises bezogen auf ihre Bedürftigkeit
und Zweifel an der Hilfebedürftigkeit durch die fehlenden Kontobewegungen begründet habe. Mit dieser weiteren Begründung des
LSG setzen sich die Kläger jedoch nicht auseinander. In Konstellationen, in denen das Urteil nebeneinander auf mehrere Begründungen
gestützt wird, ist die Revision jedoch nur zuzulassen, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt
und formgerecht gerügt wird (vgl nur Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 51 mwN). Eine abstrakte Klärung der vom Kläger aufgeworfenen Fragen kann nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.