Versicherungspflicht für eine Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer
Vertrauensschutz durch die Kopf-Seele-Rechtsprechung
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Versicherungspflicht
des Beigeladenen zu 1. (im Folgenden: Beigeladener) vom 1.9.2010 bis zum 13.8.2014 in der Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer
der Klägerin.
Die Beklagte stellte im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens fest, dass der Beigeladene diese Tätigkeit im Rahmen eines
abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe und ab 1.9.2010 Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung
sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe (Bescheid vom 22.11.2011). Am 27.2.2012 stellte die Klägerin einen Antrag auf Überprüfung dieses Bescheids. Der Beigeladene verfüge seit dem 16.8.2011
über einen Anteil am Stammkapital der Klägerin von 20 % (bislang 16,67 %) und sei "Kopf und Seele" der Klägerin. Der Gesellschaftsvertrag
der Klägerin habe keine zustimmungspflichtigen Geschäfte für den Geschäftsführer vorgesehen. Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag
ab (Bescheid vom 8.3.2012; Widerspruchsbescheid vom 20.8.2012). Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben (S 47 KR 717/12).
Ein erneutes Überprüfungsverfahren im Hinblick auf den Geschäftsführerdienstvertrag vom 1.2.2012 und der dazu ergangenen Änderungsvereinbarung
vom 28.5.2012 führte zu einer weiteren ablehnenden Entscheidung (Bescheid vom 22.2.2013; Widerspruchsbescheid vom 23.5.2013), gegen die die Klägerin ebenso beim SG Dresden Klage erhoben hat (S 47 KR 628/13). Das SG hat die beiden Klagen verbunden und abgewiesen (Urteil vom 10.6.2016). Das LSG hat die Berufung insoweit als begründet angesehen, als in der Zeit vom 1.1.2013 bis zum 31.10.2013 wegen Überschreitung
der Jahresarbeitsentgeltgrenze keine Versicherungspflicht des Beigeladenen in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung
bestanden habe. Im Übrigen hat es die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Der Bescheid vom 22.11.2011 sei zwar rechtswidrig,
soweit Versicherungspflicht für die Zeit vom 1.9.2010 bis zum 28.2.2011 festgestellt worden sei, weil der Beigeladene ausweislich
§ 7 des Anstellungsvertrags vom 10.3.2011 in dieser Zeit unentgeltlich tätig gewesen sei. Gleichwohl sei die Beklagte insoweit
nicht zur Aufhebung der Feststellung verpflichtet, weil § 44 Abs 1 SGB X im Statusfeststellungsverfahren nicht anwendbar sei. Eine Rücknahme für die Vergangenheit nach § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X sei hier ausgeschlossen; dies folge aus dem Grundsatz, dass die Beurteilung von Versicherungsverhältnissen rückwirkend nicht
geändert werden solle. Im Übrigen sei der Beigeladene als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin abhängig beschäftigt
gewesen, daran ändere auch die Neufassung des Geschäftsführerdienstvertrags vom 1.2.2012 nichts. Unerheblich seien die schuldrechtliche
Stimmbindungsvereinbarung sowie eine Stellung als "Kopf und Seele" des Unternehmens (Urteil vom 13.1.2021). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen
(§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG). Die Klägerin hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über
den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung
durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung
ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des §
162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und
des Schrifttums auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich
ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
a. Die Klägerin misst zunächst der Frage, "ob § 44 Abs. 1 SGB X ausnahmsweise auch auf das Statusfeststellungsverfahren Anwendung findet", grundsätzliche Bedeutung bei. Das BSG habe zuletzt im Urteil vom 8.7.2020 (B 12 R 1/19 R) ausdrücklich offengelassen, ob nach § 44 Abs 1 SGB X auch dann "Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind", wenn es aufgrund der Feststellung der Versicherungspflicht erst mittelbar
zur Beitragserhebung gekommen sei. Die Frage werde in der Literatur und von den Landessozialgerichten unterschiedlich beantwortet
und sei praxisrelevant, weil Geschäftsführerverträge typischerweise in der Gründungsphase vorsähen, dass der Geschäftsführer
für sechs Monate kein Entgelt erhalte.
Unabhängig davon, ob die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit einer abstrakt-generellen Rechtsfrage hinreichend dargetan hat,
mangelt es an ausreichenden Darlegungen zur Klärungsfähigkeit. Hierzu ist aufzuzeigen, dass die Frage im angestrebten Revisionsverfahren
entscheidungserheblich ist. Die Klägerin behauptet zwar, dass das LSG bei Anwendung des § 44 Abs 1 SGB X den Bescheid vom 22.11.2011 zumindest für den Zeitraum vom 1.9.2010 bis März 2011 hätte aufheben müssen. Daraus ergibt sich
aber noch nicht, dass das BSG über die aufgeworfene Frage nach den den Senat allein bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (vgl §
163 SGG) tragend entscheiden könnte. Denn die Klägerin legt nicht substantiiert dar, dass die einzelnen Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB X für eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG erfüllt sind. Sie bezieht
sich zwar auf die Auslegung des LSG, dass der Beigeladene ausweislich § 7 Abs 1 des Geschäftsführeranstellungsvertrags vom
10.3.2011 für den Zeitraum von der Aufnahme der Tätigkeit bis März 2011 keine Vergütung erhalten habe. Sie zeigt aber nicht
auf, welche tatsächlichen Feststellungen das LSG zum konkreten Inhalt des Anstellungsvertrags hinsichtlich der Vergütung sowie
dazu getroffen hat, ob mündliche oder konkludente Änderungen zu der schriftlichen Vereinbarung erfolgt sind. Diese Grundlagen
sind bei der Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit jedoch regelmäßig zu prüfen (stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 29.7.2015 - B 12 KR 23/13 R - BSGE 119, 216 = SozR 4-2400 § 7 Nr 24, RdNr 17). Außerdem fehlen Darlegungen dazu, auf welchen Angaben der Bescheid vom 22.11.2011 beruht, sodass anhand der Beschwerdebegründung
nicht beurteilt werden kann, ob ein Ausschlussgrund nach § 44 Abs 1 Satz 2 SGB X vorliegt. Soweit die Klägerin für die Anwendung von § 44 Abs 1 SGB X grundsätzlich auf die mittelbare Beitragserhebung abstellen möchte, führt sie auch nicht aus, ob Beiträge für den Zeitraum
der behaupteten Unentgeltlichkeit bereits erhoben worden oder in einem solchen Fall überhaupt regelmäßig zu erwarten sind.
b. Mit ihren Ausführungen zum Vertrauensschutz "in Bezug auf die sog. Altfälle und den durch die 'Kopf-Seele-Rechtsprechung'
gesetzten Vertrauensschutz" formuliert die Klägerin bereits keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich
oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§
162 SGG) mit höherrangigem Recht (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht
an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Außerdem fehlt es an hinreichenden Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit. Denn die Klägerin setzt sich weder mit der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts zu verfassungsrechtlich garantiertem Vertrauensschutz (vgl zB Nichtannahmebeschluss vom 5.11.2015 - 1 BvR 1667/15 - juris) noch mit den ausführlichen Ausführungen des Senats zum Vertrauensschutz von GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführern in die sog
"Kopf und Seele" Rechtsprechung (BSG Urteil vom 19.9.2019 - B 12 KR 21/19 R - BSGE 129, 106 = SozR 4-2400 § 7 Nr 45, RdNr 21 ff) auseinander.
Soweit die Klägerin eine Präzisierung des Merkmals der "Rechtsmacht" dahingehend fordert, "welches Gewicht dieses Indiz im
Gegensatz zu den anderen Kriterien" bei der Statusfeststellung einnehme, fehlt es ebenso an einer abstrakten Rechtsfrage.
Im Kern wendet sich die Klägerin damit gegen die Einzelfallwertung des LSG. Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich
unrichtig, kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 4.4.2018 - B 12 R 38/17 B - juris RdNr 8). Davon abgesehen setzt sich die Beschwerdebegründung auch bezüglich des Kriteriums der Rechtsmacht nicht hinreichend mit
der Rechtsprechung des Senats zur Statuszuordnung von Geschäftsführern einer GmbH (vgl zB BSG Urteil vom 12.5.2020 - B 12 R 5/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 50; BSG Urteil vom 8.7.2020 - B 12 R 26/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 51) auseinander.
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung
beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen
rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen
Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht
die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern
die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon
dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere
rechtliche Maßstäbe zu demselben Gegenstand bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschlüsse vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).
Die von der Klägerin gerügte Divergenz des angefochtenen Urteils zu der Entscheidung des BSG vom 16.2.2012 (B 9 SB 2/11 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 14) ist nicht hinreichend dargetan. Die Klägerin führt lediglich aus, nach der besagten Entscheidung des BSG "sei § 44 Abs. 2 SGB X die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Rücknahme der mit Bescheid erfolgten Feststellung. § 44 Abs. 2 SGB X sei ein 'Auffangtatbestand' für Fälle, in denen § 44 Abs. 1 SGB X nicht an- wendbar sei". Sie stellt dem jedoch nicht - wie erforderlich - einen Rechtssatz des LSG gegenüber, sondern zieht
daraus lediglich eigene Schlussfolgerungen zur Anwendbarkeit des § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X. Außerdem legt sie nicht hinreichend dar, wieso die auf die "streitige Feststellung nach dem Schwerbehindertenrecht" bezogene
Entscheidung des 9. Senats auch auf die Feststellung der Versicherungspflicht übertragbar sein soll. Soweit sie hierzu auf
die Senatsentscheidung vom 11.4.1984 (12 RK 68/82 - SozR 5755 Art 2 § 1 Nr 5) hinweist, um die Anwendung von § 44 Abs 2 SGB X auch auf feststellende Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht (Befreiungsbescheid) darzulegen, fehlen differenzierende
Ausführungen zu § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X (Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft) und Satz 2 (Rücknahme für die Vergangenheit). Angemerkt sei, dass die Frage, ob sich
das LSG seinerseits zu Recht auf die höchstrichterliche Entscheidung zum Ausschluss der Rücknahme eines Befreiungsbescheids
mit Wirkung für die Vergangenheit (BSG Urteil vom 8.12.1999 - B 12 KR 12/99 R - BSGE 85, 208 = SozR 3-2500 § 8 Nr 4) stützt, hier dahinstehen muss. Denn die Frage, ob das Urteil des LSG inhaltlich richtig ist, ist für die Zulassung der Revision
nicht relevant.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG abgesehen.
5. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm § 52 Abs 2, §
39 Abs
1, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG entsprechend der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.