Versorgung mit dem Arzneimittel Nexium Mups mit dem Wirkstoff Esomeprazol
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht
Gründe
I
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Kostenerstattung und künftige Versorgung
mit dem Arzneimittel Nexium Mups 40 mg (Wirkstoff: Esomeprazol) ohne Beschränkung auf den Festbetrag bei der Beklagten ohne
Erfolg geblieben. Das SG hat der Klage nach Einholung ua von Befundberichten und zweier medizinischer Sachverständigengutachten (K und Z) überwiegend
stattgegeben (Urteil vom 22.6.2016). Das LSG hat das SG-Urteil nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Z und eines weiteren Befundberichts des behandelnden
Arztes der Klägerin aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen: Der Senat habe sich nicht die volle Überzeugung davon verschaffen
können, dass die Erkrankung der Klägerin ausschließlich mit Nexium Mups 40 mg behandelt werden könne. Es sei nicht objektivierbar
gesichert, dass nach der Verabreichung eines Festbetragsarzneimittels eine neue Krankheit oder die Verschlimmerung einer bestehenden
Krankheit in einem eine Behandlungsbedürftigkeit begründenden Ausmaß hinzutrete (Urteil vom 12.6.2020).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensfehlers
(§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG sind die Umstände zu bezeichnen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN). Daran fehlt es.
1. Die vorliegend allein erhobene Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht (§
103 SGG) erfordert, dass in der Beschwerdebegründung ein für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbarer, bis zuletzt aufrechterhaltener
oder im Urteil wiedergegebener Beweisantrag bezeichnet wird, dem das LSG nicht gefolgt ist, dass die Rechtsauffassung des
LSG wiedergegeben wird, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, dass die von dem
Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufgezeigt werden, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, dass
das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angegeben und dass erläutert wird, weshalb die Entscheidung
des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann (stRspr; vgl zB BSG vom 16.5.2019 - B 13 R 222/18 B - juris RdNr 12 mwN). Für die Frage, ob ein hinreichender Grund für die unterlassene Beweiserhebung vorliegt, kommt es darauf an, ob das Gericht
objektiv gehalten gewesen wäre, den Sachverhalt zu dem von dem betreffenden Beweisantrag erfassten Punkt weiter aufzuklären,
ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr; vgl zB BSG vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - juris RdNr 4). Soweit der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist, muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise
zur Verfügung stehen, Gebrauch machen. Einen Beweisantrag darf es nur dann ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht
auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig
ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung
wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (vgl BSG vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 10; BSG vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - juris RdNr 4; BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 420/13 B - juris RdNr 12). Der bloße Angriff auf die Beweiswürdigung des LSG kann dagegen nicht zur Zulassung der Revision führen, auch wenn er in
die Gestalt einer Sachaufklärungsrüge gekleidet ist (vgl BSG vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr
12). §
160 Abs
2 Nr
3 SGG schließt dies aus.
Die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender
Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zur Einholung eines sogenannten Obergutachtens besteht auch
bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung
mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend,
darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine
weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren
Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten ungenügend sind (§
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
412 Abs
1 ZPO), weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen
oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8 f mwN).
Das Tatsachengericht braucht jedenfalls dann kein weiteres Gutachten einzuholen, wenn der Kläger bereits nicht darlegt, dass
sich die Tatsachengrundlagen der Gutachten widersprechen. Selbst widersprüchliche Tatsachenfeststellungen verschiedener Gutachten
erzwingen nicht bereits ein weiteres Gutachten, um den Widerspruch aufzulösen. Beruhen vielmehr die Differenzen zwischen den
Auffassungen von Sachverständigen darauf, dass diese von verschiedenen tatsächlichen Annahmen ausgehen, dann muss der Tatrichter,
ggf nach weiterer Aufklärung, die für seine Überzeugungsbildung maßgebenden Tatsachen feststellen oder begründen, weshalb
und zu wessen Lasten sie beweislos geblieben sind. Diese letztgültige Feststellung der maßgeblichen Anknüpfungs- bzw Befundtatsachen
muss nicht zwingend durch ein weiteres Gutachten, sondern kann in freier Beweiswürdigung der von den Sachverständigen (oder
sonst) festgestellten Tatsachen erfolgen (vgl BSG vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - juris RdNr 13 mwN).
2. Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, warum das LSG trotz der bereits durchgeführten umfangreichen medizinischen
Ermittlungen objektiv gehalten gewesen sein soll, den Sachverhalt weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben.
Eine Voraussetzung für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf eigenanteilsfreie Versorgung mit einem nur oberhalb
des Festbetrags erhältlichen Arzneimittel war nach der Rechtsansicht des LSG, dass objektivierbar gesichert ist, dass nach
Verabreichung eines Festbetragsarzneimittels eine neue Krankheit oder die Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit in einem
eine Behandlungsbedürftigkeit begründenden Ausmaß hinzutritt (vgl dazu auch BSG vom 3.7.2012 - B 1 KR 22/11 R - BSGE 111, 146 = SozR 4-2500 § 35 Nr 6, RdNr 20). Dies hat das LSG im Fall der Klägerin verneint. Es hat sich dabei auf die vorliegenden medizinischen Unterlagen, ua den
Arztbrief des Unfallkrankenhauses B vom 28.4.2011, die Angaben des die Klägerin behandelnden Arztes B, das Sachverständigengutachten
des K sowie die Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) gestützt und sich auch mit dem Gutachten
und der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Z auseinandergesetzt. Es ist auf dieser Grundlage zu der Überzeugung
gelangt, dass keine gesicherten objektivierbaren Befunde vorliegen, die eine allergische Reaktion der Klägerin aufgrund der
Einnahme der zum Festbetrag zur Verfügung stehenden Arzneimittel belegen. Z habe seine entsprechende Annahme ausschließlich
auf seine Anamnese, also im Wesentlichen auf die Angaben der Klägerin gestützt.
Welcher weitere Aufklärungsbedarf im Hinblick auf diesen - vom LSG als entscheidungserheblich angesehenen - Umstand bestanden
haben sollte und welche Erkenntnisse hierzu das von ihr beantragte allergologische Sachverständigengutachten hätte bringen
können, legt die Klägerin nicht schlüssig dar. Sie geht auf die vom LSG zur Begründung seiner Überzeugung angeführten medizinischen
Unterlagen und Einschätzungen (Gutachten K, Stellungnahmen des MDK, Arztbrief des Unfallkrankenhauses B, Angaben des B) nicht ein. Zudem knüpft die von ihr formulierte Beweistatsache lediglich allgemein daran an, dass bei der Versorgung mit
einem Festbetragsarzneimittel eine zusätzliche Erkrankung bzw Krankheitsverschlimmerung "droht". Nach der Rechtsauffassung
des LSG ist aber entscheidend, dass dies objektivierbar gesichert ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.