Ausstellung einer elektronischen Gesundheitskarte ohne Lichtbild aus religiösen Gründen
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage
Gründe:
I
Der Kläger, der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versichert ist, ist mit seinem Begehren, ihm aus religiösen Gründen eine
elektronische Gesundheitskarte (eGK) ohne Lichtbild auszustellen, bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.
Das LSG hat - teilweise unter Bezugnahme auf die Gründe des SG-Gerichtsbescheides - ausgeführt, der Kläger habe das Vorliegen einer Religionsgemeinschaft namens "Copisten" oder "Copyisten"
nicht glaubhaft gemacht. Auch habe er nicht vorgetragen, dass es ihm aus religiösen Gründen nicht möglich sei, überhaupt ein
Lichtbild zu erstellen oder erstellen zu lassen. Dass die Anforderung eines Lichtbildes zur Ausstellung der eGK mit Datenschutzrecht
vereinbar ist, sei bereits höchstrichterlich geklärt (Urteil vom 10.7.2018).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG- Urteil.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung
(§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und des Verfahrensfehlers (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Kläger richtet sein Vorbringen hieran nicht aus.
Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, "wie die Religionsfreiheit zur Ausgabe der sog. elektr. Gesundheitskarte
steht". Auch sei noch nicht entschieden, "wie die europ. Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) dazu steht, die wohl ein Foto auf der sog. elektr. Gesundheitskarte verbietet (z.B. wegen des … Grundsatzes der Datensparsamkeit
…)".
a) Damit formuliert der Kläger bereits keine hinreichend konkreten entscheidungserheblichen Rechtsfragen. Die Konkretisierung
erfordert regelmäßig, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann; das schließt nicht aus, dass eine
Frage gestellt wird, die je nach den formulierten Voraussetzungen mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist jedoch eine Fragestellung,
deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalles abhängt und damit auf die Antwort "kann sein" hinausläuft (vgl BSG Beschluss vom 19.3.2015 - B 1 A 2/14 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 19.6.2018 - B 1 KR 87/17 B - juris RdNr 6; BFH Beschluss vom 29.2.2012 - I B 88/11 - BFH/NV 2012, 1089 - juris RdNr 26; BAGE 121, 52, 53; vgl ähnlich BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10). Hiervon ausgehend sind die von dem Kläger formulierten Rechtsfragen selbst dann zu pauschal, wenn man unterstellt,
dass der Kläger diese Fragen lediglich in Bezug auf das Erfordernis der Ausstellung der eGK mit einem Lichtbild geklärt wissen
will. Sie zielen im Ergebnis umfassend auf die Auslegung der die eGK betreffenden Normen und gehen über den zu entscheidenden
Rechtsstreit hinaus.
b) Der Kläger legt zudem die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen nicht dar. Das Bedürfnis für die Klärung einer
Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt ua, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rspr
keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7; BSG Beschluss vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN).
aa) Der Kläger zeigt hinsichtlich der zweiten Frage nicht hinreichend auf, weshalb angesichts der Rspr des erkennenden Senats
(vgl BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1), die der Kläger nicht einmal erwähnt, noch Klärungsbedarf besteht. Hierzu genügt es nicht, dass
der Kläger auf die zum 25.5.2018 mit unmittelbarer Wirkung in Kraft getretene Datenschutzgrundverordnung (<DSGVO> Verordnung <EU> 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen
bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG, ABl L 119 vom 4.5.2016, S 1; berichtigt durch ABl L 314 vom 22.11.2016, S 72) verweist und ausführt, sie verbiete "wohl
ein Foto auf der sog elektr. Gesundheitskarte". Der Kläger hätte sich vielmehr damit auseinandersetzen müssen, ob die Ausführungen
des Senats zu den bereichsspezifischen Datenschutzregelungen des
SGB V (BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1, RdNr 15 ff) durch das Inkrafttreten der DSGVO ihre Gültigkeit verloren haben. Insofern hätte es insbesondere der Auseinandersetzung bedurft mit Art 9 Abs 2 Buchst h DSGVO (Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten), der die grundsätzlich untersagte Verarbeitung von Gesundheitsdaten
(zum Begriff vgl Art 4 Nr 15 DSGVO) gestattet, sofern diese "für Zwecke der Gesundheitsvorsorge oder der Arbeitsmedizin, für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit
des Beschäftigten, für die medizinische Diagnostik, die Versorgung oder Behandlung im Gesundheits- oder Sozialbereich oder
für die Verwaltung von Systemen und Diensten im Gesundheits- oder Sozialbereich auf der Grundlage des Unionsrechts oder des
Rechts eines Mitgliedstaats oder aufgrund eines Vertrags mit einem Angehörigen eines Gesundheitsberufs (…) erforderlich" ist,
wenn die in Art 9 Abs 3 DSGVO genannten Bedingungen und Garantien beachtet werden.
bb) Auch soweit der Kläger einen Verstoß gegen seine Religionsfreiheit (Art
4 Abs
1 GG) rügt, genügt sein Vortrag nicht den Darlegungsanforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG. Wer sich auf die Verfassungswidrigkeit einer Regelung beruft, darf sich nicht auf die Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze
beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rspr des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu muss er den Bedeutungsgehalt der in
Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtern und die Verletzung
der konkreten Regelung des
GG darlegen (vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 10/10 B - juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 24.5.2017 - B 1 KR 79/16 B - juris RdNr 7). Daran fehlt es. Der Kläger trägt vor, ihm sei es aus religiösen Gründen "nicht möglich … ein Lichtbild zu
akzeptieren". Hierzu zitiert er - teils sinngemäß, teils wörtlich - Auszüge aus drei Entscheidungen des BVerfG (BVerfG Beschluss
<Kammer> vom 24.10.2006 - 2 BvR 1908/03 - BVerfGK 9, 371, Einreiseverweigerung Mun-Sekte; BVerfG Urteil vom 19.12.2000 - 2 BvR 1500/97 - BVerfGE 102, 370, Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas; BVerfG Beschluss vom 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1, Kreuz im Klassenzimmer), ohne diese in Bezug zu dem vorliegenden Sachverhalt zu setzen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung
mit den zitierten Aussagen fehlt völlig.
2. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36).
Der Kläger rügt, das LSG habe seinen "Befangenheitsantrag zur rechtswidrigen Videoüberwachung im Gericht rechtswidrig abgelehnt";
das LSG sei daher nicht vorschriftsgemäß besetzt gewesen. Damit bezeichnet der Kläger jedoch die den gerügten Verfahrensfehler
des Verstoßes gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art
101 Abs
1 Satz 2
GG) begründenden Tatsachen nicht ausreichend konkret.
Die Rüge fehlerhafter Besetzung des Berufungsgerichts bei Erlass des angefochtenen Urteils, weil ein Ablehnungsgesuch gegen
mitwirkende Richter wegen Besorgnis der Befangenheit zuvor zu Unrecht abgewiesen worden sei, kann im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde
nur darauf gestützt werden, die Zurückweisung des Ablehnungsantrags beruhe auf willkürlichen Erwägungen oder habe Bedeutung
und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG grundlegend verkannt (vgl BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 LS 1). Denn das Revisionsgericht ist im Hinblick auf §
557 Abs
2 ZPO (iVm §
202 Satz 1
SGG) grundsätzlich an Entscheidungen gebunden, die dem Endurteil des LSG vorausgegangen sind, sofern sie unanfechtbar sind. Dies
gilt auch für Entscheidungen der Vorinstanz, die ein Ablehnungsgesuch unter fehlerhafter Anwendung einfachen Rechts zurückgewiesen
haben (§§
60,
177 SGG; vgl hierzu entsprechend BVerfGE 31, 145, 164; BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 5 mwN). Nur in dem aufgezeigten engen Ausnahmerahmen ist das Revisionsgericht wegen eines fortwirkenden Verstoßes
gegen das Gebot des gesetzlichen Richters iS des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG an die Zurückweisung von Ablehnungsgesuchen, die dem Endurteil des LSG vorausgegangen sind, nicht gebunden (vgl BSG Beschluss vom 19.2.2013 - B 1 KR 70/12 B - juris RdNr
6). Um den Anforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gerecht zu werden, muss ein Beschwerdeführer daher darlegen, dass die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen
manipulativen Erwägungen beruht hat, die für die Fehlerhaftigkeit des als Mangel gerügten Vorgangs bestimmend gewesen sind,
oder dass die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs jedenfalls darauf hindeutet, dass das Gericht Bedeutung und Tragweite der
Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG grundlegend verkannt hat (vgl BSG Beschluss vom 19.2.2013 - B 1 KR 70/12 B - juris RdNr 7). Hieran fehlt es. Dem Beschwerdevorbringen ist schon nicht zu entnehmen, welche Richter der Kläger zu welchem
Zeitpunkt und mit welcher genauen Begründung abgelehnt hat und wann das LSG hierüber mit welchen Gründen entschieden hat.
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.