Früherer Beginn einer Verletztenrente
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit über einen früheren Beginn der Verletztenrente.
Die Klägerin ist hauptberuflich Beamtin und erlitt als Jagdpächterin am 27.5.2017 einen von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall.
Für die Zeit der anschließenden Arbeitsunfähigkeit zahlte der Dienstherr der Klägerin die Bezüge weiter. Die Beklagte zahlte
der Klägerin kein Verletztengeld, Verletztenrente gewährte sie mit Beendigung der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit ab dem
8.1.2018.
Die auf einen Beginn der Verletztenrente ab der 27. Woche nach Eintritt des Versicherungsfalls gerichtete Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 10.9.2019). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 21.7.2021). Die Klägerin habe für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit dem Grunde nach einen Anspruch auf Verletztengeld gehabt, welches
wegen Fortzahlung der Dienstbezüge nicht zur Auszahlung gekommen sei. Der Rentenbeginn sei rechtmäßig auf den Tag nach Ende
des Anspruchs auf Verletztengeld festgesetzt worden.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil
der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht formgerecht dargelegt worden ist (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit
oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss
daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen
sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder
der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer
muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete)
Klärungsfähigkeit, also Entscheidungserheblichkeit, sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten
Entscheidung, sog Breitenwirkung, darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 12.5.2022 - B 2 U 170/21 B - juris RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 23.2.2022 - B 2 U 197/21 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 5 mwN). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:
"Kommt es bei Versicherten, die Beamte sind, bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmales 'wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist' im §
80a Abs
2 SGB VII allein auf den Anspruch dem Grunde nach oder aber auf die tatsächliche Zahlung des Verletztengeldes an."
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin damit eine hinreichend bestimmte abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, Anwendbarkeit
oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§
162 SGG) mit höherrangigem Recht (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) dargelegt, oder ob sie vielmehr im Kern eine Frage zur Rechtsanwendung im Einzelfall gestellt hat.
Jedenfalls hat die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der formulierten Frage nicht hinreichend dargelegt. Klärungsbedürftig
ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von
vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Letzteres
bestimmt sich nach dem Gesetzeswortlaut, der Rechtssystematik sowie den Gesetzesmaterialien (BSG Beschluss vom 27.1.2022 - B 12 R 22/21 B - juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 20.6.2013 - B 5 R 462/12 B - juris RdNr 10; s auch BSG Beschluss vom 4.6.1975 - 11 BA 4/75 - BSGE 40, 40, 42 = SozR 1500 § 160a Nr 4 S 5, juris RdNr 7). Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht sie zwar in der
konkreten Fallgestaltung noch nicht ausdrücklich entschieden hat, aber bereits eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen
ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage
geben (vgl zB BSG Beschluss vom 12.5.2022 - B 2 U 170/21 B - juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 8; BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17, juris RdNr 7). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG sowie ggf der einschlägigen Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte substantiiert vorgetragen werden,
dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Entscheidungen
die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet sei (stRspr; zB BSG Beschluss vom 12.5.2022 - B 2 U 170/21 B - juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 6.1.2022 - B 5 LW 1/21 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 23.4.2021 - B 13 R 67/20 B - juris RdNr 7 mwN).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Mit der von ihr formulierten Frage begehrt sie eine Entscheidung
des Revisionsgerichts zur Auslegung von § 80a Abs 2 Halbsatz 2
SGG zum Tatbestandsmerkmal "wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist" mit dem Hinweis, hierzu gebe es noch keine höchstrichterliche Entscheidung. Dies genügt für die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit
nicht. Insbesondere wäre eine Auseinandersetzung damit erforderlich gewesen, inwiefern sich die Antwort nicht bereits unmittelbar
aus dem Gesetz selbst ergibt angesichts der wortlautgleichen Regelung in §
72 Abs
1 Nr
2 SGB VII und der vom LSG in Bezug genommenen Entscheidung des Senats vom 15.5.2012 (B 2 U 31/11 R), wonach es für den Beginn von Renten nach §
72 Abs
1 Nr
1 SGB VII nur darauf ankommt, ob ein Anspruch auf Verletztengeld bestand. Erst recht versäumt sie es zu erörtern, inwiefern der durch
das zitierte Urteil vom 15.5.2012 aufgestellte Grundsatz für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ggf erweitert,
geändert oder ausgestaltet werden müsste (BSG Beschluss vom 12.5.2022 - B 2 U 170/21 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 28.2.2017 - B 5 RS 45/16 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 28.2.2017 - B 5 RS 42/16 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 10).
Auch legt die Beschwerdebegründung nicht schlüssig die (konkrete) Klärungsfähigkeit, dh die Entscheidungserheblichkeit der
benannten Rechtsfrage in dem Sinne, dass ihre Klärung im Revisionsverfahren erwartet werden kann, dar. Denn nur unter dieser
Voraussetzung ist die angestrebte Entscheidung geeignet, in künftigen Revisionsverfahren die Rechtseinheit zu wahren oder
zu sichern oder die Fortbildung des Rechts zu fördern. Der Beschwerdeführer muss daher den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht
einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darstellen, der es erfordert,
die als grundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage zu beantworten (BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; BSG Beschluss vom 4.8.2016 - B 1 KR 29/16 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48, juris RdNr 4). Die Beschwerdebegründung trägt indes selbst vor, dass streitgegenständlich eine Rentenzahlung nach Ablauf der in §
80a Abs
2 SGB VII geregelten Wartezeit von 26 Wochen ist. Damit hat die Beantwortung der formulierten Frage für den Ausgang des Rechtsstreits
keine entscheidende Bedeutung. Das LSG hat seine Entscheidung dagegen tragend auf die Anwendung von §
72 Abs
1 Nr
1 SGB VII gestützt. Hierauf ist die Rechtsfrage der Klägerin allerdings nicht gerichtet.
Soweit die Beschwerdebegründung letztlich auf eine Klärung des Verhältnisses von §
80a Abs
2 SGB VII zu §
72 Abs
1 SGB VII abzielen sollte und hierbei insbesondere darauf, ob §
80a Abs
2 SGB VII nicht (nur) als Wartezeitregelung, sondern (auch) als lex specialis einen Beginn der Verletztenrente in den dort genannten
Fallgruppen unbeschadet fortbestehender Arbeitsunfähigkeit ab der 27. Woche sicherstellt, hat sie keine hierauf gerichtete
Rechtsfrage gestellt. Es ist auch nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Wege
der Umdeutung der benannten Fragen aus dem Beschwerdevorbringen selbst herauszufiltern (BSG Beschluss vom 3.6.2015 - B 12 KR 4/14 B - BeckRS 2015, 69935 RdNr 4; BSG Beschluss vom 5.2.2003 - B 4 RA 66/02 B - juris RdNr 3 f - anschließend BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 3.11.2003 - 1 BvR 406/03; BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 §
160a Nr 31 S 48, juris RdNr 4; allg dazu Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 2. Aufl 2022, §
160a RdNr 247 <Stand 15.6.2022>; Karmanski in Roos/Wahrendorf/Müller,
SGG, 2. Aufl 2021, §
160a RdNr 53 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 14a, 19).
Selbst wenn jedoch eine im vorgenannten Sinn verstandene Rechtsfrage der vorliegenden Beschwerde zugrunde gelegt werden würde,
hätte die Beschwerdebegründung auch hier die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt. So hätte sie erläutern müssen,
inwiefern sich die Beantwortung der Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften ergibt und von vornherein außer
Zweifel steht (BSG Beschluss vom 30.3.2005 - B 4 RA 257/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8 f; BSG Beschluss vom 14.8.1981 - 12 BK 15/81 - SozR 1300 § 13 Nr 1 S 1, juris RdNr 2; BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14, juris RdNr 3; BSG Beschluss vom 4.6.1975 - 11 BA 4/75 - BSGE 40, 40, 42 = SozR 1500 § 160a Nr 4 S 5, juris RdNr 7). Die von der Beschwerdebegründung angeführten Meinungsverschiedenheiten im entscheidenden Senat der Vorinstanz sind demgegenüber
ebenso wenig von Belang wie die nur behauptete Diskriminierung von schwerer verletzten Beamten mit einer andauernden Dienstunfähigkeit
über die in §
80a Abs
2 SGB VII genannten 26 Wochen hinaus. Die erforderliche Auseinandersetzung mit Wortlaut, systematischer Verortung und den - teilweise
vom LSG schon zitierten - Gesetzesmaterialien von §
72 Abs
1 SGB VII und §
80a Abs
2 SGB VII (und seinen Vorgängerreglungen in §
72 Abs
4 SGB VII idF des Gesetzes zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht - Verwaltungsvereinfachungsgesetz - vom 29.3.2005,
BGBl I 818 und §
80a SGB VII idF des Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung - LSVMG - vom 18.12.2007, BGBl
I 2984) fehlt hingegen ebenso wie die Beschäftigung mit der zu §
72 Abs
1 SGB VII und zu §
80a SGB VII bereits ergangenen, ebenfalls vom LSG teilweise in Bezug genommenen höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Dass die Klägerin die Entscheidung der Vorinstanz für falsch hält, vermag als im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche
Rüge eines bloßen Rechtsanwendungsfehlers die Zulassung der Revision nicht zu begründen (zB BSG Beschluss vom 23.3.2022 - B 2 U 197/21 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 25.5.2020 - B 9 V 3/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 29.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10, juris RdNr 2).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, 169 Satz 2 und 3
SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§
183,
193 SGG.