Übernahme von Heilbehandlungskosten
Gehörsverletzung kein absoluter Revisionsgrund
Beruhen der Entscheidung auf einer Gehörsverletzung
Gründe:
I
Streitig ist im vorliegenden Rechtsstreit die Bescheidung des Antrags des Klägers auf Übernahme von Heilbehandlungskosten.
Das LSG hat die Beklagte nach Abgabe eines Anerkenntnisses verurteilt.
Der Kläger beantragte mit Schriftsatz vom 30.4.2008 bei der Beklagten die Übernahme von Heilbehandlungskosten. 2014 hat er
sodann Untätigkeitsklage erhoben und die Bescheidung dieses Antrags begehrt. Das SG hat die Klage als unzulässig abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 27.4.2015 - S 39 U 151/14). Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt.
Das LSG hat dem Kläger mit Schreiben vom 29.3.2017 mitgeteilt, dass Termin zur mündlichen Verhandlung auf Donnerstag, den
4.5.2017, 13.00 Uhr, bestimmt werde. Auch in vier weiteren Verfahren des Klägers hat das LSG den Termin zur mündlichen Verhandlung
auf diesen Tag zu der selben Uhrzeit anberaumt. Der im Berufungsverfahren nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene
Kläger hat dem LSG telefonisch am 25.4.2017 mitgeteilt, dass er sich nicht in der Lage sehe, an fünf Verhandlungen hintereinander
teilzunehmen; er würde zu einem Fall kommen, sei aber zu mehr nicht fähig. Nach Schriftwechsel mit dem LSG bestätigte am 4.5.2017
eine Fachärztin des amtsärztlichen Dienstes des Gesundheitsamtes M. in einem amtsärztlichen Gutachten, dass der Kläger am
4.5.2017 zu seiner Verhandlungsfähigkeit amtsärztlich begutachtet worden sei. Nach dem erhobenen Befund sei der Kläger wegen
einer chronischen Schmerzstörung sowie einer medikamentöse Therapie nur über einen kürzeren Zeitraum voll konzentrationsfähig.
Das LSG hat am 4.5.2017 die mündliche Verhandlung in allen fünf Verfahren eröffnet, durchgeführt und durch Urteil entschieden.
Der Kläger ist zum Termin nicht erschienen. In dem vorliegenden Verfahren hat das LSG auf die Berufung des Klägers den Gerichtsbescheid
des SG vom 27.4.2015 aufgehoben und die Beklagte aufgrund des von ihr im Termin zur mündlichen Verhandlung abgegebenen Anerkenntnisses
verurteilt, über den Antrag des Klägers vom 30.4.2008 zu entscheiden sowie der Beklagten die im Klage- und Berufungsverfahren
entstandenen notwendigen Kosten des Klägers auferlegt (Urteil vom 4.5.2017).
Der Kläger hat für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
(PKH) beantragt. Das BSG hat durch Beschluss vom 14.12.2017 (Az B 2 U 11/17 BH) dem Kläger PKH bewilligt und einen Rechtsanwalt beigeordnet. Der Beschluss ist dem Kläger am Samstag, dem 23.12.2017,
zugestellt worden. Der beigeordnete Rechtsanwalt hat erst mit am Mittwoch, dem 24.1.2018, beim BSG eingegangenem Schriftsatz vom 18.1.2018 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt. Am 1.2.2018 hat der Senat
einen Hinweis auf die mögliche Versäumnis der Frist zur Einlegung der Beschwerde erteilt. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte
des Klägers mit am 12.2.2018 eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis der Frist zur
Einlegung der Beschwerde beantragt. Diesen Antrag hat er am 13.2.2018 ua damit begründet, dass eine bei ihm Beschäftigte den
Schriftsatz vom 18.1.2018 im Laufe des Vormittags des 20.1.2018, einem Samstag, vor 11.45 Uhr in einen von zwei Briefkästen
der Deutschen Post AG in K. geworfen habe. Diese Briefkästen würden üblicherweise am Samstag um 11.45 bzw 12.15 Uhr sowie
montags um 17.15 Uhr bzw 14.00 Uhr und 17.15 Uhr geleert. Am 27.9.2018 hat er nach Aufforderung durch den Senat eine entsprechende
eidesstattliche Versicherung seiner Beschäftigten vorgelegt.
Sodann hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art
103 GG, §
128 Abs 2 und §
62 SGG gerügt und die Beschwerde ua damit begründet, dass das LSG trotz des Antrags des Klägers den Termin zur mündlichen Verhandlung
nicht verlegt habe, obwohl erhebliche Gründe iS des §
202 SGG iVm §
227 Abs
1 S 1
ZPO vorgelegen hätten. Auch wenn der Kläger durch Anerkenntnisurteil obsiegt habe, sei nicht auszuschließen, dass er in der mündlichen
Verhandlung sein Vorbringen in anderer Hinsicht präzisiert und dies zu einer anderen Entscheidung des LSG geführt hätte.
II
Die nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässige Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Selbst wenn das LSG den Anspruch
des Klägers auf rechtliches Gehör gemäß §
62 SGG und Art
103 Abs
1 GG verletzt hätte, indem es trotz seines Antrags auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 4.5.2017 und seines
Nichterscheinens mündlich verhandelt und entschieden hat, beruht das Urteil nicht auf diesem Verfahrensfehler.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Dem Kläger war Wiedereinsetzung in die Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Beschwerde
gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG zu gewähren, weil dieser ohne Verschulden an der Einhaltung dieser
Fristen gehindert war (§
67 Abs
1 SGG). Dies hat der Senat in den weiteren Beschwerdesachen des Klägers eingehend begründet (vgl Beschlüsse des Senats vom 27.11.2018
B 2 U 17/18 B, B 2 U 19/18 B ua).
Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Beschwerde fristgemäß innerhalb
der aufgrund der zu gewährenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bis zum 23.2.2018 laufenden Frist (§
160a Abs
2 S 1
SGG; vgl zur Begründung binnen zweier Monate nach Zustellung des PKH bewilligenden Beschlusses Leitherer in MeyerLadewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
12. Aufl 2017, § 160a RdNr 11 mwN) begründet. Die Beschwerdebegründung genügt auch den Anforderungen des §
160a Abs
2 S 3
SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen
Gehörs ergibt. Darüber hinaus enthält sie auch hinreichende Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem
Verfahrensmangel beruhen kann.
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Es kann hier dahin stehen, ob der Entscheidung des LSG ein Verfahrensmangel iS des
§
160 Abs
2 Nr
3 SGG zugrunde lag, weil das LSG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör gemäß §
62 SGG und Art
103 Abs
1 GG verletzt hat, indem es trotz des Antrags des Klägers auf Verlegung des Termin zur mündlichen Verhandlung am 4.5.2017 und
seines Nichterscheinens diesen Termin nicht verlegt oder vertagt, sondern mündlich verhandelt und entschieden hat, denn auf
diesem Verfahrensmangel kann die angefochtene Entscheidung nicht beruhen.
Obwohl die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in sozialgerichtlichen Verfahren nicht als absoluter Revisionsgrund
ausgestaltet ist (vgl §
202 S 1
SGG iVm §
547 ZPO), ist wegen der besonderen Bedeutung der mündlichen Verhandlung für das Gerichtsverfahren im Allgemeinen davon auszugehen,
dass eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dadurch, dass ein Verfahrensbeteiligter an deren Teilnahme gehindert
worden ist, die daraufhin ergangene Gerichtsentscheidung insgesamt beeinflusst hat (stRspr, vgl etwa BSG vom 6.10.2010 - B 12 KR 58/09 B - Juris mwN; BSG vom 26.6.2007 - B 2 U 55/07 B - SozR 4-1750 § 227 Nr 1; BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33). Etwas anderes gilt jedoch ausnahmsweise dann, wenn es unter allen denkbaren Umständen ausgeschlossen
ist, dass das Ergebnis des Rechtsstreits auf dem Fehlen einer ordnungsgemäßen mündlichen Verhandlung in Anwesenheit des Klägers
beruhen kann. In entsprechender Anwendung des §
170 Abs
1 S 1
SGG ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision trotz des Vorliegens einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör als unbegründet zurückzuweisen, wenn feststeht, dass die angegriffene Entscheidung in einem etwaigen Revisionsverfahren
jedenfalls aus unabhängig vom geltend gemachten Zulassungsgrund durchgreifenden rechtlichen Erwägungen heraus bestätigt werden
müsste (BSG vom 3.3.2009 - B 1 KR 69/08 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 23; BSG vom 12.12.2006 - B 2 U 130/06 B - UV-Recht Aktuell 2007, 750; BSG vom 8.2.2000 - B 1 KR 29/99 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 28; Leitherer, aaO, § 160a RdNr 18 f mwN sowie § 170 RdNr 5a; vgl auch Keller, aaO, § 62 RdNr 11c
mwN). Dies ist hier der Fall.
In einem sich anschließenden Revisionsverfahren wäre das Urteil des LSG zu bestätigen. Die Beklagte hat den Anspruch des Klägers
auf Bescheidung seines Antrags in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG anerkannt. Daraufhin hat das LSG gemäß §
202 S 1
SGG iVm §
307 S 1
ZPO ein Anerkenntnisurteil erlassen, mit dem dem Begehren des Klägers, den von ihm gestellten Antrag zu bescheiden, vollständig
entsprochen wurde. Weder hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers dargelegt noch ist ersichtlich, dass und welche weiteren
Erklärungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu einer anderen, für den Kläger (noch) günstigeren Entscheidung hätten
führen können. Es ist daher auszuschließen, dass die Entscheidung des LSG auf der verfahrensfehlerhaften Durchführung der
mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des Klägers beruhen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§
183,
193 SGG.