Anfechtung von Ermächtigungen durch den Vertragsarzt, Verfassungswidrigkeit nicht gerechtfertigter Ermächtigungen
Gründe:
I
Streitig ist, ob Vertragsärzte befugt sind, die Erteilung von Ermächtigungen an Krankenhausärzte anzufechten.
Der 1945 geborene Kläger erhielt als Arzt für Radiologie und Strahlenheilkunde die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung.
Er betrieb seit 1995 eine Praxis mit strahlentherapeutischem Schwerpunkt, bis 1998 als Gemeinschaftspraxis - mit der früheren
Klägerin zu 2., einer Ärztin für Radiologie, die zum Ablauf des Jahres 1998 auf ihre Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung
verzichtete - und seit 1999 als Einzelpraxis. Über sein Vermögen wurde das Insolvenzverfahren eröffnet (zunächst im Februar
2000 - eingestellt im Februar 2004 - und erneut im Juli 2004). Er stellte seinen Praxisbetrieb ein, hielt aber an seiner Zulassung
fest, die derzeit seit Oktober 2004 bis Ende 2005 ruht.
Der Zulassungsausschuss, der schon früher wiederholt Krankenhausärzte zur Erbringung strahlentherapeutischer Leistungen ermächtigt
hatte, erteilte den Beigeladenen zu 7. bis 11. - fünf Krankenhausärzten - im Juni 1997 Ermächtigungen zur Erbringung strahlentherapeutischer
Leistungen, befristet bis zum 30. Juni 2000.
Der Kläger focht diese Bescheide an. Das von ihm nach erfolglosem Widerspruch angerufene Sozialgericht (SG) hat seine Klage als unzulässig abgewiesen (Urteil vom 4. Februar 1998). Das Bundessozialgericht (BSG) hat seine (Sprung-)Revision
zurückgewiesen (Urteil vom 29. September 1999, SozR 3-1500 § 54 Nr 40). Im Urteil des BSG ist ausgeführt, der Kläger sei als
Dritter, der nicht Adressat des Verwaltungsakts sei, nicht klagebefugt. Die Vorschriften über die Ermächtigungserteilung (§
116 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch >SGB V< und § 31a Zulassungsverordnung für Vertragsärzte >Ärzte-ZV<) dienten allein dem
Interesse der Allgemeinheit, nämlich dem Interesse der Versicherten an einer möglichst leistungsfähigen und lückenlosen ambulanten
vertragsärztlichen Versorgung. Ihnen sei keine Schutzwirkung zu Gunsten des einzelnen niedergelassenen Arztes zu entnehmen.
Die aus dem Vorrang der niedergelassenen Vertragsärzte resultierende wirtschaftliche Begünstigung stelle lediglich eine rechtlich
unerhebliche Reflexwirkung dar. Der Ausnahmefall einer Anfechtungsbefugnis auf Grund willkürlicher Ermächtigungserteilung
sei vorliegend nicht gegeben. Die Erteilung der hier angefochtenen Ermächtigungen sei weder dem Grunde noch dem Umfang nach
willkürlich erfolgt, wie sich aus dem Verfahrensablauf und aus dem Entscheidungsinhalt - mit der Begrenzung auf drei Jahre
und der Eingrenzung des Kreises der möglichen Überweiser - ergebe.
Der Kläger ist mit seiner Verfassungsbeschwerde erfolgreich gewesen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das Urteil
des BSG aufgehoben und das Verfahren an das BSG zurückverwiesen (BVerfG >Kammer<, Beschluss vom 17. August 2004 - 1 BvR 378/00 -, SozR 4-1500 § 54 Nr 4 = NJW 2005, 273 = NZS 2005, 199 = MedR 2004, 680). In dem Beschluss ist ausgeführt, das Urteil des BSG verletze den Kläger in seinem Grundrecht aus Art
12 Abs
1 Grundgesetz (
GG). Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels - dem Ablauf der Ermächtigungszeiträume zum 30. Juni 2000 - bestehe
noch ein Bedürfnis nach verfassungsgerichtlicher Entscheidung. Eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme sei möglich, da
die beanstandete Ermächtigungspraxis uU fortgeführt werde oder werden könne. Dem in §
116 Satz 2
SGB V und §
31a Abs
1 Satz 2 Ärzte-ZV gesetzlich angeordneten Vorrang der niedergelassenen Vertragsärzte komme im Lichte des Grundrechts aus Art
12 Abs
1 GG vor dem Hintergrund restriktiver Bedarfsplanung und limitierter Gesamtvergütungen drittschützende Wirkung in dem Sinne zu,
dass diese Ärzte befugt seien, Krankenhausärzte begünstigende Ermächtigungsentscheidungen anzufechten. Der Vertragsarzt, der
im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbiete, müsse Ermächtigungen für Krankenhausärzte derselben Fachrichtung
und Qualifizierung anfechten können. Die Vertragsärzte müssten ihren Vorrang und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben
für Ermächtigungen, die nur im Fall von Versorgungslücken vorgesehen seien, zur gerichtlichen Überprüfung stellen können.
Würde gerichtlicher Rechtsschutz nur auf Willkürkontrolle beschränkt, so bleibe der hier betroffene Sektor der Berufsausübungsfreiheit
ohne Überprüfung. Wie über die Klage des Klägers unter Berücksichtigung seiner Grundrechtsbetroffenheit zu entscheiden sei,
könne von den Fachgerichten erst nach weiterer Sachaufklärung entschieden werden.
Nach dieser Zurückverweisung haben sich auf Anfrage des Senats der Beklagte und die Beigeladenen mit einer Entscheidung ohne
mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Der Beigeladene zu 9. hat ergänzend mitgeteilt, er sei im Jahr 2000 in den Ruhestand
getreten. Der Beigeladene zu 11. hat angegeben, seine Ermächtigung habe am 31. Januar 1999 geendet, weil er seitdem nicht
mehr an einem Krankenhaus in H. , sondern in S. tätig sei.
Der Kläger hat zu der Absicht des Senats, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, zunächst geltend gemacht,
das Verfahren könne derzeit nicht fortgesetzt werden, weil es gemäß §
85 Insolvenzordnung unterbrochen sei. Nach dem Hinweis des Senats, dass höchstpersönliche Rechtspositionen im Sinne des Urteils vom 10. Mai 2000
(BSGE 86, 121, 123 ff = SozR 3-5520 § 24 Nr 4 S 16 ff) betroffen seien, die nicht dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen zuzurechnen
seien, hat der Kläger erklärt, dem nicht (mehr) entgegenzutreten. Auch er hat dann sein Einverständnis mit einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung erteilt.
Der Kläger hat nach der Zurückverweisung keine weiteren Ausführungen zur Sache gemacht und keinen ausdrücklichen Sachantrag
gestellt. Seinem prozessualen Verhalten lässt sich aber sein Antragsbegehren entnehmen. Er hat zu dem Hinweis des Senats,
dass eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich erscheine, weil wegen noch erforderlicher Tatsachenfeststellungen ohnehin
keine abschließende Entscheidung, sondern nur eine Zurückverweisung in Betracht komme, keine abweichende Stellungnahme abgegeben.
Mithin ist von dem Antrag auszugehen,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. Februar 1998 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
In der Sache ist das Begehren des Klägers im Sinne einer Fortsetzungsfeststellungsklage darauf gerichtet, dass unter Aufhebung
der Urteile des BSG und des SG sowie des Beschlusses des Beklagten vom 10. September 1997 festgestellt werde, dass die Erteilung der Ermächtigungen an die
Beigeladenen zu 7. bis 11. rechtswidrig war. Er hat die im früheren Revisionsverfahren verfolgte Anfechtungsklage auf Aufhebung
der Ermächtigungen schon im Verfahren beim BVerfG nicht weiterverfolgt, sondern seit dem Ablauf der Ermächtigungszeiträume
am 30. Juni 2000 nur noch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der erteilten Ermächtigungen begehrt (s BVerfG >Kammer< SozR
4-1500 § 54 Nr 4 RdNr 11).
Der Beklagte und die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
II
Auf die Revision des Klägers ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen.
Die Zurückverweisung an das SG ist gemäß §
170 Abs
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) erforderlich, weil dem BSG eine Sachentscheidung nicht möglich ist. Hierfür bedarf es weiterer Feststellungen zur Grundrechtsbetroffenheit
des Klägers, die dem BSG als Revisionsgericht zu treffen verwehrt ist (vgl §
163 SGG). Welche Tatsachen das SG festzustellen haben wird, ergibt sich aus den tragenden Gründen des BVerfG-Beschlusses vom 17. August 2004 (zur Bindungswirkung
s Heusch in Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl 2005, § 31 RdNr 29, 55, 58 ff und Schemmer, aaO, § 93c RdNr 13 f). Wie das BVerfG ausgeführt hat, ist es erst nach weiterer Sachaufklärung möglich,
unter Berücksichtigung der Grundrechtsbetroffenheit des Klägers über seine Klage zu entscheiden. Der Vertragsarzt, der im
selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbietet, muss Ermächtigungen für Krankenhausärzte derselben Fachrichtung
und Qualifizierung anfechten können, wenn diese seine Erwerbsmöglichkeiten einschränken. Wenn die Ermächtigungen nicht durch
das Ziel der Sicherstellung der Versorgung gerechtfertigt sind - dh, wenn die gemäß §
116 Satz 2
SGB V iVm §
31a Abs
1 Satz 2 Ärzte-ZV erforderliche Versorgungslücke nicht gegeben ist -, wird der Vertragsarzt in seinem Grundrecht aus Art
12 Abs
1 GG verletzt (BVerfG >Kammer< SozR 4-1500 § 54 Nr
4 = NJW 2005, 273 = NZS 2005, 199 = MedR 2004, 680). Gemäß diesen Vorgaben wird das SG zu klären haben, ob bei Erteilung der Ermächtigungen an die Beigeladenen zu 7. bis 11. eine Versorgungslücke gegeben war
und in welchem Umfang diese den Beklagten zur Erteilung von Ermächtigungen berechtigte.
Weitere Sachaufklärungen zum (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse des Klägers im Sinne des §
131 Abs
1 Satz 3
SGG sind nicht veranlasst, solange eine erneute Praxistätigkeit von ihm in Betracht kommt. Hiervon ist bisher auszugehen, weil
seine Zulassung noch besteht und lediglich ruht (so derzeit seit Oktober 2004 bis Ende 2005). Das Ruhen setzt voraus, dass
die Wiederaufnahme seiner Tätigkeit in angemessener Frist zu erwarten ist (s §
95 Abs
5 SGB V iVm §
26 Ärzte-ZV). Nur zu der Frage, im Verhältnis zu welchem der Beigeladenen zu 7. bis 11. das Feststellungsinteresse noch gegeben
ist, könnten Abklärungen erforderlich sein.
Die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung erfolgt gemäß §
170 Abs
2 Satz 2
SGG an das SG, dessen Urteil der Kläger mit der Sprungrevision angegriffen hatte. Ein Anlass, die Sache im Sinne des §
170 Abs
4 Satz 1
SGG nicht an das SG, sondern an das Landessozialgericht zurückzuverweisen, besteht nicht.
Im Rahmen seiner erneuten Entscheidung wird das SG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.