Erstfeststellung eines Grades der Behinderung
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Formgerechte Darlegung der abstrakten Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage
Gründe:
I
Streitig ist die Erstfeststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Auf den im März 2012 gestellten Antrag der Klägerin stellte der Beklagte wegen eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus
(Einzel-GdB 30) und eines Lymphödems beider Beine (EinzelGdB 20) rückwirkend einen GdB von 40 fest (Bescheid vom 18.7.2012,
Widerspruchsbescheid vom 14.11.2012).
Das SG hat den Beklagten nach medizinischen Ermittlungen verurteilt, bei der Klägerin insbesondere wegen der Auswirkungen ihrer
Lymphödeme einen GdB von 50 festzustellen (Urteil vom 11.2.2016).
Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das SG-Urteil nach weiteren medizinischen Ermittlungen, darunter einer Begutachtung mit körperlicher Untersuchung der Klägerin,
aufgehoben und die Klage abgewiesen. Den Diabetes mellitus der Klägerin hat es ebenso wie das SG mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet, ihre Ödemneigung und ihre Wirbelsäulenbeschwerden dagegen nur jeweils mit einem Einzel-GdB
von 10 (Urteil vom 28.2.2019).
Mit ihrer Beschwerde, für die sie zugleich Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt, wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des LSG. Das LSG habe gegen seine Pflicht zur Amtsermittlung verstoßen, weil es sie nicht persönlich
angehört habe. Die Frage, ob Beteiligte als Beweismittel in den Prozess eingebracht werden könnten, sei zugleich von grundsätzlicher
Bedeutung.
II
1. Der PKH-Antrag der Klägerin ist unbegründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 ZPO). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Die von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin begründete Beschwerde
ist unzulässig (2.).
2. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel
(a), noch eine grundsätzliche Bedeutung (b) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
a) Soweit die Klägerin vorträgt, das LSG habe gegen seine Sachaufklärungspflicht verstoßen, weil es sie nicht persönlich angehört
habe, räumt sie zutreffend selber ein, dass die persönliche Anhörung eines Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich
kein Mittel der Sachaufklärung darstellt (vgl BSG Beschluss vom 4.6.2007 - B 9a BL 2/07 B - juris RdNr 10 mwN). Selbst wenn in eng begrenzten Ausnahmefällen eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht iS des §
103 SGG bei Unterlassen einer persönlichen Anhörung eines Beteiligten angenommen werden könnte (vgl Gutzler, SGb 2009, S 76 ff mwN),
hätte die Klägerin unter Beachtung der Darlegungserfordernisse einer ordnungsgemäßen Sachaufklärungsrüge vortragen müssen,
warum hier ein derartiger Sachverhalt vorlag und aus welchen Gründen im Einzelnen das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen,
sie persönlich anzuhören (vgl BSG Beschluss vom 17.10.2008 - B 13 R 341/08 B - juris RdNr 8 f mwN). Daran fehlt es. Insbesondere hat die Klägerin nicht aufgezeigt, warum nur ihre persönliche Anhörung
zu ihrer Diabeteserkrankung und nicht etwa auch (eingehende) schriftliche Erläuterungen und Erklärungen im vorbereitenden
Verfahren zur weiteren Sachaufklärung ausgereicht hätten. Dies gilt umso mehr, als der Gesundheitszustand der Klägerin Gegenstand
einer Begutachtung in der Berufungsinstanz gewesen ist und sie dabei Gelegenheit zum Vortrag hatte. Zudem legt die Beschwerde
auch nicht dar, warum es der Klägerin nicht zumutbar war, die mündliche Berufungsverhandlung zu weiterem Sachvortrag zu nutzen.
b) Ebenso wenig dargelegt hat die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche
Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung
des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren
Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch
nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts
erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin,
um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit
(Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog
Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen BSG Beschluss vom 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B - juris RdNr 7 mwN). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich
weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut
wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss
sich der Beschwerdeführer daher ua mit Wortlaut, Kontext und ggf der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der
einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen (Senatsbeschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 11/17 B - juris RdNr 8 mwN).
Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung vom 6.6.2019. Sie hält es für klärungsbedürftig ob es in sozialgerichtlichen
Verfahren erforderlich ist, beim Gericht durch Stellen eines ausdrücklichen Beweisantrags darauf hinzuwirken, dass die Beteiligten,
die gemäß §
103 SGG hinzuzuziehen sind, persönlich gehört werden sollten, um den Sachverhalt ausführlich aufzuklären, sowie, ob Beteiligte als
Beweismittel in den Prozess eingebracht werden müssen.
Wie die Beschwerde selber ausführt, können Gegenstand von prozessordnungsgemäßen Beweisanträgen iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG nur zulässige Beweismittel sein. Die förmliche Parteivernehmung zählt dazu im sozialgerichtlichen Verfahren aber nicht (vgl
BSG Beschluss vom 17.10.2008 - B 13 R 341/08 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 4.6.2007 - B 9a BL 2/07 B - juris RdNr 10 mwN; weitere Nachweise auch zu möglichen Ausnahmen bei Gutzler, SGb 2009, S 73 Fn 7). Ungeachtet dessen
kann das Gericht zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung nach §
106 Abs
3 Nr
7 SGG einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit ihnen erörtern.
Ebenso kann es nach §
111 Abs
1 SGG das persönliche Erscheinen der Beteiligten zur mündlichen Verhandlung anordnen, um ihnen Gelegenheit zum mündlichen Vortrag
zu geben. Die Anordnung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts und lässt ihm einen großen Entscheidungsspielraum; sie
kann allerdings geboten sein, wenn die Aufforderung zum schriftlichen Vortrag oder andere Beweismittel keine erschöpfende
Sachverhaltsaufklärung gewährleisten (vgl Senatsbeschluss vom 2.10.2014 - B 9 SB 65/14 B - juris RdNr 11 mwN). Das Recht zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung und zum entsprechenden Sachvortrag haben die
Beteiligten ohnehin. Ihr Vorbringen gehört zum Gesamtergebnis des Verfahrens und ist von den Gerichten daher nach §
128 SGG entsprechend zu würdigen (BSG Beschluss vom 4.6.2007 - B 9a BL 2/07 B - juris RdNr 10 mwN). Die Beschwerde hätte deshalb ausführen müssen, warum sich die Antwort auf die von ihr aufgeworfenen
Fragen nicht schon aus dem Gesetz und der dazu ergangenen Rechtsprechung ua des Senats ergibt.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.