Anspruch auf Beschädigtenversorgung und Anerkennung eines Impfschadens
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In der Hauptsache begehrt der im Oktober 2009 geborene Kläger, gesetzlich vertreten durch seine Eltern, eine Beschädigtenversorgung
und die Anerkennung eines Impfschadens nach Schutzimpfungen im ersten Lebensjahr. Der Beklagte hat den Anspruch abgelehnt
(Bescheide vom 10.4. und 31.7.2012; Widerspruchsbescheid vom 26.9.2013). Das SG hat unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass die frühe Hirnschädigung mit Störungen der motorischen
Entwicklung, zerebralen Krampfanfällen, einer sekundären Mikrozephalie, Autoimmunneutropenie und allgemeiner Entwicklungsverzögerung
Folge der Impfungen mit Infranix hexa und Prevenar 13 am 12.1. und 12.2.2010 ist (Urteil vom 29.1.2019).
Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG die Klage abgewiesen. Die Begründetheit der Berufung folge schon aus der Unzulässigkeit
der vom Kläger erhobenen Anfechtungs- und Feststellungsklage. Hinsichtlich des Klagebegehrens liege keine gerichtlich überprüfbare
Verwaltungsentscheidung des Beklagten vor. Dieser habe mit den angefochtenen Bescheiden nur eine Beschädigtenversorgung wegen
eines Impfschadens abgelehnt, nicht aber über Schädigungsfolgen entschieden. Die Unzulässigkeit der Anfechtungsklage ziehe
die Unzulässigkeit der mit ihr kombinierten Feststellungsklage nach sich. Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage
habe der rechtskundig vertretene Kläger nicht erhoben. Ohnehin könne er aber keine Beschädigtenversorgung beanspruchen, weil
er keinen Impfschaden erlitten habe und dementsprechend keine Schädigungsfolgen festzustellen seien. Die Klage sei daher jedenfalls
materiell-rechtlich unbegründet. Denn es sei bei dem Kläger nicht zeitnah zu den Impfungen zu einer Impfkomplikation, also
einer über das übliche Maß hinausgehenden Impfreaktion gekommen. Dafür spreche insbesondere, dass eine ärztliche Vorstellung,
wie dies ansonsten bei einem Notfall zu erwarten gewesen wäre, nach den Impfungen jeweils nicht erfolgt sei, sondern die nächsten
ärztlichen Konsultationen hätten erst im Abstand von jeweils vier Wochen stattgefunden. Das LSG hat sich bei seinen diesbezüglichen
Feststellungen insbesondere auf die Ausführungen der im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen T und die Angaben der
behandelnden Kinderärzte L und H gestützt (Urteil vom 3.12.2020).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er rügt Verfahrensmängel und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der
Kläger hat die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargetan (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung
erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen
kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
a) Soweit der Kläger rügt, das LSG habe die von ihm erhobene kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zu Unrecht wegen
fehlender Klagebefugnis als unzulässig angesehen, bezeichnet er keinen Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen
kann. Verkennt ein Gericht die prozessuale Bedeutung des §
54 Abs
1 Satz 2
SGG und weist es daher eine Anfechtungsklage wegen Fehlens der Klagebefugnis als unzulässig ab, so liegt darin ein Verfahrensmangel
iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG nur dann, wenn in der Sache hätte entschieden werden müssen (vgl BVerwG Beschluss vom 21.7.2014 - 3 B 70/13 - juris RdNr 20 mwN). Der Senat kann offenlassen, ob das LSG bei der hier vorliegenden Fallkonstellation zu Unrecht bereits die Klagebefugnis
des Klägers iS des §
54 Abs
1 Satz 2
SGG verneint hat. Denn das LSG hat eine Sachentscheidung getroffen. Der Kläger trägt selbst zutreffend vor, dass das LSG tragend
auch in der Sache entschieden, den von ihm geltend gemachten Klageanspruch aus materiell-rechtlichen Gründen verneint und
die Berufung des Beklagen ausdrücklich auch deshalb als begründet erachtet hat.
b) Des Weiteren rügt der Kläger eine Verletzung der Sachaufklärungsplicht des LSG (§
103 SGG) und in diesem Kontext auch einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Das LSG habe zu Unrecht den in der mündlichen
Verhandlung aufrechterhaltenen Antrag abgelehnt, "den im Termin anwesenden Vater … nochmals zum Verhalten des Klägers nach
der Impfung anzuhören und insbesondere zu der Frage, wann die ersten motorischen Auffälligkeiten und welcher Art nach der
ersten streitgegenständlichen 6-fach-Impfung aufgetreten sind". Damit hat der Kläger aber bereits keinen prozessordnungsgemäßen
Beweisantrag bezeichnet. Denn im sozialgerichtlichen Verfahren kommt eine Parteivernehmung (hier: der Vater als gesetzlicher
Vertreter des minderjährigen Klägers, §
455 Abs
1 ZPO) zulässigerweise weder auf Antrag noch von Amts wegen in Betracht (stRspr; vgl zB Senatsbeschluss vom 13.8.2015 - B 9 V 13/15 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 2.4.2015 - B 13 R 361/14 B - juris RdNr 13 f; BSG Beschluss vom 27.5.2011 - B 12 KR 79/10 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 14.10.2008 - B 13 R 407/08 - juris RdNr 18; BSG Beschluss vom 18.2.2003 - B 11 AL 273/02 B - juris RdNr 3; BSG Beschluss vom 24.11.1990 - 1 BA 45/90 - SozR 3-1500 § 160a Nr 2 S 2; BSG Beschluss vom 20.1.1988 - 1 BA 51/87 - juris RdNr
4), da §
118 Abs
1 Satz 1
SGG nicht auf die §§
445 ff
ZPO verweist. Aber selbst wenn in eng begrenzten Ausnahmefällen eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht iS des §
103 SGG durch Verzicht auf eine solche Anhörung angenommen werden könnte, hätte unter Beachtung der Darlegungserfordernisse einer
ordnungsgemäßen Sachaufklärungsrüge (s hierzu allgemein Senatsbeschluss vom 21.12.2017 - B 9 SB 70/17 B - juris RdNr 3) vorgetragen werden müssen, dass hier ein derartiger (Ausnahme-)Sachverhalt vorliegt. Insbesondere hätte es einer eingehenden
Erläuterung bedurft, aus welchen Gründen sich das LSG - ausgehend von seiner hier allein maßgeblichen Rechtsaufassung - hätte
gedrängt fühlen müssen, den Vater trotz der bereits erfolgten aktenkundigen Äußerungen zum Verhalten des Klägers und zu den
ersten motorischen Auffälligkeiten nach den Impfungen nochmals persönlich zu hören. Der Kläger räumt selbst ein, dass (ua)
sowohl bei der persönlichen Anhörung des Vaters vor dem SG als auch bei der Erhebung der Anamnese durch die Sachverständige T mittels Befragung der Eltern (und hier insbesondere des
Vaters) anlässlich der Begutachtung des Klägers dessen frühkindliche Entwicklung vor und nach den Impfungen sowie die von
den Eltern nach den Impfungen jeweils wahrgenommenen Symptome und Verhaltensauffälligkeiten thematisiert worden seien. Hiervon
ausgehend hat das LSG unter Auswertung und Würdigung insbesondere der Ausführungen der Sachverständigen T und der behandelnden
Kinderärztin L das Auftreten einer Impfkomplikation, also einer über das übliche Maß hinausgehende Impfreaktion, vor allem
auch deshalb verneint, weil trotz der vom Vater geschilderten Symptome und Auffälligkeiten beim Kläger nach den Impfungen
keine (zeitnahe) ärztliche (Notfall-)Hilfe in Anspruch genommen wurde. Letzteres wird vom Kläger auch nicht in Abrede gestellt.
Vor diesem Hintergrund zeigt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend auf, welchen über eine Wiederholung der bisherigen
aktenkundigen Äußerungen hinausreichenden substantiellen Mehrwert eine nochmalige Anhörung des Vaters zu Symptomen und Verhaltensauffälligkeiten
beim Kläger nach den Impfungen hätte. Soweit der Kläger in diesem Kontext mit der Auswertung und Würdigung der aktenkundigen
Angaben seiner Eltern (insbesondere des Vaters), Befund und Behandlungsberichte, Stellungnahmen der behandelnden (Kinder-)Ärzte
sowie der Sachverständigengutachten durch das LSG nicht einverstanden ist, kann er hiermit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
nicht gehört werden. Kraft der in §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (§
128 Abs
1 Satz 1
SGG) mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden .
c) Der Kläger rügt des Weiteren einen Verstoß des LSG gegen §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
404a Abs
3 ZPO. Diesen sieht er darin, dass das LSG der Sachverständigen T nicht vorgegeben habe, welche Angaben des Vaters als nachgewiesene
Wahrnehmungen/Tatsachen ihrer sachverständigen medizinischen Beurteilung zugrunde zu legen seien. Auch mit diesem Vorbringen
hat er keinen Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet. Nach §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
404a Abs
3 ZPO bestimmt das Gericht zwar, welche Tatsachen der Sachverständige der Begutachtung zugrunde zu legen hat. Damit sind aber nur
solche Anknüpfungstatsachen gemeint, deren Feststellung nicht die besondere Sachkunde des Gutachters voraussetzt (BSG Urteil vom 27.6.2019 - B 5 RS 2/18 R - BSGE 128, 219 = SozR 4-8570 § 6 Nr 8, RdNr 16 mwN). Es bedarf aber bereits einer besonderen medizinischen Sachkunde, um überhaupt beurteilen zu können, welche der vom Vater
bei seiner Anhörung vor dem SG und ua (auch) bei der Erhebung der Anamnese anlässlich der Begutachtung des Klägers gegenüber T gemachten Symptomschilderungen
Rückschlüsse auf eine bestimmte Erkrankung zulassen und damit für eine Diagnosestellung relevant sind. Der Kläger behauptet
nicht, dass das LSG über die dafür notwendige eigene medizinische Sachkunde verfügt. Ob das Gericht die eigene Sachkunde für
ausreichend erachtet, um den aus seiner Sicht maßgeblichen Sachverhalt ohne Hilfe eines Sachverständigen selbst festzustellen,
auszuwerten und seine Entscheidung darauf zu stützen, steht im Übrigen in seinem pflichtgemäßen Ermessen (vgl BSG Beschluss vom 14.10.2008 - B 13 R 407/08 B - juris RdNr 15 mwN). Dass das LSG seinen ihm insoweit zustehenden Ermessensspielraum hier überschritten hat, hat der Kläger nicht hinreichend
aufgezeigt.
2. Auch die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat er nicht dargelegt. Eine Rechtssache
hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des
Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren
Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch
nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts
erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher,
um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit
(Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog
Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 10.9.2018 - B 9 SB 40/18 B - juris RdNr 4 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "ob es sich bei der Parteivernehmung im sozialgerichtlichen Verfahren
um ein zulässiges Beweismittel handelt, mit welchem ein Vollbeweis für die behauptete Tatsache erbracht werden kann".
Er hat jedoch deren (weitere oder erneute) Klärungsbedürftigkeit nicht aufgezeigt. Der Kläger selbst weist auf die einschlägige
Rechtsprechung des BSG zur Frage der Zulässigkeit einer Parteivernehmung im sozialgerichtlichen Verfahren hin. Danach kommt im sozialgerichtlichen
Verfahren - von eng begrenzten Ausnahmefällen abgesehen - eine Parteivernehmung zulässigerweise weder auf Antrag noch von
Amts wegen in Betracht (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 13.8.2015 - B 9 V 13/15 B - juris RdNr 13 und die oben zitierten BSG-Entscheidungen). Er versäumt es jedoch, sich mit den in diesen Entscheidungen dargelegten Argumenten zur eingeschränkten Zulässigkeit einer
Parteivernehmung im Sozialgerichtsprozess substantiell auseinanderzusetzen und damit eine weitere oder erneute Klärungsbedürftigkeit
dieser Thematik aufzuzeigen. Denn auch nach dieser Rechtsprechung des BSG kann in eng begrenzten Ausnahmefällen eine Parteivernehmung in Betracht kommen. Dass hier ein derartiger Ausnahmefall vorliegt
und dass sich das LSG - ausgehend von seiner Rechtsmeinung - deshalb hätte gedrängt fühlen müssen, den Vater trotz der vorliegenden
aktenkundigen Äußerungen zur frühkindlichen Entwicklung des Klägers vor und nach den Impfungen und zu dessen Verhaltensauffälligkeiten
nach den Impfungen "nochmals" persönlich in der mündlichen Verhandlung zu hören, hat der Kläger - wie oben bereits ausgeführt
- jedoch nicht aufgezeigt. Dass er die Rechtsanwendung des LSG in seinem Einzelfall für falsch hält, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
unerheblich und vermag deshalb auch eine Grundsatzrüge allein nicht zu begründen (vgl stRspr; zB Senatsbeschluss vom 29.2.2016 - B 9 SB 91/15 B - juris RdNr 6 mwN).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.