Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall in der gesetzlichen Unfallversicherung; Verursachung eines Gesundheitserstschadens
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Ereignisses am 21.04.2008 als Arbeitsunfall.
Der am 09.08.1951 geborene Kläger ist angelernter Gerüstbauer. Er war seit 2003 bei der D. D.- und M. GmbH versicherungspflichtig
beschäftigt und bei der Beklagten unfallversichert. Am 21.04.2008 trennte er gemeinsam mit einem Kollegen, dem Zeugen R.,
an einem Gebäude in H./F. am M. Balkone ab, deren Betonplatten zur Absicherung mit Bauankern an der Fassade befestigt waren.
An einem der Balkone löste sich eine Halterung, eine andere riss komplett aus der Wand. Der Kläger versuchte, die Betonplatte
nach außen zu drücken, um Schäden am Gebäude zu verhindern. Der Kläger gab danach Schmerzen am rechten Arm und der rechten
Schulter an und arbeitete nicht weiter, fuhr aber den Pkw mit dem Zeugen, der keinen Führerschein hatte, nach Hause.
Ca. zwei Monate später, am 19.06.2008, begab er sich in fachorthopädische Behandlung und klagte über Schmerzen in beiden Schultern,
rechts mehr als links, insbesondere bei Elevation sowie muskuläre Schwäche bei Elevation, Atrophie der Oberarmmuskulatur rechts.
Am selben Tag wurde ein Magnetresonanztomogramm (MRT) des rechten Schultergelenks gefertigt. Dies zeigte ein Impingement-Syndrom
bei deutlicher AC-Gelenksarthrose und leichten knöchernen Anbauten an der Acromionunterfläche und eine Partialruptur der Supraspinatussehne
(Arztbrief des Facharztes für diagnostische Radiologie Dr. M. vom 30.06.2008, Bl 173 VV). Das MRT der Halswirbelsäule (HWS)
vom 18.07.2008 zeigte eine multisegmentale Spinalkanalstenose C 2 - C 7 mit Osteochondrosen und breiten Bandscheibenvorfällen
mit reaktiven Retrospondylophyten bei zusätzlicher Impression des Myeloms; Foramenstenosen C 4/5 und C 5/6 und einen Bandscheibenprolaps
C 6/7 links foraminal mit möglichen Irritationen der austretenden Wurzel (Arztbrief Dr. M. vom 2.07.2008, Bl 171 VV). Festgestellt
wurde eine multisegmentale zervikale Spinalstenose mit Maximum C 6/7 und radiologischen Zeichen einer zervikalen Myelopathie
(Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 28.07.2008, Bl 167 VV). Es bestehe eine progrediente Kraftlosigkeit am
rechten Arm; Beginn bei der Arbeit, als er versucht habe, einen abgeschnittenen Balkon zu halten. Facharzt für Orthopädie
Dr. M. befundete eine deutliche Muskelatrophie; eher im Bizeps oder C 6-Bereich, seit ca. 12 Wochen nach Arbeiten an einem
Balkon mit Heben und Tragen schwerer Lasten (Arztbrief vom 28.07.2008, Bl 169 VV). Zwei Operationen an der HWS am 03.12.2008
und 12.08.2009 (ventrale Fusion, Klinikum M., Arztbrief vom 20.01.2009, Bl 69; zervikale Dekompression, Universitätsklinikum
H., Arztbrief vom 21.09.2009, Bl 31 VV) bewirkten keine durchgreifende Beschwerdebesserung. Neurologische Diagnostik ergab
keine weiterführenden Erkenntnisse (Stadtklinik B., Neurologische Klinik, Arztbrief vom 25.02.2009, Bl 51 VV; 23.03.2009,
Bl 85 VV: Verdacht auf <V. a.> Armplexusneuritis, Cortisonbehandlung; Orthopädische Universitätsklinik H., Arztbrief vom 02.04.2009,
Bl 89 VV; keine nennenswerte Besserung der Atrophie; Universitätsklinikum H., Neurologische Klinik, Arztbrief vom 19.08.2009:
V. a. vorderes Rückenmarkssyndrom, im Elektromyogramm <EMG> kein eindeutiger Befund). Nachdem der Kläger auf die Aufforderung
der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg hin einen Rentenantrag gestellt hatte, wurde er vom Arzt für Neurologie
und Psychiatrie Dr. B. begutachtet, der im Gutachten vom 04.09.2009 einen nicht eindeutig erklärbaren Befund, klinisch eine
offenbar schmerzfreie proximale Parese der rechten oberen Extremität, im Übrigen keine weiteren neurologischen Störungen,
feststellte (Bl 105 ff VV). Der Orthopäde Dr. S. stellte im Gutachten vom 23.09.2009 (Bl 115 ff VV) eine hochgradige Parese
des rechten Armes mit nur minimaler Restbeweglichkeit in der Schulter und völligem Bewegungsausfall im Ellenbogengelenk, deren
Ursache in einer Spinalkanalstenose der HWS zu finden sei, fest. Die Bewegungen der rechten Hand und der Finger der rechten
Hand seien durch starke Kraftminderung erheblich beeinträchtigt. Die erhaltenen Funktionen näherten sich denen der funktionalen
Einarmigkeit an.
Der Kläger war seit dem 02.12.2008 arbeitsunfähig (Bl 47 VV) und bezog zunächst Krankengeld, anschließend seit 01.07.2009
bis zunächst 30.06.2012 befristet Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 03.12.2009, Bl 141 VV).
Am 03.12.2009 zeigte der Kläger den Unfall über seinen Bevollmächtigten bei der Beklagten an. Von ihm, dem Bevollmächtigten,
befragt, ob er seine Beschwerden im Armbereich bzw. deren Beginn an irgendeinem Ereignis im vergangenen Jahr festmachen könne,
habe der Kläger gemeint, dass insoweit nur eine gewissermaßen Kleinigkeit in Betracht komme, welcher er in Bezug auf sein
gesundheitliches Befinden keine Bedeutung beigemessen habe. Am 14.01.2010 erfolgte die Unfallanzeige des Arbeitsgebers. Darin
gab dieser an, als sich an einem der Balkone, die der Kläger habe abtrennen sollen, eine Halterung gelöst, die andere aus
der Wand gerissen sei, habe der Kläger mit eigener Kraft versucht, die Betonplatte nach außen zu drücken, um größere Schäden
zu verhindern. Als Zeugen gab der Arbeitgeber den Kollegen des Klägers, B. R., an. Die Beklagte befragte den Zeugen R. schriftlich.
Dieser gab mit Schreiben vom 09.02.2010 an, es sei alles gesichert gewesen, dann sei der Balkon gebrochen, er habe bloß noch
einen Schrei gehört, gefragt, was los sei. Der Kläger habe gesagt, mein Arm. Sie hätten großes Glück gehabt, es hätte schlimmer
kommen können. Facharzt für Allgemeinmedizin D. berichtete über die erste ärztliche Inanspruchnahme am 21.07.2008, Diagnose
Deltoideus- und Bizepsparese, zum Unfallhergang, Balkone seien abgeflext worden. Ein Balkon sei abgestürzt. Der Kläger habe
reflexartig danach gegriffen, um ihn zu halten, dabei habe es plötzlich einen Ruck im Arm gegeben. Er habe Schmerzen und Ziehen
am rechten Arm bemerkt, die Beschwerden hätten im Laufe der Tage zugenommen, seien seitdem progredient. Der Arzt hatte keine
tatsächlichen oder medizinischen Bedenken gegen die Richtigkeit der Angaben.
Dr. L. sah in ihrer radiologischen beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte bildmorphologisch in der rechten Schulter
keine Ursache für die geschilderte, seit Juli/August 2008 schleichend eintretende Muskelatrophie und Parese des rechten Armes,
insbesondere keine Nachweise für ursächlich auf den Unfall am 21.04.2008 zurückzuführende Läsionen des rechten Schultergelenks.
Nach dem schriftlichen Befund in den Akten zeige auch die relativ unfallnahe MRT-Bildgebung der HWS keinen Hinweis auf eine
frische/subakute Traumafolge, aber deutliche degenerative Veränderungen von C 2 - C 7 mit Osteochondrose, Bandscheibenvorfällen,
reaktiven Retrospondylophyten und resultierender Spinalkanalstenose mit Myelonimpression und Neuroforamenstenose. Diese im
Bereich der HWS nachgewiesenen hochgradigen degenerativen Veränderungen seien aus radiologischer Sicht hochwahrscheinlich
für die seit Juli/August 2008 schleichend eingetretene Armparese rechts. Ein Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen lasse sich
anhand der vorhandenen Bildgebung nicht herstellen. Chirurg, Unfallchirurg, Orthopäde Dr. S. empfahl beratungsärztlich ein
neurologisches oder neurochirurgisches Zusammenhangsgutachten, da mangels unfallnaher Befunde unklar sei, ob durch den Unfall
ein Erstkörperschaden verursacht worden sei. Aktenkundig ist vor dem Ereignis eine eintägige Arbeitsunfähigkeit des Klägers
am 28.10.2002 wegen Läsion der Rotatorenmanschette sowie eine Clavicula-Fraktur 1970.
Mit Bescheid vom 18.02.2011 stellte die Beklagte fest, dass das Ereignis vom 21.04.2008 keinen Arbeitsunfall im Sinne des
Gesetzes darstelle, ein Anspruch auf Geld- oder Sachleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung daher nicht bestehe.
Mangels unfallnaher Befunde und angesichts des Umstandes, dass der Zeuge R. kein unmittelbarer Augenzeuge sei, sei eine Verletzung
im Sinne eines Körperschadens am Unfalltag nicht voll bewiesen.
Der Kläger erhob Widerspruch. Erforderlich sei ein die Situation rekonstruierendes Gutachten unter Berücksichtigung der physikalischen
Einzelheiten. Er sei bis zum Unfall im Prinzip sein Leben lang schmerzfrei gewesen, habe seit dem Unfall erstmalig und dauerhaft
Schmerzen. Er sei von einer Zerrung ausgegangen und habe weitergearbeitet, obwohl er angesichts der Schmerzen nicht das gebracht
habe, was er als richtiges Arbeiten bezeichne, weil sein Chef ihn gebraucht habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.05.2011
wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Unter Berücksichtigung der Unfallschilderung in der Unfallanzeige des Arbeitgebers
habe der Kläger eine willentlich koordinierte Bewegung ausgeführt. Aus den aktenkundigen Befunden ließen sich keine traumatischen
Veränderungen entnehmen. Auch ein rekonstruierendes Sachverständigengutachten sei nicht geeignet, den erforderlichen Vollbeweis
für das Vorliegen eines Erstkörperschadens zu erbringen.
Der Kläger hat hiergegen am 16.06.2011 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, die abgebrochene Balkonplatte habe sich wegen des Nachgebens des Ankerhakens nicht senkrecht
nach unten in Richtung Gerüstdiele, sondern schräg seitlich nach hinten Richtung Hauswand bewegt. Er habe instinktiv gehandelt
und ein Wegkippen der Decke zur Hauswand hin mittels schierer Muskelkraft seines rechten Armes verhindern wollen. Es habe
einen Schmerz getan wie wenn etwas zerre oder reiße. Ohne Erfolg. Die Decke sei donnernd nach hinten entlang der Hauswand
weggekippt. Sein Kollege habe sinngemäß gerufen, "Du Arschloch, Du dumme Sau" oder ähnliches. Der Zeuge habe möglicherweise
die Augen nicht auf ihm gehabt, habe aber den Schmerzschrei gehört. Die Kraftentfaltung sei in den ganzen Rumpf gegangen.
Das Aufhaltenwollen der Betonplatte sei geeignet gewesen, Muskelverletzungen etc. herbeizuführen. Die Beklagte hat erwidert,
das Ereignis als solches werde nicht bestritten. Es sei aber nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass
durch dieses Ereignis ein Körperschaden verursacht worden sei.
Das SG hat in der mündlichen Verhandlung vom 13.09.2012 den Zeugen R. als Zeugen vernommen. Der Zeuge hat bekundet, er habe am 21.04.2008
gemeinsam mit dem Kläger Balkone an einem Altbau in F. abgeflext. Die Arbeit sei laut und staubig gewesen. Sie hätten die
Balkone jeweils in kleinen "Kuchenstücken" abgeflext und neben sich auf das Gerüst gelegt. Er sei kurz weggegangen und habe
eine Zigarette geraucht. Er habe - auch wegen des Staubes - nichts vom Kläger gesehen. Er habe Gehörschutz getragen, die Flex
sei laut gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe sich der Kläger an Arm und Schulter gegriffen und gesagt, er habe Schmerzen
im Arm, etwas sei gerissen. Danach habe er sich hingehockt und nicht weitergearbeitet. Neben dem Kläger auf dem Gerüst hätten
keine neuen "Kuchenstücke" gelegen. Der Zeuge habe dann noch ca. eine halbe Stunde allein weitergearbeitet. Der Kläger habe
sie dann nach Hause gefahren, aber während der Fahrt über Armschmerzen geklagt. Der Zeuge habe nämlich keinen Führerschein.
Das SG hat mit Urteil vom 13.09.2012 die streitgegenständlichen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom
21.04.2008 (Verletzung des Klägers bei Balkonabbrucharbeiten) als Arbeitsunfall anzuerkennen. Für ein Unfallereignis sprächen
nach den glaubhaften Angaben des Zeugen R., der vom Unfallereignis selbst zwar nichts gesehen und gehört habe, mittelbar aber
Folgendes: die von ihm bemerkten herausgerissenen und gelösten Halterungen für die Spannketten am Unfallbalkon, die Tätigkeit
des Klägers an diesem Balkon währenddessen, der Umstand, dass das zu diesem Zeitpunkt abgeflexte Betonteil nicht auf dem Gerüst
gelegen habe (es müsse in die Tiefe gefallen sein), die Tatsache, dass der Kläger nach dem Ereignis über Schmerzen im rechten
Arm und der rechten Schulter geklagt und nicht weitergearbeitet habe. Die hiervon teilweise abweichende kurze schriftliche
Stellungnahme des Zeugen im Verwaltungsverfahren spreche angesichts seiner sehr einfachen, nachgerade schlichten Struktur
nicht gegen die Glaubhaftigkeit seiner Angaben vor Gericht. Das Gericht beurteile die Bewegungen des Klägers nicht als willentlich
koordiniert, vielmehr als reflexartig im Sinne eines Schutzreflexes und damit unwillkürlich. Da sich der Kläger erstmals zwei
Monate nach dem Unfall in fachorthopädische Behandlung begeben habe und sich erstmals im Dezember 2009 bei der Beklagten gemeldet
habe, werde es allerdings in Anbetracht auch des weiteren Ereignis- und Zeitablaufs schwer, etwaige Gesundheitsstörungen am
rechten Arm und der rechten Schulter mit der erforderlichen Sicherheit auf den Unfall zurückzuführen, insbesondere vor dem
Hintergrund, dass traumatische Unfallverletzungen oder sonstige Befunde nicht zeitnah erhoben worden seien.
Mit ihrer am 01.10.2012 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegten Berufung hat die Beklagte vorgetragen, die
verschiedenen Angaben des Zeugen und die divergierenden Angaben des Klägers zu dem Unfallhergang (unkontrollierter Absturz
einer kompletten Bodenplatte oder Abflexen kleiner Stücke ohne Zeichen eines Abbruchs) könnten nicht mit deren einfacher,
schlichter Persönlichkeitsstruktur erklärt werden. Angesichts der vorbestehenden erheblichen degenerativen Veränderungen und
des fehlenden Nachweises traumatisch bedingter Veränderungen sei zu fragen, ob der Kläger aus innerer Ursache Armschmerzen
bekommen habe. Es fehle an einem voll bewiesenen Unfallereignis, so dass der Schluss auf einen Gesundheitserstschaden nicht
zulässig sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. September 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen
und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach §§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) und nach §
151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist begründet. Die angegriffenen Bescheide, mit denen die Beklagte
die Feststellung eines Arbeitsunfalls am 21.04.2008 abgelehnt hat, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen
Rechten.
Arbeitsunfälle sind nach §
8 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse,
die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung
vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb Versicherter
ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden
oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende
Kausalität; vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 26.06.2014 - B 2 U 9/13 R - [...]).
Der Begriff des Unfalls ist bei der Prüfung eines Arbeitsunfalls in drei Schritte zu unterteilen. Es ist zu prüfen, ob
1. ein Ereignis, als zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis vorgelegen hat (äußeres/einwirkendes
Ereignis),
2. ein Gesundheitserstschaden (zeitnah) eingetreten ist und
3. dieser Erstschaden durch das einwirkende Ereignis nach der Theorie der wesentlichen Bedingung wesentlich verursacht worden
ist (haftungsbegründende Kausalität).
Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises,
also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 7/08 R - SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 3). Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung
des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Nachweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden
kann. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die entscheidungserheblichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit festgestellt werden,
d.h. es wird keine Überzeugung des Gerichts vorausgesetzt, die jede nur denkbare Möglichkeit ausschließt (vgl. bereits BSG, Urteil vom 02.02.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287). Vielmehr genügt für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge die hinreichende
Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG a.a.O.). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich
anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988 - 2/9b RU 28/87 - SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht
werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des
Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen
Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991 - 2 RU 31/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Das äußere Ereignis muss kein außergewöhnliches sein, alltägliche genügen (BSG, Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11), ebenso gewohnte wie z.B. körpereigene Bewegungen wie Heben, Schieben, Laufen, vor allem, wenn sie durch einen äußeren Vorfall
herbeigeführt oder beeinflusst werden und dadurch z.B. ungeplant und unkoordiniert ablaufen (vgl. LSG Hamburg, Breithaupt
1957, 316: spontanes Greifen nach fallendem Gegenstand; BSGE 94, 269: unerwarteter Widerstand beim Anheben eines Grabsteines, weil er festgefroren war).
Obwohl ein Arbeitsunfall weder der Krankenkasse noch dem Arbeitgeber gemeldet worden ist, ist der Senat davon überzeugt, dass
der Kläger am 21.04.2008 den von ihm geschilderten Unfall erlitten hat. Der Senat geht davon aus, dass das Ereignis sich so
zugetragen hat wie vom Kläger im Laufe des Verfahrens vorgetragen und vom Zeugen R. in der mündlichen Verhandlung beim SG bestätigt. Danach hat der Kläger versucht, mit den Armen eine fallende Betonplatte abzustützen, weil die Halterungen der
Spannketten sich gelöst hatten und er Schäden am Gebäude durch die abstürzende Betonplatte verhindern wollte. Danach war das
vom Kläger vorgetragene Auffangen der abstürzenden Balkonplatte ein Unfall im Sinne des Gesetzes, unabhängig davon, ob es
reflexhaft oder koordiniert erfolgt ist.
Der Tatbestand des Arbeitsunfalls setzt aber zusätzlich voraus, dass das Ereignis einen Gesundheitserstschaden verursacht
hat. Gesundheitserstschäden sind alle regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustände, die unmittelbar durch
die (von außen kommende zeitlich begrenzte) Einwirkung rechtlich wesentlich verursacht sind, entsprechend dem allgemeinen
Krankheitsbegriff (so auch Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17.05.2013 - L 8 U 2652/12 - [...]). Zwar sind Umfang und Dauer unerheblich; der Gesundheitserstschaden setzt keine Dauerschädigung oder Gesundheitsschäden
von erheblichem Gewicht oder mit notwendiger Behandlungsbedürftigkeit voraus. Minimale Regelwidrigkeiten ohne Arbeitsunfähigkeit
oder Behandlungsbedürftigkeit sind ebenso bedeutungslos (Ricke in: Kasseler Kommentar, Stand Juni 2014, §
8 SGB VII, Rn. 20) wie bloße Schmerzen (Urteil des Senats vom 16.01.2013 - L 6 U 2874/12 - [...]). Der Senat hat sich nach dem Akteninhalt und den Angaben des Klägers nicht davon überzeugen können, dass es am 21.04.2008
im Rahmen der beruflichen Tätigkeit tatsächlich zu einem Gesundheitserstschaden gekommen ist. Der erforderliche Vollbeweis
für einen durch das Ereignis am 21.04.2008 verursachten Gesundheitserstschaden ist nicht erbracht.
Unmittelbar nach dem Ereignis sind nach Angaben des Klägers nur Schmerzen und ein Ziehen im Arm aufgetreten; er musste nur
für diesen Resttag mit der Arbeit pausieren und war dann erstmals ab Dezember, also gut 8 Monate später arbeitsunfähig erkrankt.
Der vom Kläger angegebene einschießende Schmerz im rechten Arm stellt nach Ansicht des Senats keinen Gesundheitserstschaden
dar. Er könnte allenfalls als erstes Zeichen eines im weiteren Verlauf objektivierten Gesundheitserstschadens gewertet werden.
Es existieren keine Befunde, die einen solchen Erstschaden belegen. Eine - theoretisch in Betracht kommende - Zerrung oder
Prellung der rechten Schulter ist nicht ärztlich festgestellt worden und wird vom Kläger auch nicht berichtet, zumal er sich
noch nicht einmal selbst z.B. mit Salben oder Schmerzmitteln behandelt hat.
Die vom Facharzt für Allgemeinmedizin mehr als drei Monate nach dem Ereignis als Ergebnis der ersten Untersuchung am 21.07.2008
genannte Diagnose Deltoideus- und Bizepsparese konnte nicht Gesundheitserstschaden sein, weil eine Parese erst bei längerer
Schonung einer Gliedmaße eintritt, mithin keine unmittelbare Unfallfolge sein kann. Der Kläger selbst hat die Atrophie und
die Parese des rechten Oberarms nicht auf ein stattgehabtes Trauma zurückgeführt, es vielmehr als einen langsamen Beginn geschildert
(Arztbrief Dr. S., Bl. 60 VV), der laut dem Bericht des Neurochirurg Dr. H. auch erst im September 2008 mit Kribbeln und Brennen
seinen Beginn genommen hat (Bl. 71 VV), aber zeitlich weit nach dem Ereignis. Die bildgebende Diagnostik belegte keinen Gesundheitserstschaden
in Form einer traumatischen Schädigung, sondern zeigte hochgradige degenerative Veränderungen als mögliche Ursache der beim
Kläger bestehenden erheblichen Beschwerden. In dem ca. zwei Monate nach dem Ereignis gefertigten MRT des rechten Schultergelenks
fand sich ein kleiner degenerativ bedingter ventraler Teileinriss der ansatznahen Supraspinatussehne bei deutlicher Acromial(AC)-Gelenksarthrose.
Der Musculus supraspinatus war nicht atrophiert. Es fand sich außerdem ein Zustand nach (Z. n.) alter Clavikulafraktur (1970),
aber kein Hinweis auf eine weitere stattgehabte Fraktur oder ein Bone-Bruise/Knochenödem als Hinweis auf eine frische Verletzung
(zu den typischen traumatischen Begleiterscheinungen vgl. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit,
8. Aufl. 2010, S 415 ff; Urteil des Senats vom 25.09.2014 - L 6 U 1827/12). Es bestand auch kein Anhalt für eine Schulterluxation, keine SLAP(superior labrum anterior posterior)-Läsion (Riss der
Knorpellippe am Oberrand der Schulterpfanne) und keine Pulley-Läsion (Schädigung der langen Bizepssehne am Schultergelenk).
Daneben bestand ein Supraspinatussehnenganglion. In dem neun Monate nach dem Ereignis gefertigten Kontroll-MRT der rechten
Schulter war das Ganglion rückläufig bei ansonsten unverändertem Befund. Läsionen des rechten Schultergelenks infolge des
Ereignisses am 21.04.2008 lagen nicht vor. Aus der bildgebenden Diagnostik der rechten Schulter ergab sich keine Ursache für
die seit Juli/August schleichend eintretende Muskelatrophie und Parese. Darauf hat bereits Dr. L. in ihrer beratungsärztlichen
radiologischen Stellungnahme für den Senat überzeugend hingewiesen. Das ca. drei Monate nach dem Ereignis gefertigte MRT der
HWS zeigte keinen Hinweis auf eine frische/subakute Traumafolge, aber multisegmentale deutliche degenerative Veränderungen
von C 2 - C 7 mit Osteochondrose, Bandscheibenvorfällen und reaktiven Retrospondylophyten sowie resultierender Spinalkanalstenose
mit Myelonimpression und Neuroforamenstenosen. Das nach der ersten Operation an der HWS (ventrale Fusion von C 4/5 und C 5/6)
gefertigte Kontroll-MRT zeigte persistierende hochgradige degenerative Veränderungen im Bereich der nicht operierten Bandscheibensegmente
mit hochgradiger Osteochondrose, Bandscheibenprolaps, Spinalkanalstenose mit Myelonimpression und Neuroforamenstenosen. Nichts
davon stand im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen am 21.04.2008, worauf Dr. L. nachvollziehbar hingewiesen hat. Das wird
auch durch die richtungsweisende Untersuchung von Prof. Dr. L. vom 19.03.2009 bestätigt, der keinen Hinweis auf einen Rotatorenmanschettendefekt
und keinen Anhalt für eine Störung im Bereich der rechten Schulter fand (Bl. 89 VV). Mithin konnten weder die Befunde an der
rechten Schulter noch die an der HWS der zur Begründung eines Arbeitsunfalls erforderliche Gesundheitserstschaden sein.
Gegen das Vorliegen eines unfallbedingten Gesundheitserstschadens spricht zudem die Tatsache, dass der Kläger erst seit der
Operation am 02.12.2012 arbeitsunfähig war, also mehr als sieben Monate lang seine körperlich schwere Tätigkeit weiter ausgeübt
hat. Zu berücksichtigen ist ebenfalls, dass der Kläger dem Ereignis vom 21.04.2008 selbst keine Bedeutung beigemessen hat
und erst auf Befragen seines Bevollmächtigten Ende 2009 dieses als gewissermaßen Kleinigkeit bezeichnet hat, welcher er keine
Bedeutung in Bezug auf sein gesundheitliches Befinden beigemessen hat.
Auch aus dem Urteil des LSG Baden-Württemberg (15.10.2009 - L 10 U 2011/09 - [...]) folgt nichts anderes, denn im Gegensatz zum vorliegenden Fall war dort zwar der Gesundheitserstschaden fraglich,
aber ein Gesundheitsschaden unstreitig. Nach dem zuletzt vorliegenden Bericht von Prof. Dr. L. fehlt es aber beim Kläger auch
an einer dauerhaften Schädigung der Schulter, sämtliche Funktionsprüfungen waren ohne Befund. Die allein bildgebende Diagnostik
belegt auch keine Funktionsbeeinträchtigung, zumal ausschließlich degenerative Veränderungen beschrieben werden.
Mithin hat die Beklagte zu Recht die Feststellung eines Arbeitsunfalls abgelehnt. Das stattgebende Urteil des SG war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, §
160 Abs.
2 SGG.