Anspruch auf Arbeitslosengeld; Nachweis der Rechtwidrigkeit des Bewilligungsbescheides bei fehlendem Bescheid in der Leistungsakte
aufgrund zentraler Bescheiderfassung
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) zu Recht rückwirkend teilweise
aufgehoben und erbrachte Leistungen vom Kläger zurückgefordert hat.
Der 1945 geborene Kläger - gelernter Betriebswirt von Beruf - war vom 01.10.1996 bis zur Kündigung seines Beschäftigungsverhältnisses
durch seinen damaligen Arbeitgeber zum 30.04.1999 als Leiter des Finanz- und Rechnungswesens tätig. Nach dem Bezug von Alg
vom 04.05.1999 bis 30.06.1999 nach Leistungsgruppe C/0 arbeitete der zu der Zeit noch verheiratete Kläger vom 01.07.1999 bis
30.04.2001 als Buchhalter. Auch dieses Beschäftigungsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers. Vom 01.05.2001 bis
31.07.2001 - seit 01.04.2001 lebte der Kläger von seiner Ehefrau getrennt - bezog er von der Beklagten Alg nach Leistungsgruppe
C/0. Am 01.08.2001 nahm er eine Tätigkeit - wiederum als Buchhalter - bei der Firma S. R. GmbH in S. auf. Dieses Beschäftigungsverhältnis
wurde vom Arbeitgeber zum 30.06.2002 betriebsbedingt gekündigt.
Am 19.06.2002 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. In seinem Antrag gab er an, er lebe
seit 01.04.2001 dauernd getrennt und sein am 23.09.1980 geborener Sohn nehme im Oktober 2002 ein Studium auf. Auf seiner Lohnsteuerkarte
für das Jahr 2002 sei zu Jahresbeginn die Lohnsteuerklasse I eingetragen gewesen und eine Änderung sei im Laufe des Jahres
nicht erfolgt. Er versicherte, dass seine Angaben zutreffen und dass er Änderungen unverzüglich anzeigen werde. Das Merkblatt
1 für Arbeitslose habe er erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen. Mit Bescheid vom 23.07.2002 bewilligte die Beklagte
dem Kläger Alg ab 01.07.2002 nach einem Bemessungsentgelt von 1025 EUR in Höhe von 384,09 EUR wöchentlich (Leistungsgruppe
C/0). Ab 01.01.2003 betrug der wöchentliche Leistungssatz bei im Übrigen unveränderten Leistungsmerkmalen 381,08 EUR.
Am 17.02.2003 übergab der Kläger bei einer persönlichen Vorsprache die Lohnsteuerkarte für das Jahr 2003, in der zu Beginn
des Jahres die Steuerklasse I und aufgrund einer am 17.02.2003 für die Zeit ab 01.01.2003 erfolgten Änderung die Steuerklasse
II und ein Kinderfreibetrag von 0,5 eingetragen war. Nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides des Finanzamtes W. vom 02.04.2003
für das Jahr 2002 hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 22.07.2007 zur beabsichtigten teilweisen Rücknahme der Bewilligung
von Alg für die Zeit vom 01.07.2002 bis 31.03.2003 und Erstattung von Alg in Höhe von 1523,74 EUR an und gab ihm Gelegenheit
zur Äußerung. Ihm hätten vom 01.07.2002 bis 30.09.2002 nur Leistungen nach der Leistungsgruppe A/0 in Höhe von 310,87 EUR
wöchentlich (anstatt 384,09 EUR), vom 01.10.2002 bis 31.12.2002 nach Leistungsgruppe B/1 in Höhe von 362,67 EUR wöchentlich
und ab 01.01.2003 in Höhe von 359,31 EUR (anstatt 381,08 EUR) zugestanden. Die Überzahlung sei dadurch entstanden, dass der
Kläger eine für den Leistungsanspruch erhebliche Änderung der Verhältnisse nicht richtig angezeigt habe.
Der Kläger nahm mit Schreiben vom 07.08.2003 dahingehend Stellung, dass er immer und zu jedem Zeitpunkt der Beklagten die
ihm jeweils verfügbaren bzw. erforderlichen Unterlagen zu Verfügung gestellt habe. Allerdings habe er es unterlassen rechtzeitig
mitzuteilen, dass sein Sohn im Oktober 2002 ein Studium begonnen habe. Da er (erst) am 17.02.2003 eine entsprechende Studienbescheinigung
vorgelegt habe, sei er davon ausgegangen, dass er eine entsprechende Nachzahlung erhalten werde. Er habe aber nur für die
Zeit ab Januar 2003 einen neuen Bescheid (Bescheid vom 14.04.2003) erhalten, nicht aber eine Nachzahlungsmitteilung für die
Zeit von Oktober bis Dezember 2002. Dass er anstatt eine Nachzahlung zu bekommen nun das bezogene Alg teilweise erstatten
solle, sei ihm deshalb völlig unverständlich.
Mit Bescheid vom 20.08.2003 nahm die Beklagte die mit Bescheid vom 23.07.2002 erfolgte Bewilligung von Alg ab 01.07.2002 in
Höhe von 73,22 EUR wöchentlich, ab 01.10.2002 in Höhe von 21.42 EUR wöchentlich und ab 01.01.2003 in Höhe von 21,77 EUR wöchentlich
zurück. Der Kläger habe vom 01.07.2002 bis 31.03.2003 Leistungen nach der Leistungsgruppe C/0 erhalten, obwohl ihm vom 01.07.2002
bis 30.09.2002 nur Leistungen nach der Leistungsgruppe A/0 und vom 01.10.2002 bis 31.03.2003 nur Leistungen nach der Leistungsgruppe
B/1 zugestanden hätten. Die Entscheidung beruhe auf § 45 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) i.V.m. §
330 Abs.
2 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - (
SGB III). Der Kläger habe im betreffenden Zeitraum 1523,74 EUR zu Unrecht erhalten, die von ihm zu erstatten seien.
Dagegen legte der Kläger am 11.09.2003 Widerspruch ein und machte geltend, nachdem er immer alle notwendigen Unterlagen vorgelegt
habe, sei er nicht im geringsten dafür verantwortlich, dass die Beklagte der Leistungsbewilligung offensichtlich eine unrichtige
Leistungsgruppe zugrunde gelegt habe. Er selbst habe natürlich die erhaltenen Bescheide geprüft, jedoch sei ihm dieser Fehler
nicht aufgefallen. Dies werde schon durch die Tatsache bewiesen, dass er zwei Mal vorstellig geworden sei, um nach dem Verbleib
der Nachzahlung für die Zeit von Oktober bis Dezember 2002 zu fragen. Er habe nämlich eine Nachzahlung für diesen Zeitraum
erwartet und habe zu keiner Zeit mit einem negativen Bescheid rechnen können. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2004 wies
die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Leistungsbewilligung sei für den betreffenden Zeitraum rechtswidrig gewesen, da der
Kläger Anspruch auf Alg nur nach Leistungsgruppe A (ab 01.07.2002) bzw. Leistungsgruppe B (ab 01.10.2002) und nicht nach Leistungsgruppe
C (Steuerklasse III) gehabt habe. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen. Zwar habe der Kläger die Änderung
der Verhältnisse vor der Bekanntgabe der Bewilligung der Leistungen mitgeteilt. Diese Mitteilung sei jedoch nicht berücksichtigt
worden. Aufgrund der verständlichen Hinweise im dem Kläger ausgehändigten Merkblatt und auch auf der Rückseite des Bewilligungsbescheides
hätte der Kläger erkennen müssen, dass ihm zu viel Alg gezahlt werde. Er habe weiterhin Alg nach Leistungsgruppe C und gegenüber
der Zeit bis 31.07.2001 in fast unveränderter Höhe erhalten, obwohl sich die Lohnsteuerklasse geändert habe. Somit habe er
grob fahrlässig gehandelt. Er habe die Sorgfaltspflicht im besonders schwerem Maße verletzt, da er zumindest hätte wissen
müssen, dass der Leistungsanspruch durch die Lohnsteuerklasse beeinflusst werde.
Am 18.03.2004 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), mit der er sich gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Alg und das entsprechende Erstattungsverlangen der Beklagten
wandte. Er machte geltend, er sei - nachdem er seine Lohnsteuerkarte mit der darauf eingetragenen Steuerklasse I und seine
Lohnabrechnungen (ebenfalls mit der eingetragenen Lohnsteuerklasse I) - davon ausgegangen, dass die Beklagte das Alg in korrekter
Höhe bewillige. Ihm könne keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, weil er die fehlerhafte Bewilligung der Beklagten
nicht erkannt habe. Er sei nicht verpflichtet gewesen, die Bescheide der Beklagten zu "durchforsten". Trotz seiner beruflichen
Qualifikation sei es ihm bei einfachen Überlegungen nicht möglich gewesen, die Unstimmigkeiten in den Bewilligungsbescheiden
zu erkennen. Da er nach dem Bezug von Alg bis 31.07.2001 wieder beschäftigt gewesen sei und sich das Gehalt und die Höhe des
Alg verändert gehabt habe, hätte er aufgrund eines Vergleichs des jeweiligen Zahlbetrages nicht auf die Fehlerhaftigkeit der
Bewilligung schließen können.
Die Beklagte trat der Klage entgegen und machte geltend, der Kläger habe die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung grob
fahrlässig nicht erkannt. Dem Kläger hätte bei Anstellung einfachster Überlegungen und einer Schlüssigkeitsprüfung auffallen
müssen, dass die ihm zuerkannte Leistungsgruppe den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprochen habe. Er habe gewusst, dass
ihm Alg nur nach der Leistungsgruppe B zustand und dass sich die Leistungshöhe vermindern musste. Gerade mit Blick auf seine
berufliche Qualifikation sei es ihm zumutbar gewesen, zumindest einfache Überlegungen anzustellen, ob ihm das Alg in dieser
Höhe auch zu Recht bewilligt worden sei.
Mit Urteil vom 19.11.2007 wies das SG die Klage ab. Es hielt die Klage für unbegründet, weil die Beklagte die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 01.07.2002 bis
31.03.2003 zu Recht wegen grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Bewilligung von Alg teilweise aufgehoben und
das zu viel gezahlte Alg zurückgefordert habe. Der Kläger habe für den streitigen Zeitraum nach der Trennung von seiner Ehefrau
und der Eintragung der Lohnsteuerklasse II auf seiner Lohnsteuerkarte nur noch Anspruch auf Alg nach Leistungsgruppe B (anstatt
nach Leistungsgruppe C) - und damit auf geringere Leistungen - gehabt. Ihm sei auch grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit
der zu hohen Bewilligung von Alg vorzuwerfen, da ihm aufgrund der in den Bewilligungsbescheiden und auch im ihm ausgehändigten
Merkblatt und seinem individuellen Einsichtsvermögen die Unrichtigkeit der Bescheide hätte ins Auge springen müssen. Der Kläger,
der zuletzt als Buchhalter tätig gewesen sei, habe selbst angegeben, dass er den Bewilligungsbescheid der Beklagten "natürlich"
überprüft habe, ihm jedoch der Fehler nicht aufgefallen sei. Dies rechtfertige den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit. Die
Bewilligung von Alg sei daher teilweise zurückzunehmen gewesen. Der Erstattungsanspruch in Höhe von 1523,74 EUR folge aus
§ 50 Abs. 1 SGB X.
Dagegen hat der Kläger am 07.01.2008 Berufung eingelegt, mit der er weiterhin einen Anspruch auf Aufhebung der angegriffenen
Bescheide geltend macht. Er bringt vor, sämtliche Angaben, die er gegenüber der Beklagten gemacht habe, seien korrekt und
rechtzeitig erfolgt. Aus den von ihm vorgelegten Unterlagen habe sich eindeutig ergeben, dass er zu der Zeit in der Lohnsteuerklasse
I eingruppiert gewesen sei. Die Unrichtigkeit der Bewilligungsbescheide habe die Beklagte selbst verursacht. Schon deshalb
könne angenommen werden, dass die Annahme von grober Fahrlässigkeit ausscheide. Ihm könne aber auch deshalb keine grobe Fahrlässigkeit
vorgeworfen werden, weil er sich zur damaligen Zeit in einer schweren gesundheitlichen Krise befunden habe und - trotz seiner
Ausbildung - über die einfachsten Dinge hinaus nicht in der Lage gewesen sei, sich um seine Belange richtig zu kümmern. Nach
wiederholten Kündigungen seiner Beschäftigungsverhältnisse und der Versorgung mit einem Herzkatheter im Jahr 1999 habe er
im Jahr 2002 unter ständig starkem Tinnitus gelitten. Anfang 2002 habe er seine Mutter in einem Pflegeheim unterbringen müssen
und letztendlich sei es aufgrund dieser Gesamtbelastung am 09.07.2002 zur Scheidung gekommen. Aufgrund dessen habe sich der
Tinnitus verstärkt und sei es Ende 2002 zu einem Gehörsturz gekommen. 2003 habe er sein Haus verkaufen (mit einer entsprechenden
nachfolgenden Verschuldung) und sich auch nochmals einer Katheteroperation unterziehen müssen. Die ganze Situation habe dazu
geführt, dass er wochenlang die gesamte Post einfach ungeöffnet liegen gelassen, seine Kontoauszüge nicht geöffnet habe und
sich um seine persönlichen Angelegenheiten nicht mehr habe kümmern können. Schließlich falle auf, dass in den entsprechenden
Bescheiden der Beklagten seit 2005 keine Buchstaben mehr aufgeführt seien, sondern einfach und für jeden erkennbar auf der
Vorderseite die Lohnsteuerklasse selbst eingetragen sei. Die von der Beklagten bis dahin praktizierte umständliche und unüberschaubare
Darstellungsweise sei zu ihren Lasten zu berücksichtigen. Der Kläger legt den Kurentlassungsbericht der Reha-Klinik W. in
B. N. vom 17.11.2004 vor.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. November 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 20. August 2003 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie legt dar, dass der fehlerhafte Bescheid darauf zurückzuführen sei, dass
auf die gespeicherten Daten aus der am 31.05.2001 für die Zeit ab 01.05.2001 erfolgten Bewilligung von Alg nach Leistungsgruppe
C zurückgegriffen worden sei. Im Übrigen macht sie geltend, der Kläger habe die Unrichtigkeit der Bewilligungen leicht erkennen
können. Er sei verpflichtet gewesen, den Bewilligungsbescheid zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen. Dies habe er - wie der
Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 27.05.2004 zeige - auch getan. Daraus gehe hervor, dass er einfach
davon ausgegangen sei, dass die Höhe des Alg korrekt festgesetzt worden sei. Es sei auch nicht belegt, dass er schon zum Zeitpunkt
der Übersendung des Bewilligungsbescheides im Juli 2002 nicht in der Lage gewesen sei, sich um seine Belange richtig zu kümmern.
In seinem Antrag auf Alg vom 19.06.2002 habe er nicht angegeben, dass seine Leistungsfähigkeit eingeschränkt sei. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
lägen erst ab 04.09.2002 vor. Ferner werde durch sein Schreiben vom 07.08.2003 widerlegt, dass er sich über die einfachsten
Dinge hinaus nicht um seine Belange richtig habe kümmern können. Zur Frage, ob dem Kläger aufgrund seiner subjektiven Erkenntnismöglichkeiten
der Fehler hätte "ins Auge springen" müssen, sei zu berücksichtigen, dass der Kläger Betriebswirt sei, der als Leiter des
Rechnungswesens und als Buchhalter tätig gewesen sei. Er sei auch nicht erstmalig arbeitslos gewesen und mit den für das Arbeitslosengeld
maßgebenden Berechnungsfaktoren vertraut gewesen. Im Übrigen habe der Kläger einen Bewilligungsbescheid erhalten, in dem die
Zuordnung der Leistungsgruppe nicht schematisch dargestellt worden sei. Sie könne den nicht aktenkundigen Bescheid nicht vorlegen.
Aber ausweislich des vorgelegten Musterschreibens sei im Bescheid ganz konkret sachverhaltsbezogen ausgeführt gewesen: "Die
Zuordnung zur Leistungsgruppe C erfolgte aufgrund der Lohnsteuerklasse III". Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG)
vom 08.02.2001 (B 11 AL 21/00 R) mache eine Bescheidbegründung, die den zugrunde gelegten Sachverhalt wiedergebe, selbst einen mit einer bestimmten Rechtsmaterie
nicht vertrauten Antragsteller darauf aufmerksam, dass der Bescheid wegen einer unzutreffenden Steuerklasse fehlerhaft sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz und die Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und insgesamt zulässig.
Die Berufung ist auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 20.08.2003 (Widerspruchsbescheid vom 18.02.2004), mit dem die Beklagte
die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 01.07.2002 bis 31.03.2003 teilweise zurückgenommen und die Erstattung des dem Kläger
in dieser Zeit zu viel gezahlten Alg in Höhe von insgesamt 1.523,74 EUR verlangt hat, ist rechtswidrig. Die Beklagte war nicht
berechtigt, ihre bestandskräftigen Bewilligungsentscheidungen rückwirkend teilweise zurückzunehmen.
Das SG hat im angefochtenen Urteil die hier maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere die §§
129,
136 und
137 SGB III sowie § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X iVm §
330 Abs.
2 SGB III, zutreffend genannt. In Anwendung der §§
129,
136 f.
SGB III ist es auch zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger ab 01.07.2002 nur Anspruch auf Alg nach Leistungsgruppe
A/0 (Lohnsteuerklasse I) - bzw. ab Oktober 2002 (Studienbeginn seines Sohnes) nach Leistungsgruppe B/1 - hatte und ihm nach
der am 01.04.2001 erfolgten Trennung von seiner Ehefrau Alg nach Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) nicht mehr zustand.
Der Senat hält die - im Übrigen auch nicht umstrittenen - Ausführungen im angefochtenen Urteil hierzu für zutreffend und schließt
sich ihnen nach eigener Überprüfung an; zur Begründung seiner Entscheidung nimmt er hierauf gemäß §
153 Abs.
2 SGG Bezug.
Zu ergänzen ist lediglich, dass der als Änderungsbescheid bezeichnete Bescheid der Beklagten vom 14.04.2003, den der Kläger
in Erfüllung der Auflage des Senats in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat, weder einen Verfügungssatz über die - teilweise
- Aufhebung der Leistungsbewilligung vom 23.07.2002 noch die Rechtsgrundlagen der ausgesprochenen rückwirkenden Änderung der
Leistungsbewilligung enthält. Die Aufhebung kann auf verschiedene Weise erfolgen, muss aber hinreichend bestimmt erklärt werden,
um die wirksame und bindende Erstfestsetzung zu beseitigen (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 2 U 32/08 R- veröffentl. in Juris). Die zum Nachteil des Betroffenen rückwirkende Änderung einer Verwaltungsentscheidung enthält für
sich genommen noch keine Regelung über die Bestandskraft des geänderten Ausgangsbescheides (vgl. BSG aaO.), hier der Alg-Bewilligung
vom 23.07.2002. Im streitgegenständlichen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20.08.2003 wird auch nur die Leistungsbewilligung
aus der Entscheidung vom 23.07.2002 teilweise für den Erstattungszeitraum ab 01.07.2002 bis einschließlich 31.03.2003 zurückgenommen.
Auf die Bestandskraft des vom Kläger nicht ausdrücklich angefochtenen Änderungsbescheides vom 14.04.2003, der ab 01.01.2003
Alg in zutreffender Höhe rückwirkend festsetzt, hat sich die Beklagte weder hinsichtlich einer bereits erfolgten - und damit
als bestandskräftig zu berücksichtigenden - Aufhebung der Leistungsbewilligung ab Januar 2003 noch hinsichtlich der hieraus
folgenden Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X, der die Rückforderung erbrachter Leistungen auch in den Fällen der Aufhebung eines Verwaltungsakts außerhalb des Anwendungsbereichs
der §§ 48 und 45 SGB X ermöglicht, berufen. Ob der Änderungsbescheid vom 14.04.2003 tatsächlich nur eine vorläufige - teilweise - Zahlungseinstellung
nach §
331 Abs.
1 SGB III bewirken sollte, kann unter diesen Umständen dahinstehen. Eine Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 23.07.2002 ist dem
Bescheid vom 14.04.2003 nicht zu entnehmen. Im übrigen wäre dem Kläger auch von Amts wegen Wiedereinsetzung in die versäumte
Widerspruchsfrist nach §
67 Abs.
1, Abs.
2 Satz 4
SGG hinsichtlich des Änderungsbescheides vom 14.04.2003 zu gewähren, soweit der Regelungsgehalt die Aufhebung der vorausgegangenen
Leistungsbewilligung mit der rechtlichen Konsequenz der Erstattung bereits erbrachter Leistungen beinhaltet haben sollte.
Da der Kläger zu der beabsichtigten Aufhebung vor Erlass des Bescheides vom 14.04.2003 nicht angehört worden ist und der Bescheid
keine auf die hier einmal unterstellte Aufhebung hinweisende Begründung enthält sowie die Angaben der Leistungsmerkmale im
Bescheid für die ab 01.01.2003 festgesetzte Leistung aus Sicht des Klägers auch zutreffend war, hatte er keine Veranlassung
den Bescheid anzufechten. Er war demnach rechtlich gehindert, das von ihm in Anspruch genommene Recht, die rückwirkende Aufhebung
einer Leistungsbewilligung nur in den Grenzen von §§ 48 oder 45 SGB X verlangen zu können, wahrzunehmen. Mit Erhebung des Widerspruchs im September 2003 hätte der Kläger darüber hinaus zusätzlich
die unterlassene Rechtshandlung, auch Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 14.04.2003 zu erheben, nachgeholt (§
67 Abs.
2 Satz 3
SGG), da er sich gegen die Aufhebung der Leistungsbewilligung für den gesamten Rückforderungszeitraum wandte.
Die (teilweise) Rücknahme der bestandskräftigen Bewilligungsentscheidungen für den genannten Zeitraum setzt voraus, dass das
Vertrauen des Klägers auf den Bestand der rechtswidrigen Bewilligungen nicht schutzwürdig ist. Dies ist gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X - nur dieser Rücknahmegrund kommt hier in Betracht - dann zu bejahen, wenn der Kläger die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidungen
kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche
Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X). Vorsätzliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts muss zum Zeitpunkt
der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, ein später ergangener Hinweis beseitigt die den Vertrauensschutz begründende
Gutgläubigkeit nicht (BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 24; Schütze in von Wulffen, SGB X, Kommentar, 6. Aufl., § 45 Rn. 53). Der nach Ende des Rückforderungszeitraums am 31.03.2003 ergangene Änderungsbescheid vom 14.04.2003 war daher auch
nicht geeignet, insoweit maßgeblichen Vertrauensschutz zu beseitigen. Die Voraussetzungen der gesetzlichen Bestimmung des
§ 45 Abs. 2 SGB X hält der Senat im Unterschied zum SG nicht für erfüllt.
Allerdings ist ein Grund zur (teilweisen) Rücknahme der Bewilligungen nicht schon deshalb zu verneinen, weil die Beklagte
- durch den Rückgriff auf gespeicherte, aber hinsichtlich der Leistungsgruppe nicht mehr zutreffende Daten - die Rechtswidrigkeit
der Bewilligungen selbst verursacht und der Kläger zur Fehlerhaftigkeit der Bescheide nicht beigetragen hat. Der Kläger hat
- was die Beklagte auch nicht in Frage stellt - durchweg richtige und auch rechtzeitig Angaben gemacht. In seinem Antrag auf
Alg vom 19.06.2002 hat er zutreffend angegeben, er lebe seit 01.04.2001 dauernd getrennt und auf seiner Lohnsteuerkarte für
das Jahr 2002 sei zu Jahresbeginn die Lohnsteuerklasse I eingetragen gewesen und eine Änderung sei nicht erfolgt. Würde man
darauf abheben, wer die Rechtswidrigkeit der Bewilligung verursacht bzw. verschuldet hat, stünde dies nicht nur nicht im Einklang
mit dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 1. Halbsatz SGB X, der hierauf nicht abstellt, sondern käme man auch zu nicht tragbaren Ergebnissen, weil ein fehlerhafter Bescheid auch dann
nicht zurückgenommen werden könnte, wenn er für jedermann offensichtlich unrichtig ist.
Dass der Kläger die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides gekannt hat, somit vorsätzlich bösgläubig war, ist nicht ersichtlich.
Dies hat selbst die Beklagte nicht angenommen, geschweige denn hat sie Umstände vorgetragen, die die sichere Kenntnis des
Klägers beweisen. Der Kläger hat im Widerspruchsverfahren angegeben, er habe natürlich die erhaltenen Bewilligungsbescheide
geprüft, jedoch sei ihm der Fehler nicht aufgefallen. Dieses - im Übrigen auch von der Beklagten nicht bestrittene - glaubhafte
Vorbringen des Klägers ist nicht zu widerlegen.
Auch eine grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Bescheides ist dem Kläger nicht vorzuwerfen. Grobe Fahrlässigkeit
liegt dann vor, wenn die bestehende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist, wenn außer Acht gelassen
worden ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Die Rechtswidrigkeit muss sich ohne weitere Nachforschungen
aus dem Bescheid selbst ergeben haben und es musste anhand der Umstände und ganz naheliegender Überlegungen einleuchten und
auffallen, dass der Bescheid fehlerhaft ist. Dabei ist auch in subjektiver Hinsicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit
gesteigertes Verschulden nötig. Der Versicherte muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit
seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße, d.h. in einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigendem
Ausmaß verletzt haben (vgl. Schütze, aaO. § 45 Rdnr. 24 mH auf BSG SozSich 1985, 64 und auch BSGE 42, 186).
Danach wäre auch keine grobe Fahrlässigkeit des Klägers anzunehmen, wenn auf der Rückseite des Bescheides unter der Überschrift
"Hinweise zur Höhe des Arbeitslosengeldes nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III)" der von der Beklagten behauptete Text nicht abgedruckt gewesen wäre. Die Anforderungen an das Ausmaß der Verletzung der
Sorgfaltspflicht hält der Senat auch dann nicht für erfüllt. Dabei ist zu beachten, dass entscheidend ist, ob dem Kläger unter
den gegebenen Umständen eine Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße vorzuwerfen ist, weil er die Rechtswidrigkeit
der Bewilligungsbescheide der Höhe nach nicht erkannt hat (vgl. Urteil des BSG vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R). Die unrichtige Höhe der dem Kläger bewilligten Leistungen - wie sie sich aus den betreffenden Bescheiden ergab - musste
dem Kläger nicht auffallen. Zwar ist ein Kennenmüssen der Fehlerhaftigkeit der Bewilligung beispielsweise dann anzunehmen,
wenn das Alg höher ist als das vorherige Einkommen. Die hier erfolgten zu hohen Bewilligungen bewegen sich aber insbesondere
ab Oktober 2002 in unauffälligen Dimensionen (ca. 22 EUR wöchentlich). Auch für die Zeit ab 01.07.2002 (Bewilligung 384,09
EUR wöchentlich anstatt 310,87 EUR) war das zu Unrecht bewilligte Alg im Hinblick auf das bis Juni 2002 erzielte monatliche
Bruttoarbeitsentgelt von 3841,34 EUR (wöchentliches Bemessungsentgelt 1050 EUR) nicht so hoch, dass dies dem Kläger hätte
auffallen müssen.
Eine Bösgläubigkeit des Klägers in dem oben genannten Sinne (vorsätzliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit
des Verwaltungsakts) ist aber deshalb nicht zur vollen Überzeugung des Senats nachgewiesen, weil der Senat bereits nicht hat
feststellen können, dass der dem Kläger bekanntgegebene Bescheid die von der Beklagten behaupteten Eintragungen enthalten
hatte, aus denen die Fehlerhaftigkeit der bewilligten Leistungshöhe hätte ersichtlich sein sollen. Die Verwaltungsakte der
Beklagten enthält den Bewilligungsbescheid vom 23.07.2002 und den Änderungsbescheid vom 14.04.2003 nicht, weder in einer auszufertigenden
Originalfassung noch als Ausfertigungsbeleg. Dies ist nach der Organisationsstruktur der Beklagten mit zentraler Bescheiderfassung
auch nicht vorgesehen, wobei die zentrale Bescheiderfassung nicht zwingend eine Aktendokumentation ausschließt. Die Beklagte
hat die genannten Bescheide - auch nicht nach Reproduktion auf nachvollziehbare Weise - nicht zu den Akten oder zur Vorlage
bei dem Gericht nachgereicht. Insoweit ist das Verwaltungshandeln der Beklagten nur unzureichend dokumentiert. Da der Kläger
den Bewilligungsbescheid ebenfalls nicht vorgelegt hat - er hat nur den Folgebescheid vom 14.04.2003 vorlegen können -, ist
der genaue Text des maßgebenden Bewilligungsbescheids nicht nachgewiesen und für den Senat nicht feststellbar. Zwar spricht
einiges dafür, dass der Bescheid entsprechend den zu diesem Zeitpunkt verwendeten Musterschreiben, das die Beklagte im Berufungsverfahren
vorgelegt hat, textlich gestaltet war. Ob aber tatsächlich mit der Kassenanordnung vom 19.07.2002 des örtlichen Sachbearbeiters
(Bl. 45 der Verwaltungsakte) in der zentralen EDV-Erfassung die Daten eingegeben bzw. in der von der Beklagten behaupteten
Form übernommen wurden, ist damit nicht zur vollen Überzeugung des Senats belegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
hat der Sitzungsvertreter der Beklagten für den Verwaltungsablauf von der Dateneingabe durch die örtliche Agentur mit Übernahme
der im elektronischen System gespeicherten Daten in der Zentrale der Beklagten bis zu der dort veranlassten Bescheiderstellung
und Bekanntgabe des Bescheids keine Umstände vorgetragen, nach denen mit zwingender Folgerichtigkeit etwaige in der Datenerfassung
der örtlichen Agentur aufgetretene Fehler unkorrigiert auch in den zu erlassenden Bescheide gelangen. Weder ist vor dem Erlass
des Bescheids eine Schlüssigkeitsprüfung durch Sachbearbeiter oder eine systemimmanente Plausibilitätsprüfung durch die verwendete
Software konkret ausgeschlossen worden, weshalb z.B. eine Leerstelle in den Hinweisen bezüglich der zutreffenden Leistungsgruppe
unter Nr. 3 des Musterschreibens durchaus auch denkbar wäre, noch ist, wie der vorliegende Rechtsstreit zeigt, ein konkreter
Bescheid zuverlässig einer bestimmten, in der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten enthaltenen Verfügung-/Kassenanordnung
zuzuordnen. Die angeblich dem Änderungsbescheid vom 14.04.2003 zu Grunde liegende Verfügung/Kassenanordnung (Bl. 57 der Verwaltungsakte
der Beklagten) wurde als rechnerisch und sachlich richtig unter dem 09.04.2003 und als angeordnet zum 11.04.2003 erfasst.
Das hiervon abweichende Datum des ergangenen Änderungsbescheids erlaubt daher keine eindeutige Zuordnung, weshalb ein anderweitiger
Verwaltungsvorgang, der nicht aktenkundig gemacht wurde, nicht ausgeschlossen werden kann.
Die Nichterweislichkeit des Umstandes, dass die Rechtswidrigkeit aus dem Bescheid für den Kläger erkennbar war, geht zulasten
der Beklagten, da sie das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 45 SGB X für den Erlass des angefochtenen belastenden Verwaltungsakts zu beweisen hat. Eine Beweisvereitelung, weil der Kläger den
ihm bekannt gegebenen Bescheid vom 23.07.2002 nicht vorgelegt hat, hat die Beklagte nicht geltend gemacht. Der Senat hat dem
Kläger die Auflage erteilt, die ihm bekannt gegebenen Bewilligungsbescheide vorzulegen. Der gerichtlichen Auflage ist der
Kläger insoweit nachgekommen, als er den Bescheid vom 14.04.2003 vorgelegt hat. Eine vorsätzliche Beweisvereitelung hat der
Senat nicht festzustellen vermocht. Eine unabhängig von einer Beweisvereitelung zu gewährende Beweiserleichterung für die
Beklagte aufgrund eines Beweisnotstandes, der ausnahmsweise geringere, d.h. weniger strenge Beweisanforderungen angemessen
erscheinen lässt, ist rechtlich nicht geboten. Es obliegt der Beklagten, ihr Verwaltungshandeln angemessen zu dokumentieren,
insbesondere in einem durch Antragstellung eines potentiellen Leistungsberechtigten eröffneten Verwaltungsverfahren. Dies
ist Ausfluss des dem Antragsteller zustehenden rechtlichen Gehörs und des hierauf gründenden Rechts auf Akteneinsicht nach
§ 25 SGB X. Die Geltendmachung oder Verteidigung rechtlicher Interessen, denen die Akteneinsicht nach § 25 Abs. 1 SGB X dient, läuft leer, wenn die maßgeblichen Verwaltungsvorgänge, die in einem laufenden Verwaltungsverfahren oder Rechtsmittelverfahren
eines Antragstellers/Leistungsberechtigten - nur für dieses besteht das Recht auf Akteneinsicht (von Wulffen in von Wulffen
aaO. § 25 Rn. 5) - angefallen sind, nicht sachgerecht dokumentiert sind. Zu den maßgebenden Verwaltungsvorgängen gehören im
Antragsverfahren der das Verwaltungsverfahren eröffnende Antrag bzw. der Antragsvordruck (zur Bedeutung des Antragsvordrucks
vgl. §
17 Abs.
1 Nr.
3 SGB I) und jedenfalls auch der das Verwaltungsverfahren abschließende Verwaltungsakt. Die Rechtsverteidigung des Klägers im vorliegenden
Verfahren, der Bewilligungsbescheid vom 23.07.2002 sei noch nach dem alten Muster, in dem die Steuerklasse und die Leistungsgruppe
nicht konkret benannt worden sei, ergangen, konnte sich nicht auf Erkenntnisse aus der gewährten Akteneinsicht stützen, da
der maßgebliche verfahrensbeendende Bewilligungsbescheid nicht in der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten
in einer aussagekräftigen Form enthalten ist. Umgekehrt ist daher die Obliegenheitsverletzung der Beklagten nicht geeignet,
einen aufgetretenen Beweisnotstand der Beklagten, d.h. eine von keinem Beteiligten des Rechtsstreits zu vertretende Beweislosigkeit,
zu begründen.
Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen für die Rücknahme der Leistungsbewilligung nach § 45 SGB X auch dann nicht vor, wenn zu Gunsten der Beklagten unterstellt wird, dass der Bewilligungsbescheid vom 23.07.2002 in der
von der Beklagten behaupteten Form ergangen ist.
Die sich aus den Bewilligungsbescheiden ergebende fehlerhafte Leistungsgruppenzuordnung ändert an der Beurteilung, dass dem
Kläger keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, nichts. Nach dem von der Beklagten vorgelegten Muster eines Bescheides,
der in der fraglichen Zeit von ihr verwendet und dem Kläger nach ihren Angaben seinerzeit zugegangen ist, war auf der Vorderseite
die Bewilligung der Leistung ausgesprochen worden mit Angaben zu den Berechnungsgrundlagen, Auszahlungsbeträgen und Kranken-/Pflege-/Rentenversicherungsbeiträgen.
Die Seite endete mit der Rechtsbehelfsbelehrung, die in der Regel die individuellen Ausführungen einer Bescheiderteilung abschließt.
Die Überschrift der Rückseite lässt nach ihrer Formulierung in der Zusammenschau mit der konkreten Leistungsbewilligung auf
der Vorderseite bereits nicht erkennen, dass hier auch noch relevante individuelle Ausführungen zu erwarten sind. Außerdem
ist bei insgesamt 7 Hinweisen auf S. 2 und 3 und noch weiteren zu beachtenden Punkten auf S. 3 der fragliche Text: "Die Zuordnung
zur Leistungsgruppe C erfolgte aufgrund der Lohnsteuerklasse III" neben den sonstigen allgemeinen Ausführungen nicht besonders
auffallend. Dass die berücksichtigte Lohnsteuerklasse (und damit auch die Leistungsgruppe) in diesem Hinweis unrichtig war,
hätte der Kläger bei der durch ihn erfolgten Prüfung der Bescheide (einschließlich der erwähnten Hinweise), die er unwiderlegbar
nach einem allgemeinen Sorgfaltsmaßstab vorgenommen hatte, zwar erkennen können. Dass er den Fehler nicht erkannt hat, stellt
jedoch noch keine Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße dar. Aus den genannten Umständen ist dies noch als
leichter Flüchtigkeitsfehler einzustufen. Der Senat ist der Auffassung, dass diese Sorgfaltspflichtverletzung des Klägers
noch als Unaufmerksamkeit oder Versehen und nicht als grober Fehler anzusehen und ihm daher nicht der Vorwurf grober, sondern
nur einfacher Fahrlässigkeit zu machen ist. Diese Beurteilung stimmt auch teilweise mit dem Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren
überein, die z.B. am 06.02.2008 ausgeführt hat, der Kläger hätte die Unrichtigkeit der Bewilligungen hinsichtlich der Leistungsgruppe
bzw. Lohnsteuerklasse erkennen können. Eine Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße wird damit nämlich nicht
dargetan. Dass der Kläger den Fehler hätte erkennen können, reicht nicht aus. Vielmehr ist erforderlich, dass er ihn hätte
erkennen müssen. Zudem legen aus objektiver Sicht der zweite und dritte Satz unter Nr. 3 der Hinweise des Musterbescheides
nahe, dass selbst dann, wenn die unrichtige Lohnsteuerklasseangabe in Satz 1 des Hinweises Nr. 3 bemerkt worden wäre, dem
keine Bedeutung beigemessen worden wäre. Die Sätze 2 und 3 des Hinweises Nr. 3 lauten: "Sollte auf Ihrer Lohnsteuerkarte eine
andere Lohnsteuerklasse eingetragen sein, so konnte ein Lohnsteuerklassenwechsel nicht berücksichtigt werden. Über die Gründe
hierzu erhalten Sie einen gesonderten Bescheid." Daraus könnte ein unbefangener Leser den Eindruck gewinnen, die gegenüber
dem letzten Bezug von Alg geänderte Lohnsteuerklasse habe aus rechtlichen oder rechtstechnischen Gründen noch nicht berücksichtigt
werden können.
Soweit die Beklagte geltend macht, der vorliegende Fall unterscheide sich vom Sachverhalt im Rechtsstreit L 8 AL 2815/00, in dem sie im Hinblick auf das bereits genannte Urteil des BSG vom 08.02.2001 (B 11 AL 21/00 R) ein Anerkenntnis abgegeben hat, zwingt dies zu keiner anderen Beurteilung des Senats. Auch wenn die Zuordnung der Leistungsgruppe
in den vorliegenden Bewilligungsbescheiden nicht nur schematisch wie in dem vom BSG entschiedenen Fall dargestellt worden
ist, sondern ganz konkret die Zuordnung zur Leistungsgruppe C aufgrund der Lohnsteuerklasse III erwähnt worden sein sollte
und entsprechend dem genannten Urteil des BSG eine solche Bescheidbegründung selbst einen mit einer bestimmten Rechtsmaterie
nicht vertrauten Antragsteller darauf aufmerksam mache, dass der Bescheid wegen einer unzutreffenden Steuerklasse fehlerhaft
sei, ändert dies an der Beurteilung, dass dem Kläger keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, nichts. Abgesehen davon,
dass vorliegend eine solche Bescheidbegründung nicht feststellbar ist, wäre vorliegend vor dem Hintergrund, dass gerade eine
individuelle Bescheidbegründung nach der Rechtsbehelfsbelehrung auf der Rückseite des Formulars nicht zu erwarten und auch
nicht sofort erkennbar war, wie oben ausgeführt, im speziellen Fall nicht grob fahrlässig. Hier liegt die Besonderheit vor,
dass einem allgemeinen Sorgfaltsmaßstab entsprechend sogar eine Prüfung vorgenommen wurde, aber trotzdem ein Fehler, der gerade
durch eigenes Tun des Antragstellers, der die hierfür erforderlichen Unterlagen aus seiner Sicht vollumfänglich vorgelegt
hatte und daher nicht zu erwarten war, übersehen worden ist. Dass dieser Fehler dem Kläger hätte zwingend auffallen müssen,
nimmt der Senat gerade nicht an.
Höhere - möglicherweise zur Annahme grober Fahrlässigkeit des Klägers führende - Anforderungen an seine Sorgfaltspflicht im
Hinblick auf seinen bisherigen beruflichen Werdegang (gelernter Betriebswirt, zuletzt Buchhalter) verneint der Senat, weil
es im konkreten Fall allein darum geht, ob die - im Übrigen auch nur unterstellte - Fehlerhaftigkeit des maßgeblichen Bescheides
wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht in besonders schwerem Maße vom Kläger nicht erkannt worden ist. Der Bescheid und die
Bescheidbegründung waren unrichtig; Subsumtionsprobleme stellten sich bei der unrichtig angegebenen Lohnsteuerklasse nicht.
Deshalb ist hier weniger die Urteils- und Kritikfähigkeit sowie das Einsichtsvermögen des Klägers, sondern vor allem der Bescheid
selbst, sein Aufbau, die Darstellung der einzelnen Regelungen und Hinweise, die Größe der Schrift, die Deutlichkeit und eventuelle
Hervorhebungen von entscheidender Bedeutung. Der Umstand, dass der Kläger aufgrund der von ihm ausgeübten Tätigkeiten und
auch aufgrund des früheren Bezuges von Alg mit dieser Materie vertrauter ist als andere Versicherte, hat nicht zur Folge,
dass ein "Überlesen" eines Fehlers oder eine unaufmerksame Lektüre ausgeschlossen ist. Sorgfalt bei der Durchsicht der in
den Bescheiden getroffenen Feststellungen und enthaltenen Hinweise ist nicht abhängig von der individuellen beruflichen Qualifikation.
Darauf, ob der Kläger bei Erhalt der Bewilligungsbescheide im Juli 2002 und Januar 2003 aus gesundheitlichen Gründen nicht
in der Lage war, den Inhalt der jeweiligen Bescheide zur Kenntnis zu nehmen, kommt es daher nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.