Tatbestand
Bei der 1969 geborenen Klägerin stellte das Landratsamt E. (LRA) mit Bescheid vom 13.01.2011 wegen einer koronaren Herzkrankheit,
abgelaufenem Herzinfarkt und Stentimplantation den GdB mit 20 fest.
Am 19.02.2014 beantragte die Klägerin beim LRA wegen eines zweiten Herzinfarktes sowie einer Schulteroperation links die Erhöhung
des GdB. Das LRA nahm medizinische Befundunterlagen zu den Akten (insbesondere Berichte Dr. K. vom 21.01.2011, Diagnosen:
Schulterschmerzen links, Verdacht auf Arthrose des linken Sternum-Clavicular-Gelenkes; Dr. G. vom 19.05.2011, 24.11.2011 und
14.06.2012, Diagnosen jeweils: Koronare 1-Gefäßerkrankung, kein deutlicher Hinweis auf Koronarinsuffizienz sowie vom 25.11.2013;
Universitätsklinikum F. vom 23.01.2012, Diagnose: Tendinitis calcarea im Schulterbereich, Therapie: Athroskopische Entfernung
periartikuläre Verkalkungen am 19.01.2012; Dr. A. vom 20.06.2013, Therapie und Diagnose: Exstirpation eines Ringbandganglion
DIII rechts; Universitätsklinikum Freiburg vom 17.11.2013 und 21.11.2013, Diagnose: STEMI der Vorderwand). In der hierzu eingeholten
gutachtlichen Stellungnahme vom 13.03.2014 schlug der Versorgungsarzt Dr. E. wegen einer koronaren Herzkrankheit, abgelaufenen
Herzinfarkten, Stentimplantation und Bluthochdruck (GdB 30) sowie einer Funktionsbehinderung des linken Schultergelenkes (GdB
10) den Gesamt-GdB mit 30 vor. Mit Bescheid vom 17.03.2014 stellte das LRA den GdB mit 30 neu sowie eine dauernde Einbuße
der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommenssteuergesetz jeweils seit dem 19.02.2014 fest.
Hiergegen legte die Klägerin am 20.03.2014 Widerspruch ein. Sie machte geltend, zusätzlich zu der berücksichtigten Herzkrankheit
und dem Bluthochdruck sei eine Schädigung der Hals- und Lendenwirbelsäule, verbunden mit Kopfweh und mit Migräne, zu beachten.
Zudem werde ihr immer wieder schwindelig, zuletzt vor ca. 6 Wochen. Außerdem sei seit dem Infarkt ihre Periode sehr stark.
Der GdB müsse insgesamt mit 50 eingestuft werden.
Das LRA holte daraufhin den Befundbericht des Dr. H. vom 24.06.2014 ein und nahm insbesondere Berichte des Dr. G. vom 20.03.2014
und 25.03.2014 zu den Akten. Nach Einholung der Stellungnahme des Versorgungsarztes Gawlowski vom 26.07.2014 wurde der Widerspruch
vom Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2014 zurückgewiesen.
Hiergegen erhob die Klägerin am 15.10.2014 durch ihre Prozessbevollmächtigten Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Mit Schriftsatz vom 24.08.2015 wurde vorgetragen, bis zum heutigen Tage sei keine Rückmeldung seitens der Klägerin erfolgt,
so dass eine ausführliche Begründung der Klage nicht möglich sei. Auf den bisherigen Vortrag im Verwaltungsverfahren werde
Bezug genommen. Unter Einbeziehung der sonstigen Leiden sei ein GdB von 50 angemessen.
Mit Gerichtsbescheid vom 27.10.2015 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der GdB mit 30 sei angemessen bewertet. Wegen der koronaren Herzkrankheit
der Klägerin betrage der Einzel-GdB allenfalls 20. Wegen der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sei ein Einzel-GdB von 10
angemessen. Hiervon ausgehend ergebe sich ein höherer GdB als 30 unter keinem denkbaren Gesichtspunkt.
Gegen den den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 30.10.2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die von der Klägerin
durch ihre Prozessbevollmächtigten am 26.11.2015 eingelegte Berufung. Die Klägerin hat im Verlauf des Berufungsverfahrens
zur Begründung ausgeführt, der GdB wegen der koronaren Herzkrankheit sowie des Bluthochdrucks sei zu niedrig angesetzt. Es
bestünden massive Angst vor einem weiteren Infarkt, erhebliche Probleme mit ihrer Monatsblutung, ständig wiederkehrende Engegefühle
in der Brust, gravierende Leistungseinbußen bei Hitze sowie Herzrasen. Sie habe einen weiteren - dritten - Herzinfarkt erlitten.
Wegen der Herzbeschwerden sei ein GdB von 40 angemessen. Hinsichtlich der Wirbelsäule bestünden funktionelle Auswirkungen
in zwei Wirbelsäulenabschnitten. Probleme in der Halswirbelsäule seien regelmäßig mit Kopfweh und Migräne verbunden. Die Klägerin
hat im Verlauf des Berufungsverfahrens eine Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27.10.2015 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 17.03.2014
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.10.2014 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr einen Grad der
Behinderung von 50 seit dem 19.02.2014 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hat zur Begründung ausgeführt, der zuletzt bei der Klägerin festgestellte GdB von 30 dürfte eher überhöht sein.
Zu weiteren geltend gemachten Leiden gebe es keine weiteren Befunde, wohl auch deshalb, weil die Klägerin beim SG die behandelnden Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbunden habe. Eine echte Migräne sei nicht belegt und es sei auch
kein behandelnder Gynäkologe angegeben worden.
Der Senat hat den die Klägerin behandelnden Kardiologen Dr. Giesler schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Dr.
G. hat in seiner Aussage vom 05.08.2016 den Behandlungsverlauf, unter Vorlage von Berichten vom 11.04.2016, 29.02.2016, 24.09.2015,
04.05.2015, 04.08.2014, 20.03.2014 und 25.11.2013 die Befunde und die Diagnosen (insbesondere wiederholte Myokardinfarkte)
mitgeteilt. Außerdem hat Dr. G. weitere medizinische Befundunterlagen vorgelegt (Berichte des Universitäts Herzzentrums F.
- Bad K. vom 07.04.2015, 03.04.2015 und 27.04.2016). Weiter ist die Klägerin mit richterlichem Hinweisschreiben vom 13.06.2016
unter anderem um Mitteilung gebeten worden, bei welchen Ärzten sie sich wegen der geltend gemachten Ängste, der Wirbelsäulenbeschwerden
sowie der Herzerkrankung seit 19.02.2014 in Behandlung befunden hat. Hierzu hat sich die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten
vom 26.07.2016 geäußert.
Der Rechtsstreit ist durch den Berichterstatter zur Erörterung des Sachverhaltes auf den 02.12.2016 terminiert worden (Terminsbestimmung
vom 07.11.2016). Die Klägerin hat daraufhin durch ihre Prozessbevollmächtigten vorgetragen (Schriftsatz vom 21.11.2016), sie
sei aufgrund ihrer Herzerkrankung nicht reisefähig. Sie hat hierzu die ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Innere Medizin
und radiologische Diagnostik Dr. K.-S. vom 21.11.2016 vorgelegt, wonach es der Klägerin aufgrund der aktuellen gesundheitlichen
Situation aus ärztlicher Sicht nicht zuzumuten sei, eine Reise nach Stuttgart zu dem Gerichtstermin anzutreten, da die Reise
für die Klägerin eine viel zu hohe psychische Belastung darstelle und die Gefahr bestehe, dass sich die derzeit relativ stabile
kardiale Situation wieder deutlich verschlechtere. Daraufhin ist der Erörterungstermin aufgehoben worden.
Die Klägerin hat im Schriftsatz vom 21.11.2016 und der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 06.12.2016 das Einverständnis mit
einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten
erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß §
124 Abs.
2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§
143,
144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 17.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 08.10.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen
Bescheid den GdB zutreffend mit 30 seit dem 19.02.2014 neu festgestellt. Ein Anspruch auf die Feststellung des GdB mit 50,
wie die Klägerin begehrt, besteht nicht. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann,
wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben
und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören
zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 -, BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB
nicht der Bindungswirkung des §
77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem
bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des
SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit
länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist (§
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt.
Hierfür gelten gemäß §
69 Abs.
1 Satz 4 und 5
SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2
SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten
angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen
und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach §
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen
Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist
die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche
Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere §
69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des §
69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).
Hiervon ausgehend ist bei der Klägerin eine wesentliche Änderung ihres im letzten Feststellungsbescheid vom 13.01.2011 mit
einem GdB von 20 berücksichtigten Gesundheitszustand dahin eingetreten, dass der GdB mit 30 neu festzustellen war. Ein Anspruch
auf Neufeststellung des GdB mit 40 oder gar 50, wie sie geltend macht, besteht nicht.
Bei der Klägerin ist eine koronare Herzerkrankung festzustellen, die bereits zu mehrfachen Herzinfarkten geführt hat. Nach
den VG Teil B Nr. 9 ist für die Bemessung des GdB bei Herz- und Kreislauferkrankungen weniger die Art der Krankheit als die
Leistungseinbuße maßgeblich. Dies gilt nach Teil B 9.1.2 auch nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen;
auch hier ist der GdB von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig. Bei der Beurteilung des GdB ist vom klinischen
Bild und von den Funktionsbeeinträchtigungen im Alltag auszugehen. Ergometerdaten ergänzen das klinische Bild. Nach einem
Herzinfarkt ist der GdB von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig (VG Teil B 9.1.3). Nach den VG Teil B 9.1.1
bedingt eine Einschränkung der Herzleistung ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung, wie z.B. ohne Insuffizienzerscheinungen
wie Atemnot, anginöse Schmerzen, selbst bei gewohnter stärkerer Belastung, ohne Einschränkung der Sollleistung bei Ergometerbelastung
einen GdB von 0 bis 10. Eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung, Beschwerden und Auftreten pathologischer
Messdaten bei einer Ergometerbelastung mit 75 Watt über wenigstens zwei Minuten rechtfertigt einen GdB von 20 bis 40.
Hiervon ausgehend ist bei der Klägerin eine Einschränkung der Herzleistung, die einen GdB von über 30 rechtfertigt, nicht
festzustellen. Nach den zu den Akten gelangten kardiologischen Befundberichten (insbesondere Kurzberichte Ergometrie des Kardiologen
Dr. G. vom 11.04.2016, 24.09.2015 und 20.03.2014 sowie Befundberichte Dr. G. vom 29.02.2016, 04.05.2015, 04.08.2014 und 25.11.2013)
ist die Klägerin ergometrisch bis zur 100 Watt-Stufe belastbar. Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen
oder pathologische Messdaten werden in den kardiologischen Befundberichten nicht beschrieben, sondern nach den Beschreibungen
in den medizinischen Befundunterlagen von der Klägerin verneint (vorläufiger Arztbrief des Universitäts Herzzentrum F. - Bad
K. vom 27.04.2016 und Befundbericht Dr. Giesler vom 04.08.2014). Es besteht bei der Klägerin durchgehend ein Sinusrhythmus,
keine relevanten Arrhythmien und ein regelgerechter bis allenfalls etwas überhöhter Anstieg der Herzfrequenz im Verlauf der
Ergometrie. Klinische oder elektrokardiografische Anzeichen einer Koronarinsuffizienz bestehen nicht. Der Blutdruck und die
Herzfrequenz sind adäquat reguliert. Der Abbruch erfolgte jeweils wegen peripherer Erschöpfung.
Dass es bei der Klägerin im vorliegend streitigen Zeitraum seit Februar 2014 wegen der aufgetretenen Herzinfarkte zu einer
relevanten Verschlechterung der Herzleistung gekommen ist, wie sie geltend macht, kann nicht festgestellt werden. Dr. G. hat
in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 05.08.2016 an den Senat eine dauerhafte Verschlechterung nicht
bestätigt, sondern vielmehr angegeben, dass es im Rahmen der wiederholt aufgetretenen Myokardinfarkte zu einer nur kurzfristigen
Verschlechterung der Befindlichkeit und Belastbarkeit bei einer nur leichten Verschlechterung der systolischen linksventrikulären
Funktion des Herzens gekommen ist. Eine dauerhafte Verschlechterung insbesondere der Herzleistung, die nach den VG Grundlage
der Bewertung des GdB ist (vgl. VG Teil A 2f)), hat Dr ...G. nicht beschrieben, wie sich auch aus den oben dargestellten Befunden
ergibt. Auch in der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigung des Dr. K.-S. vom 21.11.2016 wird eine relativ stabile
kardiale Situation der Klägerin bescheinigt. Allein die von Dr. K.-S. genannte Gefahr einer Verschlechterung der kardialen
Situation rechtfertigt keinen höheren GdB (vgl. VG Teil A 2h)). Nach den - objektiven - medizinischen Befunden kann bei der
Klägerin damit allenfalls eine - leichte - Einschränkung der Herzleistung ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung festgestellt
werden, die nach den VG einen GdB von 30 nicht rechtfertigt.
Ein GdB von mehr als 30 ist auch unter integrierender zusätzlicher Berücksichtigung einer bestehenden Angst der Klägerin vor
einem weiteren Infarkt, wie sie geltend macht und die von Dr. G. in der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 05.08.2016
bestätigt wird, nicht gerechtfertigt. Nach den VG Teil B 3.7 ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer
Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen
mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische
oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren
Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und
mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten. Dass sich die Klägerin wegen der geltend
gemachten Angst vor einem weiteren Infarkt in fachärztlicher (psychiatrischer) Behandlung befindet, ist nicht ersichtlich.
Eine solche Behandlung ist nach der von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Entbindungserklärung von der ärztlichen
Schweigepflicht sowie ihrem Vorbringen nicht festzustellen. Aufgrund der fehlenden ärztlichen Behandlung kann nicht davon
ausgegangen werden, dass die Angst der Klägerin über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker
behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (vgl. Senatsurteil vom 17.12.2010 - L 8 SB 1549/10 - veröffentlich in [...] und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Ein entsprechender Leidensdruck der Klägerin, der bei einer stärker
behindernden psychischen Störung zu erwarten wäre, findet sich nicht. Umstände, die der fehlenden Behandlung eine andere Indizwirkung
zukommen lassen, wie z. B. die Nichtgenehmigung der Behandlung seitens der Krankenkasse oder eine lange Wartezeit vor der
Behandlung, sind nicht ersichtlich. Damit ist hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Angst ein GdB von 0 bis
maximal 20 gerechtfertigt, was nicht geeignet ist, den vom Beklagten für die Herzerkrankung der Klägerin angenommenen GdB
von 30 weiter zu erhöhen.
Auch ein Bluthochdruckleiden, das die Erhöhung des GdB von 30 für die Herzerkrankung der Klägerin rechtfertigt, kann nach
den vorliegenden medizinischen Befundunterlagen nicht festgestellt werden (vgl. VG Teil B Nr. 9.3). Vielmehr wird der Blutdruck
als adäquat reguliert beschrieben (Bericht Dr. G. vom 11.04.2016). Auch Dr. H. hat in seinem Befundbericht vom 24.06.2014
an das LRA das Vorliegen einer Blutdruckerkrankung der Klägerin verneint. Mit dem vom Beklagten angenommenen Einzel-GdB von
30 für die Herzerkrankung sind zudem - durch die medizinischen Befundunterlagen allerdings nicht belegtes - Herzrasen, wiederkehrende
Engegefühle in der Brust sowie Leistungseinbußen bei Hitze, wie die Klägerin zudem geltend macht, mit abgegolten. Ein GdB
von 40 für die Herzerkrankung, wie die Klägerin meint, ist nicht gerechtfertigt.
Funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden, die mit einem Einzel-GdB von wenigstens 20 zu bewerten sind, sind nicht
festzustellen. Nach den VG Teil B 18.9 ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende
oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome)
ein Teil-GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende
oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde
Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung,
häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und
Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen
Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein Teil-GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe
GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten
vorliegen. Die Obergrenze des GdB 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (Urteil
des erkennenden Senats vom 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 -, veröffentlicht in [...] und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Medizinische Befundunterlagen, die mittelgradige funktionelle
Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt belegen, liegen nicht vor. Dass sich die Klägerin wegen Wirbelsäulenbeschwerden
in fachärztlicher (orthopädischer) Behandlung befindet, ist nicht ersichtlich und hat die Klägerin, trotz des richterlichen
Hinweisschreibens vom 13.06.2016, nicht vorgetragen. Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin geltend macht, Probleme in der
Halswirbelsäule seien regelmäßig mit Kopfweh und Migräne verbunden. Dass bei der Klägerin eine Migräne besteht, hat Dr. H.
in seinem Befundbericht an das LRA vom 24.06.2014 nicht bestätigt. Soweit er davon ausgeht, dass die Klägerin unter chronisch
rezidivierenden Kopfschmerzen, die am ehesten Spannungskopfschmerzen zuzuordnen seien, leidet, lässt sich seinen Angaben eine
GdB-relevante Gesundheitsstörungen nicht entnehmen. Auch sonst fehlt es an Anhaltspunkten, die darauf hindeuten, dass bei
der Klägerin wenigstens mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vorliegen. Dass bei der Klägerin
funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden vorliegen, die einen Einzel-GdB von über 10 rechtfertigen, lässt sich danach
nicht festzustellen.
Entsprechendes gilt wegen einer vom Beklagten mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigten Funktionsbehinderung des linken
Schultergelenkes. Nach dem Befundbericht des Dr. Klein vom 21.01.2011 befand sich die Klägerin wegen Schulterschmerzen links
bei Verdickung des SC-Gelenks in Behandlung. Eine relevante Funktionseinbuße der Schulter beschreibt Dr. K. nicht, sondern
vielmehr eine freie Funktion der Schulter. Nach dem Bericht des Universitätsklinikums F. vom 23.01.2012 erfolgte am 19.01.2012
eine arthroskopische Entfernung periartikuläre Verkalkungen im Humeroglenoidalgelenk der linken Schulter. Die anschließende
Mobilisation der Klägerin gelang problemfrei. Dass sich die Klägerin anschließend wegen einer Funktionsbehinderung des linken
Schultergelenkes wegen fortbestehender Beschwerden weiter in (fach)ärztlicher Behandlung befunden hat, ist nicht ersichtlich.
Soweit Dr. H. in seinem Befundbericht an das LRA vom 24.06.2014 mitgeteilt hatte, bei der Klägerin bestehe eine AC-Gelenkarthrose
der Schulter links mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, lässt sich hieraus eine Funktionsbehinderung, die einen GdB
von über 10 rechtfertigt, nicht ableiten. Allein die arthroskopische Operation rechtfertigt nach den VG noch keinen GdB. Entsprechendes
gilt für das Vorliegen von degenerativen Veränderungen (AC-Gelenkarthrose). Eine Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks
der Klägerin, die einen Einzel-GdB von über 10 rechtfertigt, kann damit nicht festgestellt werden. Hiergegen hat sich die
Klägerin im Übrigen zur Begründung ihrer Berufung auch nicht gewandt. Entsprechendes gilt für ein Ringbandganglion DIII rechts,
das nach dem Bericht des Dr. A. am 20.06.2013 durch Exstirpation therapiert wurde.
Sonstige zu berücksichtigende Gesundheitsstörungen sind bei der Klägerin nicht festzustellen. Dies gilt insbesondere, soweit
die Klägerin geltend macht, erhebliche Probleme bei ihrer Monatsblutung zu haben. Dass sich die Klägerin deswegen in ärztlicher
Behandlung befindet, ist nicht ersichtlich. Ärztliche Unterlagen, die GdB-relevante Probleme wegen der Monatsblutung bestätigen,
liegen nicht vor und sind deshalb nicht festzustellen. Ein im Verlauf der stationären Behandlung vom 03.04.2015 bis 07.04.2015
bei der Klägerin festgestelltes Aneurysma wurde erfolgreich therapiert (Bericht des Universitäts Herzzentrums F. - Bad K.
vom 07.04.2015).
Hiervon ausgehend ist bei der Klägerin die Feststellung eines höheren GdB als 30 nicht gerechtfertigt. Die Bemessung des Gesamt-GdB
erfolgt nach §
69 Abs.
3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB
nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren
Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen
dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet.
In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der
Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten
GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt
in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB
von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl.
A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der AHP bzw. der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von
Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob
die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Danach ist bei der Klägerin
ein Einzel-GdB von allenfalls 30, wie vom Beklagten angenommen, bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen. Dieser
wird durch die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden weiteren Gesundheitsstörungen der Klägerin (Wirbelsäule und linke
Schulter) nicht erhöht. Ein Gesamt-GdB von 50, wie die Klägerin geltend macht, liegt nicht vor.
Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die vom Senat durchgeführten Ermittlungen und die
zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche
Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§
118 Abs.
1 Satz 1
SGG, §
412 Abs.
1 ZPO). Gesichtspunkte, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste, hat die Klägerin im Berufungsverfahren
nicht aufgezeigt. Einer ergänzenden Anhörung des Dr. G. zu seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 05.08.2016,
wie von der Klägerin angeregt, bedarf es nicht. Dr. G. hat die an ihn gestellten Beweisfragen durch die von ihm vorgelegten
medizinischen Befundunterlagen umfassend und nachvollziehbar beantwortet. Weiter hat der Senat nicht feststellen können, dass
sich die Klägerin wegen einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und des linken Schultergelenks sowie Menstruationsbeschwerden
in (fach)ärztlicher Behandlung befindet. Die Klägerin ist mit richterlichem Hinweisschreiben vom 13.06.2016 gebeten worden,
mitzuteilen, bei welchen Fachärzten sie sich wegen der geltend gemachten Ängste, der Wirbelsäulenbeschwerden sowie der Herzerkrankung
seit 19.02.2014 in Behandlung befunden hat. Hierzu hat die Klägerin lediglich mitgeteilt, dass sie von dem Kardiologen Dr.
G. behandelt werde und dass ihr Hausarzt Dr. K.-S. sei. Dass sie sich wegen eines Wirbelsäulenleidens bzw. einer Funktionsbehinderung
der Schultergelenke weiter in (fach)ärztlicher Behandlung befindet, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Auch der von der Klägerin
im Berufungsverfahren vorgelegten Entbindungserklärung vom 11.05.2016 lässt sich nicht entnehmen, dass sich die Klägerin wegen
geltend gemachter orthopädischer Leiden bzw. Probleme bei ihrer Monatsblutung in (fach)ärztlicher Behandlung befindet, weshalb
davon auszugehen ist, dass insoweit Behandlungen nicht erfolgen. Weitere "gezielte" Ermittlungsmöglichkeiten durch die Einholung
schriftlicher sachverständiger Zeugenauskünfte von die Klägerin behandelnden Ärzten bestanden damit für den Senat nicht. Der
Senat sieht sich deswegen auch nicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen, insbesondere durch die Einholung von Sachverständigengutachten,
"ins Blaue hinein" gedrängt, die durch die Amtsermittlungspflicht nicht geboten sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 03.04.2003 - B 13 RJ 39/02 R, SozR 4-1300 § 31 Nr. 1; BSG Urteil vom 05.04. 2001, SozR 3-2600 § 43 Nr. 25; BSG, Urteil vom 07.05.1998 - B 11 AL 81/97 R -, [...]).
Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.