Ablehnung eines Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit
Gründe:
I. Streitig ist, ob das Gesuch der Beschwerdeführerin auf Ablehnung der Sachverständigen Dr. R. wegen Besorgnis der Befangenheit
begründet ist.
Im Verfahren vor dem Sozialgericht München zum Az.: S 27 R 1342/07 begehrt die Beschwerdeführerin, ihr über den 30.06.2006 Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung weiter zu zahlen,
weil sie keine Tätigkeiten mehr im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne. Das Sozialgericht holte ein
Gutachten des Orthopäden Dr. W. ein, der der Klägerin noch leichte Tätigkeiten täglich sechs Stunden mit quantitativen Einschränkungen
bescheinigte. Das Befangenheitsgesuch gegen diesen Sachverständigen wies das Sozialgericht zurück. Der von der Beschwerdeführerin
benannte Orthopäde Dr. F. kam im Gutachten vom 25.06.2008 zum Ergebnis, die Beschwerdeführerin könne keine wirtschaftlich
relevanten Tätigkeiten zumutbar zumindest seit dem 19.06.2008, dem Tag der Untersuchung, verrichten. Die Beklagte erkannte
daraufhin einen Versicherungsfall vom 30.06.2008 wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit an, lehnte einen Rentenanspruch aber
ab, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Versicherungsfall
spätestens bis 31.05.2007 eingetreten wäre. In einer ergänzenden Stellungnahme bescheinigte Dr. F., es habe über den 01.06.2006
hinaus durchgehend volle Erwerbsminderung bestanden.
Das Sozialgericht beauftragte die Neurologin und Psychiaterin Dr. R. mit der Erstattung eines Gutachtens. Die Sachverständige
untersuchte die Beschwerdeführerin am 27.03.2009. Am 31.03.2009 ging ein Fax beim Sozialgericht ein, das ein an ihre Bevollmächtigte
gerichtetes Schreiben der Beschwerdeführerin vom 30.03.2009 enthielt. Darin berichtete sie, die Sachverständige habe ihrem
Mann befohlen, die Praxisräume während der Untersuchung zu verlassen. Sie sei von der Sachverständigen schulmeisterlich behandelt
worden. Es habe ein zweistündiges Verhör in der Art einer Inquisition stattgefunden. Die Untersuchung habe darin gegipfelt,
dass die Gutachterin sie mit einer Sicherheitsnadel ins Gesicht stechen wollte. Dies habe sie untersagt und die Untersuchung
abgebrochen.
Das Gutachten der Dr. R. vom 30.03.2009 ging am 06.04.2009 beim Sozialgericht ein. Es bescheinigte ein vollschichtiges Leistungsvermögen
mit qualitativen Einschränkungen. Bei der Beschwerdeführerin handele es sich um eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung
bei Persönlichkeit mit histrionischen Zügen.
Am 06.04.2009 lehnte die Beschwerdeführerin unter Bezug auf ihr Schreiben vom 30.03.2009 die Sachverständige wegen Besorgnis
der Befangenheit ab. Dr. R. habe ihr gegenüber erklärt, sie sei die Richterin und die Beschwerdeführerin die Angeklagte. Unerklärlich
sei, weshalb sie mit einer Sicherheitsnadel ins Gesicht gestochen werden sollte. Die Sachverständige erklärte in einer vom
Sozialgericht erbetenen Stellungnahme, sie habe dem Ehemann der Beschwerdeführerin erklärt, die Untersuchung werde zweieinhalb
bis drei Stunden dauern und er könne nicht in den Praxisräumen warten, weil diese anderweitig genutzt würden. Der Ehemann
habe verärgert die Praxis verlassen. Worte wie sie sei Richterin des Sozialgerichts und die Beschwerdeführerin Angeklagte,
seien nicht gefallen. Ein solcher Vorwurf und die Bezeichnung der Untersuchung als Verhör seien Ausdruck der histrionischen
Persönlichkeit. Die Prüfung der Sensibilität gehöre zur neurologischen Untersuchung, ebenso das Benützen einer aufgeklappten
Sicherheitsnadel hierzu. Die Untersuchung sei von der Beschwerdeführerin nicht vorzeitig abgebrochen worden.
Das Sozialgericht wies das Gesuch auf Ablehnung der Sachverständigen Dr. R. zurück, weil es unbegründet sei. Bezüglich der
geäußerten Worte stehe Aussage gegen Aussage. Es dränge sich der Eindruck auf, dass sich bei der Beschwerdeführerin während
der Untersuchungssituation der Eindruck der Voreingenommenheit der Sachverständigen verstärkt habe.
Gegen den am 14.05.2009 zugestellten Beschluss legte die Beschwerdeführerin Beschwerde ein. Zur Begründung wiederholte sie
ihre Vorwürfe. Sie betonte, Dr. R. habe erklärt, sie säße auf der Anklagebank und habe lediglich wahrheitsgemäß Fragen zu
beantworten; die Gutachterin habe sie mit einer Sicherheitsnadel ins Gesicht stechen wollen und habe bewusst Ängste geschürt.
Ihrem Ehemann sei nicht erklärt worden, weshalb er während der Zeit der Untersuchung nicht im Wartezimmer bleiben könnte.
Über letztere Behauptung legte sie eine Versicherung ihres Ehemannes zur Glaubhaftmachung vor.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 29.04.2009 aufzuheben und ihrem Gesuch auf Ablehnung der Sachverständigen Dr.
R. wegen Besorgnis der Befangenheit stattzugeben.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß §
136 Abs.2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf den Inhalt der beigezogenen Akten Bezug genommen.
II. Die Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§
173,
173 SGG), aber unbegründet.
Gemäß §
118 Abs.1
SGG in Verbindung mit §
406 Abs.1
Zivilprozessordnung (
ZPO) und §
60 SGG können Sachverständige aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Wegen Besorgnis
der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit
des Sachverständigen zu rechtfertigen (§
42 Abs.2
ZPO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist, entscheidend ist vielmehr, ob ein Beteiligter
von seinem Standpunkt aus vernünftigerweise Bedenken gegen dessen Unparteilichkeit haben kann (BSG SozR 1500 §
60 Nr.3). Rein subjektive unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Ablehnenden scheiden aus (Thomas Putzo,
ZPO, 30. Auflage, §
42 Rdnr.9).
Der Senat geht davon aus, dass das Ablehnungsgesuch rechtzeitig gestellt wurde, weil das Verhalten der Sachverständigen während
der Untersuchung am 27.03.2009 als Grund für die Ablehnung genannt wird und gegenüber dem Gericht am 31.03.2009 bzw. am 06.04.2009
geltend gemacht wurde.
Die Begründung für das Ablehnungsgesuch, dem Ehemann der Beschwerdeführerin sei es untersagt worden, während der Untersuchung
im Wartezimmer zu warten, belegt selbst dann nicht die Voreingenommenheit der Sachverständigen, wenn unterstellt wird,
ihm seien keine Gründe hierfür genannt worden. Dass eine Begleitperson in den Praxisräumen warten darf, gehört nicht notwendig
zur Begutachtung. Wird dies in Ausübung des Hausrechts abgelehnt, begründet dies allein nicht die Voreingenommenheit zu Ungunsten
der Beschwerdeführerin.
Die Behauptung der Beschwerdeführerin, die Sachverständige sei ihr gegenüber schulmeisterlich belehrend aufgetreten, die Untersuchung
habe sich als zweistündiges Verhör in der Art einer Inquisition dargestellt, mag die Beschwerdeführerin subjektiv so empfunden
haben, findet jedoch keine nachvollziehbare Erklärung. Schließlich geht aus dem Gutachten hervor, dass die Sachverständige
die zu untersuchende Beschwerdeführerin eingehend befragte, was für die Begutachtung notwendig war. Dass die Worte gefallen
seien, die Beschwerdeführerin säße auf der Anklagebank und die Gutachterin sei Richterin, kann, wie vom Sozialgericht bereits
ausgeführt, nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Insoweit steht Aussage gegen Aussage. Die von der Beschwerdeführerin behaupteten
Vorgänge mögen zwar nicht gerade zu einer entspannten Untersuchungssituation geführt haben, zwingen aber nicht zu dem Schluss,
die Sachverständige habe eine vorgefasste Meinung zu Ungunsten der Beschwerdeführerin unabhängig vom Untersuchungsausgang
gehabt.
Der Senat braucht sich im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht mit der Frage zu befassen, ob die Prüfung der Sensibilität,
wie von der Sachverständigen, mittels Sicherheitsnadel versucht, der ärztlichen Kunst entsprach. Denn die Behauptung der Beschwerdeführerin,
die Sachverständige habe dadurch - bewusst - Ängste bei ihr schüren wollen, findet keine objektive Bestätigung und erklärt
auch nicht eine Befangenheit, d.h. eine Voreingenommenheit zu Ungunsten der Beschwerdeführerin.
Insgesamt kommt der Senat zum Ergebnis, dass die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Gründe die Ablehnung der Sachverständigen
Dr. R. wegen Besorgnis der Befangenheit nicht rechtfertigen. Er weist die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts
vom 29.04.2009 zurück und nimmt zur Ergänzung gemäß §§
142 Abs.
2 Satz 2,
136 Abs.2
SGG auf die Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss Bezug.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind analog §
193 SGG nicht zu erstatten.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).