LSG Bayern, Urteil vom 26.01.2016 - 15 VG 8/12
Beschädigtenversorgung nach dem OEG
Tätlicher Angriff
Psychische Gewalt
1. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist die Verletzungshandlung im OEG eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt, obwohl sich die Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auch an der im Strafrecht zu den §§ 113, 121 StGB gewonnenen Bedeutung orientiert.
2. Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB wird der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person geprägt und wirkt damit körperlich auf einen anderen ein.
3. Dieses Verständnis der Norm entspricht am ehesten dem strafrechtlichen Begriff der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, also einem tätigen Einsatz materieller Zwangsmittel wie körperlicher
Kraft; trotz seiner inhaltlichen Nähe zur Gewalttätigkeit nach § 125 StGB setzt der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus, sodass auch ein nicht zum körperlichen Widerstand fähiges Opfer
von Straftaten unter dem Schutz des OEG steht.
4. Ein tätlicher Angriff liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn es an einer unmittelbaren Gewaltanwendung fehlt.
5. Fehlt es an einem tätlichen - körperlichen - Angriff, ergeben sich für die Opfer allein psychischer Gewalt aus § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG keine Entschädigungsansprüche; auch eine (bloß) objektive Gefährdung reicht ohne physische Einwirkung, z.B. Schläge, Schüsse,
Stiche, Berührung etc., für die Annahme eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht aus.
Vorinstanzen: SG Bayreuth 16.02.2002 S 4 VG 3/10
Tenor I.
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 16. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Die 1966 geborene Klägerin hat den Beruf einer Fleischereifachverkäuferin erlernt und war zuletzt als Küchenhilfe in einem
Altersheim tätig. Sie begehrt Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten ( OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG).
Mit Schreiben vom 23.12.2008 wandte sich die Kriminalpolizeiinspektion B-Stadt in dem Ermittlungsverfahren "B., J., wegen
Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen u.a. vom 11.12.2008, 08:15 Uhr bis 11.12.2008, 10:15
Uhr in A-Stadt" mit der Bitte an den Beklagten, folgenden "Sachverhalt hinsichtlich der Kriterien des OEG zu prüfen": "Der Beschuldigte hat die Geschädigte in seiner Eigenschaft als ihr Hausarzt unter langwieriger Vorbereitung
dazu überredet, an einer angeblichen "Studie" teilzunehmen, bei der nach seinen Angaben die Muskelbewegungen der Extremitäten
mittels einer speziellen Aufnahmetechnik, der "Lichtleitlinienmessung" aufgezeichnet werden und somit Fehlhaltungen u.ä. Besonderheiten
erkannt werden können. Die "Studie" soll angeblich von einem Studienkollegen des Herrn Dr. B. durchgeführt worden sein. Der
Beschuldigte verwendete zur Überzeugung der Geschädigten auch etliche selbst entworfene Schriftstücke, welche die Studie darlegten
und gab dabei vor, im Auftrag der Universitäten T-Stadt, M-Stadt, C-Stadt und B-Stadt zu handeln. Die "Legende", welche der
Beschuldigte bei der Täuschung verwendete, war derart professionell erstellt, dass die Geschädigte diese als echt anerkannte
und bei der Studie mitwirkte. Die Aufnahmen wurden dann der Art durchgeführt, dass die Geschädigte eine Nylonstrumpfhose und
ein spitzenbesetztes Nachthemdchen (beides angeblich mit "Spezialpulver" beschichtet) anziehen musste. Weitere Kleidungsstücke
waren "nicht erlaubt, um die Aufnahmen nicht zu stören". Die Strumpfhose war dabei im Schritt weit geöffnet, so dass die Genitalien
unbedeckt waren. Sodann musste die Geschädigte "Bewegungsübungen" vollziehen, bei denen der Beschuldigte sie mit einer "Spezialkamera"
filmte. Die Kamera befand sich dabei unter anderem zwischen den gespreizten Beinen der Geschädigten. Zur "Unterstützung" der
Übungen musste die Geschädigte eine größere Menge Nüsse per Hand an einer eigens dafür vom Beschuldigten mitgebrachten Nussmühle
(ein offensichtlicher Fetisch) malen. Die Prozedur dauerte nahezu zwei Stunden. Erst nach einem längeren Gespräch mit ihrem
Ehemann bemerkte die Geschädigte, welche Art Aufnahmen der Beschuldigte hier gefertigt hat, und erlitt daraufhin einen Nervenzusammenbruch
... Da es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Gewalttat im klassischen Sinne handelt, wird um Prüfung gebeten, ob hier
eventuell die Kriterien nach dem OEG zutreffend sind und der Geschädigten auf Antrag Leistungen gewährt werden können."
Der Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit, er sei von der Kriminalpolizeiinspektion B-Stadt davon in Kenntnis gesetzt
worden, dass sie am 11.12.2008 Opfer einer Straftat geworden sei und eventuell ein Anspruchstatbestand des OEG erfüllt sein könnte. Voraussetzung für Leistungen nach dem OEG sei jedoch ein rechtswirksam gestellter Antrag. Es liege nun an ihr, einen solchen zu stellen, was sie am 28.01.2009 auch
tat.
Sodann zog der Beklagte die Akten der Staatsanwaltschaft B-Stadt zum Aktenzeichen xxx bei. Ausweislich dieser erstatte die
Klägerin am 16.12.2008 Strafanzeige und sagte im Rahmen ihrer Vernehmung als Zeugin durch Beamte der Kriminalpolizeiinspektion
B-Stadt am gleichen Tag u.a. Folgendes aus: "Er hat mich dann noch mal auf diese Studie angesprochen und meinte, man sollte
den Status meiner Schulter vor und nach der OP dokumentieren. Er würde entsprechend die Spezialkamera und einen Anzug besorgen
und würde das Ganze zu mir nach Hause bringen. Er meinte, dass es besser wäre, wenn keine Kinder oder Haustiere mit dabei
wären, weil er für diese Aufnahmen unbedingt seine Ruhe bräuchte ... Am Donnerstag ist er kurz nach 8:00 Uhr bei mir zuhause
erschienen. Er hatte alles im Auto dabei. Ich fragte ihn noch, ob ich irgendetwas mit reintragen könnte und er hat mir eine
Tüte gegeben, die ich dann reingetragen habe. Beim Betreten des Hauses hat er bemerkt, dass der Türschnapper so eingerastet
war, dass die Tür jederzeit geöffnet werden kann. Da hat er dann gleich gesagt, " ... die Tür machen wir aber zu" und hat
den Schnapper entsprechend verriegelt. Das hat er gemacht, ohne mich um Erlaubnis zu fragen. Er war hierbei sehr bestimmt
und hat einfach gesagt " ... da machen wir jetzt aber zu" ... Er hat dann aus einem Koffer ein Päckchen mit zwei Hemden und
zwei Strumpfhosen geholt und hat mich nach meiner Größe gefragt. Ich habe ihm gesagt, dass ich Größe 40/42 haben würde und
er hat mir die entsprechenden Kleidungsstücke gegeben. Er hat behauptet, dass diese Kleidungsstücke gepolstert oder beschichtet
wären und hat auch zur Demonstration an den Kleidungsstücken gerochen ... Herr Dr. B. behauptete, die Kamera nehme lediglich
die Substanz, mit der die Kleidungsstücke bepulvert sind, auf und würde dadurch die Muskelbewegungen sichtbar machen ... Ich
sollte diese beiden Kleidungsstücke dann anziehen, dürfte dabei aber nichts darunter anziehen. Er hat dann noch gesagt, dass
ich eine Bluse und einen Rock darüber anziehen dürfte, drunter allerdings dürfte ich nichts anziehen. Ich bin nach oben gegangen
und habe es so angezogen, wie er mir das gesagt hat. Dabei habe ich festgestellt, dass in der Nylonstrumpfhose im Bereich
des Schrittes ein Riesenloch war. Mir war da sehr unwohl zu Mute, ich war unten rum nackt. Ich habe aber trotzdem, wie er
mir "erlaubt hat", einen Rock und einen Bluse angezogen. Danach bin ich wieder nach unten gegangen. Ich musste mich zunächst
an den Tisch setzen und er hat die Kamera links von mir aufgebaut. Die Probleme mit der Schulter, die ich hatte, waren tatsächlich
in der linken Schulter. Er hat mir dann eine Hantel in die Hand gegeben, das war eine grüne Schaumstoffhantel wie für Gymnastikübungen.
Ich sollte diese Hantel dann zweimal mit gebeugtem Arm nach oben heben und danach zweimal mit gestreckten Arm ... Vor diesen
Aufnahmen musste ich allerdings die Bluse wieder ausziehen und er hat über die Schulter einen Strumpf aus Nylonfasern gezogen,
der etwa 40 cm lang war und an beiden Enden offen. Er hat diesen Strumpf mit Tesabändern an der Schulter befestigt. Danach
wurden dann diese Aufnahmen gefertigt ... Er hat dann diese Nussmühle am Tisch befestigt und ich sollte davor stehen und mich
nach vorne beugen. Dann hat er mich aufgefordert, ich solle hohe Schuhe anziehen, um hiermit die Spannung auf den Beinen -
sprich auf der Muskulatur der Beine - entsprechend zu erhöhen und besser dokumentieren zu können. Ich habe dann zunächst etwas
niedrigere Schuhe geholt, diese waren ihm aber nicht hoch genug, worauf ich schließlich noch Schuhe mit etwa 5 cm hohen Absätzen
geholt habe ... Und zwar sollte ich mich mit gespreizten Beinen hinstellen und dann im Rhythmus der Drehbewegungen die Knie
beugen. Er hat das zunächst von der Seite gefilmt. Hierbei sollte ich meinen Rock bis an die Oberkante der Oberschenkel hochziehen,
damit angeblich die Muskelbewegungen besser zu sehen sind. Bis dahin waren die Aufnahmen eigentlich ja noch okay. Dann hat
er allerdings gefordert, er müsse die Innenseite der Oberschenkel entsprechen filmen, wobei auch die Beckenmuskulatur mit
drauf sein müsste, und hat dazu die Kamera mit Beleuchtung auf den Boden gelegt und ich sollte mich mit gespreizten Beinen
darüber stellen und wieder diese Kurbelbewegungen ausführen. Während dieser Prozedur hat er Kommandos benutzt wie z.B. "Beine
breiter, tiefer, weiter nach hinten" und ähnliches. Die Prozedur ging eine ganze Zeit lang, ich habe insgesamt zwei Päckchen
Mandeln dabei gemahlen ... Während der ganzen Filmaufnahmen war Herr Dr. B. neben mir auf dem Boden gelegen. Er hat dann immer
mit der Fernbedienung in der Hand Richtung Kamera gehalten, so als ob er zoomen würde oder irgendwie andere Einstellungen
vornehmen würde. Ob er aus dieser Position etwas bei mir gesehen hat oder nicht, weiß ich nicht. Ich habe mir während der
ganzen Zeit, was passiert da eigentlich mit mir, wirklich reagiert habe ich aber die ganze Zeit nicht ... Irgendwann habe
ich gesagt " ... so jetzt langt's mir". Er sagte noch, das Band sei noch nicht voll, es sei noch Speicherplatz da und er wisse
nicht, ob das der Universität genügen würde. Er hat dann aber letztendlich eingewilligt aufzuhören. Ich bin dann rauf, habe
mich umgezogen und er hat derweil die Sachen aufgeräumt ... Ich hatte ihm zu Anfang noch einen Kaffee angeboten und er hatte
da abgelehnt und sagte, er wolle gleich die Untersuchungen machen. Nachdem wir dann mit den "Aufnahmen" fertig waren, habe
ich ihm nochmals einen Kaffee angeboten und er willigte ein, einen "schnellen Kaffee" zu trinken, er müsse gleich weiter zum
nächsten Probanden nach B-Stadt. Als dann mein Mann nach Hause gekommen ist, hat er mich gefragt, wie es denn war und ich
habe ihm das Ganze geschildert. Auch er fand das sehr seltsam und hat sich gewundert. Ich habe mir allerdings nicht zugetraut,
ihm alles zu erzählen, was ich jetzt hier berichtet habe. Er meinte dann nur, dass "der sich wohl an mir aufgegeilt haben
wird und ein Video gedreht hat, dass wohl irgendwann im Internet zu sehen sein wird". Erst als mein Mann das geäußert hat,
ist mir eigentlich aufgegangen, was hier überhaupt wirklich abgelaufen ist. Dazu muss ich sagen, dass mir mit 10 bzw. 11 Jahren
schon mal etwas Ähnliches passiert ist. Auch damals wurde ich Opfer eines Missbrauchs, habe dies aber nie zur Anzeige gebracht.
Ich habe das 30 Jahre lang verdrängt und als mir das jetzt aufgegangen ist, was da jetzt wirklich passiert ist, habe ich gesagt
"mit mir nicht mehr, jetzt ist genug". Deswegen habe ich mich zu einer Anzeige entschieden ... Warum ich diesen Aufnahmen
letztendlich so "freiwillig zugestimmt habe", weiß ich nicht. Ich kann es mir nur damit erklären, dass ich Herrn Dr. B. vertraut
habe und davon ausgegangen bin, dass dies im Rahmen dieser Studien wirklich notwendig ist."
Der Ehemann der Klägerin bekundete in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung durch Beamte der Kriminalpolizeiinspektion B-Stadt
am 16.12.2008 u.a. Folgendes: "Ich habe das Haus um 05.30 Uhr verlassen und bin nachmittags um ca. 14.30 Uhr wieder zurückgekommen.
Meine Frau war im Esszimmer gesessen und ich habe sie gefragt, wie denn die Studie gelaufen ist. Sie hat gesagt, dass es etwas
seltsam gelaufen sei. Ich habe sie dann gefragt, was sie denn angehabt hätte, weil wir uns eben schon vorher über die möglichen
Anzüge unterhalten hatten. Sie erklärte mir dann, dass eben das so seltsam gewesen sei, dass sie nämlich ein hautfarbenes
Hemdchen angehabt hätte mit einem Spitzenbesatz unten an der Kante ... Ich habe mich schon etwas gewundert, da ich mich gefragt
habe, wie man mit einem so locker sitzenden Hemdchen Muskelaufnahmen machen könnte. Sie hat mir dann aber erzählt, dass sie
über den Arm bzw. die Schulter einen engen Nylonstrumpf drüber gehabt hat, was mich doch wieder ein wenig beruhigt hat. Sie
sagte mir noch, dass sie eine Strumpfhose tragen musste, "wie sie alte Omas tragen". Ich habe mir dann gedacht, dass diese
Strumpfhosen ja relativ blickdicht sind und dass er eigentlich nicht viel gesehen haben kann, und habe ganz salopp gesagt
- eigentlich mehr scherzhaft gemeint - " ... naja der wird jetzt einen Film gedreht haben und den wird er demnächst ins Internet
stellen". Außerdem sagte ich ihr noch, dass er sich wohl dran "aufgegeilt" haben wird. Damit war eigentlich für den Tag das
Thema Untersuchung erledigt. Als ich am nächsten Tag von der Arbeit gekommen bin, ... Sie hat mir bei diesem Gespräch auch
eröffnet, dass diese Strumpfhose doch keine "Alte-Oma-Hose" ist, sondern etwas anders beschaffen. Auf Nachfrage hat mir meine
Frau geschildert, dass es sich bei dieser Strumpfhose um eine Strumpfhose handelt, wie man sie "im Sexshop" kriegt, eine Strumpfhose
mit großem Loch im Schritt ... Schon als meine Frau mir berichtete, dass die Strumpfhose im Schritt ein Loch gehabt hat, war
mir eigentlich klar, dass die Aufnahmen nicht nur medizinischer Natur gewesen waren. Ich habe dann meine Frau auch gefragt,
ob Herr Dr. B. bei diesen Übungen unter ihr gelegen wäre. Sie sagte mir, dass die Kamera, die er vorher auf einem Stativ stehen
gehabt hatte, mit diesem Stativ am Boden unter ihr gelegen sei. Herr Dr. B. wäre hinter/neben ihr gelegen und hätte die Kamera
mit Fernbedienung bedient. Er war aber auf jeden Fall am Boden gelegen ... Wir haben uns das ganze Wochenende über mit dieser
Sache beschäftigt und uns darüber unterhalten. Am Sonntag ist dann die Sache auch "etwas aus dem Ruder gelaufen". Meine Frau
hat einen Zusammenbruch erlitten, ..."
Ausweislich der Verfügung der Staatsanwaltschaft B-Stadt vom 22.07.2009 war das Verhalten des Beschuldigten Dr. B. zum Nachteil
der geschädigten Klägerin "allein unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Beleidigung strafbar." In der Verfügung ist insoweit
weiter festgehalten: "Es lässt sich nicht sicher feststellen, dass der Beschuldigte von der Geschädigten tatsächlich Bildaufnahmen
hergestellt hat ... Auch eine (fahrlässige oder vorsätzliche) Körperverletzung lässt sich nicht mit der für eine Anklagerhebung
erforderlichen Sicherheit nachweisen. Zwar steht fest, dass sich die Geschädigte A. seit dem 15.12.2008 mindestens bis zum
10.06.2009 in stationärer psychiatrischer Behandlung im Bezirkskrankenhaus B-Stadt befand ... Für eine vorsätzliche Gesundheitsschädigung
fehlen indes jegliche Anhaltspunkte ... Hinsichtlich einer fahrlässigen Körperverletzung fehlt es zumindest an einer (objektiven
und subjektiven) Vorhersehbarkeit der Erkrankung ... Das Verhalten des Beschuldigten zum Nachteil der Geschädigten A. ist
somit allein unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Beleidigung strafbar." Dementsprechend wurde gegen den Beschuldigten
wegen Beleidigung und Urkundenfälschung mit Strafbefehl vom 05.08.2009 eine Geldstrafe verhängt.
Daraufhin lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Beschädigtenversorgung mit Bescheid vom 17.08.2009
ab. Ein tätlicher Angriff erfordere eine auf den Körper des Opfers zielende, rechtswidrige Einwirkung. Die Klägerin sei jedoch
lediglich darüber getäuscht worden, dass das vom Täter erstellte angebliche Material einem wissenschaftlichen Zweck diene.
Über alle weiteren Umstände habe sie Kenntnis gehabt und ohne Zwang mitgewirkt.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 14.09.2009 wurde von der Bevollmächtigten der Klägerin am 20.01.2010 begründet. Die
Ausführungen des Beklagten im angefochtenen Bescheid seien unrichtig und "geschmacklos". Entgegen seiner Ansicht sei ein tätlicher
Angriff gegeben. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werde der tätliche Angriff als eine in strafbarer Weise vollzogene rechtswidrige Verletzung der körperlichen Integrität
verstanden. Das BSG habe im Jahr 2001 in einem Urteil ausgeführt, dass neben Körperverletzungsdelikten auch andere strafbare Verhaltensweisen,
wie z.B. Nötigung, zu Tätlichkeiten führen können. Zwar habe die Klägerin ohne Zwang an der damaligen Prozedur teilgenommen
und sei sich auch bewusst gewesen, dass sie von dem Straftäter Dr. B. im Vaginalbereich gefilmt werde, das Tatbestandsmerkmal
des tätlichen Angriffs sei jedoch weit auszulegen.
Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2010 im Wesentlichen mit der Begründung zurück,
nur eine in strafbarer Weise unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung sei ein tätlicher Angriff
im Sinne des OEG. Nicht als tätlicher Angriff seien daher regelmäßig solche Einwirkungen anzusehen, die nicht unmittelbar und gewaltsam den
Körper eines anderen treffen. Dies ergebe sich auch aus dem im Rahmen der Widerspruchsbegründung in Bezug genommenen Urteil
des BSG vom 14.02.2001 - B 9 VG 4/00 R -, welches zum Problemkreis "Mobbing" ergangen sei. Danach komme bei Beleidigungen und Nötigungen eine Anerkennung nach dem
OEG nur dann in Betracht, wenn sie durch Tätlichkeiten begangen werden, was vorliegend gerade nicht der Fall sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 23.03.2010 beim Sozialgericht Bayreuth (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, das Ankleiden einer schrittoffenen Nylonunterhose, das
Kurbeln an einer Nussmühle und das sich in diesem Zustand Filmen-Lassen im Vaginalbereich durch Dr. B. stelle einen anspruchsbegründenden
tätlichen Angriff dar. Sie sei durch das Tun des Dr. B. zum bloßen Objekt seiner sexuellen Vorlieben und in ihrer Person herabgewürdigt
und miss- bzw. nichtgeachtet worden. Infolge ihrer nachträglichen Kenntniserlangung von dem wahren Zweck der Filmaufnahmen
des Dr. B. habe sie einen Nervenzusammenbruch erlitten.
Ausweislich der Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung des SG am 30.11.2011 hat die Klägerin persönlich u.a. Folgendes angegeben: "Die Klägerin kommt zunächst auf den erlittenen Kindesmissbrauch
zu sprechen. Diese Sache habe sich zugetragen als sie 10 oder 11 Jahre alt war. Über einen gewissen Zeitraum sei dies ständig
gegangen. Auch dieser Missbrauch habe sich im häuslichen Bereich abgespielt. Sie habe sich bücken müssen und sei dabei von
hinten angegangen worden. Der Anlass war, die Filmaufnahmen von Dr. B. haben sich in einer ähnlichen Situation abgespielt,
auch hier musste ich die Beine spreizen. Die Kamera war zwischen meinen Beinen gelegen. Ich war in dieser Situation wie gelähmt
... Er hat mich auch berührt. Ich sollte mich auf einen Stuhl setzen. Dabei hat er einen Strumpf über meinen linken Arm bis
zur Schulter hochgezogen und mit Leukoplast angeklebt ... Ich berichte jetzt noch wie die Situation begonnen hat: Dr. B. ist
gekommen und hat geklingelt. Damit wir seine Sachen ins Haus bringen können, habe ich den Türschnapper auf offen gestellt.
Ich habe ihm beim hereintragen geholfen. Er sagte zu mir: "Gehen Sie voran." Und weiter: "den Türschnapper können wir so aber
nicht lassen. Die Tür machen wir zu." Dies hat er dann auch ausgeführt ... Wir haben nie einen Schlüssel in der Haustür stecken,
deswegen konnte ich die Tür auch nicht versperren."
Daraufhin hat das SG die Klage gegen den Bescheid vom 17.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2010 mit Gerichtsbescheid
vom 16.02.2012 abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide seien nicht zu beanstanden, der Klägerin stehe kein Anspruch auf Versorgung
nach dem OEG zu. Das BSG habe in seiner Entscheidung vom 19.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - das Tatbestandmerkmal des tätlichen Angriffs erschöpfend dargestellt. Danach liege ein tätlicher Angriff dann vor, wenn
der Täter in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielend gewaltsam einwirke. Je geringer
dabei die Kraftanwendung durch den Täter, desto genauer müsse geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für
Leib und Leben des Opfers bestanden habe. "Gewaltlose", insbesondere psychische Einwirkungen auf das Opfer reichten hingegen
nicht aus. Eine Einwirkung auf den Körper könne die Klägerin nicht geltend machen, ebenso wenig eine Gefährdung für Leib oder
Leben. Filmaufnahmen stellten keinen tätlichen Angriff dar. Eine Übertragung der Rechtsprechung des BSG zur Freiheitsberaubung liege schon tatbestandlich fern. Die Klägerin sei am Tatort weder eingesperrt gewesen noch stelle
ein am Boden liegender Täter, der mit Filmen beschäftigt gewesen sei, ein hinreichendes Hindernis im Gebrauch der persönlichen
Bewegungsfreiheit dar. Das Ausnutzen einer in der Kindheit erlittenen Missbrauchserfahrung ("Lähmung") sei für den Täter nicht
vorhersehbar gewesen; außerdem habe die Klägerin noch eine hinreichende Kontrolle des Geschehensablaufs gehabt, wie der spätere
Abbruch vor Erreichen des vom Täter verfolgten Ziels zeige.
Gegen den ihr am 21.02.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 21.03.2012 Berufung
eingelegt. Der Täter habe nach dem Betreten der Wohnung sofort die Tür verriegelt und damit eine zufällige Störung vereitelt.
Durch entsprechendes Treffen von Vorkehrungen habe er eine psychische Zwangslage geschaffen, die der Klägerin das Verlassen
der Wohnung unmöglich gemacht hätten. Sie habe sich aus der Zwangslage nicht befreien können, da sie befürchtet habe, den
Täter zu provozieren. Der Gewaltbegriff sei "in Form massiver psychischer Gewalt durch den Täter auf die Klägerin ohne wenn
und aber erfüllt."
Sie hat weiter das Endurteil des Landgerichts B-Stadt vom 11.11.2014 - - vorgelegt, ausweislich dessen Dr. B. wegen einer
schwerwiegenden Pflichtverletzung des ärztlichen Behandlungsvertrages u.a. zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 15.000
Euro verurteilt wurde. Dem Urteil ist weiter zu entnehmen: "Zwar kann das Gericht gemäß § 1 Gewaltschutzgesetz unabhängig vom gestellten Antrag entsprechende Maßnahmen und Anordnungen treffen, allerdings setzt dies eine vorsätzliche
Körperverletzung oder vorsätzliche Gesundheitsverletzung voraus. Unabhängig von der Frage der gerichtlichen Zuständigkeit
fehlt es bereits an den tatsächlichen Voraussetzungen. Für eine vorsätzliche Gesundheitsverletzung der Klägerin ergeben sich
keinerlei Anhaltspunkte."
Die Klägerin hat beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.02.2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 17.08.2009 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, Entschädigungsleistungen im Sinne des
OEG an sie zu erbringen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 07.09.2015 ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass das BSG mit Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 - seine Rechtsprechung zu § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG teils revidiert und weiter präzisiert habe. Danach setze ein tätlicher Angriff im Sinne des Opferentschädigungsrechts eine
unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus.
Mit Schreiben vom 10.11.2015 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin daraufhin mitgeteilt, dass eine Rücknahme der Berufung
"in keinster Weise" erfolgen werde. Die Klägerin sei aufgrund der massiven psychischen Einwirkung einer physischen Sperre,
sich zu wehren oder davon zu laufen, ausgesetzt gewesen. Dieser Fall der psychischen Gewaltanwendung mit einer vermeintlichen
Wahlfreiheit des Opfers liege häufig vor.
In der mündlichen Verhandlung am 26.01.2016 haben die Beteiligten sodann erstmals dem Gericht mitgeteilt, dass die Klägerin
am 31.01.2012 einen weiteren Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG gestellt hatte, worauf der Beklagte mit Bescheid vom 05.08.2015 als Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG ab 01.01.2012 "Teilsymptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung, Somatisierungsstörung" im Sinne der Entstehung an-
und der Klägerin ab 01.01.2012 Anspruch auf Versorgungsrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 sowie Anspruch
auf Heilbehandlung zuerkannte. Nicht als Folge einer Schädigung wurden anerkannt: "Depressive Verstimmungen, dissoziative
Krisen, Panikattacken, Alkoholkonsum". Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: "Sie haben von ca. 1969 bis 1980 mehrmals
eine Schädigung im Sinne des OEG erlitten. Auf die Teilbescheide vom 17.02.2014 und 10.06.2015 wird hierzu verwiesen. Die oben anerkannte Gesundheitsstörung
ist auf diese Schädigungen zurückzuführen ... Nach Prüfung durch unseren ärztlichen Dienst kann für die Folgen der Taten in
der Kindheit ein GdS von 30 anerkannt werden. Ihnen standen zunächst ausreichend Abwehrmechanismen zur Verfügung, so dass
bis zum Vorfall durch den Hausarzt im Jahr 2008 keine nennenswerten Schädigungsfolgen aufgrund der Gewalttaten in der Kindheit
bestanden. Durch den Vorfall mit ihrem Hausarzt kam es bei Ihnen zu einer Retraumatisierung. Die Erinnerungen an die Gewalttaten
in der Kindheit kamen zurück ... Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen "depressive Verstimmungen, dissoziative Krisen,
Panikattacken und Alkoholkonsum" können nicht als Folge einer Schädigung im Sinne des OEG anerkannt werden, weil sie nicht ursächlich auf die Gewalttaten in ihrer Kindheit zurückzuführen sind. Diese Gesundheitsstörungen
sind erst nach den Übergriffen durch den Hausarzt im Jahre 2008 aufgetreten. Ihr diesbezüglicher OEG-Antrag wurde mit Bescheid vom 17.08.2009 ... abgelehnt. Das anhängige Verfahren vor dem Landessozialgericht ist noch nicht
abgeschlossen. Das Geschehen aus dem Jahr 2008 ist daher nach wie vor als Nachschaden zu werten."
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie der beigezogenen Akten des SG - S 4 VG 3/10 -, des Landgerichts B-Stadt - - sowie des Beklagten nebst zugehöriger Beiakten mit Auszügen aus den Akten der Staatsanwaltschaft
B-Stadt - xxx -, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143, 144 in Verbindung mit § 105 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 in Verbindung mit § 105 Abs. 2 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist ausschließlich die Anfechtung des den Antrag der Klägerin vom 26.01.2009, eingegangen
beim Beklagten am 28.01.2009, ablehnenden Bescheids des Beklagten vom 17.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 17.03.2010 kombiniert mit dem Leistungsbegehren, der Klägerin wegen des Vorfalles am 11.12.2008 Beschädigtenrente zu gewähren.
Obgleich die anwaltlich vertretene Klägerin, wie schon im Klage- und Berufungsverfahren, dem Wortlaut nach "Entschädigungsleistungen
im Sinne des OEG" begehrt, legt das Gericht den Berufungsantrag im wohlverstandenen Interesse der Klägerin als auf die Gewährung von Beschädigtenrente
gerichtet aus, da der ausdrücklich gestellte Leistungsantrag unzulässig wäre (vgl. BSG, Urteil vom 02.10.2008 - B 9 VG 2/07 R -, m.w.N.).
Das SG hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 17.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2010 abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der geltend
gemachte Anspruch der Klägerin auf Versorgung ist nicht gegeben, weil sie am 11.12.2008 nicht Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen
tätlichen Angriffs geworden ist.
Wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine
oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften
des BVG, wobei die Anwendung dieser Vorschrift gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 OEG nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes
gehandelt hat.
Bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geht der Senat von folgenden Erwägungen aus (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteile vom 26.01.2016 - L 15 VG 30/09 -, 16.11.2015 - L 15 VG 28/13 -, 20.10.2015 - L 15 VG 23/11 - und 05.02.2013 - L 15 VG 22/09 -, m.w.N.; siehe auch: BSG, Urteile vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - und 17.04.2013 - B 9 V 1/12 R sowie B 9 V 3/12 R -):
Nach dem Willen des Gesetzgebers ist die Verletzungshandlung im OEG eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt, obwohl sich die Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auch an der im Strafrecht zu den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch ( StGB) gewonnenen Bedeutung orientiert (vgl. BSG, Urteile vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - und 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R -, m.w.N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB wird der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person geprägt und wirkt damit körperlich auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R -, m.w.N.). Dieses Verständnis der Norm entspricht am ehesten dem strafrechtlichen Begriff der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, also einem tätigen Einsatz materieller Zwangsmittel wie körperlicher
Kraft (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.). Trotz seiner inhaltlichen Nähe zur Gewalttätigkeit nach § 125 StGB setzt der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus, sodass auch ein nicht zum körperlichen Widerstand fähiges Opfer
von Straftaten unter dem Schutz des OEG steht (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.).
Danach ist unter einem tätlichen Angriff im Sinne des OEG grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung
zu verstehen, wobei ein tätlicher Angriff jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn es an einer unmittelbaren Gewaltanwendung fehlt
(vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.). Fehlt es an einem tätlichen - körperlichen - Angriff, ergeben sich für die Opfer allein psychischer Gewalt
aus § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG keine Entschädigungsansprüche (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.). Auch eine (bloß) objektive Gefährdung reicht ohne physische Einwirkung, z.B. Schläge, Schüsse, Stiche,
Berührung etc., für die Annahme eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht aus (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.).
Das BSG hat in seinem vorgenannten Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - hierzu im Einzelnen Folgendes ausgeführt: "a) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung als einen "tätlichen Angriff" grundsätzlich
eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen (vgl.
z.B. Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, RdNr. 25 m.w.N.; Urteil vom 02.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - [...] RdNr. 14 m.w.N.) und die Entwicklung der Auslegung dieses Rechtsbegriffs zuletzt im Rahmen der Beurteilung von strafbaren
ärztlichen Eingriffen (vgl. Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, RdNr. 26 ff) und hinsichtlich des gesellschaftlichen Phänomens des "Stalking" umfassend dargelegt
(vgl. Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, RdNr. 33 ff). Dabei ist der Senat immer davon ausgegangen, dass die Verletzungshandlung im OEG nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt ist (vgl. BT-Drucks 7/2506 S 10), obwohl sich die Auslegung des Begriffs des "tätlichen Angriffs" auch an der im
Strafrecht zu den §§ 113, 121 StGB gewonnenen Bedeutung orientiert (vgl. BSG, a.a.O., RdNr. 32 m.w.N.). Der Senat ist dabei soweit gegangen, eine erhebliche Drohung gegenüber dem Opfer für einen tätlichen
Angriff genügen zu lassen, als sie zumindest mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache einherging, die als
einziges Hindernis dem unmittelbaren körperlichen Zugriff auf das Opfer durch die Täter noch im Wege stand, sodass der Angriff
nicht lediglich auf einer Drohung, sondern auch auf Anwendung tätlicher Gewalt basierte (BSG Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 44 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 11). Soweit - wie im vorliegenden Fall - eine "gewaltsame" Einwirkung in Frage steht, ist nach
der Senatsrechtsprechung schon immer zu berücksichtigen gewesen, "dass der Gesetzgeber durch den Begriff des tätlichen Angriffs
den schädigenden Vorgang i.S. des § 1 Abs. 1 S 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt
hat" (BSG Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr. 18 (Stalking), RdNr. 36; vgl. auch: BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 18 S. 73 (Mobbing); BSG Urteil vom 28.03.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr. 4 S. 9 (Flucht vor Einbrecher); s. auch Darstellung bei Heinz, Zu neueren Entwicklungen im Bereich
der Gewaltopferentschädigung anlässlich neuerer Rechtsprechung zur Anspruchsberechtigung nach dem OEG bei erlittenem "Mobbing" und "Stalking", br 2011, 125, 131 f). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff i.S. des § 240 StGB (vgl. hierzu Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 240 RdNr. 8 ff m.w.N.) wird der tätliche Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person geprägt (vgl. insbesondere Begründung des Regierungsentwurfs zum
OEG, BT-Drucks 7/2506 S. 10, 13 f) und wirkt damit körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dieses Verständnis der Norm entspricht
am ehesten dem strafrechtlichen Begriff der Gewalt i.S. des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, also einem tätigen Einsatz materieller Zwangsmittel wie körperlicher
Kraft (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 113 RdNr. 23; BSG Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - a.a.O., RdNr. 36 m.w.N.). Andererseits reicht die bloße Verwirklichung eines Straftatbestandes, z.B. eines Vermögensdelikts,
allein für die Annahme eines "tätlichen Angriffs" i.S. von § 1 Abs. 1 S. 1 OEG nicht aus (vgl. BSG Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97, 114 = SozR, a.a.O., RdNr. 41 und 62 f), auch wenn das Opfer über den eingetretenen Schaden "verzweifelt" und z.B. seelische
Gesundheitsschäden davonträgt. Demgemäß hat der Senat eine Wertung als tätlicher Angriff auch für Telefonate, SMS, Briefe,
Karten und dergleichen abgelehnt, weil es insoweit bereits an einer unmittelbar drohenden Gewaltanwendung fehlte (vgl. BSG, a.a.O., RdNr. 71). Der Senat sah schon immer in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt die Grenze der Wortlautinterpretation
als erreicht an, wenn sich die auf das Opfer gerichteten Einwirkungen - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell
oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellen und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielen (vgl
zuletzt: Beschlüsse vom 25.02.2014 - B 9 V 65/13 B - und vom 17. Bzw. 22.09.2014 - B 9 V 27 bis 29/14 B -, jeweils zu RdNr. 6, wo den Opfern einer Erpressung ua damit gedroht
wurde, Familienangehörige umzubringen und das Haus anzuzünden). Der Senat präzisiert dies dahingehend, dass ein tätlicher
Angriff dann nicht vorliegt, wenn es an einer unmittelbaren Gewaltanwendung fehlt (dazu unter b). b) Soweit der Senat darüber
hinaus einen "tätlichen Angriff" i.S. des § 1 Abs. 1 S 1 OEG auch noch in einem Fall angenommen hat, in dem der Täter das Opfer vorsätzlich mit einer scharf geladenen und entsicherten
Schusswaffe bedroht hat, weil eine derartige Bedrohung das Leben und die Unversehrtheit des Opfers objektiv hoch gefährde
(vgl. BSG Urteil vom 24.07.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 9 f = SozR 3-3800 § 1 Nr. 22 S. 103 f), hält er hieran nicht mehr fest. Dies gilt auch für die Senatsrechtsprechung, die
im Umkehrschluss die bloße Drohung zu schießen, mangels einer objektiv erhöhten Gefährdung des Bedrohten nicht hat ausreichen
lassen, wenn der Täter keine Schusswaffe bei sich führt (vgl. Urteil vom 02.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - [...] RdNr. 20). Nach dieser Rechtsprechung läge im vorliegenden Fall ein tätlicher Angriff schon deshalb nicht vor, weil
der Täter der Klägerin lediglich eine objektiv ungefährliche Schreckschusspistole vorhielt. Der Senat sieht sich vor dem Hintergrund
der aktuell vorliegenden Konstellation im Verhältnis zu den Entscheidungen vom 24.07.2002 (B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 22 - "Drohung mit einer scharfgeladenen und entsicherten Schusswaffe") und vom 02.10.2008 (B 9 VG 2/07 R - "bloße Drohung zu schießen, ohne Besitz einer Schusswaffe") veranlasst, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern: Der Senat
lässt eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person auch ohne physische Einwirkung
(Schläge, Schüsse, Stiche, Berührung etc.) nicht mehr bereits aufgrund der objektiven Gefährlichkeit der Situation (z.B. Drohung
mit geladener Schusswaffe) für die Annahme eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs i.S. von § 1 Abs. 1 S. 1 OEG ausreichen. Für das Vorliegen eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Situation
im Nachhinein als tatsächlich objektiv (lebens-)gefährlich erweist, weil die Waffe scharf geladen und entsichert war, oder
als ungefährlich, weil es sich um eine bloße - echt aussehende - Schreckschusswaffe handelte. In diesen Fällen steht die Drohwirkung
der vorgehaltenen Waffe auf das Opfer und dessen psychische Belastung in der konkreten Situation im Vordergrund; diese unterscheidet
sich insoweit in Fällen wie dem vorliegenden regelmäßig nicht. Die psychische Wirkung (hier: Drohwirkung) einer Straftat und
eine hieraus resultierende zB sogenannte posttraumatische Belastungsstörung ist im Opferentschädigungsrecht keineswegs unbeachtlich.
Sie ist vielmehr insoweit von Bedeutung, als für die Frage des Vorliegens eines Gesundheitsschadens nicht nur physische, sondern
auch psychische Schäden beachtlich sind. Allerdings kann die psychische Wirkung einer Straftat das Erfordernis des "tätlichen
Angriffs" i.S. von § 1 Abs. 1 S. 1 OEG nicht ersetzen. Der eingetretene Schaden muss gerade auf einem solchen "tätlichen Angriff" und nicht - wie vorliegend - auf
einer (bloßen) Drohung mit Gewalt beruhen. Bereits in seinem Urteil vom 07.04.2011 (B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, RdNr. 47) hat der Senat klargestellt, dass entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung
nicht darauf abzustellen ist, ob die Angriffshandlung "körperlich wirkt" bzw. zu körperlichen Auswirkungen im Sinne eines
pathologisch, somatisch, objektivierbaren Zustands führt (so beispielhaft wohl Geschwinder, Der tätliche Angriff nach dem
OEG, SGb 1985, 95, 96 zu Fußnote 17 und 18 m.w.N.) oder welches Individualgut (insbesondere körperliche Unversehrtheit und Leben) von der verletzten
Strafrechtsnorm geschützt wird (vgl. insgesamt: BSG, a.a.O., RdNr. 47 m.w.N. zur Literatur). Fehlt es allerdings an einem tätlichen - körperlichen - Angriff, ergeben sich aus
§ 1 Abs. 1 S 1 OEG für die Opfer allein psychischer Gewalt keine Entschädigungsansprüche (vgl. hierzu allgemein: BSG, a.a.O., RdNr. 49; Doering-Striening, Altes und Neues - zur Reform des Opferentschädigungsrechts, ASR 2014, 231, 233, 235). c) Entscheidend für einen Anspruch nach § 1 Abs. 1 S. 1 OEG ist, ob die Folgen eines bestimmten Ereignisses (Primärschaden oder eventuelle Folgeschäden) gerade die zurechenbare Folge
eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind. Wie der Senat mit Beschlüssen vom 25.02.2014 (B 9 V 65/13 B) und vom 17.09.2014 bzw. 22.09.2014 (B 9 V 27 bis 29/14 B, jeweils zu RdNr. 6) zu schriftlichen Erpressungsversuchen bereits
angedeutet hat, reicht die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung für einen tätlichen
Angriff nicht aus. Denn dieser Umstand allein stellt über die psychische Wirkung hinaus noch keinen tatsächlichen physischen
"Angriff" dar. Aus der Sicht eines objektiven Dritten wie auch des unwissenden Opfers kann es keinen Unterschied machen, ob
eine Schusswaffe geladen, nicht geladen oder eine echt wirkende Attrappe ist. Der tätliche Angriff in Gestalt der körperlichen
Einwirkung auf den Körper eines anderen beginnt in diesen Fallkonstellationen erst mit dem Abfeuern des Schusses oder dem
Aufsetzen der Waffe auf den Körper des Opfers. Maßgeblich i.S. von § 1 Abs. 1 S. 1 OEG ist, ob ein tätlicher - körperlicher - Angriff tatsächlich begonnen hat. Daran fehlt es hier. Die auf die Klägerin als Opfer
gerichtete Einwirkung beruhte ohne den Einsatz körperlicher Mittel allein auf einer intellektuell bzw. psychisch vermittelten
Beeinträchtigung. Die Klägerin sollte mit einer (hier: vorgetäuschten) Bedrohung für Leib oder Leben zu bestimmten Handlungen
bzw. Unterlassungen genötigt werden. Eine derartige Bedrohung stellt keinen tätlichen Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 S 1 OEG dar (vgl. BSG Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - a.a.O., RdNr. 44 m.w.N.; Dau, jurisPR-SozR 10/2013 Anm. 2 zu C). d) Für das zentrale Tatbestandsmerkmal des "tätlichen
Angriffs" war von Anfang an darauf verzichtet worden, auf das Strafrecht zurückzugreifen mit seinen vielfältigen und uneinheitlich
weit gefassten Gewaltbegriffen (vgl. z.B. Heinz, Zu neueren Entwicklungen im Bereich der Gewaltopferentschädigungen anlässlich
neuerer Rechtsprechung zur Anspruchsberechtigung nach dem OEG bei erlittenem "Mobbing" und "Stalking", br 2011, 125, 132). Es sollten ausschließlich die Fälle der sogenannten "Gewaltkriminalität" in die Entschädigung einbezogen werden, die
mit einem willentlichen Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person einhergehen (BT-Drucks
7/2506 S. 10). In Anlehnung an § 113 StGB hat der Gesetzgeber den "rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen eine Person" als eine unmittelbare auf den Körper eines Menschen
zielende feindselige Einwirkung verstanden und beim (vorsätzlichen) Tathergang als erforderlich angesehen, dass der Täter
im Rahmen des bereits begonnenen tätlichen Angriffs auf einen Menschen zumindest Leib oder Leben eines anderen Menschen wenigstens
fahrlässig gefährdet hat (BT-Drucks 7/2506 S 13, 14; zu aberratio ictus vgl. Rademacker, a.a.O., § 1 OEG RdNr. 11). Der Gesetzgeber hat es zudem ausdrücklich vermieden, strafrechtliche Tatbestände listenmäßig, wie z.B. die §§
250, 253 und 255 StGB, zu benennen, um Abgrenzungsschwierigkeiten zu der nach § 1 Abs. 1 S 1 OEG allein zu berücksichtigenden körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person zu vermeiden (BT-Drucks 7/2506 S. 10; vgl. auch
BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 10 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 S. 25). Zwar kann auch Drohung mit Gewalt psychische Gesundheitsstörungen beim Betroffenen hervorrufen.
Dieser ist aber nicht zu staatlicher Entschädigung berechtigtes Opfer krimineller Gewalt i.S. des § 1 Abs. 1 S. 1 OEG geworden, weil das Tatmittel nicht körperliche Gewalt ("tätlicher Angriff") gegen den Körper, sondern eine List oder Täuschung
gewesen ist (zum Erfordernis "körperlicher Gewalt" vgl. Rademacker, a.a.O., § 1 OEG RdNr. 8, 32; Dau, jurisPR-SozR 10/2013 Anm. 2 zu C). f) Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, den Begriff des tätlichen Angriffs über den
mit Bedacht gewählten und bis heute beibehaltenen engen Wortsinn des OEG auf Straftaten zu erstrecken, bei denen es an einem solchen tätlichen Angriff fehlt, weil das strafbare Verhalten z.B. in
einer Drohung mit Gewalt, Erpressung oder einer Täuschung besteht ..."
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe: Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette, nämlich schädigender Vorgang, Schädigung und
Schädigungsfolgen, des Vollbeweises; für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen
beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen
verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen.
Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit
ausreichen mit der Folge, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen
Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R -, m.w.N.). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach
vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle
richterliche Überzeugungsbildung zu begründen (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R -, m.w.N.).
Unter Beachtung dieser Maßgaben steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin am 11.12.2008 nicht Opfer eines
vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geworden ist.
Dabei geht das Gericht davon aus, dass sich das (vermeintliche) Tatgeschehen so zugetragen hat, wie die Klägerin ausweislich
des Vernehmungsprotokolls, welches das Gericht im Rahmen des Urkundenbeweises verwerten darf (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./
Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 117 Rdnr. 5, §128 Rdnr. 8a), es persönlich und zeitnah gegenüber den Beamten der Kriminalpolizeiinspektion B-Stadt im Rahmen
ihrer Vernehmung als Zeugin am 16.12.2008 bekundet hat. Der gegenüber den Beamten der Kriminalpolizeiinspektion B-Stadt bekundete
Geschehensablauf ist substantiiert und nachvollziehbar. Er wird vor allem auch durch die Bekundungen des Ehemanns der Klägerin
in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung am 16.12.2008 und die weiteren Ermittlungsergebnisse der Kriminalpolizeiinspektion
B-Stadt gestützt. Letztlich hat auch weder die Klägerin persönlich noch der Beklagte den dort geschilderten Geschehensablauf
in Abrede gestellt.
Dem steht auch nicht entgegen, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin zum Beispiel mit Schriftsatz vom 04.06.2012 zur
Begründung der Berufung vorgetragen hat: "Vorliegend ereignete sich objektiv, dass der Täter, welcher langjähriger vertrauensvoller
Hausarzt der Klägerin und ihrer Familie war, am 11.12.2008 um 08:00 Uhr die Klägerin aufsuchte und nach dem Eintreten in die
Wohnung sofort die Tür verriegelte, sodass eine zufällige Störung vereitelt wurde durch entsprechendes treffen von Vorkehrungen
und Schaffen einer psychischen Zwangslage, die der Klägerin das Verlassen unmöglich machte ... Entscheidend kommt es darauf
an, dass der Täter überhaupt durch das Abschließen der Türe am Eingang signalisierte, dass weder ein Eintreten Dritter in
die Wohnung noch ein Verlassen der Klägerin aus der Wohnung im Rahmen seiner unmittelbar anschließenden Tatbegehung gewollt
ist". Der Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin scheint insoweit von dem Bemühen gekennzeichnet zu sein, den maßgeblichen
Sachverhalt auf subtile Art und Weise dem jeweiligen Verfahrensstand und den rechtlichen Erfordernissen anzupassen. Jedenfalls
lässt sich dieser Eindruck nicht vermeiden, denn der Vortrag steht in offenkundigem Widerspruch zu den eigenen Angaben der
Klägerin, ohne hierfür eine Erklärung zu geben. So hat die Klägerin ausweislich der Niederschrift über die nichtöffentliche
Sitzung des SG am 30.11.2011 nochmals persönlich bekundet: "Ich berichte jetzt noch wie die Situation begonnen hat: Dr. B. ist gekommen
und hat geklingelt. Damit wir seine Sachen ins Haus bringen können, habe ich den Türschnapper auf offen gestellt. Ich habe
ihm beim hereintragen geholfen. Er sagte zu mir: "Gehen Sie voran." Und weiter: "den Türschnapper können wir so aber nicht
lassen. Die Tür machen wir zu." Dies hat er dann auch ausgeführt ... Wir haben nie einen Schlüssel in der Haustür stecken,
deswegen konnte ich die Tür auch nicht versperren."
Ausgehend von dem von der Klägerin persönlich bekundeten Geschehensablauf hat am 11.12.2008 ihr damaliger Hausarzt sie nicht
tätlich im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG angegriffen. Die auf die Klägerin gerichtete Einwirkung beruhte ohne dem Einsatz körperlicher Mittel allein auf einer intellektuell
bzw. psychisch vermittelten Täuschung bzw. Beeinträchtigung. Er hat sie während des rund zweistündigen Geschehens lediglich
ein einziges Mal kurz an der Schulter berührt. Er hat, so die Klägerin, "über die Schulter einen Strumpf aus Nylonfasern gezogen,
der etwa 40 cm lang war und an beiden Enden offen" und "diesen Strumpf mit Tesabändern an der Schulter befestigt". Wie die
Klägerin im Rahmen ihrer Zeugenaussage am 16.12.2008 aber selbst weiter bekundete, waren die vermeintlichen Aufnahmen "bis
dahin eigentlich ja noch okay". Auch das Gericht vermag hierin keine entsprechend vorzitierter höchstrichterlicher Rechtsprechung
den tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG prägende körperliche Gewaltanwendung des früheren Hausarztes der Klägerin zu erkennen, ebenso wenig im weiteren Geschehensablauf.
Letztlich hat die Klägerin dies auch mehrfach selbst eingeräumt, zuletzt mit Schriftsatz vom 10.11.2015 in dem sie ausgeführt
hat, sie sei aufgrund der massiven psychischen Einwirkung einer physischen Sperre, sich zu wehren oder davon zu laufen, ausgesetzt
gewesen; dieser Fall der psychischen Gewaltanwendung mit einer vermeintlichen Wahlfreiheit des Opfers liege häufig vor.
Lediglich der Vollständigkeit halber macht das Gericht im Übrigen von der Regelung des § 153 Abs. 2 SGG Gebrauch und verweist insoweit auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.
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