Gründe:
I. In dem vor dem Sozialgericht anhängigen Rechtsstreit ist streitig ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Leistung
des Arzneimittels "Seroquel Prolong".
Mit Schreiben an die Beklagte vom 13. August 2009 teilte der behandelnde Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Notfallmedizin
Dr. W. mit, er beabsichtige die Anwendung des Arzneimittels Seroquel Prolong. Das Arzneimittel sei für die beim Kläger gestellten
Diagnosen "Störungen des Sozialverhaltens", "leichte Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung, die Beobachtung
oder Behandlung erfordert" nicht zugelassen. Die Beklagte beauftragte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenkassen
in Bayern (MDK Bayern) mit einer Begutachtung nach Aktenlage. Im seinem Gutachten vom 2. September 2009 kam der MDK Bayern
zu dem Ergebnis, die Anwendung von Seroquel Prolong stelle bei dem Kläger einen Off-Label-Use dar. Die engen Voraussetzungen
eines Einsatzes auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung seien nicht gegeben. Der MDK Bayern konnte den vorgelegten
Unterlagen insbesondere nicht entnehmen, dass sich die beim Kläger vorliegende Erkrankung durch Schwere oder Seltenheit vom
Durchschnitt der Erkrankungen abhebe. Auch stünden ausreichend alternative Behandlungsmethoden zur Verfügung. In einem mit
"Vorbemerkung" überschriebenen Text des Gutachtens verwies der MDK Bayern darauf, die Ausführlichkeit seiner Begutachtung
sei dadurch limitiert, dass der medizinische Akteninhalt im Gegensatz zu der ausführlichen und differenzierten Fragestellung
der Beklagten "eher marginal" sei. Mit Schreiben an den Kläger vom 8. Oktober 2009 lehnte die Beklagte mit Hinweis auf das
Ergebnis der Begutachtung vom 2. September 2009 den Antrag auf Kostenübernahme für das Arzneimittel Seroquel Prolong ab. Auf
den vom Betreuer des Klägers erhobenen Widerspruch vom 13. Oktober 2009 wurde von der Beklagten eine weitere Stellungnahme
des MDK Bayern in Auftrag gegeben. Neben dem Schriftwechsel zwischen den Beteiligten lag der Begutachtung als weiterer medizinischer
Befund lediglich ein Schreiben von Dr. W. vom 12. Oktober 2009 vor, in dem sich der behandelnde Arzt nochmals ausdrücklich
für den Einsatz des begehrten Medikamentes ausgesprochen und alternative Behandlungsmöglichkeiten ausgeschlossen hatte. In
einem ebenfalls nach Aktenlage erstellten Sozialmedizinischen Gutachten vom 4. Dezember 2009 kam der MDK Bayern zu dem Ergebnis,
der begehrte Off-Label-Use könne nur im Rahmen einer klinischen Studie, keinesfalls im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung
befürwortet werden, da es an ausreichenden Daten aus klinischen Studien fehle. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2010
lehnte die Beklagte erneut die Kostenübernahme für das Arzneimittel Seroquel Prolong ab.
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 11. Februar 2010 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht erhoben und zugleich
die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Zur weiteren Aufklärung des Sacherhalts hat das Sozialgericht die Schwerbehinderten-Akten
des Zentrums Bayern Familie und Soziales beigezogen und Befundberichte von Dr. W. und dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Dr. R. angefordert. Mit Beschluss vom 23. August 2010 hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe
abgelehnt. Das Sozialgericht hat eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage verneint. Bei der Anwendung des Medikaments Seroquel
Prolong handele es sich um keinen durch Gesetzesrecht und untergesetzliche Regelungen gedeckten Off-Label-Use. Die nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erforderlichen Voraussetzungen für einen Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung seien nicht gegeben. Fraglich sei schon das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung. Zudem existierten
alternative Therapiemöglichkeiten. Das Sozialgericht hat insoweit auf die im Gutachten des MDK Bayern vom 2. September 2009
aufgeführten Behandlungsalternativen verwiesen. Zudem fehle es an der dritten Voraussetzung für eine Kostenübernahme bei Off-Label-Use.
Aufgrund der Datenlage bestehe nicht die begründete Aussicht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt
werden könne. Es lägen derzeit keine Forschungsergebnisse vor, die erwarten ließen, dass das begehrte Arzneimittel für die
Behandlung der Krankheit F91.8 (sonstige Störung des Sozialverhaltens) zugelassen werden könne. Auch angesichts der vom Prozessbevollmächtigen
des Klägers vorgelegten Aufsätze und Summaries sei festzustellen, dass die Mindestvoraussetzungen für eine Zulassung für diese
Erkrankung nicht vorliegen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom
6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98) ergebe sich kein anderes Ergebnis. Es bestehe bei dem Kläger keine lebensbedrohliche Erkrankung.
Gegen den am 27. August 2010 beim Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangenen Beschluss hat der Kläger mit Schreiben
seines Prozessbevollmächtigten vom 24. September 2010 (eingegangen am Bayerischen Landessozialgericht am selben Tag) Beschwerde
erhoben.
Der Kläger macht insbesondere geltend, Erfolgsaussichten seien der Klage nicht völlig abzusprechen, wenn Ermittlungen angezeigt
seien. In diesen Fällen müsse Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Das Sozialgericht habe selbst Ermittlungen zur Aufklärung
des Sachverhalts für notwendig gehalten und bereits Befundberichte der behandelnden Ärzte angefordert.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 23. August 2010 aufzuheben und Rechtsanwalt B. für das erstinstanzliche Verfahren
im Rahmen der Prozesskostenhilfe beizuordnen.
Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zu den Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt aller Akten, insbesondere der Akten des Sozialgerichts
und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
II. Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und auch begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts
Augsburg vom 23. August 2010 ist aufzuheben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Prozesskostenhilfe erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der
Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, sofern die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§
73a Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz,
SGG, §
114 Satz 1
Zivilprozessordnung,
ZPO). Erscheint die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich, wird ihm auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter
Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet (§
121 Abs.
2 ZPO).
Bei der Anwendung der Vorschriften der §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 Satz 1
ZPO ist die in Art.
3 Abs.
1 i.V.m. Art.
20 Abs.
3 GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit zu beachten. Diese erfordert eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten
und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Zwar ist es verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich,
die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.
Dagegen darf die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das
summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen
(vgl. BVerfGE 81, 347). Insbesondere läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, wenn der unbemittelten Partei wegen Fehlens der Erfolgsaussichten
ihres Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe verweigert wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und
keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit
zu ihrem Nachteil ausgehen würde (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 1. Senat 2. Kammer vom 29. Oktober 2009,
1 BvR 2237/09, Rz. 5 - zitiert nach juris m.w.N.).
Wie auch im Beschluss des Sozialgerichts vom 23. August 2010 aufgeführt, ist maßgeblich für die Entscheidung des vor dem Sozialgericht
anhängigen Rechtsstreits, ob die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelten Voraussetzungen eines Off-Label-Uses
auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung gegeben sind. Ein Off-Label-Use kommt danach nur in Betracht, wenn es 1. um
die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden)
Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht,
dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vgl. BSG Urteil vom
30. Juni 2009, B 1 KR 5/09 R, Rz. 30- zitiert nach juris m.w.N.). Schon zur Beantwortung der vom Sozialgericht noch offen gelassenen Frage, ob die Lebensqualität
des Klägers aufgrund seiner Erkrankung auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt ist, ist medizinischer Sachverstand erforderlich.
Die gilt umso mehr für die Beurteilung, ob der Kläger mit alternativen Behandlungsmethoden therapiert werden kann. Insbesondere
im Hinblick auf das vom Sozialgericht Augsburg zitierte Gutachten des MDK Bayern vom 2. September 2009 erscheint die Einholung
eines weiteren Sachverständigengutachtens durch das Sozialgericht unverzichtbar. Der MDK Bayern konnte sich bei seiner - nur
nach Aktenlage erfolgten - Begutachtung lediglich auf einen nach eigenen Angaben "eher marginalen" medizinischen Akteninhalt
stützen. Dem zweiten Gutachten des MDK Bayern vom 4. Dezember 2009 lag ein nur unwesentlich umfangreicherer Akteninhalt zugrunde.
Auch hinsichtlich der letzten Voraussetzung eines Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung, einer begründeten
Aussicht, dass mit dem Medikament Seroquel Prolong ein Behandlungserfolg erzielt werden kann, wird ein Arzt gutachtlich gehört
werden müssen. Dabei werden sämtliche einschlägigen Fachveröffentlichungen - auch über die vom Kläger vorgelegten Publikationen
hinaus - zu prüfen sein. Der Ausgang der ärztlichen Begutachtung erscheint offen. Insbesondere liegen keine konkreten und
nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers
ausgehen wird.
Die sich in Rechtsstreitigkeiten über den Off-Label-Use stellenden Fragen sind nicht einfach zu beantworten. Daher erscheint
die Zuziehung eines Rechtsanwalts geboten.
Der Kläger ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung
aufzubringen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nach §
177 SGG unanfechtbar.