Sachlich-rechnerische Berichtigung eines vertragsärztlichen Honorars
Nichterreichen eines Aufgreifkriteriums
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Berichtigung ihres Honorars für die Quartale I/10 bis IV/12.
Die Klägerin ist Fachärztin für Anästhesiologie und nimmt seit 1989 in einer Einzelpraxis an der vertragsärztlichen Versorgung
teil. Im streitigen Zeitraum betrieb sie eine Praxisgemeinschaft mit dem Facharzt für Anästhesiologie Dr. A S in Form der
gemeinsamen Nutzung von Operationsräumen, die sich im ambulanten Operationszentrum am S-G-Krankenhaus befinden.
Die Beklagte unterzog zunächst die Quartale II/10, IV/11, II/12 und IV/12 einer Plausibilitätsprüfung nach §
106a SGB V im Hinblick auf eine gemeinsame Behandlung von Patienten („Patientenidentität“). In einem Schreiben vom 28. Oktober 2013
teilte die Beklagte mit, dass das Auffälligkeitskriterium von 20 Prozent gemeinsamer Patientenbehandlungen bei fachgleichen
Praxen mit Dr. S in diesen Quartalen überschritten sei (identischer Patientenanteil zwischen 25 und 31,25 Prozent).
Hierauf teilte die Klägerin telefonisch mit, sie teile sich die OP-Räume mit Dr. S. Grundsätzlich behandele jeder seine eigenen
Patienten. In Ausnahmefällen könne es aber dazu kommen, dass bei ihren Patienten in ihrer Abwesenheit Vorgespräche oder Narkosen
von Dr. S durchgeführt würden und umgekehrt.
Der Plausibilitätsausschuss der Beklagten gelangte nach stichprobenhafter Analyse von je fünf Doppelbehandlungsfällen je Prüfquartal
zu der Einschätzung, dass eine vertragsarztwidrige gemeinsame Behandlungstätigkeit vorliege. Die gemeinsamen Patienten seien
durch chirurgische Praxen zum Facharzt für Anästhesiologie überwiesen worden. Im Anschluss sei die anästhesiologische Betreuung
durch die Klägerin und Dr. S gemeinsam übernommen worden. In sämtlichen überprüften Behandlungsfällen sei von einer der beiden
Praxen die präanästhesiologische Untersuchung (GOP 05310) und von der anderen die eigentliche Narkose (GOP 31822) durchgeführt und abgerechnet worden. Die tatsächlich geführte Gemeinschaftspraxis sei nach § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV besonders genehmigungsbedürftig. Ohne eine solche Genehmigung hätten die beiden Ärzte ihre Fallzahlen künstlich erhöht und
damit ohne sachlichen Grund eine Steigerung ihrer Honorare herbeigeführt.
Auf dieser Grundlage hob die Beklagte die Honorarbescheide der Klägerin für die genannten vier Quartale mit Bescheid vom 18.
März 2014 teilweise auf, nahm eine sachlich-rechnerische Berichtigung vor und kürzte das Honorar der Klägerin um insgesamt
7.268,89 Euro brutto (7.146,56 Euro netto, Vergütung für die Hälfte der gemeinsamen Patienten zu dem quartalsbezogenen arztindividuellen
Fallwert):
Quartal
|
Abgerechnete Patienten der Klägerin
|
Gemeinsame Patienten mit Dr. S
|
Gemeinsame Patienten in Prozent
|
Hälfte des verbleibenden zu Unrecht behandelten Patientenanteils
|
Quartalsbezogener arztindividueller Fallwert in Euro
|
Rückforderungsbetrag brutto in Euro
|
II/10
|
125
|
35
|
28
|
17
|
185,58
|
3.154,86
|
IV/11
|
96
|
24
|
25
|
12
|
193,30
|
2.319,60
|
II/12
|
48
|
15
|
31,25
|
7
|
200,63
|
1.404,41
|
IV/12
|
14
|
4
|
28,57
|
2
|
195,01
|
390,02
|
|
|
|
|
|
Summe brutto
|
7.268,89
|
Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch führte die Klägerin an, das Aufgreifkriterium von 20 Prozent sei nicht überschritten,
denn zur Berechnung hätte auf die Summe der Patienten beider Praxen abgestellt werden müssen. Hier sei auch zu berücksichtigen,
dass Dr. S weitaus höhere Fallzahlen habe als die Klägerin und bei ihr daher nach der Berechnungsmethode der Beklagten das
Aufgreifkriterium sehr viel früher und schon bei einer relativ geringen Anzahl von Patienten greife. Zudem habe die Beklagte
die Besonderheiten im Facharztbereich der ambulanten Anästhesiologie unbeachtet gelassen. Es gebe hier schon keine festen
Sprechzeiten. Gefragt sei gesteigerte Flexibilität, um kurzfristig auf Anfragen und den Zeitplan eines Operateurs reagieren
zu können. Die Klägerin erbringe auch belegärztliche und ambulante Narkosen an anderen Standorten. Dr. S und sie hätten sich
planmäßig vertreten, um den spezifischen Abläufen gerecht zu werden. Es greife der Tatbestand der Vertretung aus § 32 Ärzte-ZV. Schließlich sei auch grobe Fahrlässigkeit nicht zu erkennen, zumal es nur um wenige Behandlungsfälle pro Quartal gehe und
ein planmäßiger Gestaltungsmissbrauch nicht zu erkennen sei. Die Rückforderungssumme sei ermessensfehlerhaft zu hoch festgesetzt
worden.
Das Ergebnis der Plausibilitätsprüfung der Quartale II/10, IV/11, II/12 und IV/12 nahm die Beklagte zum Anlass, die (übrigen)
Quartale von III/09 bis III/12 einer Abrechnungsprüfung zu unterziehen (Schreiben vom 23. Februar 2014, VV Bl. 503A); es bestehe
ein aufklärungsbedürftiger Hinweis auf fehlerhafte Abrechnungen. Auf das Vorliegen von den für eine Plausibilitätsprüfung
maßgeblichen Aufgreifkriterien komme es insoweit nicht an.
Mit Bescheid vom 14. Juli 2014 verfügte die Beklagte eine Honorarkürzung um insgesamt 16.380,64 Euro brutto (16.105,96 Euro
netto). Eine stichprobenhafte und zufallsgesteuerte Überprüfung gemeinsam mit Dr. S behandelter Patienten, deren Versichertennummern
im Einzelnen aufgeführt werden, habe ergeben, dass stets nach dem gleichen Muster behandelt worden sei. Auch hier sei durchweg
von einer der beiden Praxen die präanästhesiologische Untersuchung (GOP 05310) und von der anderen die eigentliche Narkose (GOP 31822) durchgeführt und abgerechnet worden. Damit seien einzelne Patienten im Rahmen eines operativen Eingriffs wechselseitig
behandelt worden. Vertreterscheine seien nicht abgerechnet worden, so dass dieses Argument der Klägerin ins Leere gehe. Es
sei wie in einer Berufsausübungsgemeinschaft agiert worden. Da auch hier Anhaltspunkte für eine einzelfallbezogene Honorarschätzung
fehlten und die einzelnen Patienten nicht eindeutig einer Praxis zuordenbar seien, orientiere sich die Rückforderung auch
hier an der Vergütung für die Hälfte der gemeinsamen Patienten zu dem quartalsbezogenen arztindividuellen Fallwert.
Im Einzelnen lagen dieser Honorarkürzung folgende Werte zugrunde:
Quartal
|
Gemeinsame Patienten mit Dr. S
|
Hälfte des verbleibenden zu Unrecht behandelten Patientenanteils
|
Quartalsbezogener arztindividueller Fallwert in Euro
|
Rückforderungsbetrag brutto in Euro
|
III/09
|
7
|
3
|
228,91
|
686,73
|
IV/09
|
15
|
7
|
213,19
|
1.492,33
|
I/10
|
25
|
12
|
227,78
|
2.733,36
|
III/10
|
29
|
14
|
171,22
|
2.397,08
|
IV/10
|
16
|
8
|
196,94
|
1.575,52
|
I/11
|
20
|
10
|
177,21
|
1.772,10
|
II/11
|
12
|
6
|
216,96
|
1.301,76
|
III/11
|
13
|
6
|
214,87
|
1.289,22
|
I/12
|
18
|
9
|
206,18
|
1.855,62
|
III/12
|
13
|
6
|
212,82
|
1.276,92
|
|
Summe: 168
|
|
Summe brutto
|
16.380,64
|
|
|
|
Summe netto
|
16.105,96
|
Zur Begründung ihres auch hiergegen eingelegten Widerspruchs führte die Klägerin an: Ein Wert von mindestens 20 Prozent Patientenidentität
sei in diesen Quartalen nicht erreicht. Abrechnungsfehler seien nicht ersichtlich. Patientenidentitäten seien durch Vertretungen
oder Notfälle gerechtfertigt. Eine kurzfristige Vertretung sei nicht anzeige- oder dokumentationspflichtig. Die Honorarkürzungen
seien zu hoch veranschlagt. Auch hier sei der Kürzungsmodus ermessensfehlerhaft. Einer Kürzung hätten höchstens die doppelt
abgerechnete Ordinations- bzw. Konsultationsgebühr unterzogen werden dürfen, woraus eine weitaus niedrigere Rückforderung
resultiere. Die GOP 05310 und 31822 seien nicht doppelt abgerechnet worden. Sachlich-rechnerische Berichtigung dürfe keinen Sanktionscharakter
annehmen.
Die Widersprüche wies die Beklagte durch einheitlichen Widerspruchsbescheid vom 14. April 2015 zurück. Gegeben sei ein Gestaltungsmissbrauch
der Kooperationsform „Praxisgemeinschaft“ mit Dr. S. Für die Quartale II/10, IV/11, II/12 und IV/12 folge dies aus dem Anteil
der gemeinsam behandelten Patienten, der zwischen 25 Prozent und 31,25 Prozent liege. Die Überprüfung exemplarischer Einzelfälle
habe dies bestätigt. Die im Bescheid vom 14. Juli 2014 durchgeführte Abrechnungsprüfung sei unabhängig von den Erfordernissen
einer Plausibilitätsprüfung. Die detaillierte Prüfung der übrigen Quartale III/09 bis III/12 belege die Verletzung vertragsärztlicher
Pflichten in nahezu allen 168 Doppelbehandlungsfällen. Die Klägerin habe ihre vertragsärztliche Tätigkeit unzulässig gemeinsam
mit der Praxis Dr. S ausgeübt. Es sei immer nach dem gleichen System behandelt worden. In der Regel habe ein Praxisgemeinschaftspartner
die präanästhesiologische Untersuchung (Ziffer 05310 EBM) vorgenommen und der andere habe die Narkose durchgeführt und abgerechnet,
ohne dass hierfür eine Notwendigkeit bestanden habe. Notfall- oder Vertreterscheine seien nicht ausgefüllt worden. Zudem seien
an den entsprechenden Tagen stets beide Ärzte tätig gewesen, weshalb eine Vertretung unzulässig sei. Eine erneute Durchsicht
und Analyse aller gemeinsamen Behandlungsfälle bestätige dies:
- Bei 117 gemeinsamen Patienten hätten beide Anästhesisten die Versorgung gemeinschaftlich übernommen, indem der eine die
Voruntersuchung und der andere die Narkose erbracht habe. In zwei Fällen sei dies sogar am gleichen Tag erfolgt.
- Für insgesamt 96 Patienten sei anhand der Tagesprofile nachgewiesen, dass durch die Präsenz beider Anästhesisten die Versorgung
auch von demjenigen, der die Behandlung begonnen habe, hätte fortgesetzt werden können. Für die übrigen 23 Patienten liege
kein Nachweis vor, der die wechselseitige Behandlung rechtfertige.
- In 36 Fällen stehe fest, dass beide Anästhesisten am gleichen Tag und in zwölf Fällen an unterschiedlichen Tagen für denselben
Patienten vorbereitend für nur einen operativen Eingriff jeweils die präanästhesiologische Untersuchung abgerechnet hätten.
Diese Doppelabrechnung der GOP 05310 verstoße gegen den EBM, die Abrechnung dieser GOP dürfe nur einmal im Behandlungsfall erfolgen. Hieraus werde auch die gezielte Fallzahlvermehrung deutlich.
- Lediglich in einem Fall des Quartals III/10 habe sich eine ordnungsgemäße Doppelbehandlung gezeigt.
Auf die Darstellung Bl. 14 bis 22 des Widerspruchsbescheides sowie Bl. 556A bis 558A des Verwaltungsvorgangs wird insoweit
Bezug genommen.
Anders als die Klägerin meine, sei die Nutzung von Vertreterscheinen im Falle einer Vertretung aufgrund der Regelungen im
BMV-Ä in Verbindung mit der Vordruckvereinbarung zwingend. Im Gesamtbild hätten die Klägerin und Dr. S die Behandlung von Patienten
arbeitsteilig und abwechselnd übernommen, wie dies nur in einer Berufsausübungsgemeinschaft, nicht aber in einer Praxisgemeinschaft
zulässig sei. Die konkrete Praxisgestaltung habe die gemeinsame Behandlung von Patienten planmäßig und unausweichlich gemacht.
Faktisch habe man ohne Erlaubnis eine Berufsausübungsgemeinschaft betrieben. Auf diese Weise habe sich die Klägerin ihr nicht
zustehendes Honorar verschafft. Die behaupteten Besonderheiten der ambulanten Anästhesie fielen allein in den Verantwortungsbereich
der beteiligten Ärzte. Weil die Patienten keiner Praxis klar zuordenbar seien, sei der Rückforderungsbetrag für alle Quartale
so bemessen worden, dass, orientiert am quartalsbezogenen arztindividuellen Fallwert, die Vergütung für die Hälfte der gemeinsam
behandelten Patienten geltend gemacht werde. Diese Kürzungsmethode sei auch gerichtlich unbeanstandet geblieben (Hinweis auf
S 79 KA 497/09). Die vorzunehmende Kürzung müsse sich nicht an dem orientieren, was den Vertragsärzten im Falle einer genehmigten Berufsausübungsgemeinschaft
an Honorar zustehe. Eine solche hypothetische Sichtweise sei nicht anzulegen, weil ansonsten vertragsarztwidriges Verhalten
im Ergebnis wirtschaftlich gebilligt würde.
Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren vertieft.
Am 6. Februar 2019 hat die Beklagte die Honorarkürzung wegen Überschreitung der vierjährigen Frist zur Honorarkorrektur aufgehoben,
soweit es die Quartale III/09 und IV/09 betrifft (686,73 bzw. 1.492,33 Euro, zusammen 2.179,06 Euro brutto, abzüglich 1,4
Prozent Verwaltungsgebühr = 2.148,55 Euro netto).
Mit Urteil vom 6. Februar 2019 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht im
Wesentlichen ausgeführt: Rechtsgrundlage für die Teilaufhebung und Berichtigung der Honorarbescheide aller noch streitigen
Quartale sei §
106a Abs.
2 Satz 1
SGB V in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung. Einziges Tatbestandsmerkmal der sachlich-rechnerischen Richtigstellung
sei die Rechtswidrigkeit von Honorarabrechnung bzw. Honorarbescheid. Zu Recht gehe die Beklagte von einer missbräuchlichen
Nutzung der Kooperationsform Praxisgemeinschaft aus. Maßgeblich seien die auf der Grundlage von §
106a Abs.
6 SGB V a.F. erlassenen Richtlinien der KBV und des GKV-Spitzenverbandes zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen
der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen. Nach deren § 11 Abs. 2 sei eine Abrechnungsauffälligkeit zu vermuten,
wenn eine Patientenidentität von mehr als 20 Prozent bei versorgungsbereichsidentischen Vertragsarztpraxen vorliege. Deses
Aufgreifkriterium sei in den vier Quartalen II/10, IV/11, II/12 und IV/12 unproblematisch erfüllt. Die Ermittlung der zwischen
25 und 31,25 liegenden Prozentsätze sei rechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere habe allein auf die Fallzahlen der Klägerin
und die darin enthaltenen gemeinsamen Patienten abgestellt werden dürfen. Die von der Beklagten vorgenommene stichprobenhafte
Überprüfung von fünf gemeinsam behandelten Patienten pro Quartal habe die Vorwürfe untermauert. Die Honorarberichtigung habe
auf dieser Grundlage ohne Weiteres erfolgen dürfen, auf Verschulden der Klägerin komme es nicht an. Weiter sei die Beklagte
aus gegebenem Anlass befugt gewesen, auch das Honorar der übrigen Quartale im Zeitraum I/10 bis III/12 zu berichtigen, selbst
wenn hier keine Patientenidentität von mindestens 20 Prozent habe festgestellt werden können. Hier habe die Beklagte nicht
nur stichprobenartig geprüft, sondern alle 168 gemeinsamen Behandlungsfälle untersucht. Aus der vollständigen Analyse des
Abrechnungsverhaltens ergebe sich, dass eine Praxisorganisation an den Tag gelegt worden sei, wie sie für eine Berufsausübungsgemeinschaft
kennzeichnend sei. Regelhaft habe man gegenseitig für die Versorgung der Patienten des jeweils anderen zur Verfügung gestanden.
Sofern die Klägerin Besonderheiten des anästhesiologischen Fachgebiets geltend mache, könne sie dem durch die Bildung einer
Berufsausübungsgemeinschaft Rechnung tragen. Im Ergebnis habe die Klägerin in den Quartalen I/10, III/10 bis III/11, I/12
und III/12 in 167 Fällen gegen das Gebot der peinlich genauen Abrechnung verstoßen, was im Widerspruchsbescheid ins Einzelne
gehend nachgewiesen worden sei. Sofern die Klägerin meine, es habe sich bei den gemeinsamen Behandlungsfällen um unzulässige
Vertretungen gehandelt, gehe dies fehl. Denn eine berechtigte Vertretung bzw. eine Notfallbehandlung seien nicht nachgewiesen.
Bloße „kollegiale Vertretung“, wie sie in einer Berufsausübungsgemeinschaft typisch sei, sei nicht aus den gemeinsamen Behandlungsfällen
der Praxisgemeinschaft herauszurechnen. In Bezug auf die unrichtigen Abrechnungs-Sammelerklärungen für die Quartale I/10,
III/10 bis III/11, I/12 sei der Klägerin auch grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen. Bereits die Anzahl der Pflichtverstöße
spreche gegen ein schlichtes Versehen. Ihr Schätzungsermessen schließlich habe die Beklagte beanstandungsfrei ausgeübt.
Gegen das ihr am 25. Februar 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. März 2019 Berufung eingelegt. Sie vertieft ihr
Vorbringen aus Verwaltungs- und Klageverfahren und führt ergänzend an: Ein „Gestaltungsmissbrauch“ liege nicht vor, denn in
keinem Quartal gebe es eine relevante Auffälligkeit. Das Berechnungsmodell der Beklagten sei nicht tragfähig. Es sei nicht
angezeigt, der Klägerin die eigenen Patienten zur Last zu legen, wenn ein anderer verfügbarer Arzt die Vertretung übernehme.
Zudem habe die Beklagte die Klägerin und Dr. S nur in unterschiedlichem Maße zur Rechenschaft gezogen. Die erforderliche Einzelfallprüfung
habe die Beklagte in den Quartalen I/10, III/10 bis III/11, I/12 nicht vorgenommen. In unauffälligen Quartalen dürfe der Klägerin
keine Darlegungslast aufgebürdet werden. Kurzfristige Vertretungen seien durchweg aufgrund von Terminverschiebungen bei den
Operateuren erfolgt. Hierin liege ein Behandlerwechsel aus wichtigem Grund im Sinne von §
76 Abs.
3 SGB V. Von grober Fahrlässigkeit könne nicht die Rede sein. Teilweise lägen nur denkbar wenige doppelte Behandlungsfälle vor. Schließlich
begegne auch die vorgenommene Honorarschätzung rechtlichen Bedenken, soweit die Quartale betroffen seien, in denen das Aufgreifkriterium
nicht erfüllt sei. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Narkoseleistungen nie doppelt abgerechnet worden seien. Es ergebe
sich eine maximale Schadenssumme von 3.238,44 Euro.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Februar 2019 sowie die Bescheide der Beklagten vom 18. März 2014 und 14. Juli
2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2015, dieser in der Fassung des Bescheides vom 6. Februar 2019,
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Klägerin habe den Regularien zuwider gehandelt, die sich aus
dem Vorliegen einer Praxisgemeinschaft ergäben, indem sie mit Dr. S eine abwechselnde Behandlung identischer Patienten praktiziert
habe. In der unzulässigen Aufspaltung einzelner Behandlungsfälle liege keine reguläre Vertretung. Eine Stichprobenprüfung
sei nur in den „auffälligen“ Quartalen erfolgt; in den acht übrigen Quartalen seien dagegen alle 168 gemeinsamen Patienten
überprüft worden. Hierin liege auch nicht nur eine „elektronische Auflistung“ der Patienten, sondern eine Beschreibung der
jeweiligen Fallkomplexe, wobei teilweise sogar Tagesprofile der beiden Ärzte betrachtet worden seien.
Für den Vertragsarzt Dr. S hat die Beklagte das Honorar der Quartale I/12 und II/12 einer sachlich-rechnerischen Berichtigung
unterzogen, begründet ebenfalls mit einem Missbrauch der Kooperationsform Praxisgemeinschaft. Die hiergegen erhobene Klage
hatte keinen Erfolg (rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. November 2018, S 83 KA 1034/16).
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs
der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat aber keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen
die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Wegen der Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen
Entscheidung (§
153 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Zu ergänzen bleibt:
1. Die im Zuge der Plausibilitätsprüfung für die Quartale II/10, IV/11, II/12 und IV/12 erhobene Honorarrückforderung in Höhe
von 7.268,89 Euro brutto bzw. 7.146,56 Euro netto ist zur Überzeugung des Senats rechtlich beanstandungsfrei. Die Klägerin
hat für diese Quartale das Aufgreifkriterium aus § 11 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinien der KBV und der Spitzenverbände der
Krankenkassen zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KV'en und der Krankenkassen (Abrechnungsprüfungsrichtlinie,
ARL) erfüllt. Auch der Senat ist von einem Missbrauch der Kooperationsform „Praxisgemeinschaft“ überzeugt. Das Sozialgericht
hat zutreffend dargestellt, dass die Beklagte insoweit von korrekten Voraussetzungen ausgegangen ist, insbesondere an die
Fallzahlen allein der Praxis der Klägerin anzuknüpfen war, dass es auf Verschulden nicht ankommt und dass die Höhe der Honorarrückforderung
im Wege der Schätzung ermittelt werden durfte. Dem ist nichts hinzuzufügen.
2. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage auch abgewiesen, soweit es die für die acht Quartale I/10, III/10 bis III/11,
I/12 und III/12 durchgeführte Abrechnungsprüfung und die darauf entfallende Honorarrückforderung in Höhe von 14.201,58 Euro
brutto bzw. 13.957,41 Euro netto betrifft. Zwar handelt es sich insoweit nicht um eine Plausibilitätsprüfung nach § 11 ARL
und das dort definierte Aufgreifkriterium von 20 Prozent Patientenidentität ist jeweils nicht erfüllt.
Allerdings kann die Klägerin nicht beanspruchen, ohne jegliche Beanstandung gemeinsam mit dem Praxisgemeinschaftspartner Patienten
zu behandeln, so lange das Aufgreifkriterium nicht erreicht ist (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom
25. Januar 2017, L 3 KA 16/14, zitiert nach juris, dort Rdnr. 28). Auf das Erreichen eines bestimmten prozentualen Anteils identischer Patienten kommt
es nicht an, wenn im Einzelfall – wie hier – nach Art einer Berufsausübungsgemeinschaft agiert wurde und nur nach außen hin
der Eindruck erweckt wurde, es handele sich um eine Praxisgemeinschaft. Über § 11 Abs. 2 ARL soll nicht geregelt werden, dass
der Vorwurf des Missbrauchs der Kooperationsform bis zu einer Patientenidentität von 19,99 % überhaupt nicht greifen kann.
Es handelt sich um ein Aufgreifkriterium und nicht ein Ausschlusskriterium für jegliche Beanstandung. Zutreffend verweist
die Beklagte darauf, dass auch dann eine Abrechnungsprüfung durchzuführen ist, wenn konkrete Hinweise und Verdachtsmomente
vorliegen. Die ARL nach §
106a Abs.
6 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung vom 1. Juli 2008 macht zunächst deutlich, dass die Abrechnungsprüfung die rechtlich ordnungsgemäße
Leistungserbringung und die formal richtige Abrechnung der Leistungen umfasst und bei den KV'en im Verfahren der sachlich-rechnerischen
Richtigstellung durchgeführt wird. Bestandteil dieser Prüfung ist die Plausibilitätsprüfung (vgl. § 3 ARL). Diese kann, wie
aus § 7 ARL hervorgeht, regelhaft, stichprobenhaft oder anlassbezogen durchgeführt werden. Dabei ist im Fall der Plausibilitätsprüfung
der Anlass nicht auf die in § 11 Abs. 2 ARL genannten Grenzwerte beschränkt. Vielmehr ergibt sich aus § 20 Abs. 1 ARL, dass
außerhalb der regulären Prüfungen eine Abrechnung in der vertragsärztlichen Versorgung geprüft wird, wenn ausreichende und
konkrete Hinweise auf Abrechnungsauffälligkeiten bestehen.
Vorliegend hat die Beklagte darin, dass die Klägerin in den „Nachbarquartalen“ II/10, IV/11, II/12 und IV/12 den Grenzwert
der gemeinsamen Patienten nach § 11 Abs. 2 ARL überschritten hatte, einen Verdachtsmoment dafür gesehen, dass auch in den
Quartalen I/10, III/10 bis III/11, I/12 und III/12 ein Missbrauch der Kooperationsform gegeben sein könnte. Dies ist nicht
zu beanstanden, vielmehr eine sehr naheliegende Schlussfolgerung.
Die Beklagte hat sich in diesem Zusammenhang nicht auf eine Stichprobenprüfung beschränkt, sondern nach Art einer umfassenden
Abrechnungsprüfung jeden einzelnen der 168 Fälle, bei dem sowohl die Klägerin als auch der Arzt Dr. S Leistungen abgerechnet
hatten, geprüft. Hierin liegt der Unterschied zu einer Plausibilitätsprüfung, die aufgrund des Überschreitens der Grenzwerte
nach § 11 Abs. 2 ARL erfolgt. Während dort durch das Überschreiten der Grenzwerte der Anschein des Missbrauchs der Kooperationsform
gesetzt ist und die Beklagte die Möglichkeit hat, diesen durch Stichproben zu überprüfen (vgl. § 11 Abs. 1 S. 2 ARL), sind
bloße Stichprobenprüfungen bei einer anlassbezogenen Prüfung nach § 20 ARL nicht möglich. Dieses Erfordernis beruht auf dem
Umstand, dass die Beweislast für eine Falschabrechnung bei der anlassbezogenen Prüfung nach § 20 ARL hinsichtlich jedes einzelnen
Falles bei der Beklagten liegt. Liegt der Anteil der gemeinsamen Patienten unter dem Aufgreifkriterium, kann allein aus der
Anzahl der gemeinsamen Patienten nicht auf die Missbräuchlichkeit der Kooperationsform geschlossen werden. Vielmehr muss die
Beklagte für jeden Fall eine nicht gerechtfertigte Behandlung durch beide Ärzte nachweisen. Ist dies erfolgt, kann auch bei
einer unter dem Aufgreifkriterium liegenden Anzahl gemeinsamer Patienten ein Missbrauch der Kooperationsform vorliegen.
Dies ist hier zur Überzeugung auch des Senats der Fall. Die Beklagte hat im Widerspruchsverfahren sorgfältig herausgearbeitet
und damit nachgewiesen, dass, verteilt über alle acht streitigen Quartale und ausgehend von 168 gemeinsam behandelten und
durch die Versicherungsnummer identifizierten Patienten, folgendes Zusammenwirken zu beobachten ist: Bei 117 konkret bezeichneten
Patienten hat der eine Arzt die Voruntersuchung durchgeführt und der andere die Narkose erbracht, in zwei Fällen sogar am
gleichen Tag. Für 96 konkret bezeichnete Patienten ist anhand einer Analyse der Tagesprofile nachgewiesen, dass durch die
Präsenz beider Anästhesisten die Versorgung auch von demjenigen, der die Behandlung begonnen hatte, hätte fortgesetzt werden
können. In 36 einzeln benannten Fällen ist belegt, dass beide Anästhesisten am gleichen Tag und in zwölf Fällen an unterschiedlichen
Tagen für denselben Patienten vorbereitend für nur einen einzigen operativen Eingriff EBM-widrig jeweils die präanästhesiologische
Untersuchung abgerechnet haben. Lediglich in einem konkret benannten Fall des Quartals III/10 (Vers.-Nr. 3114257894) hat sich
eine ordnungsgemäße Doppelbehandlung gezeigt, die sich auf zwei unterschiedliche Operationen bezog.
Das wird letztlich auch von der Klägerin nicht bestritten. Sie ist vielmehr der Auffassung, dass es sich um rechtmäßige Vertretungen
gehandelt habe und sich die gemeinsame Behandlung der Patienten aus den Besonderheiten des Fachbereichs der Anästhesiologie
rechtfertige. Beiden Einwendungen ist nicht zu folgen.
Die Klägerin hat in keinem Fall einen rechtmäßigen bzw. beachtenswerten Vertretungsgrund dargelegt; praktiziert wurde vielmehr
eine Art kollegialer Vertretung auf Zuruf und nach den täglichen Notwendigkeiten, wie sie nur in einer Berufsausübungsgemeinschaft
üblich und unproblematisch wäre.Die praktizierte Form der Vertretung ist keine solche im Sinne eines „Praxisvertreters“ nach
§ 32 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV, der in der Praxis des Vertretenen für diesen die Patienten behandelt. Zutreffend geht die Beklagte davon aus, dass ein Vertretungsfall
nur dann angenommen werden kann, wenn der Vertragsarzt aus einem besonderen Grund „an der Ausübung seiner Praxis verhindert“
ist, d.h. nicht nur stundenweise abwesend ist und die Praxis insgesamt geschlossen bleibt. Bislang hat das Bundessozialgericht
auch immer deutlich gemacht, dass eine Vertretung nur bei Vorliegen der in § 32 Abs. 1 S. 2 und 3 Ärzte-ZV genannten Gründe (Urlaub, Krankheit, Fortbildung, Wehrübung und Schwangerschaft) in Betracht kommt (Urteil vom 14. Dezember
2011, B 6 KA 31/10 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 30). Zwar hat das Bundessozialgericht später – ohne dass es für den dortigen Fall relevant
war – angemerkt, dass außerhalb von § 32 Ärzte-ZV als rechtfertigende Gründe etwa gerichtliche Zeugenvorladungen und Hausbesuche in Betracht kämen (Urteil vom 30. November
2016, B 6 KA 38/15 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 33), was auch für die Möglichkeit einer stundenweisen Vertretung spricht. Insgesamt soll
die Vertretung aber nur für die Fallkonstellationen greifen, in denen der Vertragsarzt nicht in der Lage ist, selbst (vertrags)ärztlich
tätig zu werden. Eine Praxisgemeinschaft kann nicht unter Hinweis auf die generelle Vertretungsbefugnis wie eine Berufsausübungsgemeinschaft
geführt werden; die Vertragsärztin hat in dem Umfang Sprechstundenzeiten anzubieten, in denen sie ihre Patienten das gesamte
Quartal hindurch behandeln kann und diese nicht gehalten sind, einen „Vertreter“ aufzusuchen Insofern ist es die klare Aufgabe
des Arztes, nicht nur auf die bestehende Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinzuweisen (vgl. u.a. Bundessozialgericht,
Urteil vom 22. März 2006, B 6 KA 76/04 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 19) sondern gegebenenfalls auch die Behandlung des Patienten – abgesehen von Notfällen –
abzulehnen und auf die bereits begonnene Behandlung durch den Praxisgemeinschaftspartner hinzuweisen und sich im Falle einer
Vertretungsbehandlung auf die notwendige, d.h. keinen Aufschub zulassende Behandlung zu beschränken. Die Klägerin hat in keinem
konkret benannten Fall geltend gemacht, dass ein Fall einer Erkrankung o.ä. vorlag, so dass ihr Vorbringen zu Dr. S „Vertreter“
insgesamt ins Leere geht.
Auch die Besonderheit der Praxisausrichtung als ambulant tätige Anästhesistin rechtfertigt das Abrechnungsgebaren der Klägerin
nicht. Sie folgert aus dem Mangel an festen Sprechstundenzeiten und der Flexibilität, die sie gewährleisten müsse, dass für
sie weder die allgemeinen Regeln der Vertretung gelten, noch dass der Wechsel des Arztes nur aus wichtigen Grund möglich ist
(§
76 Abs.
3 S. 1
SGB V). Zwar ist es richtig, dass Anästhesisten nicht die gleichen Sprechstundenzeiten anbieten müssen wie andere Vertragsärzte
(§ 17 Abs. 1b Bundesmantelvertrag-Ärzte; BMV-Ä). Dass sich daraus aber auch eine Abweichung hinsichtlich der Vertretungsregelungen ergeben soll, ist nicht ersichtlich.
In § 32 Ärzte-ZV ist dies zumindest nicht vorgesehen. Dabei ist zu beachten, dass § 32 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV schon eine Ausnahme vom Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung darstellt. Auch das Wechseln des Arztes soll innerhalb
eines Kalendervierteljahres nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes erfolgen. Ein solcher Grund kann etwa vorliegen, wenn
dem Versicherten eine weitere Behandlung nicht mehr zumutbar ist, weil etwa das Vertrauensverhältnis zu dem behandelnden Arzt
objektiv zerstört. Dies war vorliegend ersichtlich nicht der Fall. Es ist nicht zu übersehen, dass die Situation der niedergelassenen
Anästhesistin, die nahezu ausschließlich anästhesiologische Leistungen erbringt, Besonderheiten aufweist: Langjährige Kooperationen
mit Operateuren können nur dann aufrechterhalten werden, wenn auch kurzfristig Narkoseleistungen übernommen werden können.
Die Arzt-Patientenbindung ist zudem weitaus lockerer als beispielsweise zwischen einem Patienten und seinem Hausarzt. Der
Anästhesist ist vielfach den zeitlichen Vorgaben des Operateurs unterworfen. All dies führt dazu, dass anberaumte Termine
mit den Patienten oftmals kurzfristig nicht eingehalten werden können. Eine Kooperation mit einem anderen Anästhesisten, der
in diesen Situationen auch kurzfristig einspringen und die jeweiligen Behandlungen übernehmen kann, ist sinnvoll und durchaus
im Interesse der Patienten. Anders als die Klägerin meint, steht für ein solches kurzfristiges Einspringen außerhalb der Vertretungsgründe
nach § 32 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV aber gerade nicht die Organisationsform der Praxisgemeinschaft zur Verfügung. Denn die von der Klägerin praktizierte Vertretungsform
entspricht, wie dargestellt, nicht den vertragsärztlichen Vorgaben. Die Konsequenz hieraus ist nicht, dass hinsichtlich der
von der Klägerin gewählten Form der Berufsausübung Sonderregeln greifen müssen. Vielmehr muss sie sich die zulässige Kooperationsform
suchen, die auf ihre Praxisausrichtung passt. Hier kommt eine Berufsausübungsgemeinschaft (§ 33 Abs. 2 Ärzte-ZV) in Betracht. Im Rahmen dieser Kooperationsform erfolgt die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit gemeinsam und eröffnet
den Ärzten genau die Flexibilität, die die Klägerin benötigt.
Der Senat hat keinen Zweifel, dass der Klägerin in Zusammenhang mit ihrem systematischen Abrechnungsgebaren, das sie über
Jahre hinweg unter dem Mantel der Praxisgemeinschaft an den Tag legte, grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist, denn sie
hat die im von einer Vertragsärztin zu erwartende Sorgfalt in besonderes schwerem Maße verletzt.
Danach ist auch der von der Beklagten festgesetzte Rückforderungsbetrag nicht zu beanstanden. Angesichts der Verstöße gegen
die Regeln des Vertragsarztrechts konnte die Beklagte eine Honorarberichtigung im Wege der Schätzung vornehmen (Bundessozialgericht,
Urteil vom 23. Juni 2010, B 6 KA 7/09 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 69). Dabei differenziert das Bundessozialgericht zwischen den Fällen der grob fahrlässig
unrichtig abgegebenen Abrechnungs-Sammelerklärung und den Fällen einer nur pro forma bestehenden Kooperationsform; beide Konstellationen
gestatten die Schätzung (Urteil vom 19. August 2015, B 6 KA 36/14 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 36). Zuletzt hat das Bundessozialgericht in einem Beschluss vom 25. November 2020 (B 6 KA 6/20 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16) betont: „Jedenfalls aber ist es in der Rechtsprechung des Senats geklärt und deshalb
nicht mehr klärungsbedürftig, dass in Fällen der Abrechnung nicht erbrachter Leistungen und einer grob fahrlässig falschen
Abrechnungs-Sammelerklärung die KÄV zur umfassenden Berichtigung und Schätzung des dem Leistungserbringer überhaupt noch zustehenden
Honorars berechtigt ist.“ Bei der gegebenen Sachlage hatte die Beklagte auch, wie ihr Sitzungsvertreter in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat nachvollziehbar erklärt hat, gar keine andere konkrete Möglichkeit der Honorarkürzung als diejenige
der Schätzung, denn es ist im Verhältnis der Klägerin zu Dr. S gerade nicht ermittelbar, wer welche Leistungen im Einzelnen
erbracht hat; die vorgenommene Schätzungs- bzw. Kürzungsmethode erscheint daher sogar überaus sachgerecht:
In schlüssiger Weise hat die Beklagte nämlich den gemeinsamen Patientenanteil, für den die Doppelbehandlung zu beanstanden
war, zu dem quartalsbezogenen arztindividuellen Fallwert gekürzt. Dabei hat sie jeweils nur die Hälfte der gemeinsamen Fälle
zugrunde gelegt. Die Beklagte war nicht verpflichtet, der Klägerin die konkrete Vergütung zu belassen, die sie im Fall des
Tätigwerdens in einer Berufsausübungsgemeinschaft erreicht hätte. Auch ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte
den arztindividuellen Fallwert zugrunde legt. Die Klägerin verkennt, dass es ihr durch den Missbrauch der Kooperationsform
– neben der Abrechnung der konkreten Leistungen – möglich war, eine Fallzahl zu erreichen, die sie beim ordnungsgemäßen Führen
der Praxisgemeinschaft nicht erlangt hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197 a SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 VwGO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, §
160 Abs.
2 SGG.