Voraussetzungen der Anerkennung einer geltend gemachten Erkrankung als sog. Wie-Berufskrankheit
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung einer Hirnerkrankung und einer Polyneuropathie als Berufskrankheit (BK) nach Ziffer 4106
der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) bzw. die Anerkennung als Wie-Berufskrankheit (Wie-BK).
Der Kläger ist 1956 geboren und war bei der T. vom 1. Oktober 1987 bis zum 31. August 1997 als promovierter Chemiker und vom
1. September 1997 bis 31. August 2007 als Laborleiter beschäftigt. Vom 1. September 2007 bis zu seinem Ausscheiden am 31.
Juli 2015 (bezahlt freigestellt ab Mitte 2013) war der Kläger zuständig für IP-Recherche und Analyse.
Anfang November 2015 teilten die behandelnden Ärzte des Klägers der Beklagten mit, dass der Kläger als promovierter Chemiker
mehr als 20 Jahren chemisch/toxischen Belastungen bei der T. während seiner beruflichen Tätigkeit ausgesetzt gewesen sei,
sich in einem schlechten Gesundheitszustand befinde und er dies auf die Exposition am Arbeitsplatz zurückführe.
Die Beklagte nahm daraufhin Ermittlungen zum Vorliegen einer BK auf, in deren Verlauf u.a. ein Befundbericht der Segeberger
Kliniken von Dezember 2009 vorgelegt wurde, nach welchem bei dem Kläger ein progredientes cerebelläres Syndrom bei bildmorphologischem
Verdacht auf eine Amyloidangiopathie vorliege und der Kläger sich im Oktober 2009 wegen einer deutlich progredienten Gang-
und Standunsicherheit vorgestellt habe. Das Vorerkrankungsverzeichnis ergab eine Arbeitsunfähigkeit von 7 Tagen im Jahre 2007
wegen einer Rechtsherzinsuffizienz, von rund drei Wochen Anfang 2008 wegen einer Wundrose und ab 9. Oktober 2009 bis 28. Februar
2011 wegen Zentraler Amyloidangiopathie.
Die Beklagte holte Auskünfte zur Arbeitsanamnese vom Arbeitgeber des Klägers ein und veranlasste im Januar 2017 eine Besprechung
vor Ort beim Arbeitgeber in Anwesenheit des Klägers. Im Bericht des Präventionszentrums vom 3. Februar 2017 heißt es zusammenfassend:
„Da der Versicherte überwiegend im Laborbereich und dort in leitender Position arbeitete, ist zwar ein Umgang mit den genannten
Lösungsmitteln [vorrangig Aceton, Siedegrenzenbenzin, Isopropanol, seltener Toluol, Ester, keine Aromaten] nicht auszuschließen.
Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass im Laborbereich, in dem selbst eine technische Lüftung vorhanden ist, lediglich
mit kleinen Mengen unter dem Abzug umgegangen wird. Ein gelegentlicher Hautkontakt lässt sich retrospektiv nicht ausschließen,
zumal der Versicherte angab, in den ersten Jahren seiner Beschäftigung selten Schutzhandschuhe getragen zu haben. Die Tätigkeit
im Chemielabor beim Mitgliedsunternehmen lässt sich jedoch in keiner Weise vergleichen mit jenen besonderen Risikoberufen,
die für die BK-Nr. 1317 genannt werden.“
Die Beklagte holte des Weiteren eine Beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. P. ein, welcher
am 13. Februar 2017 ausführte, weder die vermutete Amyloidangiopathie noch die Anpassungsstörung, die Hypertonie oder die
Herzinsuffizienz, unter welcher der Kläger leide, falle unter die BK 1317. Allenfalls für den Zeitraum bis 1997 sei bei dem
Kläger eine relevante Exposition gegenüber potentiell neurotoxisch wirkenden Lösungsmitteln gegeben gewesen, wobei es keine
Hinweise auf Lösungsmittel mit erhöhtem neurotoxischen Potential gebe. Acrylate gehörten nicht zu den neurotoxisch wirksamen
Stoffen. Die zeitliche Latenz zwischen Erkrankung und beruflicher Exposition spreche unabhängig von der diagnostischen Einordnung
ebenfalls gegen einen Kausalzusammenhang.
Mit Bescheid vom 2. März 2017 und Widerspruchsbescheid vom 11. April 2017 wies die Beklagte daraufhin die Anerkennung der
Erkrankungen des Klägers als Berufskrankheit der Ziffer 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel
oder deren Gemische) wegen Fehlens sowohl der medizinischen als auch der arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser Berufskrankheit
zurück.
In dem sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg (Aktenzeichen S 40 U 105/17) erstellte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie und Sozialmedizin Dr. F. unter dem 20. August 2018
ein nervenärztliches Gutachten. Zusammengefasst kam der Gutachter zu dem Ergebnis, dass beim Kläger eine Amyloidangiopathie
der kleinen Hirngefäße (zerebrale Amyloidangiopathie – I68.1 ICD-10) bestehe. Es handele sich hierbei um ein schicksalhaft
verlaufendes Störungsbild. Des Weiteren liege eine überwiegend axonale Polyneuropathie bei Vitamin-B6-Mangel, ein Bluthochdruck,
ein hochgradiges Übergewicht, eine Rechtsherzschwäche mit Stauchungs-dermatitis an den Unterschenkeln und Bildung von Unterschenkelgeschwüren
vor. Wegen der nur geringen Lösemittelexposition bestehe kein Zusammenhang, welcher eine BK 1317 begründen könne. Aus dem
Befund des Prof. F1 (Klinik und Poliklinik für neuroradiologische Diagnostik des U.) vom 15. Oktober 2009 ergebe sich, dass
es sich bei der Hirnerkrankung des Klägers um ein gefäßbedingtes Leiden handele, weil sich nur so die Mikroblutungen und die
daraus folgenden Hämosiderinablagerungen erklären ließen. Dies stelle ein Gegenstück und Differentialdiagnose zur toxischen
Enzephalopathie bei Lösemitteln dar.
Der Kläger teilte im dortigen Verfahren dann weiter mit, dass er seine Erkrankungen auf eine Aluminium-Exposition zurückführe
und nahm die Klage zurück.
Die Beklagte leitete ein Ermittlungsverfahren hinsichtlich des Vorliegens einer BK 4106 (Erkrankungen der tieferen Atemwege
und Lungen durch Aluminium und seine Verbindungen) ein. Hierzu nahm erneut Dr. P. beratungsärztlich Stellung und führte am
25. September 2018 aus, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur toxischen Wirkung von Aluminiumverbindungen seien von der
MAK-Kommission zuletzt 2007 bewertet worden. Danach gebe es keine eindeutigen Hinweise dafür, dass eine arbeitsbedingte Aluminiumexposition
eine Alzheimer-Demenz hervorrufen könne. Gesicherte Erkenntnisse über neurotoxische Wirkungen der vom Kläger genannten Stoffe
lägen nicht vor. Die BK 4106 erfasse lediglich die tieferen Atemwege. Die Anerkennung einer Wie-BK komme wegen des Fehlens
gesicherter Erkenntnisse zu neurotoxischen Wirkungen von Aluminiumverbindungen nicht in Betracht. Mit Bescheid vom 5. November
2018 und Widerspruchsbescheid vom 3. April 2019 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung der Erkrankungen des Klägers
(Hirnerkrankung und Polyneuropathie) als BK 4106, sowie das Vorliegen einer Wie-BK ab.
Im sich anschließenden Verfahren vor dem Sozialgericht hat für die Beklagte erneut Dr. P. Stellung genommen und ausgeführt,
bei dem Kläger liege eine progredient verlaufende Hirnerkrankung vor, die neurologisch als cerebelläres Syndrom eingeordnet
worden sei. Studien, welche eine Häufung derart schwerer Hirnerkrankungen bei beruflicher Aluminiumexposition oder auch bei
Einwirkung der anderen vom Kläger benannten Stoffe belegten, gäbe es nicht. Im Übrigen habe sich die Erkrankung erst nach
Expositionsende entwickelt, toxisch bedingte Schädigungen des Nervensystems bildeten sich jedoch in der Regel nach Ende der
Exposition zurück, allenfalls persistiere die Schädigung. Eine eindeutige Progredienz nach Expositionsende sei jedoch eindeutig
als Hinweis auf eine Systemerkrankung des Nervensystems einzustufen. Eine Studie, in welcher der Zusammenhang von Aluminiumbelastungen
von Elektrolysearbeitern in einer Aluminiumfabrik und der Methylierungsrate in einer Promoterregion des APP-Gens untersucht
worden sei, sei nicht geeignet, hieraus Schlussfolgerungen zum Kausalzusammenhang einer progredient verlaufenden hirnorganischen
Erkrankung mit einer beruflichen Aluminiumexposition zu ziehen.
Mit Gerichtsbescheid vom 25. August 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, die Anerkennung
bzw. Feststellung seiner Erkrankungen als BK 4106 scheitere bereits daran, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen hinsichtlich
dieser BK beim Kläger nicht vorlägen. Der Kläger leide nicht an Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen.
Auch die Voraussetzungen einer „Wie-BK“ nach §
9 Abs.
2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) seien nicht gegeben. Die sich aus dieser Vorschrift ergebenden Tatbestandsmerkmale für die Feststellung einer Wie- BK bei
einem Versicherten seien:
1. das Nicht-Vorliegen der Voraussetzungen für eine in der Liste der Anlage 1 zur
BKV bezeichnete Krankheit,
2. das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach §
9 Abs.
1 Satz 2
SGB VII nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen,
3. sowie die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung dieser Krankheit als Wie- BK im Einzelfall beim Kläger.
Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) enthalte diese Vorschrift keine "Härteklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als
Wie- BK anzuerkennen wäre. Zutreffend weise die Beklagte in ihren Bescheiden darauf hin, dass die Anerkennung der sogenannten
Wie-BK nur erfolgen könne, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorlägen, dass bestimmte Einwirkungen bei einer bestimmten
Berufsgruppe bestimmte Erkrankungen verursachen könnten (generelle Geeignetheit, „BK-Reife“). Die Anerkennung einer Wie-BK
erfolge gerade nicht, wenn eine berufliche Verursachung festzustellen sei, sondern nur, wenn sämtliche Voraussetzungen des
§
9 Abs.
2 SGB VII vorlägen.
Es reiche im BK-Recht nicht aus, dass „irgendein“ arbeitsbedingter beruflicher Zusammenhang zwischen den beruflichen Einwirkungen
und einer konkreten Erkrankung bestehe. Das BK-Recht sei dadurch gekennzeichnet, dass nur die in der BK-Liste aufgeführten
Erkrankungen als BK anerkannt werden könnten. Ob im Einzelfall möglicherweise eine Erkrankung bei einem Versicherten durch
berufliche Einwirkungen einen konkreten naturwissenschaftlichen Zusammenhang aufweise oder nicht, spiele für das BK-Recht
keine Rolle. Insoweit müssten neue gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, damit bestimmte berufliche
Einwirkungen entsprechende Erkrankungen verursacht haben könnten.
Da es im Falle des Klägers keine neuen gesicherten medizinischen Erkenntnisse gebe, dass die konkreten Einwirkungen beim Kläger
mit Aluminium oder 2,4 Pendandion (Acetylaceton) zu den konkreten Erkrankungen des Nervensystems geführt hätten, sei auch
kein weiteres Gutachten erforderlich. Insoweit sei eine gutachterliche Einschätzung, dass möglicherweise ein naturwissenschaftlicher
Zusammenhang zwischen den beruflichen Einwirkungen und den Erkrankungen beim Kläger bestehen könnte, wie dies möglicherweise
der PD Dr. G. in der eingereichten Stellungnahme der Klägerseite ausgeführt habe, keine Grundlage, damit eine BK oder Wie-BK
anerkannt werden könne.
Erforderlich sei im BK-Recht immer erst die Feststellung der generellen Eignung von Einwirkungen in Bezug auf bestimmte Erkrankungen.
Hierzu sei ein besonderes Verfahren mit dem Sachverständigenbeirat etabliert. Medizinische Zusammenhänge in einem Einzelfall
führten regelmäßig nicht dazu, dass eine BK anerkannt werden könne. Insoweit werde zu den medizinischen Krankheitsbildern
beim Kläger auch auf das Gutachten des Dr. F. aus dem Vorprozess verwiesen, wonach es sich bei der Hirnerkrankung des Klägers
eher um ein gefäßbedingtes Leiden handele und bei der Polyneuropathie ein Vitamin-B6-Mangel ebenfalls einen wesentlichen Anteil
aufweise. Im Übrigen seien auch die Stellungnahmen des Dr. P. zu beachten, der ebenfalls den aktuellen wissenschaftlichen
arbeitsmedizinischen Erkenntnisstand zu Grunde gelegt habe. Die Progredienz der Nervenerkrankung spreche ebenfalls gegen eine
berufliche Verursachung, denn der Kläger sei nach den Angaben seines Arbeitgebers nur bis 31. August 2007 im Laborbereich
beschäftigt gewesen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen den ihm am 26. August 2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 24. September
2020 Berufung eingelegt, mit welcher er vorträgt, es sei unzutreffend, dass der Kläger nur wenige Minuten oder Tage in seinem
Berufsleben mit den angeschuldigten Stoffen in Berührung gekommen sei. Er habe vielmehr von 1987 bis zu seinem Austritt 2015
stets direkten Kontakt mit aluminiumhaltigen Stoffen und weiteren Chemikalien gehabt. Lange Zeit sei dabei auch bei der Arbeit
mit Aluminium-Acetylacetonat keinerlei Schutzausrüstung vorgeschrieben oder getragen worden. Die Gefährlichkeit von Aluminium
sei in der Literatur beschrieben und ergebe sich auch aus dem vorgelegten Auszug aus der GESTIS-Stoffdatenbank. Dass nun ohne
Sachverständigengutachten festgestellt werde, es gebe dazu keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, sei nicht nachvollziehbar.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 25. August 2020 und den Bescheid der Beklagten vom 5. November 2018 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2019 aufzuheben und festzustellen, dass die Erkrankungen des Klägers (Hirnerkrankung
und Polyneuropathie) eine Berufskrankheit nach Ziffer 4106 der Anlage 1 der
Berufskrankheitenverordnung oder eine Wie-Berufskrankheit sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt vor, es gebe im Hinblick auf die vom Kläger aufgeführten
Stoffe keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem Kausalzusammenhang mit der bei dem Kläger bestehenden Erkrankung.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 20. Oktober 2021 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.
Entscheidungsgründe
Sie ist indes nicht begründet.Zu Recht und mit der zutreffenden Begründung, auf die nach eigener Überprüfung der Sach- und
Rechtslage gemäß §
153 Abs.
2 SGG unter Absehen einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe, Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Lediglich ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen: Wie das Sozialgericht zu Recht ausführt, ist der Tatbestand der BK 4106
bereits deshalb nicht gegeben, weil diese BK ausschließlich Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen erfasst, eine
derartige Erkrankung bei dem Kläger jedoch nicht vorliegt. Auch die Voraussetzungen für die Anerkennung der Hirnerkrankung
und der Polyneuropathie des Klägers als Wie-BK liegen indes nicht vor.
Nach §
9 Abs.
2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der
BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit (Wie-BK) als Versicherungsfall
anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen
für eine Bezeichnung nach §
9 Abs.
1 Satz 2
SGB VII erfüllt sind. Diese "Öffnungsklausel" des §
9 Abs.
2 SGB VII soll nur die Regelungslücken in der
BKV schließen, die sich aus den zeitlichen Abständen zwischen den Änderungen der
BKV ergeben. Die Regelung ist aber keine allgemeine Härteklausel, für deren Anwendung es genügen würde, dass im Einzelfall berufsbedingte
Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind. Vielmehr soll die
Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination
in die Liste der BKen (vgl. §
9 Abs.
1 Satz 2
SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber aber noch nicht tätig geworden ist (vgl. BT-Drucks 13/2204, 77 f.).
Der Versicherungsfall einer Wie-BK ist eingetreten, wenn neben den Voraussetzungen der schädigenden Einwirkungen aufgrund
der versicherten Tätigkeit, der Erkrankung und der haftungsbegründenden Kausalität im Einzelfall auch die Voraussetzungen
für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen
erfüllt sind (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 – B 2 U 5/08 R, juris).
Auch nach dieser Vorschrift ist es daher neben weiteren Voraussetzungen erforderlich, dass im Einzelfall mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass die beruflichen Einwirkungen die Erkrankung wesentlich verursacht haben.
Bereits an einer solchen mit Wahrscheinlichkeit festzustellenden wesentlichen Verursachung der Hirnerkrankung des Klägers
und der Polyneuropathie durch die berufliche Exposition gegenüber Aluminium-Acetylacetonat fehlt es aber vorliegend. Dies
folgt zum einen daraus, dass es sich der fachärztlichen Einschätzung des Dr. F. im Verfahren S 40 U 105/17 nach bei der Amyloidangiopathie des Klägers um ein schicksalhaftes degeneratives Erkrankungsbild, ausgelöst durch eine Gefäßerkrankung
und nicht durch eine toxische Substanz, handelt.Zum anderen war eine praktische Arbeit des Klägers im Labor und der Umgang
mit Chemikalien nach der „Stellungnahme Arbeitsplatzexposition“ des Dr. F2 vom Präventionszentrum vom 3. Februar 2017 bereits
ab dem 1. September 2007 und damit vor dem Auftreten erster Symptome, nicht mehr gegeben. Der Vortrag, der Kläger habe bis
zu seinem Ausscheiden im August 2015 stets direkten Kontakt mit aluminiumhaltigen Stoffen und weiteren Chemikalien gehabt,
ist nicht substantiiert und nicht geeignet, eine Disposition gegenüber Aluminium im letzten Tätigkeitszeitraum konkret zu
belegen. Dies gilt auch deshalb, weil der Kläger bereits ab Mitte 2013 von der Arbeit komplett freigestellt war.
Das Vorliegen einer durch die beruflich bedingte Schadstoffexposition gegenüber Aluminium-Acetylacetonat verursachten toxischen
Hirnerkrankung ist danach nicht völlig auszuschließen, es ist aber nicht im Sinne der Beweismaßstäbe des Rechts der gesetzlichen
Unfallversicherung wahrscheinlich.
Insbesondere fehlt es aber darüber hinaus auch an den Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination
in die Liste der BKen nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Insofern ist unter anderem zu verweisen auf die gesundheitliche
Bewertung des Bundesamtes für Risikobewertung (BfR) aus dem Jahre 2007 („Keine Alzheimer-Gefahr durch Aluminium aus Bedarfsgegenständen“).
Dort heißt es zusammenfassend: „Ein Zusammenhang zwischen einer erhöhten Aluminium-Aufnahme aus Lebensmitteln inklusive Trinkwasser,
Medikamenten oder kosmetischen Mitteln und einer Alzheimer Erkrankung wurde bisher wissenschaftlich nicht belegt. Weder bei
Dialyse-Patienten, noch bei Aluminium-Arbeitern - beides Personengruppen, die in großem Umfang mit Aluminium in Kontakt kommen
- wurden die für Alzheimer typischen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn überdurchschnittlich oft beobachtet.“
In der am 20. Juli 2020 erschienenen Publikation „Fragen und Antworten zu Aluminium in Lebensmitteln und verbrauchernahen
Produkten“ heißt es unter anderem: „Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Aluminium und der Alzheimer-Krankheit?
Verschiedene Studien versuchten, einen Zusammenhang zwischen der Aluminiumaufnahme und einer Alzheimer-Erkrankung nachzuweisen,
konnten aber keine eindeutigen Belege finden. Nach aktuellem Kenntnisstand ist ein solcher Zusammenhang unwahrscheinlich.
Eine abschließende Bewertung ist aber aufgrund der uneinheitlichen Datenlage derzeit noch nicht möglich…. Es besteht noch
immer Forschungsbedarf hinsichtlich der Bewertung der gesundheitlichen Risiken einer regelmäßigen Aufnahme von Aluminium über
einen sehr langen Zeitraum.“
Diese Einschätzung des BfR entspricht den Ausführungen des Beratungsarztes der Beklagten, Dr. P., welcher mehrfach bestätigt
hat, dass epidemiologische Studien, die eine Häufung von progredient verlaufenden hirnorganischen Erkrankungen bei Personen
mit beruflicher Aluminiumexposition belegen könnten, nicht existieren. Bei dieser Sachlage ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens
von Amts wegen nicht angezeigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder Nr.
2 SGG nicht vorliegen.