In Apotheke hergestellte parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung in der Onkologie
Exklusivlieferungsvertrag
Gesetzlich vorgesehene Direktbelieferung einer Arztpraxis mit parentalen Zubereitungen
Interesse der Versicherten an der freien Wahl der Apotheke
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Berechtigung des Klägers streitig ab Dezember 2013 zur Lieferung von vier bestimmten in seiner
Apotheke hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung in der Onkologie.
Der Kläger ist Inhaber der C-Apotheke in A-Stadt. Er ist Mitglied im Apothekenverband Hessen e.V. (HAV), der seinerseits dem
Deutschen Apothekenverband e.V. (DAV) angehört. Er ist berechtigt, patientenindividualisierte Zytostatika-Zubereitungen herzustellen
und ist im Besitz der dafür erforderlichen Qualifikation (Sachkundige Person gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittelgesetz - AMG, Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG zur Herstellung aseptischer flüssiger Dareichungsformen, für die Herstellung von klinischen Prüfpräparaten und Primär- und
Sekundärverpackungen von klinischen Prüfpräparaten).
Die Beklagte schloss gemeinsam mit anderen Krankenkassen mit dem HAV eine Ergänzungsvereinbarung zum Rahmenvertrag über die
Arzneimittelversorgung nach §
129 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) und zur Vereinbarung über die Übermittlung von Daten im Rahmen der Arzneimittelabrechnung nach §
300 SGB V vom 1. April 2008 (Arzneilieferungsvertrag ‑ ALV).
Im Haus der Apotheke des Klägers befindet sich die Praxis der zur vertragsärztlichen Versorgung der in der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) Versicherten zugelassenen Fachärzte für Hämatologie und internistische Onkologie, Dr. med. E. und Dr. med. F. Seit vielen
Jahren belieferte die Apotheke des Klägers diese Praxis mit patientenindividualisierten Zytostatika-Zubereitungen.
Der vorliegende Rechtsstreit betrifft die Herstellung und Lieferung der folgenden Zubereitungen, soweit diese in der Onkologie
eingesetzt werden:
1. individuell hergestellten Zytostatika-Zubereitungen der Sonder-PZN 0999902292,
2. parentale Lösungen mit monoklonalen Antikörpern der Sonder-PZN 02567478,
3. parentale Lösungen mit Folinaten, die keine weiteren Wirkstoffe enthalten, Sonder-PZN 02567461 und
4. Zubereitungen der Sonder-PZN 0999152.
Die Beklagte führte eine europaweite Ausschreibung (Bekanntmachung vom 27. Juli 2013 EU ABI. 2013 I S. 145-252301) für die
Versorgung ihrer Versicherten mit den streitbefangenen Zubereitungen zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten
in der Onkologie durch. Das Losgebiet Nr. 6 (A-Stadt, PLZ xxx) umfasst die Arztpraxen, deren Patienten der Kläger mit den
in seiner Apotheke hergestellten Zubereitungen versorgt.
Der Kläger beteiligte sich nicht an dieser Ausschreibung.
Den Zuschlag für das Losgebiet 6 erhielt die Apothekerin G., H. Apotheke, H-Straße in A‑Stadt. Mit dieser wurde ein Vertrag
nach §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V ab 1. Dezember 2013 für 12 Monate geschlossen, mit dem sich die Apothekerin zur Belieferung der Ärzte verpflichtete, die
im Losgebiet 6 Versicherte der Beklagten mit den streitgegenständlichen Zubereitungen in der Onkologie ambulant behandelten.
Die Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 19. November 2013 darüber, dass zum 1. Dezember 2013 ein exklusiver
Vertrag in Kraft getreten sei zur Versorgung ihrer Versicherten mit den vier streitigen in Apotheken hergestellten parenteralen
Zubereitungen in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten und machte darauf aufmerksam, dass sie
parentale Zubereitungen aus anderen Apotheken nicht mehr erstatte.
Die Apotheke des Klägers belieferte auch in der Zeit ab dem 1. Dezember 2013 die onkologische Praxis Dres. E./F. mit den streitbefangenen
Zubereitungen zur Behandlung der Versicherten der Beklagten. Den Patienten wurde in der Arztpraxis eine formularmäßige "Erklärung
zur Wahl der Apotheke für die Zubereitung von Zytostatika" vorgelegt, welches folgende Apothekenwahlmöglichkeiten enthielt:
"H. Apotheke, Frau G. (keine eigene Zubereitung, Zubereitung durch J-klinik A-Stadt, ggf. K-Stadt) Vertragsapotheke der AOK
Hessen seit dem 01.12.2013
C. Apotheke, Dr. A., eigene Zubereitung, gemäß § 11 Abs. 2 ApoG kooperierende Apotheke
Andere Apotheke...
Die Verordnung über die Zytostatikazubereitung wurde durch die Arztpraxis E./F. den Patienten, welche die Apotheke des Klägers
gewählt hatten, ausgehändigt, welche diese sodann bei der Apotheke des Klägers einreichten. Der Kläger ließ sich von den Patienten
eine Erklärung unterschreiben, mit der seine Apotheke als Versorgungsapotheke gewählt wurde.
Der Kläger teilte der Beklagten mit Schreiben vom 10. Dezember 2013 mit, er gehe davon aus, dass sie (die Beklagte) auch weiterhin
die Kosten für Zubereitungen für alle Versicherten übernehmen werde, die seine Apotheke auswählten und eine Medikation anforderten.
Sollte sie beabsichtigen, die Kosten nicht zu erstatten, werde um schriftliche Information und Begründung gebeten.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 16. Dezember 2013 mit, sie habe sein Schreiben vom 10. Dezember 2013 erhalten
und seine Ausführungen zur Kenntnis genommen.
Die Beklagte sprach mit Schreiben vom 14. Februar 2014 gegenüber dem Kläger eine Taxbeanstandung wegen der Versorgung ihrer
Versicherten mit den streitbefangenen Zubereitungen für den Abrechnungsmonat Dezember 2013 in Höhe von 109.739,40 € aus. Es
bestehe mit dem Kläger kein entsprechender Lieferungsvertrag; er sei kein Vertragspartner nach §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V.
Dagegen erhob der Kläger Einspruch mit Schreiben vom 28. Februar 2014. Der Anwendungsbereich der Selektivverträge nach §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V schränke das Apothekenwahlrecht der Versicherten nicht ein. Auf Anforderung legte der Kläger der Beklagten seine Dokumentation
der Apothekenwahlerklärungen ihrer Versicherten vor.
Mit Schreiben vom 15. Mai 2014 wies die Beklagte den Einspruch des Klägers zurück. Ein Zustellungsversuch des Schreibens an
den Prozessbevollmächtigten des Klägers blieb erfolglos.
Die Beklagte behielt von der Vergütung des Klägers für den Monat April 2014 einen Apothekenabschlag (§
130 SGB V) in Höhe von 1.732,04 € ein und veranlasste am 20. Mai 2014 die Retaxierung des Betrages in Höhe von 109.793,40 € für den
Monat Dezember 2013. Dies wurde am 13. Juni 2014 für den Abrechnungsmonat Mai 2014 umgesetzt.
Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 26. Mai 2014 an, auch in den Folgemonaten die Abrechnungen des Klägers betreffend
die vertragsgegenständlichen Zubereitungen zu retaxieren.
Der Kläger beantragte bei der Beklagten mit Schreiben vom 10. Juni 2014 die Rücknahme der Retaxierung. Sein Einspruch sei
nach Ablauf der Dreimonatsfrist (§ 16 Abs. 7 ALV) rechtsgültig.
Der Kläger beantragte zudem am 10. Juni 2014 beim Sozialgericht Marburg (Az. S 6 KR 72/14 ER) den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Beteiligten schlossen in diesem Verfahren einen Vergleich vom 24. Juli
2014. Danach verpflichtete sich die Beklagte (Ziff. 1 des Vergleichs) zur Rückzahlung des retaxierten Betrags in Höhe von
109.793,40 € aus formalen Gründen.
Entsprechend ihrer Ankündigung (Schreiben vom 12. Juni 2014) beanstandete die Beklagte die Versorgung ihrer Versicherten im
1. Quartal 2014 mit den streitbefangenen Zubereitungen durch die Apotheke des Klägers in Höhe von 431.100,35 €.
Mit Schreiben vom 6. August 2014 kündigte die Apothekerin G. (H-Apotheke) fristlos den nach §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V mit ihr geschlossenen Vertrag für das Losgebiet 6.
In der Folgezeit konnte der Kläger die Versorgung der Versicherten der Beklagten ohne Einschränkung wieder durchführen.
Der Kläger hat am 1. August 2014 Klage vor dem Sozialgericht Marburg erhoben mit dem Ziel:
1. der Feststellung, dass er seit dem 1. Dezember 2013 von der Versorgung der Versicherten der Beklagten mit den streitbefangenen
Zubereitungen nicht ausgeschlossen sei, soweit diese ambulant in der Onkologie eingesetzt würden, seine Apotheke von den Versicherten
zur Versorgung ausgewählt werde und dies mit einem bestimmten Text dokumentiert sei,
2. der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Zinsen aus 109.793,40 € in Höhe von 8 % über dem Basiszins
3. zur Rückzahlung des Apothekenrabatts in Höhe von 1.732,04 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 % über den Basiszins
4. zur Freistellung von den Kosten der vorgerichtlichen Rechtswahrnehmung in Höhe von 2.725,40 €.
Dazu hat der Kläger vorgetragen, trotz des mit der Apothekerin G. geschlossenen Vertrages sei er zur Belieferung berechtigt
gewesen, da die Versicherten der Beklagten ihr Apothekenwahlrecht zu Gunsten seiner Apotheke ausgeübt hätten. Die Versicherten
der Beklagten seien persönlich in seiner Apotheke erschienen, hätten eine ärztliche Verordnung abgegeben und zur Dokumentation
des ausgeübten Apothekenwahlrechts eine formularmäßige Erklärung unterschrieben. Den Patienten seien die Zubereitungen nicht
ausgehändigt, sondern diese direkt an die Praxis der Ärzte Drs. E. und F. geliefert worden.
Das Sozialgericht hat die Ärzte Drs. E. und F.als Zeugen vernommen und mit Urteil vom 10. September 2014 festgestellt, dass
der Kläger trotz des zum 1. Dezember 2013 geschlossenen Vertrags von der Versorgung der Versicherten der Beklagten mit den
streitigen Zubereitungen zur onkologischen ambulanten Behandlung nicht ausgeschlossen sei, soweit diese in seiner Apotheke
eine von in A-Stadt ansässigen Ärzten ausgestellte vertragsärztliche Verordnung vorlegten und eine schriftliche Apothekenwahlerklärung
abgäben. Darüber hinaus hat es die Beklagte zur Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz aus 109.793,40 €
verurteilt sowie zur Rückzahlung des streitigen Apothekenrabatts und Zahlung von Zinsen aus diesem Betrag in Höhe von 5 %
über den Basiszins. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Leistungserbringungsstatus
von Apotheken im Bereich der Arzneimittelversorgung sei ausschließlich abhängig vom dem Rahmenvertrag nach §
129 Abs.
2 SGB V. Die öffentlich-rechtliche Lieferungsberechtigung und -pflicht des Klägers sei durch die Vereinbarung der Beklagten mit einzelnen
Apotheken nach §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V nicht entfallen, da diese Verträge keine Exklusivität besäßen. Ein solcher Vertrag schränke auch das Apothekenwahlrecht der
Versicherten nach §
31 Abs.
1 Satz 5
SGB V nicht ein. Der Anspruch des Klägers auf Verzugszinsen wegen der rechtswidrigen Retaxierung für den Abrechnungsmonat Dezember
2013 sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz beschränkt. Der Kläger habe Anspruch auf Rückzahlung des im Abrechnungsmonat April
2014 einbehaltenen Apothekenrabatts (§
130 Abs.
3 SGB V). Diesen habe eine Apotheke der Beklagten nur zu gewähren, wenn der Apotheke ihre Leistungen vollständig bezahlt worden seien.
Der Anspruch des Klägers auf Verzugszinsen sei insoweit ebenfalls auf 5 % über den Basiszinssatz beschränkt. Der Kläger besitze
jedoch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren.
Gegen das am 30. September 2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 6. Oktober 2014 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht
eingelegt und auf das vor dem Bundessozialgericht (BSG) anhängige Revisionsverfahren (Az. B 3 KR 16/15 R) gegen ein Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 29. August 2014 (Az. S 13 KR 344/14) hingewiesen.
Das BSG hat mit Urteil vom 25. November 2015 (Az. B 3 KR 16/15 R) entschieden, §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V erlaube den Krankenkassen, die Versorgung ihrer Versicherten mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus
Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten durch Verträge mit Apotheken sicherzustellen.
Die Krankenkassen seien aufgrund dieser Vorschrift berechtigt, zur Hebung von Wirtschaftlichkeitsreserven exklusive Verträge
mit einzelnen Apotheken zu schließen. Solche nach einer Ausschreibung vergebenen Versorgungsverträge über Zytostatika-Zubereitungen
(Chemotherapie-Infusionen), die zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten direkt an die ärztliche Praxis geliefert
würden, schlössen alle anderen Apotheken von der Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Die Krankenkassen
könnten Abschläge auf die ansonsten geltenden Preise nur verlangen und durchsetzen, wenn sie im Gegenzug die Abnahme einer
bestimmten Menge zusagen könnten. Deshalb gehöre eine zumindest prinzipielle Exklusivität der Lieferbeziehungen zu den Essentialia
eines Vertrages nach §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V. Der Patient habe in diesen Fällen kein Apothekenwahlrecht nach §
31 Abs.
1 Satz 5
SGB V. Der Patient habe in der Regel kein rechtlich geschütztes Interesse an der Wahl der Apotheke, wenn die Zytostatika-Zubereitung
- wie gesetzlich vorgeschrieben - direkt von der Apotheke an die ärztliche Praxis geliefert werde. Die gegen dieses Urteil
erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 13. April
2016, Az. 1 BvR 591/16).
Die Beklagte sieht sich durch das Urteil des BSG in ihrer Rechtsauffassung bestätigt, dass der Kläger innerhalb der Laufzeit des mit der Apothekerin G. nach §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V geschlossenen Vertrages von der Belieferung mit dem streitgegenständlichen Zubereitungen ausgeschlossen war. Die ihre Versicherten
behandelnden Vertragsärzte seien verpflichtet gewesen, die streitigen Zubereitungen von der Vertragsapotheke zu beziehen.
Das Apothekenwahlrecht sei gem. §§
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V, § 11 Abs. 2 ApoG ausgeschlossen gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 10.09.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger vertritt die Auffassung, das Sozialgericht habe mit dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden. Dem stehe
die Entscheidung des BSG (Urteil vom 25. November 2015, Az. B 3 KR 16/15 R) nicht entgegen, da der Sachverhalt des dort entschiedenen Falls in wesentlichen Teilen anders gewesen sei als der vorliegende.
Im Übrigen sei der Entscheidung des BSG nicht zu folgen, dass den Verträgen nach §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V eine exklusive Wirkung zukomme und das Apothekenwahlrecht der Versicherten gem. §
31 Abs.
1 Satz 5
SGB V ausschließe. Die Versicherten besäßen im vorliegenden Fall ein berechtigtes Interesse an der freien Apothekenwahl. Anders
als im vom BSG entschiedenen Fall seien die Patienten in seiner Apotheke erschienen und hätten eine Apothekenwahl getroffen. Auch begründeten
vorliegend besondere Umstände einen Ausschluss der Exklusivität. Zudem habe die Beklagte ihren Versicherten selbst ein Apothekenwahlrecht
eingeräumt. Darüber hinaus könne er sich jedenfalls für den Zeitraum bis zum 14. Juni 2014 (Zugang der Retaxierung vom 12.
Juni 2014) auf Vertrauensschutz berufen. Dieser beruhe auf Schreiben des Regierungspräsidiums vom 27. Dezember 2013 und vom
22. Januar 2014 und dem Verhalten der Beklagten bis zu diesem Zeitpunkt. Zudem werde seine Rechtsposition durch den Gesetzesentwurf
zum GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz bestätigt.
Dem ist die Beklagte entgegengetreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (4 Bände), der Verwaltungsakte
der Beklagten, der Gerichtsakte des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (Az. S KR 72/14 ER) ergänzend verwiesen, der Gegenstand
der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gewesen ist.
Gründe
Die gem. §
151 Abs.
1 und
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung der Beklagten ist zulässig und im wesentlichen Umfang begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 10. September 2014 konnte zu Ziff. 1 seines Tenors keinen Bestand haben. Der Kläger
besitzt keinen Anspruch auf Feststellung, dass er (auch) ab dem 1. Dezember 2013 von der Versorgung der Versicherten der Beklagten
mit der in seiner Apotheke hergestellten streitigen parenteralen Zubereitungen in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen
Anwendung nicht ausgeschlossen ist.
Im Übrigen war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Das Sozialgericht hat zutreffend über den Anspruch des Klägers auf
Zahlung von 5 % Zinsen über den Basiszins aus 109.793,40 € (Ziff. 2 des Tenors) und auf Rückzahlung des Apothekenrabatts in
Höhe von 1.732,04 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über den Basiszins (Ziff. 3 des Tenors) entschieden.
Die gem. §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG zulässige, auf eine negative Feststellung gerichtete Klage ist abzuweisen. Der Kläger ist für die Laufzeit des mit der Apothekerin
G. nach §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V geschlossenen Vertrages (vom 1. Dezember 2013 bis zum 6. August 2014) von der Belieferung von Ärzten mit den vier streitigen
parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln - soweit diese in der Onkologie Anwendung finden - zur unmittelbaren Anwendung
an den Versicherten der Beklagten ausgeschlossen. Der Kläger erfüllte in diesem Zeitraum mit einer Belieferung der streitigen
Zubereitungen zur Anwendung in der Onkologie keine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht. Das Apothekenwahlrecht der Versicherten
nach §
31 Abs.
1 Satz 5
SGB V entfällt im Fall des Exklusivvertragens nach §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 15.11.2015, a.a.O., Rdnr. 35), der sich der Senat in vollen Umfang anschließt, sind im Falle eines Exklusivlieferungsvertrages
gem. §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V andere Apotheken von der Belieferung von parenteralen onkologischen Zubereitungen unmittelbar an den behandelnden Arzt jedenfalls
solange ausgeschlossen, als nicht aus zwingenden medizinischen Gründen oder sonstigen berücksichtigungsfähigen besonderen
Umständen von dem vorgegebenen wirtschaftlichsten Bezugsweg abgewichen werden muss.
Anhaltspunkte dafür, dass der von der Beklagten zur Verfügung gestellte Bezugsweg für parenterale onkologische Zubereitungen
zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten unter medizinischen Gesichtspunkten unzureichend gewesen wäre, kann der
Senat nicht erkennen. Zwar hat die Apothekerin G. die Zubereitungen in ihrer Apotheke nicht selbst hergestellt, sondern diese
sind in ihrem Auftrag in der Klinikapotheke der J‑klinik gefertigt worden. Der Vortrag des Klägers, dies hätte zu einer "schlechteren"
Versorgung der Versicherten der Beklagten geführt, kann im vorliegenden Verfahren aber nicht berücksichtigt werden. Denn dies
hätte nur ein - unterlegener - Teilnehmer des Ausschreibungsverfahrens im Rahmen des dagegen möglichen Rechtsschutzes vortragen
können.
Die Nähe der Apotheke des Klägers zu den im selben Haus praktizierenden onkologisch tätigen Ärzten stellt keinen Umstand in
diesem Sinne dar. Die Vertragsapotheke hat sich im Ausschreibungsverfahren den zeitlichen Vorgaben der Beklagten hinsichtlich
der Lieferung der streitigen Arzneimittel unterworfen. Danach hat die Vertragsapotheke die applikationsfertigen Parenteralia
in der Regel mindestens 30 Minuten vor der vom Arzt vorgesehenen Applikationszeit bereitzustellen (§ 3 Abs. 5 des der Ausschreibung
beigefügten Vertragstextes) bzw. bei Lieferung auf Abruf innerhalb von nicht mehr als 45 Minuten (§ 3 Abs. 6 des der Ausschreibung
beigefügten Vertragstextes). Anhaltpunkte dafür, dass dies aus medizinischen Gründen nicht ausreichend wäre, sind weder vorgetragen
noch erkennbar.
Auch andere berücksichtigungsfähige besondere Umstände kann der Senat nicht erkennen, insbesondere kein besonderes Interesse
der Versicherten an der Wahl der Apotheke des Klägers. Das Wahlrecht des Versicherten beruht auf seinem Interesse an einer
fachkundigen Beratung. Demgegenüber ist bei der gesetzlich vorgesehenen Direktbelieferung der Arztpraxis mit parentalen Zubereitungen
ein berechtigtes Interesse der Versicherten an der freien Wahl der Apotheke nicht zu erkennen (vgl. BSG, Urteil vom 25. November 2015, B 3 KR 16/15 R, juris Rn. 30). Das gilt auch bei dem vorliegenden Sachverhalt. Nach dem Vortrag des Klägers und der Aussage der erstinstanzlich
vernommenen Zeugen kamen die Versicherten der Beklagten in seine Apotheke erst nach Erstellung des Therapieplanes, also nach
der Entscheidung der behandelnden Ärzte Dr. E. bzw. F., welche individualisierte Zubereitung im konkreten Behandlungsfall
zur ambulanten Behandlung in der Onkologie herzustellen war. Welche darüber hinausgehende Beratung in der Apotheke erforderlich
gewesen sein könnte, erschließt sich dem Senat nicht.
Insoweit vermag der Senat auch keinen bedeutsamen Unterschied im Vergleich zu dem vom BSG im Urteil vom 25. November 2015 entschiedenen Sachverhalt darin zu erkennen, dass der Versorgung der Patienten - wie der
Kläger vorträgt - immer vorausgegangen sei, dass die Patienten das Rezept selbst bei ihm abgegeben und bei dieser Gelegenheit
seine Apotheke als Versorgungsapotheke gewählt hätten. Wie das BSG betont, hat der Abschluss des Selektivvertrags zur Folge, dass der davon in Kenntnis gesetzte Apotheker kein Recht mehr zur
Lieferung und Abrechnung der Zytostatikazubereitungen zu Lasten der Beklagten hat. Die Ärzte der onkologischen Praxis durften
daher zur Versorgung der bei der Beklagten versicherten Patienten ab dem 1. Dezember 2013 weder mit anderen Apotheken Vereinbarungen
nach § 11 Abs. 2 ApoG schließen noch den Versicherten die Verordnungen zur Selbstabholung aushändigen (BSG a.a.O., Rn. 37). Bei dem hier zu beurteilenden Versorgungsweg kann auch von einer Apothekenwahl im Sinne von § 11 Abs. 1 ApoG nicht gesprochen werden. Nach den Ausführungen der als Zeugen vernommenen Ärzte Dr. E. und Dr. F. ließen diese alle Patienten,
bei denen sich die Notwendigkeit einer Behandlung mit parentalen Zubereitungen ergab, eine Apothekenwahlerklärung unterschreiben.
Erst anschließend begaben sich die Patienten mit der ärztlichen Verordnung in die im selben Haus gelegenen Apotheke. In diesem
Ablauf war mit der Unterschrift des Patienten unter das ‑ unter dem Einfluss der behandelnden Ärzte - ausgefüllte Formular
die Entscheidung zugunsten der Apotheke des Klägers bereits gefallen. Dabei beinhaltete die Gegenüberstellung der verschiedenen
Versorgungsmöglichkeiten mit dem Hinweis "H. Apotheke, Frau G. (keine eigene Zubereitung, Zubereitung durch J-klinik A-Stadt,
ggf. K-Stadt) Vertragsapotheke der AOK Hessen seit dem 01.12.2013" und andererseits "C. Apotheke, Dr. A., eigene Zubereitung,
gemäß § 11 Abs. 2 ApoG kooperierende Apotheke" durch den Hinweis auf die "eigene Zubereitung" durch eine "kooperierende Apotheke" eine deutliche
und berufsrechtlich unzulässige (vgl. BSG, a.a.O. Rn 35) Präferierung des Klägers, weil für einen Patienten damit ohne weiteres die Assoziation verbunden sein konnte,
die Apotheke des Klägers gewährleiste eine qualitativ bessere Versorgung.
Der Senat kann sich der Auffassung des Klägers nicht anschließen, die Beklagte habe ihren Versicherten selbst ein Apothekenwahlrecht
eingeräumt. Ein solches Recht hätte die Beklagte ihren Versicherten gegenüber erklären müssen. Der Ausschreibungstext allein
ist dafür nicht ausreichend. Darüber hinausgehende Anhaltspunkte sind weder vorgetragen noch erkennbar.
Die Versicherten haben somit mit der Unterschrift unter die von den behandelnden Ärzten und dem Kläger verwandten Formulare
zur Apothekenwahl von einem Recht Gebrauch gemacht, dass ihnen nicht zustand.
Soweit der Kläger geltend macht, sein vollständiger Ausschluss von der Versorgung mit der Folge eines entsprechenden Vergütungsausschlusses
sei unverhältnismäßig, so kann sich der Senat dem nicht anschließen. Wesentlich dafür ist, dass der Kläger sich aufgrund eigener
Entscheidung an der Ausschreibung nicht beteiligt hat. Im Übrigen wird auf die Ausführungen des BSG im Urteil vom 25. November 2015 (juris Rn. 42 ff.) Bezug genommen.
Der Kläger kann sich auch nicht auf eine Lieferberechtigung und -verpflichtung auf der Grundlage eines erworbenen Vertrauensschutzes
oder eines von der Beklagten gesetzten Rechtsscheins berufen. Der Senat verkennt nicht, dass aus dem Ausschreibungstext und
dem Verhalten der Beklagten noch bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 1. Juli 2014 im einstweiligen Rechtschutzverfahren
(Az. S 6 KR 72/14 ER) zu entnehmen ist, dass auch für die Beklagte das Verhältnis zwischen Exklusivvertrag nach §
129 Abs.
5 Satz 3
SGB V und Apothekenwahlrecht der Versicherten nach §
31 Abs.
1 Satz 5
SGB V noch nicht eindeutig geklärt war. Weder dies noch das Schreiben des Klägers an die Beklagte vom 10. Dezember 2013, sein Einspruch
vom 28. Februar 2014 gegen die Retaxierung des Abrechnungsmonats Dezember 2013 oder die Schreiben der Beklagten vom 16. Dezember
2013 und vom 14. März 2014 begründen indes einen Vertrauensschutz auf den Fortbestand seiner Lieferungsberechtigung im Sinne
eines von der Beklagten gesetzten Rechtsscheins. Denn die Beklagte hatte mit dem Rundschreiben vom 19. November 2013 ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass ab dem 1. Dezember 2013 ausschließlich die Ausschreibungsgewinnerin für die streitigen onkologischen
Zubereitungen versorgungs- und abrechnungsberechtigt sei, so dass parentale Zubereitungen aus anderen Apotheken von ihr nicht
erstattet würden. Auf den Hinweis des Klägers mit Schreiben vom 10. Dezember 2013, dass er der Auffassung sei, aufgrund der
schriftlich dokumentierten Wahl seiner Apotheke als Versorgungsapotheke sei er weiterhin leistungsberechtigt, antwortete die
Beklagte mit Schreiben vom 16. Dezember 2013 lediglich, sie habe sein Schreiben erhalten und seine Ausführungen zur Kenntnis
genommen. Auch wenn die Beklagte sich selbst noch unsicher gewesen ist, so hat sie doch weder zum Ausdruck gebracht, dass
sie der Rechtsauffassung des Klägers folge noch sicherte sie ihm etwas zu. Die Beklagte hat somit keinen Rechtsschein erweckt.
Entsprechendes gilt für das Schreiben der Beklagten vom 14. März 2014. Auf den Einspruch des Klägers gegen die Retaxierung
für den Abrechnungsmonat Dezember 2013 teilte die Beklagte mit Schreiben vom 14. März 2014 mit, sie nehme den Sachverhalt
sehr ernst und bedauere die von ihm gesetzte Frist nicht einhalten zu können, sei jedoch bemüht seinen Einspruch möglichst
schnell zu behandeln. Auch die ebenfalls enthaltene Aufforderung der Beklagten, ihr die schriftlichen Dokumentationen der
Wahl der Versicherten vorzulegen, erzeugte nicht den Rechtsschein, dass sie den Ausführungen des Klägers folgen würde. Diese
Anforderung zeigt lediglich, dass sie die Dokumentationen in Augenschein nehmen wollte.
Soweit der Kläger einen Vertrauensschutz auf die Schreiben des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 27. Dezember 2013 und vom
22. Januar 2014 begründen möchte, verweist der Senat nochmals auf die Entscheidung des BSG (Urteil vom 25.11.2015, Az. B 3 KR 16/15 R, a.a.O., Rdnr. 43). Dort heißt es:
"Im Schreiben des Regierungspräsidiums wird lediglich auf die grundsätzliche Pflicht der Apotheken zur Belieferung von Rezepten
eingegangen."
Zudem ist die Beurteilung der vorliegend zugrundeliegenden Rechtslage nicht Aufgabe des Regierungspräsidiums Darmstadt.
Auch der Hinweis des Klägers auf den Entwurf der Bundesregierung zu einem Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in
der GKV vom 7. November 2016 (BT-Drucks. 18/10208) kann keine andere Entscheidung begründen. Dieser kann auf den vorliegend
zu beurteilenden Sachverhalt, der zudem bereits zum 6. August 2014 abgeschlossen war, keinen Einfluss haben.
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass nach dem vom Kläger gestellten Feststellungsantrag Streitgegenstand des
Rechtsstreits lediglich seine Berechtigung zur Versorgung mit individuell hergestellten Arzneimittelzubereitungen im Rahmen der onkologischen Therapie ist. Ob im Hinblick darauf die Voll-Retaxierung der Beklagten im Zeitraum von Dezember 2013 bis zum 6. August 2014 rechtens gewesen
ist, war damit nicht Streitgegenstand.
Im Übrigen war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Das Sozialgericht hat zutreffend unter Ziff. 2 und Ziff. 3 des Urteils entschieden, dass der Kläger Anspruch auf Verzugszinsen
hinsichtlich der Retaxierung des Monats Dezember 2013 besitzt und auf Rückzahlung des Apothekenrabats für den Monat April
2014. Der Senat macht sich die zutreffende, widerspruchsfreie und ausführliche Begründung des erstinstanzlichen Urteils zu
Eigen und weist die Berufung aus den dort niedergelegten Entscheidungsgründen zurück (§
153 Abs.
2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a SGG in Verbindung mit §
154 Abs.
1 Verwaltungsgerichtsgesetz (
VwGO) und folgt dem Ausgang des Verfahrens. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Erfolg der Berufung der Beklagten im Verhältnis
zu ihrem Unterliegen weit überwiegend ist.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.