Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für den Zeitraum vom 1. September 2015 bis zum 19.
April 2017 hat; insbesondere streiten die Beteiligten darüber, ob der Kläger aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf
die Wohnung seines Vaters verwiesen werden kann (vgl. §
60 Abs.
2 Nr.
4 SGB III).
Der 1999 geborene Kläger begann am 1. September 2015 bei der Firma H. GmbH in A-Stadt eine zweijährige Ausbildung zum Fachlageristen,
die er nach eigenen Angaben im April 2017 ohne Abschluss abbrach. Seine monatliche Ausbildungsvergütung betrug im ersten Ausbildungsjahr
500,00 €, danach 550,00 €. Die Berufsschule besuchte der Kläger in S. in sog. Blockform, wobei er dann im Berufsschulinternat
untergebracht war. Im Schuljahr 2015/16 war der Kläger so insgesamt 13 Wochen und im Schuljahr 2016/17 bis zum Ende des hier
streitigen Zeitraums (19. April 2017) weitere 11 Wochen internatsmäßig in Stralsund untergebracht.
Am 24. September 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung von BAB und reichte seinen schriftlichen Antrag
am 26. Oktober 2015 nach. In diesem gab er an, während der Ausbildung nicht im Haushalt seiner Eltern oder eines Elternteils
zu wohnen. Die Frage, ob der Hin- und Rückweg von der Wohnung der Eltern zur Ausbildungsstätte insgesamt mehr als zwei Stunden
dauere, beantworte der Kläger mit „nein“, ohne auf einem gesonderten Blatt zu begründen, weshalb er nicht bei seinen Eltern
wohne. Die Eltern des Klägers, A. und R. A. sind nach Angaben des Klägers geschieden und lebten bereits bei Geburt des Klägers
getrennt, sodass der Kläger bis zu seinem Auszug zum 1. Juli 2015 mit seinen Brüdern alleine im Haushalt und Haus der Mutter,
unter der Anschrift A., gewohnt hat.
Zum 1. Juli 2015 zog der Kläger zusammen mit seinen Brüdern S. und D. aus dem Haus der Mutter aus in eine Mietwohnung in der
B., A-Stadt. Für diese Mietwohnung (vier Zimmer, Küche, Bad, 74 qm) zahlten die drei Brüder zusammen monatlich 500,00 € Miete
einschließlich Nebenkosten. Sein Vater bewohne eine 47 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung in A-Stadt, N..
Die Mutter des Klägers ist seit Jahren Erwerbsunfähigkeitsrentnerin und bezog 2013 eine monatliche Rente von 644,84 € brutto
bzw. ab dem 1. Juli 2013 von 666,06 € brutto. Der Vater des Klägers war 2013 nichtselbständig beschäftigt und verdiente 18.975,30
€ brutto. Der Kläger erhielt neben seiner Ausbildungsvergütung von seinem Vater monatlich 50,00 € als Unterhalt und bezog
selbst das monatliche Kindergeld in Höhe von 190,00 €. Auf die Kosten seiner Unterkunft in der Wohngemeinschaft entfielen
für ihn monatlich 166,66 € (350,00 € Miete und 150,00 € Heizkosten geteilt durch drei Mieter). Für den Berufsschulbesuch in
Stralsund musste der Kläger Miete für den Wohnheimplatz dort in Höhe von 11,60 € pro genutztem Tag sowie Fahrkosten von ca.
40,00 € je Berufsschulwoche aufwenden.
Mit Bescheid vom 17. November 2015 lehnte die Beklagte den Antrag auf BAB ab, weil die persönlichen Voraussetzungen nach §
60 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) nicht erfüllt seien. Der Antragsteller wohne zwar außerhalb des elterlichen Haushaltes, könne seine Ausbildungsstätte aber
in angemessener Zeit von der Wohnung seiner Eltern aus erreichen. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 23. November 2015
Widerspruch ein. Der Wohnort seiner Mutter in G. sei zwar an öffentliche Verkehrsmittel (nur Bus) angebunden, jedoch ermöglichten
es ihm die wenigen vorhandenen werktäglichen Busverbindungen nicht, morgens pünktlich zur Ausbildung zu kommen und abends
nach der Ausbildung auch wieder nach Hause zu kommen. Seine Mutter könne ihn auch nicht täglich 45 km mit dem Auto zur Ausbildung
fahren. Sein Vater wohne zwar in A-Stadt, dessen Wohnung sei aber zu klein, so dass er dort nicht wohnen könne.
Durch Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2015, der dem Kläger nach seinem unwidersprochenen Vorbringen am 10. Dezember 2015
zuging, wies die Beklagte den Widerspruch zurück und nahm dabei auf die Begründung des Ablehnungsbescheides Bezug. Ergänzend
führte sie aus, dass der Kläger auf die Wohnung bzw. den Haushalt des Vaters zu verweisen sei. Diese Wohnung befinde sich
am Ort der Ausbildungsstätte. Von dieser Wohnung aus könne der Kläger seine Ausbildungsstätte in angemessener Zeit erreichen.
Im Übrigen habe der Kläger dies in seinem Antrag auch selbst so angegeben. Die Voraussetzungen des §
60 Abs.
2 SGB III, unter denen eine Ausnahme für ein Wohnen außerhalb des elterlichen Haushalts trotz dessen zumutbarer Erreichbarkeit anzuerkennen
sei, lägen nicht vor. Insbesondere greife §
60 Abs.
2 Nr.
4 SGB III nicht ein, wonach eine Verweisung auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils aus schwerwiegenden sozialen Gründen
unzumutbar sein könne. Eine aus Sicht des Klägers oder des Vaters wegen der Wohnungsgröße unbefriedigende Wohnsituation sei
kein ausreichend schwerwiegender Grund.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 5. Januar 2016 Klage zum Sozialgericht Neubrandenburg.
Am 8. Januar 2016 hat der Kläger des Weiteren einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und ergänzend
Folgendes vorgetragen: Die Ausbildung beginne täglich um 7.00 Uhr und ende um 16.00 Uhr. Zwischen der Wohnung der Mutter in
G. und A-Stadt bestehe keine direkte Bus- oder Bahnverbindung. Bei der einzig möglichen Nutzung von Linienbussen müsse der
Kläger mindestens in E. umsteigen und ab dem U. Busbahnhof entweder noch einmal umsteigen in einen Bus in Richtung L. oder
eine Strecke von ca. 5 km bis zur Ausbildungsstätte in der Z. in A-Stadt zu Fuß gehen. Für eine abendliche Rückfahrt nach
G. bestehe gar keine Busverbindung. Die Zwei-Raum-Wohnung seines Vaters sei zu klein, so dass der Kläger dort nicht wohnen
könne. Es gehe dem Kläger nicht darum, dass er nicht beim Vater wohnen wolle, sondern dass er dort aus Platzgründen nicht
wohnen könne.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ein Anspruch auf BAB bestehe. Er könne nicht auf den theoretischen Umstand verwiesen
werden, dass sein Vater am Ort der Ausbildungsstätte eine Wohnung habe. Vielmehr liege ein sozialer Härtefall vor, weil die
Wohnung des Vaters für beide zu klein sei. Der Kläger habe nicht einmal einen familiengerichtlichen Anspruch gegen seinen
Vater darauf, dass er bei diesem einziehen könne oder dass der Vater für ein Zusammenziehen eine größere Wohnung anmiete.
Die Beklagte hat auf ihre Geschäftsanweisungen zu §
60 SGB III verwiesen und ergänzend Folgendes ausgeführt: Da die Eltern des 16-jährigen Klägers getrennt lebten, ihnen aber das gemeinsame
Sorgerecht zustehe, müsse für die Wohnungen beider Elternteile geprüft werden, ob der Auszubildende die Ausbildungsstätte
von dort aus erreichen könne. Der Kläger müsse auf die Wohnung des Vaters verwiesen werden, da er die Ausbildungsstätte (Z.,
A-Stadt) von dieser Wohnung (N., A-Stadt) in angemessener Zeit erreichen könne. Auf die tatsächliche Größe der derzeitigen
Wohnung des Vaters komme es dagegen nicht an.
Der Antrag des Klägers auf einstweiligen Rechtsschutz wurde durch das Sozialgericht mit Beschluss vom 19. Februar 2016 abgelehnt,
die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos (Beschluss des Senates vom 20. Juni 2016 – L 2 AL 1 B ER).
Die Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 30. März 2016 abgewiesen und zur Begründung Folgendes ausgeführt:
Die Beklagte habe den Antrag des Klägers auf Berufsausbildungsbeihilfe zu Recht ablehnt, weil die persönlichen Voraussetzungen
gemäß §
60 SGB III für den Kläger nicht vorlägen. Nach dieser Norm werde ein Auszubildender bei einer Berufsausbildung nur gefördert, wenn er
1. außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils wohnt
und
2. die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern oder eines Elternteils aus nicht in angemessener Zeit erreichen kann.
Der Kläger könne jedoch seine Ausbildungsstätte von der Wohnung eines seiner Elternteile aus, nämlich der Wohnung seines Vaters
am gleichen Ort, mit einem Fußweg von ca. 2,3 Kilometern in einer halben Stunde und damit in angemessener Zeit erreichen.
Der Kläger sei daher auf die Wohnung seines Vaters zu verweisen.
Die Ausnahmevorschrift des §
60 Abs.
2 SGB III greife nicht ein. Danach gelte Abs. 1 Nr.
2 nicht, wenn der Auszubildende
1. 18 Jahre oder älter ist,
2. verheiratet oder in einer Lebenspartnerschaft verbunden ist oder war,
3. mit mindestens einem Kind zusammenlebt
oder
4. aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann.
Für den minderjährigen, ledigen und kinderlosen Kläger lägen die Voraussetzungen der Ziffern 1 bis 3 nicht vor. Auch schwerwiegende
soziale Gründe gemäß §
60 Abs.
2 Nr.
4 SGB III, die eine Verweisung auf die Wohnung seines Vaters hindern würden, seien nicht gegeben. Solche schwerwiegenden sozialen Gründe
seien nur dann anzunehmen, wenn es für den Kläger oder für seinen Vater unzumutbar wäre, zusammen zu wohnen.
Bei der Regelung des §
60 Abs.
2 Nr.
4 SGB III handele es sich um eine Härteklausel, mit der alle weiteren – persönlichen – Gründe berücksichtigt werden könnten und sollten
(Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB III, 1. Aufl. 2014, §
60 SGB III, Randnr. 42). Bei der Bestimmung der „schwerwiegenden sozialen Gründe“ handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff,
der der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliege. Das Kriterium der Unzumutbarkeit sei nicht auf den Auszubildenden beschränkt,
sondern könne auch aus Perspektive der Eltern oder eines Elternteiles vorliegen. Die Unzumutbarkeit müsse individuell im konkreten
Einzelfall und unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten bestimmt werden. Zu berücksichtigen sei dabei, dass
Absatz 2 Nr. 4 schon als solches als Auffangtatbestand verfasst sei. Hinzu komme die „scharfe“ Formulierung durch die Terminologie
„schwerwiegende“, so dass eine restriktive Handhabung geboten sei (Herbst in jurisPK-
SGB III, s.o., Randnr. 43).Von vornherein könne ohnehin nicht jeder soziale Grund dazu führen, dass ein Verweisen auf die elterliche
Wohnung ausscheide. Es müsse sich um einen besonders gewichtigen – eben schwerwiegenden – Grund handeln. Der Hauptanwendungsfall
für die Regelung sei damit vor allem ein gestörtes Eltern-Kind-Verhältnis (Herbst in jurisPK-
SGB III, s.o., Randnr. 44). Anhaltspunkte für die Einordnung als schwerwiegende soziale Gründe könnten hier auf der Seite des Auszubildenden
die von der familienrechtlichen Rechtsprechung herausgearbeiteten „besonderen Gründe“ nach §
1612 Abs.
1 BGB darstellen, die das Familiengericht berechtigen, die elterliche Bestimmung über die Art der Unterhaltsgewährung zu ändern
(vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28. Mai 2002 – L 2 AL 31/00 –, juris; Herbst in jurisPK-
SGB III, s.o., Randnr. 44; Buser in Eicher/Schlegel,
SGB III, Aug. 2013, §
60 Randnr. 60 m.w.N.). Der Sinn und Zweck der Regelung des §
60 Abs.
2 Nr.
4 SGB III lasse sich auch in der Weise deuten, dass unerträgliche soziale Belastungen des Zusammenwohnens sowohl für die Eltern als
auch für den minderjährigen Auszubildenden vermieden werden sollen (Buser in Eicher/Schlegel, s.o., Randnr. 58). Dabei komme
es auf eine Verursachung oder ein Verschulden grundsätzlich nicht an.
Der Kläger habe bereits keine Umstände vorgetragen, die so gravierend seien, dass eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses
zwischen ihm und seinem Vater angenommen werden könnte. Allein der Umstand, dass der Kläger nach der Trennung seiner Eltern
noch nie bei seinem Vater gewohnt hat, genüge dafür nicht. Den Eltern des minderjährigen Klägers stehe das gemeinsame Sorgerecht
zu. Zwar könne ein schwerwiegender Grund auch dann anzuerkennen sein, wenn ein sorgeberechtigter Elternteil sein Sorgerecht
nie oder jedenfalls für längere Zeit nicht ausgeübt habe (Herbst in jurisPK SGB, s.o., Randnr. 44). Dies müsse jedoch zu einer
tiefgreifenden Entfremdung geführt haben. Auch dies habe der Kläger nicht vorgetragen. Der Umstand, dass der Vater in einer
Zwei-Zimmer-Wohnung und damit in einer kleinen Wohnung wohne, reiche ohne Hinzutreten weiterer Umstände ebenfalls nicht aus,
um davon auszugehen, dass ein Zusammenwohnen für beide unzumutbar wäre (Buser in Eicher/Schlegel, s.o. Randr. 68 m.w.N.).
Beengte Wohnverhältnisse für die Dauer der zweijährigen Ausbildung müssten der Kläger und sein Vater hinnehmen.
Gegen das am 14. April 2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 13. Mai 2016 eingelegte Berufung des Klägers. Der Kläger
verweist auf sein Vorbringen im Verfahren des Einstweiligen Rechtsschutzes, wo er in der Beschwerdeinstanz insbesondere Folgendes
geltend gemacht hat:
Auch im Anwendungsbereich des
SGB III seien die Grundsätze des soziokulturellen Existenzminimums zu berücksichtigen, wozu auch das Wohnen als elementarer Grundbedarf
gehöre. Die angemessene Wohnfläche für einen Zwei-Personen-Haushalt betrage nach § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 13. September 2001 i. V. m. der Verwaltungsvorschrift zum Belegungsbindungsgesetz des Landes M-V 60 m². Für einen Ein-Personenhaushalt
sei diese auf 45 m² festgelegt. Die Wohnung des Vaters entspreche hiernach mit einer Größe von 44 m² der angemessenen Wohnung
für eine Person und nicht für zwei Personen. Es sei dem Kläger und seinem Vater daher nicht zumutbar, zu zweit in dieser Wohnung
zu leben. Der Kläger sei 16 Jahre alt und habe daher Anspruch auf ein eigenes Zimmer. Diese Rückzugsmöglichkeit benötige er
schon deshalb, weil er für seine Ausbildung auch lernen müsse. Von dem Vater könne jedoch nicht verlangt werden, dass er über
mehrere Jahre auf die Nutzung seines Wohnzimmers verzichte und seinen Lebensmittelpunkt auf das Schlafzimmer verlagere. Auch
entspreche das dauerhafte Schlafen auf einer Couch selbst den üblichen Lebensbedingungen in einfachen Haushalten nicht. Das
Sozialgericht habe in seine Erwägungen auch nicht mit einbezogen, dass der Kläger überhaupt keinen zivilrechtlichen Anspruch
gegen seinen Vater habe, sich in dessen Wohnung einzuklagen.
Ergänzend hat der Kläger geltend gemacht, dass seinen Vater allenfalls eine Barunterhaltspflicht treffe. Nachdem in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat vom 27. April 2022 nicht genau geklärt werden konnte, wann der Kläger seine Ausbildung bei der Firma
H. A-Stadt abgebrochen hat, im Übrigen jedoch mit den Beteiligten Einigkeit erzielt werden konnte, dass mit der Vollendung
des 18. Lebensjahres des Klägers am 20. April 2017 aufgrund der Regelung in §
60 Abs.
2 Nr.
1 SGB III die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von BAB dem Grunde nach erfüllt worden sind, beantragt die Prozessbevollmächtigte
des Klägers,
das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 30. März 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 17. November 2015 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Berufsausbildungsbeihilfe
für die Ausbildung bei der Firma H. GmbH ab dem 1. September 2015 bis zum 19. April 2017 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Unter Bezugnahme auf die ihres Erachtens überzeugenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils heißt es ergänzend, es seien
keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Vater des Klägers seine Unterhaltspflicht nicht durch die Gewährung von Unterkunft
erfüllen könnte.
Mit Beschluss vom 6. April 2017 hat der Senat das Jobcenter Vorpommern-Greifswald Süd beigeladen. Das beigeladene Jobcenter
stellt keinen Antrag.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. April 2022 ergänzend
befragt. Hinsichtlich der Angaben des Klägers wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen (vgl. Blatt 97 bis 99 der
Gerichtsakte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten nebst der Gerichtsakte L 2 AL 1 B ER
sowie L 2 AL 19/16 B PKH und die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände), die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
sind, Bezug genommen.
Zutreffend haben die Beklagte und das SG festgestellt, dass der Kläger von der Wohnung seines Vaters aus die Ausbildungsstätte in A-Stadt zu Fuß innerhalb von maximal
30 Minuten hätte erreichen können. Die Entfernung zwischen dem Ausbildungsbetrieb und der Wohnung des Vaters beträgt laut
„Google Maps“ lediglich 1,7 km und hätte damit von dem gesundheitlich nicht eingeschränkten Kläger zu Fuß in 21 Minuten und
mit dem Fahrrad in 6 Minuten erreicht werden können (alle Angaben aus „Google Maps“). Dies ist im Übrigen auch vom Kläger
im Termin zur mündlichen Verhandlung eingeräumt worden.
Weiter hatte der Senat zu berücksichtigen, dass die Wohnung des Vaters des Klägers entgegen dem Vortrag der Prozessbevollmächtigten
47 m² groß war, sodass die von der Prozessbevollmächtigten in den Vordergrund gestellte Frage, ob die Angemessenheitsgrenzen
nach dem SGB II zu berücksichtigen sind, letztlich nicht stellt. Unbeschadet hiervon hält der Senat jedoch an seiner bereits im ablehnenden
PKH- Beschluss vom 31. Mai 2017 vertretenen Auffassung fest, wonach es sich bei den Angemessenheitsgrenzen des SGB II um Höchstgrenzen handelt und sich damit aus deren Unterschreitung nicht die Unzumutbarkeit der gemeinsamen Wohnungsnutzung
herleiten lässt. Aus der Schilderung der Wohnverhältnisse des Vaters durch den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung
lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht die Unzumutbarkeit der gemeinsamen Wohnungsnutzung ableiten. Vielmehr hat es sich
um eine Zwei-Raumwohnung mit Küche und Bad nebst Wäschetrockengelegenheit und Pkw-Stellplatz gehandelt. Weiter hatte der Senat
zu berücksichtigen, dass der Kläger lediglich für einen absehbar begrenzten Zeitraum, nämlich längstens bis zur Vollendung
seines 18. Lebensjahres am 20. April 2017 bei seinem Vater hätte wohnen müssen. Hierbei kann auch nicht unberücksichtigt bleiben,
dass der Kläger aufgrund des Berufsschulunterrichts in Blockform bis zu diesem Zeitpunkt insgesamt 24 Wochen während der Berufsschulausbildung
internatsmäßig in Stralsund untergebracht war. Zudem hatte der Kläger ausweislich des Ausbildungsvertrages in 2015 acht Arbeitstage,
in 2016 23 Arbeitstage und in 2017 13 Arbeitstage Urlaubsanspruch. Da das Verhältnis des Klägers auch zu seiner Mutter nicht
gestört war, hätte der Kläger mindestens auch während dieser Zeiten im Haus seiner Mutter wohnen können. Insgesamt erscheint
es dem Senat unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles als noch zumutbar für den Kläger, vorübergehend
in der Wohnung seines Vaters zu wohnen.
Auch das Argument des Klägers, dass er keinen zivilrechtlichen Anspruch gegen seinen Vater habe, sich in dessen Wohnung einzuklagen,
greift nicht durch. Der Vater des Klägers ist für diesen unterhaltspflichtig, wozu auch die Ermöglichung einer angemessenen
Ausbildung gehört. Das zur Verfügung stellen von Wohnraum ist dabei nur eine von mehreren Möglichkeiten, der Unterhaltsverpflichtung
nachzukommen. Der Unterhaltsanspruch kann notfalls auch gerichtlich geltend gemacht werden.
Gründe für eine Revisionszulassung waren für den Senat nicht ersichtlich.