Kosten der Unterkunft im Rahmen eines Bezugs von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII
Anspruch auf Berücksichtigung tatsächlicher Bedarfe der Unterkunft bei einer Leistungsbewilligung
Tatbestand
Im Streit steht die Höhe der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII für den Zeitraum vom 1. Juli 2012 bis 30. April 2013; im Kern geht es um die „Deckelung“ der Kosten der Unterkunft (KdU)
auf die Werte der damaligen Richtlinie des Kreises Nordfriesland.
Am 22. Dezember 2011 beantragte der 1977 geborene Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Der unter Betreuung stehende Kläger bezog eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von damals 634,57 Euro netto. Der
Kläger bewohnte eine 38 m² große 2-Zimmer-Wohnung in Westerland auf Sylt, für die eine Miete in Höhe von 425,00 Euro zzgl.
kalter Betriebskosten in Höhe von 95,00 Euro zu entrichten war. Für die Versorgung mit Gas zahlte er monatlich 123,00 Euro
an die Energieversorgung Sylt (EVS) GmbH.
Mit Erstbescheid vom 22. Dezember 2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2012 monatliche
Grundsicherungsleistungen in Höhe von 324,37 Euro. Dabei berücksichtigte er bei der Leistungsberechnung die vollen Unterkunftskosten
des Klägers. Mit einem Schreiben vom gleichen Tag wies der Beklagte den Kläger darauf hin, im Rahmen der Sozialhilfe seien
angemessenen Kosten der Unterkunft im Sinne des § 35 Abs. 1 und 2 SGB XII für eine Person in Höhe von 307,00 Euro Bruttokaltmiete zu berücksichtigen (Husum, Niebüll, Inseln Amrum, Föhr und Sylt).
Im übrigen Kreisgebiet Nordfriesland gälten 282,00 Euro. Vor dem Hintergrund könnten die tatsächlichen Kosten der Unterkunft
zunächst nur bis zum 30. Juni 2012 anerkannt werden. Zudem lehnte der Beklagte mit einem Bescheid vom gleichen Tag eine Darlehensgewährung
unter Zitierung der Rechtsgrundlage des § 36 Abs.1 Satz 1 und Satz 2 SGB XII ohne jede inhaltliche Begründung ab.
Auf den Folgeantrag wurden mit Bescheid vom 19. Juli 2012 für die Zeit vom 1. Juli 2012 bis 31. Juli 2013 Leistungen in Höhe
von monatlich 97,41 Euro bewilligt. Bei der Berechnung wurden nunmehr eine Grundmiete in Höhe von 307,- Euro und Heizkosten
in Höhe von 64,94 Euro als angemessene Unterkunftskosten berücksichtigt. Mit einem weiteren Bescheid vom gleichen Tag wurde
ein Antrag auf Übernahme von Stromschulden vom 5. Juli 2012 mit der Begründung abgelehnt, Stromschulden seien bereits in der
Regelleistung berücksichtigt und es stehe auch derzeit keine Stromsperrung an. Auch einen Antrag des Klägers vom 11. Juli
2012 auf Übernahme einer Nachforderung aus der Betriebskostenabrechnung des Vermieters in Höhe von 128,54 Euro lehnte der
Beklagte mit weiterem Bescheid vom 19. Juli 2012 unter Hinweis auf die Deckelung der Unterkunftskosten ab.
Mit Schreiben vom 25. Juli 2012 beantragte die Betreuerin für den Kläger die Übernahme der Miet- und Nebenkosten in voller
Höhe. Sie verwies darauf, dass der Kläger durch eine Erkrankung in finanzielle Schwierigkeiten geraten sei. Bisher habe er
sich ohne Erfolg um eine günstigere Wohnung bemüht, leider sei es sehr schwierig angemessenen Wohnraum auf Sylt zu finden.
Er habe bereits persönliche Dinge verkauft, um die finanziellen Löcher zu stopfen. Im weiteren Fortgang teilte die Betreuerin
mit, dass dem Kläger inzwischen die fristlose Kündigung durch die Vermieterin angedroht worden sei. Hierbei reichte sie ein
Schreiben der Vermieterin vom 25.09.2012 ein, betitelt als „letzte Mahnung vor fristloser Kündigung“, in welcher dem Kläger
eine letzte Frist zum Ausgleich eines offenen Gesamtbetrages in Höhe von 1.836,27 Euro bis zum 15. Oktober 2012 gesetzt wurde.
Mit Bescheid vom 17. Oktober 2012 lehnte der Beklagte die Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten ab dem 1. Juli 2012
mit der Begründung ab, die Unterkunftskosten überstiegen die Mietobergrenze. Die gesetzliche sechsmonatige Übergangsfrist
sei abgelaufen. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger vertreten durch seine Betreuerin am 26. Oktober 2012 Widerspruch ein.
Im weiteren Fortgang wurde mitgeteilt, dass von Vermieterseite die fristlose Kündigung ausgesprochen worden sei. Zugleich
wurde die Übernahme der Mietrückstände beantragt. Des Weiteren beantragte der Kläger am 7. November 2012 durch seine nunmehr
hinzugezogene Prozessbevollmächtigte die Überprüfung der Bescheide vom 22. Dezember 2011 und vom 19. Juli 2012 gemäß § 44 SGB X. Mit Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom 21. Dezember 2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit ab Januar 2012
382,43 Euro, ab April 2012 320,43 Euro, ab Juli 2012 93,47 Euro und ab Januar 2013 bis einschließlich Juli 2013 101,47 Euro.
Die Überzahlung sei mit der Nachzahlung verrechnet worden und dann die daraus sich ergebende Nachzahlung in Höhe von 188,72
Euro direkt an die EVS überwiesen worden. Mietschulden seien nicht zu übernehmen, da die Miethöhe nicht angemessen sei. Die
Bruttokaltmiete in Höhe von 520,00 Euro übersteige die Mietobergrenze um 213,00 Euro. Die Betriebskostennachforderung in Höhe
von 128,54 Euro könne daher nicht übernommen werden. Die tatsächlichen Mietkosten könnten nach Ablauf der Sechsmonatsfrist
zum 1. Juli 2012 nicht mehr berücksichtigt werden. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tag lehnte der Beklagte eine Übernahme
der Strom- und Heizkosten gemäß den Anträgen vom 1. November und 5. Dezember 2012 ab. Die Kosten für die Heizung würden monatlich
in tatsächlicher Höhe gewährt. Stromkosten seien bereits in der Regelleistung berücksichtigt.
Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 2. Januar 2013 Widerspruch ein. Bemängelt wurde die direkte Nachzahlung
der Heizkosten an die XXX. Die Mietschulden hätten übernommen werden müssen, da zum damaligen Zeitpunkt der Antragstellung
die Kosten der Unterkunft und Heizung noch in voller Höhe geleistet worden seien. Gleiches gelte für die Übernahme der Betriebskostennachforderung.
Der Kläger habe auch im Zeitraum ab dem 1. Juli 2012 weiter Anspruch auf Übernahme der vollen tatsächlichen Kosten der Unterkunft
und Heizung. Ihm sei ein Umzug in eine andere Wohnung wegen seiner Erkrankung und nicht ausreichend zur Verfügung stehenden
Wohnraumes nicht möglich. Schließlich sei der Beklagte aufgefordert, ein nachvollziehbares Konzept zur Ermittlung der angemessenen
Unterkunftskosten vorzulegen, aus dem hervorgehe, warum die angemessenen Unterkunftskosten auf Sylt 307,00 Euro betragen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2013 half der Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als die Betriebskostennachzahlung
für das Jahr 2011 in voller Höhe (128,54 Euro) übernommen wurde. Im Übrigen wurden die Widersprüche zurückgewiesen. Hinsichtlich
der Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten wurde ausgeführt, diese seien mit einer Höhe von 520,00 Euro unangemessen
hoch und überstiegen die angemessenen Kosten in Höhe von 307,00 Euro. Diesen angemessenen Höchstbetrag habe der Landkreis
aus Bestandsmieten der Bezieher von Leistungen nach dem Wohngeldgesetz, des SGB II, SGB XII und
Asylbewerberleistungsgesetz ermittelt. Dies sei nach der Cuxhaven-Entscheidung des BSG auch zulässig. Beanstandet worden sei nur, dass die Ermittlungen nicht an der oberen Preisgrenze erfolgt seien. Wie diese
obere Preisgrenze konkret zu ermitteln sei, habe das BSG nicht gesagt. Der Kreis Nordfriesland habe daher eine eigene Methodik zur Ermittlung einer Mietobergrenze angewandt. Daraus
sei erkennbar, dass es angemessenen Wohnraum für leistungsberechtigte Personenkreise gebe. Intensive Bemühungen um günstigeren
Wohnraum seien aus dem Aktenvorgang nicht ersichtlich. Es sei nicht benannt worden, unter welcher Krankheit der Kläger leide.
Es werde lediglich eine Bestätigung der Firma k. vorgelegt, dass er dort als wohnungssuchend geführt werde sowie ein Nachweis
über die Mitgliedschaft bei der XXX-N. Insoweit sei die Absenkung der Unterkunftskosten ab dem 1. Juli 2012 nicht zu beanstanden.
Bei den Heizkosten seien die Abschläge mit 323,00 Euro bis zum 31. März 2012 und 61,00 Euro ab April 2012 wie mit der Rechnung
der XXX belegt in der nachgewiesenen tatsächlichen Höhe berücksichtigt worden. Eine Absenkung sei insoweit nicht erfolgt.
Die beim Vermieter bestehenden Schulden bis zum Zeitpunkt der Antragstellung am 21. Dezember 2011 reichten nicht aus, eine
fristlose Kündigung bzw. eine Räumungsklage des Vermieters zu rechtfertigen. Eine drohende Obdachlosigkeit sei somit nicht
gegeben. Im Übrigen handele es sich bei den Rückständen um Schulden, die bereits vor dem Bezug von Grundsicherungsleistungen
aufgelaufen seien. Im Ergebnis bestehe kein Anspruch auf Gewährung eines Darlehens zur Übernahme der Mietschulden. Die Direktüberweisung
der Heizkostennachzahlung an den Energieversorger sei nicht zu beanstanden. Zwecks Vermeidung einer Sperrung, die bereits
für den 4. Dezember laut Nachricht der XXX vorgesehen war und nur deswegen nicht durchgeführt habe werden können, da der Kläger
nicht zu Hause gewesen sei, sei die Direktüberweisung gerechtfertigt gewesen, um eine Sperre mit weiteren Folgekosten zu vermeiden.
Mit der am 3. September 2013 beim Sozialgericht Stralsund erhobenen Klage hat der Kläger die Gewährung seiner tatsächlichen
Unterkunftskosten für die Zeit vom 1. Juli 2012 bis 30. April 2013 – der Kläger ist zum 1. Mai 2013 nach A-Stadt umgezogen
– begehrt. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, seine Unterkunftskosten auf Sylt seien angemessen. Die Voraussetzungen
für die Gewährung eines Darlehens wegen Übernahme der Mietschulden lägen vor. Entgegen der Auffassung der Beklagten hätten
die Mietschulden sich nicht lediglich auf 820,00 Euro belaufen, sondern auf 1836,27 Euro.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
der Beklagte wird unter Abänderung entgegenstehender Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2013 verurteilt,
dem Kläger ab dem 1. Juli 2012 Leistungen für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Kosten der
Unterkunft zu bewilligen.
Der Beklagte hat sinngemäß beantragt,
die Klage wird abgewiesen.
Zur Begründung hat er auf seinen Widerspruchsbescheid verwiesen. Soweit der Kläger nicht nach dem Klageantrag, wohl aber nach
der Klagebegründung auch die darlehensweise Übernahme der Mietschulden begehre, komme dies nicht in Betracht. Solche Leistungen
könnten erbracht werden, soweit dies für die Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt sei. Der Kläger habe die Unterkunft bereits
verlassen.
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 10. November 2015 hat das Sozialgericht der Klage insoweit stattgegeben, dass es
den Beklagten unter teilweiser Aufhebung seiner Bescheide vom 17. Oktober und 21. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27. August 2013 verpflichtet hat, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli 2012 bis 30. April 2013 die vollständigen Kosten
der Unterkunft zu bewilligen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Soweit der Kläger ein Darlehen für die Begleichung seiner
aufgelaufenen Mietschulden begehre, komme ein solches wegen Auszugs aus der Unterkunft nicht mehr in Betracht. Die Unterkunft
könne erkennbar nicht mehr durch die Bewilligung eines Darlehens gesichert werden, § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse sei nicht dargelegt und auch nicht erkennbar.
Der Kläger habe jedoch Anspruch auf Übernahme seiner tatsächlichen Unterkunftskosten ab dem 1. Juli 2012. Unterkunftskosten
seien zwar nur im angemessenen Umfang zu leisten. Das von dem Beklagten zu Grunde gelegte Konzept zur Ermittlung der angemessenen
Unterkunftskosten entspreche für den Wohnort Sylt jedoch nicht den rechtlichen Vorgaben an ein sogenanntes schlüssiges Konzept.
Sylt sei dem Vergleichsraum Festland und den Inseln Nordstrand, Worm und Sylt zugeordnet worden. Ferner heiße es im Konzept
(unter Ziffer 6), dass für die Städte Husum, Niebüll und die Insel Sylt ein gesonderter, einheitlicher Medianwert als angemessener
Quadratmeterpreis zugrunde zu legen sei, orientiert an dem höchsten Medianwert eines der beiden Städte und nicht an dem Medianwert
der Insel Sylt, weil der Miet- Wohnungsmarkt auf der Insel Sylt sehr spezifisch sei und deshalb nicht für die beiden genannten
Städte und auch nicht für das übrige Festlandsgebiet Maßstab sein könne. Zwar seien wohl für die Insel Sylt Daten des Wohnungsmarktes
erhoben worden, jedoch gezielt nicht für die Bildung der Mietobergrenze herangezogen worden. Damit habe sich der Beklagte
für den Wohnort des Klägers nicht an die Vorgaben des Bundessozialgerichts für die Erstellung eines schlüssigen Konzepts gehalten.
Die Verfahrensweise des Beklagten begünstige eine Ghettobildung dahin, dass teure Wohnorte von einkommensschwachen hilfebedürftigen
Menschen „freigehalten“ werden. Es sei auch kein Rückgriff auf die Tabellenwerte der Wohngeldtabelle für den Landkreis Nordfriesland
möglich. Die danach maßgebliche Mietenstufe 2 bilde lediglich Mieten unterhalb des Bundesdurchschnitts ab, während sich die
Wohnungsmiete auf der Insel Sylt als überdurchschnittlich darstelle. Im Ergebnis sei dem Kläger daher die vollständige Miete
zu gewähren.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 17. November 2015 zugestellte Urteil am 19. November 2015 Berufung eingelegt. Er hat zunächst
eine Zurückweisung nach §
159 SGG angeregt. Ferner hat er die Tenorierung im erstinstanzlichen Urteil für zumindest missverständlich erachtet, wenn das Sozialgericht
zur Bewilligung der vollständigen Kosten der Unterkunft verpflichte, während die Klägerseite zu Recht nur beantragt habe,
Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu bewilligen. Denn die vom Kläger erzielten Renteneinkünfte
seien teilweise auch für die Kosten der Unterkunft einzusetzen. Der Beklagte hat eine Überraschungsentscheidung gerügt, da
das Sozialgericht noch vor der Anfrage bezüglich des Einverständnisses mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung noch
einen für den Beklagten günstigen rechtlichen Hinweis erteilt habe. Das Sozialgericht habe vor seiner Entscheidung weder Daten
von ihm angefordert noch eigene Ermittlungen angestellt für den Bereich Sylt. Dies, obgleich die Daten beim Beklagten bzw.
bei der Wohngeldstelle noch vorhanden seien und mehr oder weniger einfach aus der EDV zu generieren seien. Im Übrigen habe
der Beklagte auch dem Sozialgericht Daten für die Insel Sylt allein vorgelegt. Hieraus hätte das Sozialgericht eine eigene
Mietobergrenze entwickeln können. Wollte man nur auf die Sylter Daten zurückgreifen, käme man auf einen Wert in Höhe von 343,64
Euro für einen 1-Personen-Haushalt. Der Beklagte habe bei der Feststellung der Mietobergrenze dem Umstand Rechnung getragen,
dass in den in Betracht kommenden Vergleichsräumen die Mietniveaus unterschiedlich seien. Die Sylter Daten seien nicht eingeflossen,
weil bereits aufgrund der Lage auf der Insel Sylt belegt sei (Sylt sei das Villenviertel Nordfrieslands), dass nicht mehr
von unterem oder mittlerem Standard gesprochen werden könne, es aber nicht Aufgabe des Grundsicherungsträgers sei, den gehobenen
Wohnungsstandard zugrunde zu legen. Aus Gleichbehandlungsgründen sei es geboten, die Sylter Hilfeempfänger genauso zu behandeln
wie die Husumer und Niebüller Hilfeempfänger. Des Weiteren habe das SG in Abkehr von der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht bei einem fehlenden schlüssigen Konzept eine Obergrenze der Wohngeldwerte +10 % angenommen, sondern die vollen Unterkunftskosten
tenoriert. Es gebe auch auf Sylt keine Ghettobildung. Die Auswertung des Beklagten belegten, dass auf Sylt 91,67 % der Transferleistungsbezieher
sich mit ihren Unterkunftskosten innerhalb der von der Beklagten festgelegten Mietobergrenze bewegten. Aufgrund des dort stark
touristisch geprägten Saisonarbeitsmarktes sei der Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II überdurchschnittlich, es gebe faktisch kaum einen Druck auf Transferleistungsempfänger, die Insel wegen der hohen Mieten
zu verlassen, jedenfalls keinen solchen Druck, der höher wäre als bei dem Rest der Sylter Bevölkerung. Das Sozialgericht habe
keine Ausführungen dazu gemacht, ob es den vom Beklagten definierten Vergleichsraum bestehend aus den Inseln Sylt, Pellworm,
der Halbinsel Nordstrand und im Festlandsgebiet des Kreises Nordfriesland für zutreffend halte bzw. welcher anders zugeschnittene
Vergleichsraum denn zutreffend wäre.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 10. November 2015 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger rügt das Zusammenfassen von Gemeinden unterschiedlicher Art. Die Mieten auf Sylt seien ein Vielfaches höher und
wichen von den auf dem Festland zu zahlenden Mieten ab. Diese Methodik könne zu keinem nachvollziehbaren Ergebnis führen.
Zu Recht habe das SG eine Begünstigung von Ghettobildung angenommen durch die Vorgehensweise des Beklagten. Eine Ghettoisierung komme nicht nur
dann in Betracht, wenn nur einkommensschwache Menschen in einem bestimmten Bereich wohnen, sondern auch dann, wenn eine normale
gesunde Durchmischung nicht mehr stattfinde und auch nicht stattfinden könne.
Der Senat hat den Beklagten in mehreren ausführlichen Hinweisen auf verschiedene Aspekte hingewiesen, die Zweifel an der Schlüssigkeit
des Konzeptes begründen. Fraglich erscheine bei der ausschließlichen Auswertung von Mieten von Wohngeldempfängern die Berücksichtigung
des maßgeblichen sogenannten oberen Spannwerts. Auch eine Berücksichtigung von Angebotsmieten bzw. hinreichend aktuellen Bestandsmieten
sei nicht erkennbar.
Der Beklagte hat sich hierauf auf die sog. Cuxhaven-Entscheidung des Bundessozialgerichts berufen. Eingeräumt hat der Beklagte,
dass er seinerzeit die Angebotsmieten nicht in seine KdU-Obergrenzen-Entwicklung einbezogen habe. Als Vergleichsvorschlag
hat der Beklagte die einmalige Gewährung von 159,00 Euro an den Kläger angeboten, gebildet aus der Differenz der von ihm anerkannten
307,00 Euro Kaltmiete zum Wohngeldwert zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % (338,80 Euro). Diesen Vergleichsvorschlag
hat der Kläger abgelehnt.
Im weiteren Fortgang hat der Beklagte eine Auswertung der von ihm später beauftragten empirica Forschung und Beratung, bezeichnet
als Erstauswertung 2014, zur Erstellung eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft gemäß
§ 22 SGB II und § 35 SGB XII für den Kreis Nordfriesland vorgelegt, welche der Ermittlung seiner Mietobergrenzen seit dem 1. Juli 2015 zugrunde gelegt
worden ist.
Seitens des Senates ist mit Schreiben der Berichterstatterin vom 8. Januar 2021 dem Beklagten unter erneuter Darlegung rechtlicher
Bedenken und Zweifel hinsichtlich der Schlüssigkeit des Konzepts Gelegenheit gegeben worden zur Nachbesserung und insbesondere
Vorlage von Daten zu damals erhobenen Angebotsmieten bzw. jüngeren Bestandsmieten und Übersendung einer entsprechenden Auswertung.
Der Beklagte möge sachliche Gründe vortragen, warum die Insel Sylt einen homogenen Lebensraum zusammen mit dem gesamten Festland
darstellen solle, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in der Folgezeit Sylt als eigenständiger Vergleichsraum betrachtet
worden ist. Hinsichtlich des fraglichen Rückgriffs auf die Wohngeldtabelle ist auf eine Entscheidung des BSG vom 16. Juni 2015, B 4 AS 44/14 R verwiesen worden. Auf diesen Hinweis und eine Erinnerung vom 19. April 2021 einschließlich Terminsavisierung ist bis zur
Ladung keine Reaktion seitens des Beklagten mehr erfolgt. Nach Ladung vom 17. Mai 2021 hat der Beklagte mit einem am 31. Mai
2021 eingegangenem Schriftsatz bekundet, keine Nachuntersuchungen ohne präzise richterliche Hinweise quasi ins Blaue hinein
vornehmen zu wollen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagtenvertreter im Rahmen der rechtlichen Erörterung die Auffassung vertreten, bisher
keine Gelegenheit gehabt zu haben, auf die geäußerten Zweifel an der Schlüssigkeit des Konzepts ergänzend Stellung zu nehmen
und gegebenenfalls weitere erforderliche Daten und Datenauswertungen nachzuliefern. Insoweit bitte er um einen detaillierten
Hinweisbeschluss, um weiter gezielt vortragen zu können.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch im Wesentlichen unbegründet. Die Tenorierung durch das Sozialgericht war nur klarstellend
zu korrigieren.
Das Urteil des Sozialgerichts vom 10. November 2015 ist im Wesentlichen nicht zu beanstanden. Die Bescheide des Beklagten
vom 17. Oktober und 21. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2013 sind teilweise rechtswidrig
und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Juli 2012 bis 30.
April 2013 Anspruch auf Berücksichtigung seiner tatsächlichen Bedarfe der Unterkunft bei der Leistungsbewilligung. In diesem
Sinne war der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung abzuändern.
Die vom Beklagten begehrte Zurückweisung an das Sozialgericht gemäß §
159 SGG ist nicht in Betracht gekommen. Ein wesentlicher Verfahrensmangel ist bereits nicht ersichtlich. Jedenfalls erachtet der
Senat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens eine Zurückverweisung bereits angesichts der langen Verfahrensdauer für nicht
sachgerecht.
Gemäß § 42 Nr. 4 SGB XII in der Fassung vom 24. März 2011 umfassen die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auch die Bedarfe
für Unterkunft und Heizung. Nach § 35 Abs. 1 SGB XII (in der Fassung vom 24. März 2011, gültig vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2015) werden Leistungen für die Unterkunft
in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht. Übersteigen die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des
Einzelfalles angemessenen Umfang, sind sie insoweit als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 27 Abs. 2 SGB XII zu berücksichtigen sind, anzuerkennen. Dies gilt solange, wie es diesen Personen nicht möglich und nicht zuzumuten ist, durch
einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für
6 Monate, vgl. § 35 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XII. Nur unter bestimmten gesetzlich näher bezeichneten Voraussetzungen ist eine Pauschalisierung der Leistungen für Unterkunft
und Heizung zulässig, wovon der Beklagte nicht Gebrauch gemacht hat.
Eine Kostensenkungsaufforderung hat der Beklagte mit Schreiben vom 22. Dezember 2011 gegenüber dem Kläger erlassen. In diesem
Schreiben hat er auch den nach seiner Rechtsauffassung angemessenen Bruttokaltmietpreis mitgeteilt und ausgeführt, die „Schonzeit“
ende am 30. Juni 2012. Hiermit dürfte den Mindestanforderungen an eine Kostensenkungsaufforderung im Sinne der höchstrichterlichen
Rechtsprechung Genüge getan sein (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2009 – B 4 AS 19/09 R, m. w. N). Für die Angemessenheitsprüfung im Recht der Grundsicherung nach dem SGB XII gelten dieselben rechtlichen Grundsätze wie im Recht des SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2010 – B 8 SO 24/08 R).
Die Ermittlung des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für die Unterkunft erfolgt in zwei Schritten. Zunächst sind die abstrakt
angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten (= Bruttokaltmiete),
zu ermitteln. Im zweiten Schritt ist die konkrete Angemessenheit dieser Aufwendungen im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen
zu prüfen, insbesondere im Hinblick auf die Zumutbarkeit der notwendigen Einsparungen, einschließlich eines Umzugs (vgl. BSG vom 17. September 2020 – B 4 AS 11/20 R).
„Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen hat unter Anwendung der Produkttheorie („Wohnungsgröße in Quadratmeter
multipliziert mit dem Quadratmeterpreis“) in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen: Bestimmung der (abstrakt) angemessenen
Wohnungsgröße für die leistungsberechtigte(n) Person(en), Bestimmung des angemessenen Wohnungsstandards, Ermittlung der aufzuwendenden
Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach
einem schlüssigen Konzept, Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten. Für einen angemessenen Wohnungsstandard muss
die Wohnung nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen und keinen gehobenen
Wohnungstandard aufweisen, wobei es genügt, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt,
angemessen ist (stRspr; vgl. nur BSG vom 17.09.2020, B 4 AS 11/20 R; vom 12. Dezember 2017 - B 4 AS 33/16 - BSGE 125, 29 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 93, RdNr 15 m.w.N).“
Die Berücksichtigung einer angemessenen Wohnungsgröße für eine Person in Höhe von 50 m² gemäß der Verwaltungsvorschrift zur
Sicherung der Bindungen in der sozialen Wohnraumförderung nach dem
Wohnungsbindungsgesetz und dem Wohnraumförderungsgesetz vom 17. Juni 2004 in Schleswig-Holstein ist nicht zu beanstanden. Die Heranziehung landesrechtlicher Vorschriften aus dem
Wohnraumförderungsrecht wird in ständiger Rechtsprechung vom BSG gefordert (ständige Rechtsprechung seit Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 18/06 R; Urteil vom 20. Dezember 2012 – B 4 AS 19/11 R; Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 109/11 R). Der Kläger hat eine nur 38,02 m² große Wohnung bewohnt. Die Angemessenheit der Wohnung bestimmt sich jedoch nicht nur
durch deren Größe, sondern auch durch deren Ausstattung, Lage und Bausubstanz, die nur einfachen und grundlegenden Bedürfnissen
entsprechen muss und keinen gehobenen Standard aufweisen darf. Wie bereits dargelegt, bestimmt sich die Angemessenheit aus
dem Produkt von Wohnfläche und Standard, das sich dann in der Wohnungsmiete niederschlägt.
Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist der angemessene Quadratmeterpreis einer Wohnung mittels eines
sogenannten schlüssigen Konzeptes für einen homogenen Lebensraum zu ermitteln (vgl. z. B. Urteile des BSG vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 27/09 R und B 4 AS 50/09 R; vom 18. Februar 2010 – B 14 AS 73/08 R). Dieses schlüssige Konzept hat der Grundsicherungsträger vorzulegen. Er ist gehalten, wenn er ohne ein schlüssiges Konzept
entschieden hat, im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach §
103 Satz 1 2. Halbsatz
SGG im gerichtlichen Verfahren dann dem Gericht eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf. eine unterbliebene
Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen (vgl. bereits Urteil des BSG vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 27/09 R). Der Beklagte hat hier zur Überzeugung des Senates kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der Referenzmiete vorgelegt.
Trotz der durch den Senat aufgezeigten Mängel und der wiederholten Aufforderung zur Nachbesserung ist eine solche unterblieben.
Das Gericht ist trotz der dem Grundsicherungsträger eingeräumten Methodenfreiheit bei der Erstellung eines schlüssigen Konzepts
zur vollen Prüfung des Angemessenheitswertes und des Verfahrens seiner Ermittlung befugt und verpflichtet. Wenn ein Grundsicherungsträger
die Beanstandungen des Gerichts nicht ausräumt, ist das Gericht zur Herstellung der Spruchreife nicht befugt, selbst einen
zutreffenden Vergleichsraum festzulegen oder gar ein schlüssiges Konzept zu erstellen, wie das BSG in seiner Entscheidung vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R – bekräftigt hat.
Nach der Rechtsprechung des BSG muss ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Miete zumindest folgenden Voraussetzungen genügen:
- Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen;
- Es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung (Art von Wohnungen, Differenzierung nach Standard
der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete/Vergleichbarkeit, Differenzierung nach Wohnungsgröße);
- Angaben über den Beobachtungszeitraum;
- Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zB Mietspiegel);
- Repräsentativität des Umfangs der einbezogenen Daten;
- Validität der Datenerhebung;
- Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung;
- Angaben über die gezogenen Schlüsse (zB Spannoberwert oder Kappungsgrenze).
(vgl. BSG, Urteile vom 10.09.2013 – B 4 AS 77/12 R; vom 16.06.2015 – B 4 AS 44/14 R).
Im ersten Schritt ist der maßgebliche örtliche Vergleichsraum zu ermitteln, für den dann die erforderlichen Daten zu erheben
sind (vgl. BSG, Urteile vom 12. Dezember 2017 – B 4 AS 33/16 R; vom 16. April 2013 – B 14 AS 28/12 R). Vergleichsraum ist ein ausreichend großer Raum der Wohnbebauung, der aufgrund seiner räumlichen Nähe, zusammenhängenden
Infrastruktur und verkehrstechnischen Verbundenheit insgesamt einen homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet. Eine Aussage,
ob ein ganzer Landkreis einen einzigen Vergleichsraum darstellt oder in verschiedene Vergleichsräume aufzuteilen ist, kann
nicht generell getroffen werden. Ebenso können Städte unterschiedlicher Größe als ein räumlicher Vergleichsraum herangezogen
werden. Es kommt jeweils auf die Beurteilung des Einzelfalles anhand der vom BSG herausgearbeiteten Kriterien an (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2012 – B 4 AS 44/12 R, Rn. 17). Der Vergleichsraum ist einerseits so groß zu wählen, dass eine repräsentative Datenerhebung grundsätzlich möglich
ist. Andererseits ist zu beachten, dass das Wohnumfeld des Hilfebedürftigen respektiert werden soll und nicht die Grenzen
des Vergleichsraumes so weit gezogen werden, dass er gegebenenfalls gezwungen wäre, sein angestammtes Umfeld zu verlassen.
Denn der Hilfebedürftige soll in der Regel sein soziales Umfeld beibehalten können (vgl. BSG, Urteile vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 30/08 R; vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 2/10 R). Schließlich ist Folge der Bildung von Vergleichsräumen letztlich, dass dem Leistungsberechtigten ein Umzug an jeden Ort
des Vergleichsraumes zuzumuten ist.
Der Beklagte hat hier kein schlüssiges Konzept vorgelegt, da er bereits den Vergleichsraum nicht richtig bestimmt hat. Entgegen
seinen Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid hat der Beklagte nicht die drei Inseln Amrum, Föhr und Sylt mit dem
gesamten Festlandgebiet des Kreises Nordfriesland, sondern die Inseln Nordstrand, Pellworm und Sylt zusammen mit dem Festland
als einen Vergleichsraum betrachtet. Damit hat er keinen homogenen Lebens- und Wohnbereich abgebildet. Das Festland umfasst
die weit größere Fläche, die meisten Einwohner leben auf dem Festland. Im ländlich strukturierten Nordfriesland mögen sicherlich
auch längere Fahrzeiten unternommen werden, um Freunde, Verwandte, Ärzte, Schulen und Behörden zu besuchen. Der Inselbewohner
kann und wird aufgrund der besonderen Insellage seine Grundbedürfnisse des täglichen Lebens und sein Wohnbedürfnis hingegen
auf der Insel Sylt befriedigen. Das ergibt sich bereits aus der verkehrstechnischen Bindung und besonderen Insellage. Zwar
ist Sylt anders als andere Inseln auch über den Hindenburgdamm und nicht nur über eine Fähre erreichbar, gleichwohl ist dies
auch mit erheblichen Kosten und Aufwand verbunden. Andererseits können sich Inselbewohner auf Sylt auch mit allen Dingen des
täglichen Lebens versorgen, es existieren zahlreiche Geschäfte, niedergelassene Ärzte, wie auch eine Klinik etc. Darüber hinaus
ist auch nicht erkennbar, wie die deutlich kleineren Inseln Nordstrand und Pellworm (letztere ist nur mittels Fähre und Flugzeug
erreichbar) einen homogenen Lebensraum auch nur mit der Insel Sylt bilden sollten (vgl. bereits Urteile des LSG S-H vom 29.11.2017
– L 9 SO 50/14 und 24. Juni 2010 – L 3 AS 76/09 zur Insel Föhr und deren beanstandeter Zusammenfassung mit weiteren nordfriesischen Inseln und/oder dem Festland). Vieles
spricht letztlich dafür, die Insel Sylt aufgrund ihrer Größe, Einwohnerzahl und besonderen Lage wie auch ihres allgemein bekannten
hohen Mietniveaus aufgrund der touristischen Beliebtheit – selbst der Beklagte hat Sylt als das „Villenviertel Nordfrieslands“
bezeichnet – als eigenständigen Vergleichsraum zu betrachten. Wie allerdings eingangs bereits dargelegt, ist es nicht Sache
des Gerichts, den zutreffenden Vergleichsraum bindend festzulegen (vgl. BSG, a.a.O.). Zu einer Neueinschätzung in diesem Sinne ist der Beklagte selbst offenbar zu einem späteren Zeitpunkt gekommen,
da ausweislich des von ihm vorgelegten Konzepts der empirica vom 17. Juni 2015 Sylt seither als eigenständiger Vergleichsraum
betrachtet worden ist. Dies wird gerade mit den ausdrücklich in dem vorgelegten Konzept getroffenen Feststellungen begründet,
Sylt zeichne sich durch einen spezifischen, sehr teuren Wohnungsmarkt aus. Die Mieten für öffentlich inserierte Wohnungen
lägen um mehr als 10,00 Euro je Quadratmeter höher als auf dem benachbarten Festland. Eine Zusammenfassung mit weiteren Gemeinden
sei aufgrund topographischer Lage und starkem Mietgefälle zu den benachbarten Kommunen nicht zielführend (vgl. insbesondere
S. 6 oben, S. 8 unten des empirica-Konzepts).
Die vom Beklagten gewählte Herangehensweise ist in mehrfacher Hinsicht methodisch nicht gerecht. Zwar kommt dem Beklagten
bei der Erstellung eines Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft Methodenfreiheit zu (vgl.
BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 9/14 R). Die von ihm gewählte Methode, allein Mieten von Leistungsbeziehern, d. h. Wohngeldempfängern und Leistungsbeziehern nach
dem SGB II und SGB XII zu berücksichtigen, ist grundsätzlich zulässig. Mit den ausgewerteten rund 7.580 Bestandsmietfällen mag eine qualitativ ausreichende
Datenbasis vorliegen, wenn diese entsprechend den Anforderungen des BSG 10 % des regionalen Wohnungsbestandes darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14/7 BAS 44/06 R), wie jedenfalls im Konzept behauptet wird. Da dann aber ausschließlich von
Leistungsempfängern angemietete Wohnungen herangezogen werden, kann lediglich eine Durchschnittsbildung erfolgen. In diesem
Fall errechnet sich nämlich ein Angemessenheitswert, der unter dem Wert liegt, der für einen Teil der Leistungsempfänger als
angemessen akzeptiert wird. Schließlich bewohnen die Leistungsempfänger nur Wohnungen einfachen Standards, weswegen dann eine
Angemessenheitsgrenze aus dem sog. oberen Spannwert zu bilden ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2011 – B 14 AS 91/10 R m.w.N.). Dies hat der Beklagte nicht getan. Er hat den Median aus dem gesamten Fallbestand ermittelt und nicht einen oberen
Spannwert berechnet. In der Anmerkung für die nächste Auswertung wird hierzu ausdrücklich ausgeführt, bei der nächsten Auswertung
soll überlegt werden, ob der Median aus dem oberen letzten Viertel zu bilden sei (vgl. S. 14 unten des Konzepts von 2011)
Der Beklagte ist des Weiteren bei der Ermittlung der Angemessenheitsgrenze grob fehlerhaft vorgegangen, indem er den Medianwert
noch nicht einmal aus den ermittelten Bruttokaltmieten des von ihm bestimmten Vergleichsraumes erhoben hat. Nachdem er festgestellt
hatte, dass die von ihm ermittelten Medianwerte der Städte Husum, Niebüll und insbesondere der Insel Sylt über den Medianwerten
der Landgemeinden liegen, hat er nicht einen Median bezogen auf den von ihm festgelegten Vergleichsraum zugrunde gelegt, sondern
für die Städte Husum, Niebüll und Sylt einen eigenständigen Medianwert zugrunde gelegt, allerdings orientiert allein am höchsten
Medianwert einer der beiden Städte und nicht an dem der Insel Sylt. Des Weiteren wurde für die übrigen Festlandsgemeinden
der höchste Medianwert ohne die vorgenannten Städte sowie ohne Sylt und die Gemeinde St. Peter-Ording herangezogen. Insoweit
wird völlig verkannt, dass für den gebildeten Vergleichsraum nur ein Medianwert zu bilden ist. Ein planmäßiges, methodengerechtes
Vorgehen liegt damit nicht vor, sondern eine gewillkürte Herangehensweise. Bereits durch dieses Vorgehen wird eine zu ermittelnde
Referenzmiete für Sylt erheblich gedrückt, da sich aus dem vom Beklagten ermittelten Medianwert allein für Sylt mit 8,54 Euro
je m² bereits ein deutlich höherer Angemessenheitswert von 427,24 Euro ergäbe, selbst ohne den oberen Spannwert zu berücksichtigen.
Angesichts des Agierens des Beklagten erscheint es wenig überraschend, dass man bei diesem gewillkürten Vorgehen fast punktgenau
zu dem Wert der Mietstufe 2 des Wohngeldgesetzes gelangt (307,00 Euro statt 306,00 Euro).
Des Weiteren kann kein schlüssiges Konzept angenommen werden, da die Aktualität des Datenmaterials nicht gewährleistet ist
(vgl. hierzu zB BSG vom 12.12.2017, B 4 AS 33/16 R m.w.N.). Der Beklagte hat ausschließlich Bestandsmieten ausgewertet. Eine Gegenprüfung, ob in dem Zeitraum zu der von ihm
„ermittelten“ Referenzmiete tatsächlich eine Wohnung hätte angemietet werden können, ist durch den Beklagten nicht erfolgt.
Dem Beklagten hätten hierfür im Rahmen seiner Methodenfreiheit verschiedene Wege offen gestanden. Weder hat bei Erstellung
des Konzepts noch im Rahmen der Prüfung im Gerichtsverfahren auf Vorhalt des Senats eine derartige Gegenprüfung stattgefunden.
Der Beklagte hätte Angebotsmieten auswerten können oder lediglich aktuelle Bestandsmieten einbeziehen können. Angebotsmieten
sind ausweislich des Konzepts nicht erhoben worden; der Datenbestand besteht allein aus Bestandsmietfällen, die zeitlich nicht
weiter aufgeschlüsselt sind. Auch im gerichtlichen Verfahren sind trotz Aufforderung keine Daten nachgeliefert worden. Nach
der Rechtsprechung des BSG können Bestandsmieten allein eine realitätsgerechte Datenbasis darstellen, wenn es sich um in jüngerer Vergangenheit abgeschlossene
Mietverhältnisse bzw. geänderte Mietvereinbarungen handelt. Dabei geht das BSG davon aus, dass Bestandsmieten maximal der letzten 4 Jahre einbezogen werden können (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2018 – B 4 AS 33/16 R). Auch insoweit ist der Beklagte seiner Mitwirkungspflicht trotz mehrfacher Aufforderung des Senats nicht nachgekommen
und hat keine aufgeschlüsselte Auswertung der Bestandsmieten nach dem Alter vorgelegt, weswegen mangels vorgelegter repräsentativer
Datenbasis keine Festsetzung einer Referenzmiete möglich gewesen ist.
Im Ergebnis liegt mithin aus mehreren Gründen ein Erkenntnisausfall vor. Ein Rückgriff auf die Tabellenwerte des § 12 Wohngeldgesetz zuzüglich eines Sicherheitszuschlages in Höhe von 10 vom Hundert ist vom Sozialgericht zu Recht verneint worden. Im Streitzeitraum
hat für Sylt keine eigenständige Festlegung einer Mietstufe existiert, obgleich Sylt bereits im Jahr 2014 über 17.000 Einwohner
verfügte. Ein Rückgriff auf andere vergleichbare Wohngemeinden des Vergleichsraums (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Juli 2015 – B 4 AS 44/14 R) kommt nicht in Betracht. Die damals für den Landkreis Nordfriesland insgesamt geltende Mietenstufe 2 ist nicht angemessen.
Diese Mietenstufe spiegelt keineswegs das Mietniveau der Insel Sylt wider, welches durch einen deutlich teureren spezifischen
Wohnmarkt gekennzeichnet war. Dies ergibt sich bereits aus den Feststellungen des Beklagten in dem vorgelegten Konzept, wenn
er auch offenkundig aus finanziellen Erwägungen um eine niedrige Festlegung der Referenzmiete für Sylt bemüht war. Gleichwohl
ist sowohl aus dem Konzept, der dortigen Median-Ermittlung und ergänzend auch dem für die Folgezeit vorgelegten Konzept der
emperica feststellbar, dass das Mietniveau von Sylt deutlich über dem des Landkreises und auch der anderen Städte gelegen
hat. Im Übrigen ist Sylt dann unmittelbar mit Festlegung einer eigenen Mietstufe in die höchste Mietstufe 6 eingruppiert worden,
was bereits für das Jahr 2016 einen Miethöchstbetrag von 522,00 Euro für einen 1-Personenhaushalt bedeutete.
Da der Rückgriff auf die Tabellenwerte des Wohngeldgesetzes hier nicht zu angemessenen Ergebnissen führt, besteht ausnahmsweise Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht erfüllt.