Arzneimittelregress wegen der Verordnung des Präparats Bondronat
Terminale Niereninsuffizienz
Grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts der GKV
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Arzneimittelregress wegen der Verordnung des Präparats Bondronat im Quartal I/2010.
Die Klägerin - eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG), deren Mitglieder an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen -
betreibt in J. eine internistische Praxis, in der ua Nierenerkrankungen behandelt und Dialysen durchgeführt werden. Seit August
2005 behandelte sie die bei der Beigeladenen zu 2. versicherte Patientin A.S. (geb K., verst L.), bei der ua eine terminale
Niereninsuffizienz bei Dialysepflichtigkeit, ein Diabetes mellitus Typ II, eine Herzinsuffizienz und chronische Rückenschmerzen
vorlagen. Am 12. März 2010 verordnete der bei der Klägerin tätige Arzt Dr. M. das zur Gruppe der Bisphosphonate gehörende
Arzneimittel Bondronat (Wirkstoff: Ibandronsäure bzw Ibandronat) zulasten der Krankenkasse.
Am 9. Dezember 2010 beantragte die Beigeladene zu 2. bei der Prüfungsstelle Niedersachsen in Hinblick hierauf die Festsetzung
eines Regresses in Höhe von 1.089,95 Euro, weil das Arzneimittel außerhalb seiner Zulassung und damit der Leistungspflicht
der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet worden sei. In ihrer hierzu am 14. Dezember 2010 abgegebenen Stellungnahme
legte die Klägerin dar, Bondronat sei als Therapiestandard zur Behandlung der Hyperkalzämie zugelassen. Ein Hyperparathyreoidismus
(HPT) sei als Ursache der Hyperkalzämie auszuschließen, ein Tumorleiden habe im Rahmen der Erwägungen gelegen.
Auf der Grundlage einer Stellungnahme ihrer Beratungskommission setzte die Prüfungsstelle mit Bescheid vom 31. Oktober 2013
den beantragten Regress fest. Die Voraussetzungen eines zulässigen Off-Label-Use lägen nicht vor, weil als Standardtherapie
des sekundären HPT die Gabe von Phosphatbindern oder Vitamin-D-Verbindungen, ggf ergänzt durch das Arzneimittel Mimpara (Wirkstoff:
Cinacalcet), einzusetzen sei.
Hiergegen legte die Klägerin am 24. November 2013 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie ua anführte, ein sekundärer HPT
sei nicht anzunehmen. Vielmehr sei es bei der Patientin A.S. um die Behandlung einer Hyperkalzämie gegangen, sodass sich Dr.
M. vollkommen im Rahmen der Zulassung von Bondronat bewegt habe.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 24. März 2015 (am selben Tag abgesandt) zurück und bestätigte den Regress
von 1.089,95 Euro. Eine Verordnungsfähigkeit von Bondronat zulasten der GKV ergebe sich vorliegend weder aus den Vorschriften
der Arzneimittel-Richtlinie (AMR) noch aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum ausnahmsweise zulässigen Off-Label-Use. Bei dem behandelten HPT und der mutmaßlich tumorbedingten Hyperkalzämie handele
es sich nicht um eine schwerwiegende Erkrankung iS der Rechtsprechung des BSG, weil die Klägerin letztlich nur oberflächlichen Vortrag zum Erkrankungsbild gehalten habe. Auch eine onkologische Absicherung
der Tumordiagnose sei nicht erfolgt. Unabhängig hiervon lägen keine Forschungsergebnisse vor, die erwarten ließen, dass das
Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könne.
Hiergegen hat die Klägerin am 27. April 2015 Klage zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Die zulassungsgemäße Anwendung des Präparats Bondronat ergebe sich im vorliegenden Fall bereits daraus,
dass dieses zur Behandlung einer bei der Patientin vorliegenden Hyperkalzämie eingesetzt worden sei, die auch eine schwerwiegende
Erkrankung gewesen sei. Dabei habe auch der sich aus der Hyperkalzämie ergebende HPT behandelt werden können, der ansonsten
zum absehbaren qualvollen Tod der Patientin geführt hätte. In diesem Zusammenhang habe auch die Differenzialdiagnose eines
unbekannten Primärtumors mit Knochenmetastasen in der Wirbelsäule bestanden. Die weitere Abklärung des Tumorverdachts ca ein
Dreivierteljahr vor dem Tod der Patientin sei unterblieben, weil sich hieraus keine therapeutische Konsequenz ergeben hätte.
Die schmerzlindernde Eigenschaft von Bondronat sei im Übrigen (erwünschter) Nebeneffekt gewesen. Die Indikation für Bondronat
sei aber auch bei nicht tumorbedingter Hyperkalzämie gegeben, weil diese Behandlungsmethode bereits vor 1989 einem weltweiten
Therapiestandard entsprochen habe. Die Voraussetzungen für einen zulässigen Off-Label-Use seien auch erfüllt gewesen, weil
aufgrund des desolaten Allgemeinzustands der Patientin keine andere Therapie verfügbar gewesen sei und die Datenlage die begründete
Aussicht vermittelt habe, dass mit dem Arzneimittel Bondronat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) hätte erzielt
werden können. Schließlich seien auch die Voraussetzungen für eine grundrechtsorientierte Auslegung des Rechts der GKV nach
dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Dezember 2005 erfüllt. Die Indikation für die Verordnung des als
Alternative angeführten Präparats Mimpara habe nicht vorgelegen, weil es an entsprechenden Diagnosen gefehlt habe. Ergänzend
hat die Klägerin die Versicherte A.S. betreffende Behandlungsunterlagen vorgelegt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18. Januar 2017 abgewiesen. Es sei nicht nachgewiesen, dass sich die streitige Verordnung von
Bondronat im Rahmen der Zulassung des Arzneimittels bewegt habe und dass die Voraussetzungen für einen zulässigen Off-Label-Use
erfüllt gewesen seien. Der bloße Verdacht, dass bei der Patientin eine tumorinduzierte Hyperkalzämie vorgelegen haben könne,
reiche für die Annahme eines vom Wortlaut der Zulassung gedeckten Einsatzes des Arzneimittels nicht aus. Dass insoweit noch
diagnostische Maßnahmen hätten erfolgen können, sei nicht ausgeschlossen, weil die Therapie mit Bondronat bereits im Oktober
2006 begonnen worden sei. Bei der Patientin hätten zwar zweifellos schwerwiegende Erkrankungen vorgelegen, die Alternativlosigkeit
als Voraussetzung für einen Off-Label-Use sei aber nicht erfüllt gewesen, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass es
mit dem Arzneimittel Mimpara eine Therapiealternative gegeben habe. Denn nach Auffassung der mit einem Vertragsarzt fachkundig
besetzten Kammer habe bei der Patientin ein HPT vorgelegen und insoweit verbleibende Unwägbarkeiten gingen zulasten der Klägerin.
In Hinblick auf mögliche Nebenwirkungen von Mimpara sei nicht ersichtlich, dass der Zustand der Patientin bereits im Oktober
2006 einen entsprechenden Therapieversuch ausgeschlossen hätte. Schließlich dürfte ein zulässiger Off-Label-Use auch schon
deswegen nicht vorliegen, weil keine Phase III-Studien zur Anwendung von Bondronat bei der allgemeinen, von der Ursache losgelösten
Indikation Hyperkalzämie vorgelegen hätten.
Gegen das ihr am 23. Februar 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. März 2017 Berufung bei dem Landessozialgericht
(LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts sei das Arzneimittel Bondronat
bei der Versicherten im Rahmen der Indikation „Behandlung von tumorinduzierter Hyperkalzämie mit oder ohne Metastasen“ eingesetzt
worden. Ein entsprechender Tumorverdacht habe sich ua daraus ergeben, dass sich die Patientin schon 2006 in einem körperlich
desolaten Zustand befunden habe. Unabhängig hiervon seien auch die Voraussetzungen für einen zulässigen Off-Label-Use erfüllt
gewesen. Insbesondere hätte Mimpara nicht im Rahmen seiner Zulassung als Alternativpräparat eingesetzt werden können, weil
das Vorliegen der dafür vorausgesetzten Indikationen nicht geklärt gewesen sei. Auf die Frage, ob im Oktober 2006 ein Therapieversuch
mit Mimpara möglich gewesen sei, komme es nicht an, weil relevant nur der Zeitpunkt der hier streitigen Verordnung sei. Im
Übrigen sei bei der Patientin eine Tabletteneinnahme nicht zuverlässig gesichert gewesen. Das Argument des SG, es fehle an Phase III-Studien, gehe ins Leere, weil solche Studien nach der Rechtsprechung des BSG keine zwingende Voraussetzung für einen zulässigen Off-Label-Use seien. Ausreichend sei vielmehr eine begründete Aussicht
auf einen Behandlungserfolg. Bisphosphonate seien aber seit den 1980er-/1990er-Jahren Therapiestandard bei der Hyperkalzämie.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 18. Januar 2017 und den Bescheid des Beklagten vom 24. März 2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das SG habe zutreffend dargelegt, dass es für den zulassungskonformen Einsatz eines Präparats nicht ausreiche, wenn der Verdacht
einer entsprechenden Erkrankung bestehe. In Hinblick auf einen Off-Label-Use fehle es bereits an einer schwerwiegenden (dh
lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung, weil sich in den Angaben und Unterlagen
der Klägerin keine Angaben dazu fänden, welchen Ausprägungsgrad die Hyperkalzämie gehabt habe. Im Übrigen schließt sich der
Beklagte den Feststellungen des Gerichts an, vorliegend könne nicht ausgeschlossen werden, dass Therapiealternativen vorhanden
gewesen seien, und im Zeitpunkt der Verordnung seien keine Phase III-Studien zur Wirksamkeit von Bondronat bei einer tumorunabhängigen
Hyperkalzämie veröffentlich gewesen. Unabhängig hiervon sei der erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens gehaltene Vortrag
der Klägerin präkludiert.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag. Die Beigeladene zu 1. weist auf die BSG-Entscheidung vom 30. Oktober 2013 (AZ: B 6 KA 2/13 R) hin und ist der Auffassung, die Frage nach einem zulässigen Off-Label-Use und damit der Vertretbarkeit der Verordnungen
könne möglicherweise auch anders bewertet werden als im Urteil des erstinstanzlichen Gerichts. Die Beigeladene zu 2. schließt
sich den Ausführungen des SG an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte
des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat ihre Klage zu Recht abgewiesen.
I. Die Klage ist als (isolierte) Anfechtungsklage gemäß §
54 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist das entgegen §
106 Abs
5 S 8 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch -
SGB V - (idF des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes <GKV-WSG> vom 26. März 2007 <BGBl I 378>) erforderliche Vorverfahren (vgl hierzu BSG, Urteil vom 11. Mai 2011 - B 6 KA 13/10 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 32) durchgeführt und mit dem Bescheid vom 24. Mai 2015 abgeschlossen worden. Dieser Bescheid ist alleiniger Gegenstand des vorliegenden
Klageverfahrens (BSG aaO, mwN).
II. In der Sache hat die Klage jedoch keinen Erfolg. Der Bescheid vom 24. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten.
1. Rechtsgrundlage hierfür ist §
106 Abs
2 S 4, Abs
3 S 3
SGB V (hier anwendbar idF des GKV-Modernisierungsgesetzes <GMG> vom 14. November 2003 <BGBl I 2190>) iVm § 33 der zwischen der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) und den (Landesverbänden der) Krankenkassen
getroffenen Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß §
106 SGB V ab dem Jahr 2010 (PrüfV 2010).
Gemäß §
106 Abs
2 S 4
SGB V können die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den KÄVen über die in S 1
vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Dabei ist festzulegen, unter welchen Voraussetzungen
Einzelfallprüfungen durchgeführt werden und dass die Prüfungsstelle auf Antrag der KÄV, der Krankenkasse oder ihres Verbandes
Einzelfallprüfungen durchführt (§
106 Abs
3 S 3
SGB V). Nach §
33 S 1 PrüfV 2010 prüft die Prüfungsstelle auf Antrag einer Krankenkasse oder eines Vertragspartners in begründeten Fällen,
ob der Vertragsarzt unwirtschaftliche Arznei- bzw Heilmittel-Anwendungen veranlasst hat. Damit umfasst §
33 S 1 PrüfV 2010 die in §
106 Abs
3 S 3
SGB V angesprochenen Einzelfallprüfungen im Arzneimittelbereich. Dass die PrüfV 2010 erst mit dem Hinweis auf ihre Veröffentlichung
im Internet in der August-Ausgabe des Niedersächsischen Ärzteblatts 2010 (NdsÄBl 2010, Heft 8, S 70) wirksam geworden ist, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Darin liegt keine unzulässige Rückwirkung der Norm mit der
Folge, dass es für das Quartal I/2010 an einer Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Arzneimittelregressen im Einzelfall
gefehlt hätte. Denn durch die PrüfV 2010 ist insoweit keine Änderung der Rechtslage eingetreten, weil schon die vorangegangene
ab 2008 geltende PrüfV 2008 in § 33 in Hinblick auf Arzneimittel eine fast wortgleiche Bestimmung enthalten hat ( zur vergleichbaren Rechtslage bei Sprechstundenbedarfsregressen vgl Senatsurteil vom 26. Mai 2021 - L 3 KA 8/17).
2. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist der erforderliche Antrag innerhalb von zwei Jahren nach Ablauf des
Verordnungsquartals bei der Prüfungsstelle gestellt worden, wie dies § 33 S 2 PrüfV 2010 vorsieht.
3. Der Verordnungsregress ist auch inhaltlich zu Recht ergangen. Die Klägerin durfte das Präparat Bondronat nicht zur Behandlung
der Patientin A.S. vertragsärztlich-ambulant verordnen, weil diese keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem Arzneimittel
als Sachleistung der GKV hatte.
a) Die in der GKV versicherten Patienten haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln (§
31 Abs
1 S 1
SGB V), die sich bei ihrem Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (vgl §§
2 Abs
1 S 3, 12 Abs
1 SGB V). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich für Fertigarzneimittel grundsätzlich danach, ob sie nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts
(vgl §§ 21 ff Arzneimittelgesetz <AMG>) zugelassen sind (BSG, Urteil vom 8. Juni 1993 - 1 RK 21/91, SozR 3-2200 § 182 Nr 17; Urteil vom 8. März 1995 - 1 RK 8/94, SozR 3-2500 § 31 Nr 3). Ein Arzneimittel kann aber auch dann, wenn es demnach zum Verkehr zugelassen ist, grundsätzlich nicht zulasten der GKV in
einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (BSG, Urteil vom 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R, SozR 3-2500 § 31 Nr 8).
Die Zulassung von Bondronat war im hier fraglichen Quartal (1.) auf die Prävention skelettbezogener Ereignisse (pathologische
Frakturen; Knochenkomplikationen, die eine Radiotherapie oder einen chirurgischen Eingriff erfordern) bei Patienten mit Brustkrebs
und Knochenmetastasen und (2.) auf die Behandlung von tumorinduzierter Hyperkalzämie mit oder ohne Metastasen beschränkt.
Dies ergibt sich aus den Angaben der Lauer-Taxe (vgl Bl 7 ff VA) zu den Anwendungsgebieten des Arzneimittels und ist zwischen
den Beteiligten zu Recht unstreitig. Eine derartige Indikation hat bei der Behandlung der Versicherten A.S. jedoch nicht vorgelegen.
Der Einsatz von Bondronat erfolgte zwar zur Therapie einer Hyperkalzämie, wie sich aus dem insoweit durchgehenden und vom
Beklagten nicht begründet in Zweifel gezogenen Vorbringen der Klägerin ergibt. Die Hyperkalzämie war aber nicht tumorinduziert.
Denn es ist zu keiner Zeit festgestellt worden, dass bei der Versicherten ein Tumor vorgelegen hat, der als Ursache der Hyperkalzämie
in Betracht kam. Die Klägerin hatte im Rahmen ihrer Dokumentation unter dem 17. Januar 2009 als „Dauerdiagnose“ „chron. Rückenschmerzen
bei Osteoporose DD TU N.“ angegeben (vgl S 4 der Stellungnahme vom 14. Dezember 2010). Demnach hatte sie lediglich differenzialdiagnostisch
an die Möglichkeit eines Tumors (TU) gedacht. Eine solche Verdachtsdiagnose kann die darauf gestützte Verordnung eines Arzneimittels
bei der Prüfung eines evtl Regressanspruchs der Krankenkasse aber nur dann rechtfertigen, wenn sie nicht fernliegend ist und
auf dem Wissensstand der jeweiligen Zeit, der Ausschöpfung der praktisch möglichen Diagnostik sowie der Auswertung der vorhandenen
Befunde beruht (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 6 KA 2/13 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 43). Eine nähere Tumordiagnostik haben die Ärzte der Klägerin aber gar nicht vorgenommen, sodass die praktisch mögliche Diagnostik
nicht ausgeschöpft worden ist. Dies mag im Zeitpunkt der streitbefangenen Verordnung vom 12. März 2010 auf der Grundlage des
damaligen moribunden Zustands der Versicherten (vier Monate vor ihrem Tod) nachvollziehbar gewesen sein. Zutreffend hat aber
bereits das SG darauf hingewiesen, dass die Klägerin das streitbefangene Arzneimittel Bondronat schon seit Oktober 2006 der Patientin verordnet
hatte, wie sich aus der dem erstinstanzlichen Gericht vorgelegten Übersicht der Klägerin über die von ihr rezeptierten Präparate
ergibt. Angesichts dessen kann auch der Senat nicht nachvollziehen, aus welchen Gründen es die Mitglieder der Klägerin über
fast vier Jahre unterlassen haben, ihrem als „Dauerdiagnose“ bezeichneten Verdacht auf Vorliegen einer Tumorerkrankung nachzugehen.
Dies gilt umso mehr, als die Behandlung der Grunderkrankung, die zu der Hyperkalzämie führt, neben der Therapie der akuten
Hyperkalzämie individuell durchzuführen ist, wie sich aus dem von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten
Beitrag von Bergner ua (Therapie der Hyperkalzämie mit Ibandronat bei akuter Niereninsuffizienz, in: Der Internist 47 <2006>, 293 <294>) ergibt.
Im Übrigen ist der Vortrag der Klägerin im Klageverfahren, die Hyperkalzämie sei tumorinduziert gewesen, auch nicht glaubhaft.
Denn im Gegensatz hierzu hatte sie noch in ihrer Widerspruchsbegründung vom 24. November 2013 (dort S 3) ausgeführt, dass
die Möglichkeit eines Tumorleidens therapeutisch völlig bedeutungslos gewesen sei. Auch in ihrer - an ihre Prozessbevollmächtigte
gerichteten - Stellungnahme vom 31. März 2016, die dem SG mit der Behandlungsdokumentation zur Patientin A.S. übersandt worden ist, ist dargelegt, dass sich die Behandlung „gegen
das Kalzium“ gerichtet habe und dies „mit der Tumorerkrankung nicht das Geringste zu tun“ habe. Aus dieser Stellungnahme und
aus den Darlegungen der Klägerin im Widerspruchsverfahren folgt gerade, dass die Klägerin die Auffassung vertritt, Bondronat
könne auch bei nichttumorbedingter Hyperkalzämie eingesetzt werden. Der anderslautende Vortrag im gerichtlichen Verfahren
ist als bloße Schutzbehauptung zu werten, nachdem der von der Prüfungsstelle festgesetzte Regress vom Beklagten bestätigt
worden war.
b) Nach § 30 Abs 1 der AMR (in der am 12. März 2010 in Kraft getretenen Fassung) ist die Verordnung von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten allerdings zulässig, wenn die
Expertengruppen nach §
35b Abs
3 S 1
SGB V (in der hier maßgeblichen bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung, aktuell §
35c Abs
1 SGB V) mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über
die Anwendung dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben
haben und der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) die Empfehlung in diese Richtlinie (in Anl VI Teil A) übernommen hat. In Teil
A der Anl VI (in der am 12. März 2010 in Kraft getretenen Fassung) ist das Präparat Bondronat aber nicht aufgeführt.
c) Darüber hinaus können nach st BSG-Rspr (grundlegend die Entscheidung vom 19. März 2002, aaO; ferner zB Urteil vom 8. November 2011 - B 1 KR 19/10 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 19; Urteil vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 25/11 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 22; Urteil vom 11. September 2018 - B 1 KR 36/17 R, juris; aus der Rspr des für das Vertragsarztrecht zuständigen 6. Senats des BSG: Urteil vom 5. Mai 2010 - B 6 KA 6/09 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 27; Urteil vom 20. März 2013 - B 6 KA 27/12 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 40; Urteil vom 13. August 2014 - B 6 KA 38/13 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 47) Arzneimittel in bestimmten Fällen im Rahmen eines Off-Label-Use verordnet werden. Hierfür ist vorauszusetzen, dass es sich
um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden)
Erkrankung handelt (im Folgenden: aa), aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat
ein Behandlungserfolg erzielt werden kann (bb) und keine andere Therapie verfügbar ist (cc).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht vollständig erfüllt.
aa) Es ist bereits nicht festzustellen, dass der Einsatz von Bondronat der Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen
oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung diente. Dabei kann im vorliegenden Zusammenhang
nicht der Gesamtzustand der Versicherten - der ua von einer terminalen Niereninsuffizienz geprägt war - ausschlaggebend sein,
sondern nur die mit dem umstrittenen Präparat therapierte Hyperkalzämie. Diese Störung des Kalziumstoffwechsels (ICD-10: E83.59)
bleibt oft symptomlos (Bergner ua, aaO; Renz-Polster/Krautzig, Basislehrbuch Innere Medizin, 4. Aufl 2008, S 1043) und führt ansonsten zu ganz unterschiedlichen Symptomen und Störungen unterschiedlichen Intensität (vgl Renz-Polster/Krautzig, aaO). Welches Beschwerdebild bei der Patientin A.S. aufgrund der Hyperkalzämie im Einzelnen vorgelegen hat, hat die Klägerin jedoch
nicht mitgeteilt. Im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 14. Dezember 2010 hat sie lediglich unsubstantiiert behauptet, bei der
Patientin habe eine „schwere, lebensbedrohliche, therapieresistente“ Hyperkalzämie vorgelegen. Aus den mitgeteilten Laborwerten
ergibt sich auch nicht, dass bei der Klägerin hyperkalzämische Krisen eingetreten sind. Denn diese sind durch einen Serumkalziumspiegel
>3,5 mmol/l gekennzeichnet (Kasperk, Hyperkalzämische Krise und hypokalzämische Tetanie, in: Der Internist 58 <2017>, 1029) , der aber nicht vorlag, weil die Klägerin einen entsprechenden Wert von höchstens 3,36 mmol/l mitgeteilt hat.
bb) Es kann auch nicht festgestellt werden, dass aufgrund der Datenlage, die im Zeitpunkt der streitbefangenen Behandlung
gegeben war (zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts vgl BSG, Urteil vom 27. September 2005 - B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 3; Urteil vom 8. November 2011 - B 1 KR 19/10 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 19) , die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestand. Dabei trifft es nicht zu, wenn die Klägerin im Berufungsverfahren
meint, eine Phase III-Studie sei nach den Vorgaben des BSG keine zwingende Voraussetzung für einen zulässigen Off-Label-Use. Von einer begründeten Erfolgsaussicht kann nach der BSG-Rechtsprechung vielmehr nur ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung im Verordnungszeitpunkt bereits
beantragt war und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Plazebo) veröffentlicht
sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit bzw einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb
eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels
in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund denen in den einschlägigen
Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht ( BSG, Urteil vom 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R, SozR 3-2500 § 31 Nr 8). Dabei ist in der Rechtsprechung geklärt, dass auch die Erkenntnisse, die außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens
gewonnen worden sind, denjenigen einer Phase III-Studie gleichstehen müssen (BSG, Urteil vom 8. November 2011 - B 1 KR 19/10 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 19; Urteil vom 20. März 2013 - B 6 KA 27/12 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 40; Urteil vom 13. August 2014 - B 6 KA 38/13 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 47).
Dass eine derartige Phase III-Studie zur Wirksamkeit von Bondronat bei nicht tumorinduzierter Hyperkalzämie vorliegt, wird
von der Klägerin nicht behauptet und ist auch von Amts wegen nicht ersichtlich. Nicht maßgeblich ist in diesem Zusammenhang,
dass die Klägerin eine Reihe von Unterlagen vorgelegt hat, die den Nutzen von Bondronat bzw von Bisphosphonaten zur Behandlung
der tumorunabhängigen Hyperkalzämie belegen sollen. Denn das BSG (Urteil vom 5. Mai 2010 - B 6 KA 6/09 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 27) hat klargestellt, dass es (bei fehlenden Phase-III-Studien) als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der
GKV nicht ausreicht, wenn positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus der jeweiligen Präparate nicht
schlechthin ausgeschlossen werden können, Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung
ihres Befindens beschreiben oder einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung
abweichenden Standpunkt zu der Erfolgsaussicht einer Behandlung vertreten. Im Übrigen handelt es sich bei den von der Klägerin
(häufig nur auszugsweise) vorgelegten wissenschaftlichen Beiträgen zumeist um solche zu Tumorfolgen („malignancy-associated
hypercalcemia“), um Einzelfallberichte (Bergner aaO) oder um Übersichten, die erst deutlich nach dem Zeitpunkt der hier maßgeblichen
Verordnung erstellt worden sind (zB Shane und Berenson, Treatment of hypercalcemia, Anl K 8 zum Schriftsatz vom 18. Januar
2017: Stand 2015/2016).
Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der Klägerin, weitere Sachermittlungen zu der Frage durchzuführen, ob
die Behandlung mit Bondronat 2 mg Durchstechflasche „im Falle der Versicherten eine begründete Aussicht auf Behandlungserfolg“
bot, musste nach alledem nicht nachgegangen werden, weil es hierauf wegen des Fehlens allgemeiner Erkenntnisse im Sinne einer
Phase III-Studie nicht ankommt.
cc) Fehlen demnach bereits zwei der notwendigen Voraussetzungen für einen anzuerkennenden Off-Label-Use, musste der Senat
der dritten Voraussetzung - Alternativlosigkeit der gewählten Arzneimittelbehandlung - nicht mehr nachgehen. Auch auf den
weiteren Beweisantrag der Klägerin - wäre die Gabe von Mimpara am 12. März 2010 bei zeitgleicher Einnahme von Renagel im Fall
der Versicherten kontraindiziert gewesen? - kommt es deshalb rechtlich nicht mehr an.
d) Auch eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts der GKV führt nicht zur Verordnungsfähigkeit des umstrittenen
Präparats. Nach der Rechtsprechung des BVerfG verpflichten die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art
2 Abs
2 S 1
Grundgesetz (
GG) die Gerichte in besonders gelagerten Fällen zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des
Krankenversicherungsrechts. Danach darf eine in der GKV versicherte Person, die an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig
tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, nicht von der Leistung einer bestimmten
Behandlungsmethode durch die Krankenkasse ausgeschlossen werden, wenn die Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte,
nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
verspricht (Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98, SozR 4-2500 § 27 Nr 5).Anzeichen dafür, dass die hier behandelte Hyperkalzämie für sich genommen lebensbedrohlich oder sogar tödlich gewesen sein
könnte, ergeben sich - wie bereits zum Off-Label-Use dargelegt - aus dem Vorbringen der Klägerin aber nicht.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs
2 SGG), sind nicht ersichtlich.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren folgt aus der Anwendung von §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 3 S 1 Gerichtskostengesetz (GKG).-