Begründetheit der Beschwerde gegen die zuschussweise Gewährung von Arbeitslosengeld II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs – hier zur Anwendung von Sonderregelungen zur Berücksichtigung
von Vermögen im Zuge der Corona-Pandemie
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.
Gemäß §
86b Absatz
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes setzt
mithin neben einem Anordnungsanspruch - im Sinne eines materiell-rechtlichen Anspruches auf die beantragte Leistung - einen
Anordnungsgrund - im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit der vom Gericht zu treffenden Regelung - voraus. Eilbedürftigkeit
in diesem Sinne liegt in der Regel nur dann vor, wenn gegenwärtige oder unmittelbar bevorstehende wesentliche Nachteile drohen,
deren Eintritt durch eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht wieder gut gemacht werden könnte, so dass ein weiteres
Abwarten unzumutbar wäre. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§
86b Absatz
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung).
Es fehlt hier bereits an einem Anordnungsgrund, so dass offen bleiben konnte, ob ein Anordnungsanspruch besteht. Es besteht
auch kein Anlass, die Anforderungen an einen Anordnungsgrund im vorliegenden Verfahren herabzusetzen. Dies kann nach rechtsstaatlichen
Grundsätzen geboten sein, wenn ohne weiteres und damit offensichtlich ersichtlich ist, dass ein Anordnungsanspruch besteht.
In einem solchen Fall reicht eine gewisse Eilbedürftigkeit aus, weil bei einem offensichtlich bestehenden Leistungsanspruch
jedenfalls in sozialrechtlichen Streitigkeiten mit Bezug zur Existenzsicherung ein weiteres Abwarten auch bei geringeren als
wesentlichen Nachteilen wenig zumutbar erscheint. Entgegen der vom Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss vertretenen
Auffassung ist es jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass ein Anordnungsanspruch besteht. Der Senat teilt bei der im
Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens nur möglichen summarischen Prüfung der Rechtslage nicht die rechtliche Beurteilung
des erstinstanzlichen Gerichts, in dem hier im Verfahren streitbefangenen Zeitraum vom 12.01.2022 an sei Vermögen des Antragstellers
aufgrund der Vorschrift des § 67 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in den ab 24.10.2021 geltenden Fassungen nicht zu berücksichtigen, weshalb Anspruch auf die zuschussweise Gewährung von
Arbeitslosengeld II bestehe. Diese Vorschrift lautet in der Bewilligungszeiträume ab dem 01.10.2021 - wie vorliegend - geltenden
Fassung ab dem 01.04.2021: Abweichend von den §§ 9, 12 und 19 Absatz 3 wird Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht
berücksichtigt. Mit dieser gesetzlichen Regelung wurde nicht ausdrücklich geregelt, ob der genannte Sechs-Monats-Zeitraum
nur einmalig läuft oder auch für danach gestellte Weiterbewilligungsanträge erneut gilt und mithin wiederholt zu berücksichtigen
wäre. Der erkennbare Regelungszweck (siehe dazu Bundestags-Drucksache 19/18107, Seite 25) dieser gesetzlichen Bestimmung,
nämlich die Behörden von der insbesondere bei Erstanträgen oft sehr aufwändigen Prüfung, ob erhebliches Vermögen vorliegt,
in der besonderen pandemischen Situation vorübergehend zu entlasten und Leistungen nach Ablauf von sechs Monaten unter Berücksichtigung
von Vermögen nach den üblichen Vorschriften zu erbringen, spricht dafür, diese Regelung nur auf Leistungsanträge anzuwenden,
mit denen Leistungen erstmals oder aber nach einer mindestens einmonatigen Zäsur innerhalb des in § 67 Abs. 1 SGB II genannten Zeitraums beantragt werden (so auch Groth in Schlegel/Voelske, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 67 Rn. 17, Stand 15.12.2021). Zwar ist vom Gesetzgeber der in § 67 Abs. 1 SGB II genannte Zeitraum mit den nach Mai 2020 in Kraft getretenen Neufassungen dieser Vorschrift jeweils verlängert worden, mit
der zum 01.01.2021 erfolgten Gesetzesänderung ist aber die Regelung des § 67 Abs. 5 SGB II aufgehoben worden. Diese enthielt unter anderem die Bestimmung, dass im Falle einer Weiterbewilligung diese unter der Annahme
unveränderter Verhältnisse für zwölf Monate zu erfolgen habe (§ 67 Abs. 5 S. 3 SGB II in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung). Der Wegfall dieser Regelungen spricht dafür, dass der Gesetzgeber nunmehr innerhalb
einer Frist von sechs Monaten ab Leistungsbeginn eine nähere Prüfung der Bedürftigkeit von Leistungsbeziehern für durchführbar
erachtet. Der Antragsteller hat seit Inkrafttreten der vorgenannten gesetzlichen Regelungen für ein vereinfachtes Verfahren
für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der Covid-19-Pandemie am 29.05.2020 bereits deutlich länger als sechs Monate,
nämlich durchgehend von Juni 2020 bis September 2021, danach Grundsicherungsleistungen bezogen. Für einen weiteren Leistungsbezug
ist eine Berufung auf die vereinfachten Regelungen mithin ausgeschlossen und eine Bedürftigkeitsprüfung nach den allgemeinen
Regelungen vorzunehmen.
Gewichtige Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers im Sinne des SGB II bestehen hier nicht nur deshalb, weil er über ein zwar selbstgenutztes, aber unangemessen großes Hausgrundstück sowie über
weiteren Grundbesitz (Ackerland) verfügt, sondern auch weil sonstige Anhaltspunkte dagegen sprechen und mithin eine Glaubhaftmachung
von Hilfebedürftigkeit nicht gelungen ist. Hier war zu berücksichtigen, dass der Antragsteller in dem Hauptsacheverfahren
zum Az. L 2 AS 1393/20, in dem über Leistungsansprüche für den Zeitraum von September 2018 bis März 2020 gestritten wurde, die Berufung zurückgenommen
hat, nachdem er vom Landessozialgericht aufgefordert worden war, für die einzelnen Kalendermonate in diesem Zeitraum seine
Bedürftigkeit nachzuweisen. Wenn der Antragsteller über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren unter vergleichbaren finanziellen
Verhältnissen wie derzeit ohne Gewährung von Sozialleistungen hat auskommen können, spricht dies dafür, dass auch derzeit
eine Leistungsgewährung zur Sicherstellung des Existenzminimums nicht erforderlich ist.
Es sind auch aus anderen Gründen keine schwerwiegenden und nachträglich nicht wieder gut zu machenden wesentlichen Nachteile
ersichtlich, wenn der Antragsteller zur Durchsetzung der von ihm geltend gemachten Ansprüche auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen
wird. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zur finanziellen Absicherung des Existenzminimums des Antragstellers nicht
erforderlich. Der Antragsteller verfügt derzeit nach eigenen Angaben über regelmäßige monatliche Einkünfte i.H.v. 453,84 €,
die den Betrag der Regelleistung (449 €) übersteigen und die zur Aufrechterhaltung des Existenzminimums von ihm verwendet
werden können. In Bezug auf Kosten für Unterkunft und Heizung für das im Eigentum des Antragstellers stehende und von ihm
bewohnte Hausgrundstück, die zuletzt i.H.v. 137,85 € bewilligt worden waren, ist eine besondere Eilbedürftigkeit und insbesondere
die Gefahr von Obdachlosigkeit nicht ersichtlich.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch nicht zur Sicherstellung angemessenen Krankenversicherungsschutzes notwendig.
Der Antragsteller ist versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch -
SGB V - (zur Abgrenzung dieser Versicherungspflicht zum Anspruch auf Hilfen zur Gesundheit nach dem 5. Kapitel des Sozialgesetzbuch
Zwölftes Buch - SGB XII - siehe LSG NRW, Urteil vom 19.11.2009, Az L 16 (11) KR 54/08). Dies begründet gemäß §
252 in Verbindung mit §
250 Abs.
3 SGB V eine Beitragspflicht, aber auch bei einem Zahlungsverzug entfällt jedenfalls nicht der Anspruch auf Versicherungsschutz für
die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände (§
16 Abs.
3a Satz 2
SGB V). Auch diese Leistungsbeschränkung entfällt, wenn Versicherte im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches hilfebedürftig werden (§
16 Abs.
3a Satz 4
SGB V).
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).