Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die hinreichenden Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits über einen Anspruch auf Ausgabe einer Wertmarke ohne
Zahlung eines Eigenanteils nach § 145 Abs. 1 Satz 10 Nr. 2 SGB IX ohne den Bezug laufender Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII
Gründe
Nach §
73a SGG i.V.m. §§
114,
115 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht
aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet
und nicht mutwillig erscheint (vgl. hierzu im Einzelnen Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
73a Rn. 7a ff.).
Der Bewilligung von Prozesskostenhilfe steht nicht entgegen, dass der Kläger zwischenzeitlich verstorben ist und dass sein
Bevollmächtigter danach die Berufung zurückgenommen hat, da der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bereits zuvor
entscheidungsreif gewesen und die Verzögerung der Entscheidung allein dem Gericht zuzurechnen ist (vgl. Schmidt, a.a.O., Rn
11b).
Die Berufung hat aber auch zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife keine hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt.
Streitgegenstand ist die klägerische Forderung von 80 € auf Grundlage des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs für
den vom Kläger verauslagten Eigenanteil für eine Wertmarke nach §
145 Abs.
1 Satz 3
SGB IX i.V.m. §
145 Abs.
1 Satz 4 ff.
SGB IX in der bis zum 31.12.2017 gültigen Fassung (heute: § 228 Abs. 2
SGB IX) für den Zeitraum 2/2017 - 01/2018 gewesen (vgl. zur Klageart, zur Anspruchsgrundlage und zu dem für die Beurteilung der
Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 9 SB 7/10 R, Rn. 19 ff., 28 ff., 32).
Der Kläger, bei dem zuletzt ein GdB von 100 und die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G, B und aG festgestellt
worden waren, begehrte vom Beklagten ursprünglich die Ausgabe einer Wertmarke ohne Zahlung eines Eigenanteils nach §
145 Abs.
1 Satz 10 Nr.
2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 gültigen Fassung. Er wohnte im maßgeblichen Zeitraum in einem Seniorenpflegezentrum und erhielt
vom Rhein-Sieg-Kreis Hilfen in Einrichtungen nach dem SGB XII. Ausweislich der Berechnungsbögen des Rhein-Sieg-Kreises wurden konkret Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des SGB XII sowie Pflegewohngeld gezahlt. Ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII bestand danach wegen ausreichenden einzusetzenden Einkommens nicht. Neben der Hilfe zur Pflege und dem Pflegewohngeld wurden
dem Kläger vom Rhein-Sieg-Kreis nach dem SGB XII Bekleidungsbeihilfen und darlehensweise Leistungen zur Finanzierung von Zuzahlungen für Leistungen der Krankenversicherung
gewährt. Der Kläger hat geltend gemacht, dass er im Ergebnis laufende Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII erhalten habe bzw. dass §
145 Abs.
1 Satz 10 Nr.
2 SGB IX a.F. aus Gründen der Gleichbehandlung auch in seinem Fall anzuwenden sei. Es stehe ihm letztlich nur ein Barbetrag in Höhe
von 110 € monatlich zur Verfügung. In den Berechnungsbögen des Rhein-Sieg-Kreises werde ausdrücklich auf § 27b SGB XII Bezug genommen.
Gemäß §
145 Abs.
1 Satz 10 Nr.
2 SGB IX a.F. erhalten u.a. solche schwerbehinderten Menschen, bei denen die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G festgestellt
worden sind, eine kostenfreie Wertmarke, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel
des Zwölften Buches erhalten.
Der Kläger hat im streitigen Zeitraum keine laufenden Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII bezogen und er ist auch weder im Wege der Analogie, noch von Verfassungs wegen so zu behandeln gewesen.
Wegen der Einzelheiten der Begründung nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in den Entscheidungsgründen
des Urteils vom 14.01.2019 und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Der Rhein-Sieg-Kreis hat auf ausdrückliche Nachfrage einen Bezug laufender Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitels des SGB XII durch den Kläger verneint.
Der Kläger erhält auch ausweislich der aktenkundigen Berechnungsbögen des Rhein-Sieg-Kreises keine laufenden Leistungen nach
dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII, sondern lediglich Hilfe zur Pflege und nordrhein-westfälisches Pflegewohngeld (vgl. zur Verneinung eines Anspruchs auf kostenfreie
Wertmarke bei alleinigem Bezug von Hilfe zur Pflege Bayerisches LSG, Beschluss vom 29.01.2019 - L 18 SB 176/18 NZB, juris Rn. 26; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.09.2013 - L 8 SB 858/12, juris Rn. 41; SG Bremen, Beschluss vom 13.01.2011 - S 3 SB 5/11 ER, juris Rn. 14 ff.; Pahlen, in: Neumann et al.
SGB IX, 14. Aufl. 2020, § 228 Rn. 9; Vogl, in: jurisPK-
SGB IX, Stand: 15.01.2018, Rn. 48; zur Verneinung eines Anspruchs auf kostenfreie Wertmarke bei Bezug von Eingliederungshilfe LSG
Hamburg, Beschluss vom 13.08.2018 - L 3 SB 14/18 B PKH, juris). Der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII steht entgegen, dass der Kläger insofern über bedarfsdeckendes Einkommen verfügt. Allein für diese Berechnung sowie für die
Berechnung der Höhe der Hilfe zur Pflege wird in den Berechnungsbögen § 27b SGB XII herangezogen.
Zunächst wird dort unter Berücksichtigung des in § 27b SGB XII festgelegten notwendigen Lebensunterhalts in Einrichtungen errechnet, dass das vorhandene Einkommen diesen Bedarf deckt.
Sodann wird die Höhe der Hilfe zur Pflege berechnet. Dafür werden von den Gesamtkosten der Einrichtung die Leistungen der
Pflegeversicherung sowie das nordrhein-westfälische Pflegewohngeld und der notwendige Lebensunterhalt in Einrichtungen abgezogen.
Letzterer muss deshalb abgezogen werden, da andernfalls mit der Hilfe zur Pflege trotz insofern bedarfsdeckenden Einkommens
im Ergebnis genau jener Bedarf gedeckt würde. Schließlich wird noch dasjenige Einkommen in Abzug gebracht, das über den notwendigen
Lebensunterhalt in Einrichtungen hinausgeht. Dabei wird durch die Modalitäten der Berechnung sichergestellt, dass dem Kläger
ein Barbetrag nach § 27b Abs. 2 SGB XII zur Verfügung steht. Im Ergebnis bleibt es aber dabei, dass der Kläger unter Zugrundelegung der Bedarfe nach § 27b SGB XII aufgrund ausreichenden Einkommens keinen Leistungsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hat.
Die jeweils ausdrücklich als "einmalige" Leistungen gewährten Bekleidungsbeihilfen stellen ebenso wenig wie die Darlehen zur
Finanzierung von Zuzahlungen "laufende" Leistungen dar.
Dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch solche Personen Anspruch auf eine kostenfreie Wertmarke haben,
die Leistungen in entsprechender Anwendung des 3. und 4. Kapitels des SGB XII erhalten - wie Bezieher von Leistungen nach §
2 AsylbLG (BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 9 SB 7/10 R, juris Rn. 34 ff.) -, führt zu keinem anderen Ergebnis, da der Rückgriff auf § 27b SGB XII zur Berechnung der Hilfe zur Pflege keine Leistung in entsprechender Anwendung des 3. und 4. Kapitels des SGB XII darstellt. Dies deckt sich damit, dass das Bundessozialgericht auch solchen Schwerbehinderten keine kostenlose Wertmarke
zugesteht, die sich im Maßregelvollzug befinden und ein Taschengeld nach den Grundsätzen des SGB XII (BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 9 SB 6/10 R, juris Rn. 40 ff.), die Kraftfahrzeughilfe nach § 27d BVG (BSG, Urteil vom 25.10.2012 - B 9 SB 1/12 R, juris Rn. 25 ff.) oder die Leistungen nach §
3 AsylbLG erhalten (BSG, Beschluss vom 12.05.2014 - B 9 SB 81/13 B, juris Rn. 12 f.; vorhergehend ausführlich LSG NRW, Urteil vom 16.10.2013 - L 10 SB 80/13, juris Rn. 24 ff.; nachgehend BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 05.03.2018 - 1 BvR 2926/14, juris Rn. 16 ff., wonach die Rechtsprechung des BSG "durchaus plausibel" ist (Rn. 23)).
Eine analoge Anwendung von §
145 Abs.
1 Satz 10 Nr.
2 SGB IX a.F. auf den Fall des Klägers scheitert schon an einer planwidrigen Regelungslücke und ist auch nicht aus Gründen der Gleichbehandlung
geboten (vgl. zur gebotenen engen Auslegung der Norm BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 9 SB 6/10 R, juris Rn. 18 ff. und Urteil vom 25.10.2012 - B 9 SB 1/12 R, juris Rn. 28 ff.). Immerhin verfügt der Kläger über Einkommen, das den Bedarf nach § 27b SGB XII deckt. Eine bloße wirtschaftliche Vergleichbarkeit ist nicht ausreichend (vgl. LSG Hamburg a.a.O.; LSG NRW, a.a.O., Rn. 25),
was sich auch aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts zum Taschengeldbezug im Maßregelvollzug ergibt.
Allein der Umstand, dass in Rechtsprechung und Literatur gegenteilige Auffassungen vertreten werden (vgl. etwa SG Braunschweig,
Urteil vom 31.07.2018 - S 15 SB 8/18, juris Rn. 21 ff.; Masuch, in: Hauck/Noftz, Stand: 8/17, § 228
SGB IX Rn. 68), rechtfertigt die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht, da sich die Lösung des Falls aus der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts ergibt und insofern keine Klärungsbedürftigkeit besteht (vgl. zu diesem Kriterium Schmidt, a.a.O., Rn.
7b). Entsprechend hat das Bayerische LSG (a.a.O.) eine grundsätzliche Bedeutung im dortigen Fall verneint, das LSG Hamburg
(a.a.O.) im gleichgelagerten Fall des Bezugs von Eingliederungshilfe PKH abgelehnt, das LSG NRW (a.a.O., Rn. 34) die Revision
nicht zugelassen und das BSG (Beschluss vom 15.03.2017 - B 9 SB 2/17 B, juris Rn. 8) eine Nichtzulassungsbeschwerde zur streitigen Frage u.a. mit dem Hinweis darauf verworfen, es hätte "weiterer
Ausführungen dazu bedurft, weshalb nicht bereits nach dem Gesetzestext des §
145 Abs
1 S 10 Nr
2 SGB IX alleinige Leistungen nach dem Siebten Kapitel des SGB XII für einen Anspruch auf Ausgabe einer Wertmarke ohne Eigenbeteiligung iS von §
145 SGB IX ausscheiden".
Diese Entscheidung ist unanfechtbar, §
177 SGG.