Anerkennung einer Berufskrankheit der Ziffer 4101 der Berufskrankheitenverordnung - Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) – in der gesetzlichen Unfallversicherung
Erfordernis des Vollbeweises
Feststellung der Rechtswidrigkeit eines begünstigenden Verwaltungsaktes vor einer Abschmelzung gemäß § 48 Abs. 3 SGB X
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die isolierte Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Bescheids streitig, mit welchem beim Kläger
eine Berufskrankheit (BK) der Ziffer 4101 der Anlage 1 der
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) - Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) - anerkannt worden ist.
Der am 00.00.1948 geborene Kläger war vom 01.10.1974 bis September 1997 im Steinkohlenbergbau im Bergwerk T in Hückelhoven
als Hauer unter Tage tätig.
Mit Schreiben vom 30.11.2009 zeigte der Internist und Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. A bei der Beklagten
u.a. den Verdacht auf eine BK Ziffer 4101 an und verwies hierzu auf seinen Arztbericht vom gleichen Tage, ausweislich dessen
beim Kläger unter Bezugnahme auf eine Röntgenaufnahme des Thorax vom 17.11.2009 eine chronisch - obstruktive Atemwegserkrankung
mit beginnendem Lungenemphysem sowie eine Silikose Typ pq 2/2 bestehe. Zur weiteren Sachverhaltsermittlung zog die Beklagte
daraufhin verschiedene Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie Krankenhausberichte bei und holte hierzu unter
Vorlage der Röntgenaufnahme vom 17.11.2009 eine beratungsärztliche Stellungnahme des Chefarztes der Rehaklinik B in Aachen
Dr. F ein. Dieser nahm silikotische Veränderungen nach der Internationalen Staublungenklassifikation (ILO) des Typs pq 1/2 ohne relevante Lungenfunktionsausfälle an und empfahl eine Nachuntersuchung in zwei Jahren. Hierauf erkannte
die Beklagte mit Bescheid vom 06.07.2010 eine BK der Ziffer 4101 an, lehnte aber Ansprüche auf Leistungen hieraus ab. Zur
Begründung wies sie darauf hin, dass die Röntgenaufnahmen vom 17.11.2009 leichtgradige Quarzstaublungenveränderungen zeigten,
die nach der ILO Klassifikation mit pq 1/2 einzustufen seien. Hinweise auf eine Beeinträchtigung der Lungenfunktion, die eine rentenberechtigende
Minderung der Erwerbsfähigkeit bedingen würden, fänden sich jedoch nicht.
Im Jahr 2011 führte die Beklagte ein Überprüfungsverfahren zur Frage durch, ob in den Folgen der mit Bescheid vom 06.07.2010
anerkannten BK Ziffer 4101 eine Änderung eingetreten sei und stellte in diesem Zusammenhang medizinische Ermittlungen erneut
durch Einholung von Befundberichten und Entlassungsberichten sowie Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr.
F vom 08.04.2012 an. Dr. F schätzte in seiner Stellungnahme unter Bezugnahme auf ein Röntgenbild des Thorax vom 04.10.2011
die silikotischen Veränderungen nach der ILO Klassifikation 2000 mit p 1/1 ohne relevante Lungenfunktionsausfällen ein. Als Ergebnis dieser Ermittlungen stellte die Beklagte
sodann mit Bescheid vom 27.04.2012 fest, dass ein Rentenanspruch des Klägers weiterhin nicht bestehe. Der hiergegen eingelegte
Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Die hiergegen vor dem Sozialgericht
Aachen unter dem Aktenzeichen S 10 U 311/12 erhobene Klage nahm der Kläger mit Schreiben vom 13.03.2013 zurück.
Nachdem die gesetzliche Krankenkasse des Klägers gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch wegen einer beim Kläger
vorliegenden Dyspnoe und einer chronisch obstruktiven Bronchitis geltend gemacht hatte, ließ die Beklagte den Kläger erstmals
durch den Internisten und Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. S begutachten. Dieser führte in seinem Gutachten
vom 22.01.2014 aus, dass ausweislich der Röntgen - Thoraxaufnahme vom 08.01.2014 beim Kläger eine leichtgradige Mischstaubsilikose
des Typ p/q 1/2 co, hi nach ILO Klassifikation 2000 gegeben sei und der Computertomografie (CT) - Thorax Befund vom 08.01.2014 ausweislich der Bewertung
des Facharztes für Radiologie Prof. Dr. D sehr diskrete feinnoduläre Veränderungen im Sinne einer Silikose nachweise. Unabhängig
von der BK bestehe eine erhebliche kardiale Komorbidität sowie ein seit ca. 2003 beendetes langjähriges Inhalationsrauchen
mit einer kumulativen Dosis von ca. 35 Packungsjahren. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der anerkannten BK könne
nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.
Im Jahr 2015 erfolgte auf Veranlassung der Beklagten eine weitere Nachuntersuchung des Klägers und letztlich nach dessen Gutachterauswahl
eine Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Prof. Dr. M. Dieser sah in einer neugefertigten
CT - Aufnahme des Thorax vom 25.02.2015 zwar vereinzelt rundliche Schatten gegeben, die aber noch nicht den Streuungsgrad
1 nach ICOERD Klassifikation erreichten, so dass seines Erachtens quarzstaubbedingte Lungengewebsveränderungen nicht erkannt
werden könnten. Zudem bestünden lungenfunktionsanalytisch keine wesentlichen Einschränkungen. Auf weitere Veranlassung der
Beklagten nahm sodann der Radiologe Prof. Dr. R am 20.07.2016 zu einer vom Kläger vorgelegten Röntgen-Thoraxaufnahme vom 09.06.2015
sowie zu einem CT - Befund vom 30.09.2015 Stellung und kam zu der Einschätzung, aus radiologischer Sicht könne die Anerkennung
einer BK Ziffer 4101 nicht empfohlen werden. Die Röntgenaufnahme der Thoraxorgane vom 09.06.2015 sei nur bedingt beurteilbar,
da sie in nicht optimaler Qualität vorläge. Die Computertomographie der Thoraxorgane vom 30.09.2015 zeige aber die in den
Röntgenaufnahmen bereits beschriebene deutliche Prominenz der bronchio-alveolaren Bündel sowie Zeichen einer chronischen Bronchitis.
Es seien vereinzelt kleine Herdbildungen in den oberen Lungenfeldern nachweisbar. Das Herz erscheine vergrößert und es bestehe
eine Aortensklerose und eine deutliche Coronarskleriose. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Röntgenuntersuchungen dürfte
das Stadium einer Silikose des Typs 0/1 q/q nicht überschritten sein, ebenso sei die Herdbildung nach ICOERD in so geringem
Maße, dass auch hier eine Anerkennung im Sinne einer Silikose nicht erfolgen könne.
Mit Schreiben vom 22.08.2016 teilte die Beklagte daraufhin dem Kläger mit, dass sie beabsichtige, die Rechtswidrigkeit des
Bescheids vom 06.07.2010 über die Anerkennung der BK Ziffer 4101 festzustellen. Dem Kläger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme
gegeben. Mit Bescheid vom 21.09.2016 stellte die Beklagte sodann gestützt auf § 48 Abs. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) fest, dass die mit Bescheid vom 06.07.2010 erfolgte Feststellung einer BK Ziffer 4101 rechtswidrig gewesen sei und damit
nicht Grundlage für Leistungsansprüche sein könne.
Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 26.09.2016 Widerspruch ein. Prof. Dr. R habe
die Röntgenaufnahme für nur bedingt beurteilbar gehalten. Hierauf holte die Beklagte zunächst eine beratungsärztliche Stellungnahme
des Facharztes für Pneumologie und Allergologie Dr. V ein. Dieser kam ebenso zu dem Ergebnis, dass ausweislich der ihm vorliegenden
CT- Aufnahmen vom 25.05.2015 und vom 30.09.2015 eine Silikose nicht gegeben sei. Dem folgend wies die Beklagte den Widerspruch
mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2017 als unbegründet zurück. Zwar sei die Röntgenaufnahme vom 09.06.2015 nur bedingt beurteilbar,
aber daneben sei auch das CT - Bild vom 30.09.2015 als hochauflösendere Aufnahme ausgewertet worden. Der Tatbestand einer
Silikose sei nicht gegeben.
Am 29.03.2017 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Aachen hiergegen Klage erhoben und aufgrund der anerkannten BK Ziffer 4101
eine Rente begehrt. Er hat vorgetragen, der Gesundheitszustand des Klägers habe sich seit dem Ausgangsbescheid vom 06.07.2010
nicht positiv verändert. Vielmehr sei die Erkrankung fortgeschritten.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 21.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2017 aufzuheben und ihm eine Rente wegen einer
Berufskrankheit nach Nr. 4101 der
BKV zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat nach Hinweis des Sozialgerichts auf den Wortlaut der Vorschrift des § 48 Abs. 3 SGB X ausgeführt, dass die Feststellung über die Rechtswidrigkeit gem. § 48 Abs. 3 SGB X auch vor Eintritt einer "Änderung nach Abs. 1 oder 2 zu Gunsten des Betroffenen" erfolgen könne. Denn ein Bescheid nach §
48 Abs. 3 SGB X setze die gesonderte ausdrückliche Feststellung voraus, dass der Ursprungsbescheid rechtswidrig sei.
Das Sozialgericht hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines radiologischen Gutachtens des ärztlichen Direktors und Chefarztes
der Klinik für Radiologie, Radioonkologie/Strahlentherapie und Nuklearmedizin a.D. des Klinikum X Dr. J. Dieser kam in seinem
Gutachten vom 18.03.2019 zu dem Ergebnis, dass eine BK Ziffer 4101 nicht nachzuweisen sei. Eine Silikose liege ausweislich
der ihm vorliegenden CT - Aufnahme vom 08.01.2014 und der CT - Aufnahme 25.02.2015 nicht vor. Zwar sei das Bildmaterial, dass
im Vorfeld zu einer Anerkennung der BK Ziffer 4101 geführt habe (Röntgenaufnahme vom 17.11.2009) nicht mehr auffindbar, aber
die dortige Befundbeschreibung sei nicht kongruent mit dem charakteristischen Verlauf und Befund von silikotischen Veränderungen.
Lediglich die CT- Aufnahmen vom 08.01.2014 und vom 25.02.2015 erfüllten letztlich im Wesentlichen die Kriterien der Leitlinie
zur Diagnostik und Begutachtung einer Silikose und der Bochumer Empfehlung. Demgegenüber seien die CT- Untersuchungen vom
09.06.2015 und vom 30.09.2015 nicht mit einer hochauflösenden Darstellung des Parenchyms erfolgt. In den insoweit einzig verwertbaren
CT- Aufnahmen vom 08.01.2014 und auch vom 25.02.2015 seien zwar einzelne mikronoduläre Einlagerungen erkennbar, die aber nicht
dem charakteristischen Verteilungsmuster der Silikose entsprächen und den Score 1 entsprechend der CT - Referenzfilme nicht
erreichten. Auch bei Kenntnis des gesamten Krankheitsbildes unter Berücksichtigung der geringen Streuung könnten sie nicht
als BK - relevant eingeordnet werden. In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 03.06.2019 führte Dr. J ferner aus,
dass eine Silikose, die aktuell nicht nachweisbar sei, nach dem medizinischen Wissensstand auch nicht vorher bestanden haben
könne. Denn bis zum heutigen Tage seien Ausheilungen einer Silikose nicht beschrieben worden. Auf die weiteren Einzelheiten
des Sachverständigengutachtens sowie der ergänzenden Stellungnahme wird Bezug genommen.
Das Sozialgericht Aachen hat sodann mit Urteil vom 17.09.2019 den Bescheid vom 21.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 03.03.2017 aufgehoben und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Klage auf Gewährung einer Rente wegen einer Berufskrankheit
nach Ziffer 4101 der Anlage 1 der
BKV sei bereits unzulässig. Ausdrücklich und allein vom Kläger angefochten sei der Bescheid vom 21.09.2016 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 03.03.2017. Dessen Regelungsgehalt verhalte sich indes nicht zur Frage der Gewährung einer Rente
oder der Feststellung einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit. Soweit der Kläger aber die Aufhebung des
Bescheides vom 21.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2017 begehre, sei die Klage als reine Anfechtungsklage
zulässig und überdies auch begründet. Zwar stehe für die Kammer durch das überzeugende Gutachten von Dr. J fest, dass die
Beklagte seinerzeit zur Unrecht das Vorliegen einer BK Ziffer 4101 der Anlage zur
BKV festgestellt habe. Denn ausweislich der überzeugenden Feststellungen des Gutachters Dr. J sei das Krankheitsbild einer Silikose
zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 06.07.2010 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Die
den Kriterien der Leitlinie zur Diagnostik und Begutachtung der Silikose entsprechenden computertomographischen Untersuchungen
vom 08.01.2014 und vom 25.02.2015 hätten zwar mikronoduläre Einlagerungen gezeigt. Diese entsprächen aber nicht dem charakteristischen
Verteilungsmuster der Silikose und der Score 1 entsprechend der Referenzfilme werde nicht erreicht. Trotz der Rechtswidrigkeit
des Bescheids vom 06.07.2010 habe aber der Beklagten keine Ermächtigungsgrundlage für die isolierte Feststellung der Rechtswidrigkeit
zur Verfügung gestanden. Die Norm des § 48 Abs. 3 SGB X läge schon tatbestandlich nicht vor. Es bedürfe u.a. einer Änderung nach § 48 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB X zugunsten des Betroffenen. Soweit vertreten werde, auch dieses Tatbestandsmerkmal sei nicht zwingende Voraussetzung (Hessisches
LSG, Urteil v. 21.06.2018 - L 9 U 1859/16-, juris) schließe sich die Kammer dem aus Gründen des Grundsatzes der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns nicht an. Schon
systematisch sei § 48 Abs. 3 SGB X eine Sonderregelung im Anwendungsbereich des § 48 SGB X, der sich mit der Frage beschäftige, welche Folgen wesentliche Änderungen auf wirksame und ggf. bestandskräftige Verwaltungsakte
hätten. Sei eine wesentliche Änderung gegeben, die grundsätzlich dazu führen würde, dass bestehende Verwaltungsakte zu Gunsten
des Betroffenen geändert werden müssten, so solle dies für den Fall, dass es sich bei der bisherigen Rechtsgrundlage der Beziehung
zwischen Behörde und Betroffenen um einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt gehandelt habe, nicht dazu führen,
dass die Behörde gehalten wäre, ausgehend vom rechtswidrigen Verwaltungsakt aufgrund der wesentlichen Änderung das Unrecht
noch zu vertiefen. Liege ein solcher Fall vor, so sei - bevor es zu einer entsprechenden Abschmelzung bzw. zum Einfrieren
der Leistung komme - durch Verwaltungsakt die Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides festzustellen (BSG Urteil v. 22.6.1988 - 9/9a RV 46/86-, juris; BSG Urteil v. 18.03.1997 - 2 RU 19/96-, juris; Urteil vom BSG 08.11.2007 - B 9/9a V 1/06 R-, juris). Im vorliegenden Fall gäbe es eine solche wesentliche Änderung, die die Beklagte anderenfalls "zum Vertiefen bestehenden
Unrechts" gedrängt hätte, nicht. Vor diesem Hintergrund könne die Vorschrift nicht als Ermächtigungsgrundlage für den hier
angefochtenen Feststellungsverwaltungsakt dienen. Auf die weiteren Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen die dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24.09.2019 und der Beklagten in vollständiger Fassung am 22.10.2019 zugestellten
Entscheidung hat die Beklagte am 23.10.2019 und der Kläger am 24.10.2019 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Mit
Schriftsatz vom 27.04.2021 hat der Kläger seine Berufung zurückgenommen.
Die Beklagte trägt als Berufungsklägerin vor, sie habe den Bescheid vom 21.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
03.03.2017 zu Recht erteilt. In Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung könne auch die Rechtswidrigkeit
des Ausgangsbescheids ohne Änderung isoliert festgestellt werden. In Übereinstimmung mit dem Sozialgericht Aachen, sei eine
Silikose auch ursprünglich rechtswidrig anerkannt worden.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 17.09.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit der Bescheid vom 21.09.2016
in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2017 aufgehoben wurde.
Der Kläger beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 17.09.2019 zurückzuweisen.
Der Kläger stimmt den Ausführungen des Sozialgerichts Aachen im angegriffenen Urteil vollumfänglich zu und nimmt auf diese
Bezug.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung der Streitsache ohne mündliche Verhandlung mit Schreiben vom 05.08.2021
und vom 18.08.2021 einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zu dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Verwaltungsakten
der Beklagten und die Gerichtsakten sowie auf den Erörterungstermin mit der Berichterstatterin am 04.05.2021 ergänzend Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte gem. §
153 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.V.m. §
124 Abs.
2 SGG aufgrund des von den Beteiligten erteilten Einverständnisses ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Nach Rücknahme der Berufung des Klägers mit Schreiben vom 27.04.2021 gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen, mit dem das
Sozialgericht auch die Leistungsklage auf Gewährung einer Verletztenrente als unzulässig abgewiesen hat, ist ausschließlich
die Berufung der Beklagten gegen die Aufhebung des Bescheids vom 21.09.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2017
durch das Urteil des Sozialgericht Aachen anhängig.
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung der Beklagten ist zulässig (§§
143,151
SGG) und auch begründet. Das Sozialgericht Aachen hat der Anfechtungsklage des Klägers auf Aufhebung des Bescheids vom 21.09.2019
in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2017 zu Unrecht stattgegeben. Die Anfechtungsklage des Klägers ist zulässig,
aber unbegründet. Der Bescheid vom 21.09.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2017 ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten (§
54 Abs.
2 SGG).
1.
Aufgrund der Regelung des § 48 Abs. 3 SGB X hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 21.09.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2017 rechtmäßig die Rechtswidrigkeit
des Ursprungsbescheids vom 06.07.2010, mit welchem sie eine BK Ziffer 4101 anerkannt hat, festgestellt.
Die Beklagte war zum einen befugt, die Rechtswidrigkeit des Ursprungsbescheids festzustellen, obwohl keine Änderung im Sinne
des § 48 Abs. 1 oder 2 SGB X zugunsten des Betroffenen eingetreten ist (nachfolgend lit.a). Zum anderen waren auch die übrigen Voraussetzungen für eine
isolierte Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ursprungsbescheids gegeben. Die im Ursprungsbescheid vom 06.07.2010 getroffene
Regelung stellt einen für den Kläger begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsakt im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X dar, der nicht (mehr) nach § 45 SGB X zurückgenommen werden konnte (nachfolgend lit. b).
a) Aufgrund der Regelung des § 48 Abs. 3 SGB X war die Beklagte befugt, die Rechtswidrigkeit des Ursprungsbescheids isoliert vor Eintritt einer Änderung in den tatsächlichen
oder rechtlichen Verhältnisses im Sinne des § 48 Abs. 1 und 2 SGB X durch Verwaltungsakt festzustellen.
Nach § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X darf, wenn ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X nicht zurückgenommen werden kann und eine Änderung nach § 48 Abs. 1 und 2 SGB X zugunsten des Betroffenen eingetreten ist, die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich
der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt.
Sinn und Zweck des § 48 Abs. 3 SGB X ist es, einen Ausgleich zwischen dem Bestandsschutzinteresse des Begünstigten und dem Interesse der Allgemeinheit an der
Durchsetzung der materiell-rechtlich zutreffenden Rechtslage zu schaffen. Es bleibt nach § 48 Abs. 3 SGB X zwar der Bestandsschutz nach § 45 SGB X erhalten; jedoch wird der Begünstigte von zu seinen Gunsten eintretenden Änderungen solange ausgespart, bis die Begünstigung
von der materiellen Rechtslage (wieder) gedeckt ist. Der ursprüngliche rechtswidrige Bescheid gibt entgegen seinem Inhalt
keine Basis mehr her, um künftige Leistungsverbesserungen oder - wie hier - erstmalige Leistungsbewilligungen darauf aufzubauen
(BSG Urteil v. 18.03.1997 - 2 RU 19/96-, juris Rn.24). Dadurch wird der zu Unrecht gewährte Vorteil im Lauf der Zeit "abgeschmolzen" (vgl. Schütze in von Wulffen,
SGB X, Kommentar, 9. Auflage 2020, § 48 Rn. 37). Im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes ist ein solcher Eingriff jedoch nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung nur hinnehmbar, wenn die Rechtswidrigkeit des nicht mehr rücknehmbaren Ausgangsverwaltungsaktes in einem eigenständigen
anfechtbaren Verwaltungsakt festgestellt wird (vgl. zum Beispiel BSG Urteil v. 02.11.1988 - 2 RU 39/87-, juris; BSG Urteil v. 22.06. 1988 - 9/9a RV 46/86-, juris; BSG Urteil v. 18.03.1997 - 2 RU 19/96 -, juris Rn.24 und BSG Urteil v. 16.12.2004 - B 9 VS 1/04 R -, juris). Dabei ist es der Verwaltung unbenommen, ob sie die Feststellung der Rechtswidrigkeit durch einen selbst konstitutiv
wirkenden Bescheid oder als Teil eines Abschmelzungsbescheids trifft (BSG Urteil v. 18.03.1997 - 2 RU 19/96 -, juris Rn.24). Es bedarf somit für eine Abschmelzung nach § 48 Abs. 3 SGB X zweier Verfügungssätze. Zunächst ist in einer ersten Stufe die Rechtswidrigkeit des Ursprungsbescheids konstitutiv wirkend
festzustellen und sodann bei Eintritt von Änderungen im Sinne des § 48 Abs. 1 oder 2 SGB X in einer zweiten Stufe ggf. konkrete zukünftige Leistungen abzuschmelzen (so auch Steinwedel, in: Kassler Kommentar, § 48 SGB X Rn. 65 a, EL 112 Dezember 2020, a.A. wohl Hessisches LSG Urteil v. 21.06.2018 - L 9 U 189/16 -, juris Rn.40). Die Feststellung der Rechtswidrigkeit kann dabei zur frühzeitigen Klärung des Sozialrechtsverhältnisses
auch selbstständig und zeitlich vor dem Ausspruch des Einfrierens oder Abschmelzens und vor Eintritt einer Änderung der Verhältnisse
getroffen werden (so ausdrücklich BSG, Urteil v. 16.12.2004 - B 9 VS 1/04R -, juris Rn.15). Dies ist aus Sicht der Verwaltung gerade im Hinblick auf zukünftige,
gegenwärtig noch nicht absehbare Änderungen geboten, weil die Feststellung der Rechtswidrigkeit nur ex nunc wirkt und damit
ein Abschmelzen nur im Hinblick auf solche Änderungen zugunsten der leistungsberechtigten Person ermöglicht, die nach dem
Wirksamwerden der Feststellung der Rechtswidrigkeit eintreten (so deutlich BSG, Urteil v. 22.06.1988 - 9/9aRV 46/86- , juris Rn.22 f.; s. auch BSG Urteil v. 26.10.2017 - B 2 U 6/16 R- , juris Rn. 12)
Zwar ist dem Sozialgericht zuzustimmen, dass für eine Leistungsabschmelzung nach § 48 Abs. 3 SGB X eine Änderung zu verlangen ist (vgl. BSG Urteil v. 20.03.2007, - B 2 U 38/05 R-, juris Rn. 20, BSG Urteil v. 31.01.1989 - 2 RU 16/88 -, juris Rn.14). Dies ergibt sich nicht nur aus dem ausdrücklichen Wortlaut des § 48 Abs. 3 S.1 SGB X, sondern auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung, die nur eine Zukunftswirkung für eine "neu festzustellende Leistung" entfallen
soll. Das in § 48 Abs. 3 SGB X enthaltene Erfordernis einer Änderung betrifft aber nur die tatsächliche Abschmelzung von künftigen Leistungen, nicht aber
die hier allein strittige Vorstufe der Feststellung der Rechtswidrigkeit.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 21.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2017 hat die Beklagte
lediglich einen isolierten Feststellungsbescheid und noch keine konkrete Abschmelzung im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X bezogen auf eine künftige Leistungserhöhung erlassen. Einer für eine Abschmelzung erforderlichen Änderung entsprechend des
Wortlauts des § 48 Abs. 3 SGB X bedurfte es hierfür entgegen der Ansicht des Sozialgerichts nicht. Vielmehr ist die hier von der Beklagten vorangehende Feststellung
zwingende Voraussetzung dafür, dass der Versicherungsträger nach § 48 Abs. 3 SGB X überhaupt erst bei künftig grundsätzlich zu Gunsten des Leistungsberechtigten eingetretenen Änderungen die Leistungen auf
dem bisherigen Niveau einfrieren kann.
Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts ergeben sich auch keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des strittigen Feststellungsbescheides
daraus, dass im Hinblick auf den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (Art.
20 Abs.
3 des
Grundgesetzes) ein (belastender) feststellender Verwaltungsakt einer gesetzlichen Grundlage bedarf (vgl BVerwGE 72, 265, 268). Eine solche gesetzliche Grundlage ergibt sich bereits aus der Systematik und dem Sinn und Zweck des § 48 Abs. 3 SGB X. Auch bedarf es für die Einhaltung des Gesetzesvorbehalts nicht zwingend einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage; es
genügt, wenn sich die Verwaltungsaktbefugnis dem Gesetz durch Auslegung entnehmen lässt (BVerwG Urteil v.24.10.2002 - 7 C 9/02-, BVerwGE 117, 133, unter 1., m.w.N, juris; BFH, Urteil v. 12.02.2020 - X R 28/18 -,BStBl II 2020, 496, juris Rn.17). Die gesetzliche Grundlage kann sich - wie hier - aus der Systematik des Gesetzes und aus der Eigenart des
zwischen der Behörde und dem Einzelnen bestehenden Rechtsverhältnisses ergeben (vgl dazu BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 4 auf S 35 ff einerseits und BSGE 61, 203, 205 = SozR 4100 § 186a Nr 21; BSGE 69, 259, 260 ff = SozR 3-5425 § 24 Nr 1; BSGE 64, 221, 223 ff = SozR 5425 § 24 Nr 2 andererseits). Ein Sozialrechtsverhältnis, das laufende Leistungen oder aufgrund eines festgestellten
Leistungsgrundes zumindest mögliche künftige laufende Leistungen zum Gegenstand hat, erfordert - gerade im Interesse des Leistungsberechtigten
- möglichst bald Klarheit darüber, ob der Berechtigte mit weiteren Leistungserhöhungen bzw. auch einer erstmaligen Leistungsbewilligung
rechnen kann oder nicht. Es widerspricht dem existenzsichernden Zweck, die alsbaldige verbindliche Klärung dieser Grundfrage
einer vom Berechtigten möglicherweise nicht oder zu spät erhobenen vorbeugenden Feststellungsklage zu überlassen (vgl. BSG Urteil v. 15.12.1999 -B 9 V 26/98 R- , juris Rn.13; LSG Stuttgart, Urteil v. 08.07.2009 - L 2 U 1556/07 -, juris Rn.26). Ergibt sich damit gerade aus rechtsstaatlichen Gründen das Erfordernis einer Feststellung der Rechtswidrigkeit
durch Verwaltungsakt als konstitutive Voraussetzung für eine Abschmelzung, obwohl § 48 Abs. 3 SGB X dies nicht explizit regelt, kann der Verwaltung nicht entgegengehalten werden, für die isolierte Feststellung der Rechtswidrigkeit
eines nicht aufhebbaren begünstigenden Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung fehle es an einer Rechtsgrundlage. Würde man, wie
das Sozialgericht, verlangen, dass die Verwaltung, auch wenn sie die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsakt mit
Dauerwirkung erkannt hat, bis zum Eintritt der Änderung der Verhältnisse zugunsten der leistungsberechtigten Person warten
muss, bevor sie die Rechtswidrigkeit der Bewilligung feststellt, könnte die Abschmelzung regelmäßig nicht erfolgen, da die
Feststellung der Rechtswidrigkeit, wie bereits ausgeführt, konstitutiv ist und dementsprechend eine Abschmelzung nur hinsichtlich
solcher Änderungen der Verhältnisse zugunsten der leistungsberechtigten Person ermöglicht, die nach Feststellung der Rechtswidrigkeit
eingetreten sind. Dies widerspräche dem Sinn des § 48 Abs. 3 SGB X.
b)
Vorliegend ist der Ausgangsbescheid vom 06.07.2010 auch ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt im Sinne des § 48 Abs. 3 S. 1 SGB X, der nicht mehr nach § 45 SGB X zurückgenommen werden konnte.
Hierbei ist, wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, zunächst unbeachtlich, dass der streitgegenständliche Ursprungsbescheid,
nicht wie in § 48 Abs. 3 SGB X aufgeführt, die Gewährung einer Leistung, sondern stattdessen zunächst die Grundlage einer Leistungsbewilligung festgestellt
hat. Denn § 48 Abs. 3 SGB X ist entsprechend anwendbar, wenn der Fehler des Ursprungsbescheids nicht die Höhe einer Leistung, sondern, wie hier in der
Anerkennung einer BK, zunächst nur den Grund der Leistungsbewilligung betrifft (vgl. BSG Urteil v. 18.03.1997, - 2 RU 19/96-, juris Rn.24; BSG Urteil v. 20.03.2007 - B 2 U 38/05 R - Rn. 19 m.w.N, juris).
Beim Bescheid vom 06.07.2010 handelt es sich zudem um einen den Kläger begünstigenden Verwaltungsakt. Denn die Beklagte hat
darin eine BK 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) zu seinen Gunsten anerkannt.
Dieser Ursprungsbescheid war bei seinem Erlass rechtswidrig. Nach der Legaldefinition in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, wenn die Behörde bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen ist.
Rechtsgrundlage für die Anerkennung der BK 4101 ist §§
7 Abs.
1 i.V.m. §
9 Abs.
1 des
Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (
SGB VII) i.V.m. Ziffer 4101 der Anlage 1 zur
BKV. Nach §
9 Abs.
1 Satz 1
SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als
solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher
Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität)
und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Fehlt eine dieser Voraussetzungen,
ist die BK nicht anzuerkennen. Die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" müssen
im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der
wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings
nicht die bloße Möglichkeit (zum Ganzen zusammenfassend BSG, Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 20/14 R -, juris Rn. 10. m.w.N.).
Nach Ziffer 4101 der Anlage zur
BKV gehört zu den BKen auch die Quarzstaublungenerkrankung (Silikose). Dabei handelt es sich um eine Erkrankung an Lungenfibrose
durch Einatmung von Staub, welcher in unterschiedlichen Anteilen freie kristalline Kieselsäure enthält (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin,
"Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 1052).
Hier ist die Beklagte unzutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger bei Erlass des Bescheids vom 06.07.2010 an einer Quarzstaublungenerkrankung
(Silikose) im Sinne einer BK Ziffer 4101 erkrankt ist.
Hinsichtlich des Beweismaßstabs gilt der Beweismaßstab des Vollbeweises. Denn wie auch bei der Anwendung der §§ 44 und 45 SGB X ist auch bei § 48 Abs. 3 SGB X der Beweismaßstab zu Grunde zu legen, der ursprünglich für die Zuerkennung der Leistung bzw. für die Grundlage einer Leistungsbewilligung
relevant war (für § 45 SGB X: BSG Urteil v. 02.04.2009 - B 2 U 25/07 R - m.w.N, juris). Für die Anerkennung einer BK 4101 ist, wie oben ausgeführt, die Krankheit der Silikose im Sinne des Vollbeweises
- also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - nachzuweisen. Insoweit müssen also diejenigen Diagnosekriterien vorliegen,
die krankheitsbeweisend sind, also nach den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft erfüllt sein müssen, um
die Diagnose zu sichern (vgl. BSG Urteil v. 27.06.2017 - B 2 U 17/15 R -, juris Rn.17). Ist dies nicht der Fall, ist die Anerkennung der Berufskrankheit zu Unrecht erfolgt. Insoweit geht es nicht
um eine Frage der Beweislast. Auf diese käme es nur an, wenn aufgrund eines nicht aufklärbaren Sachverhalts nicht festgestellt
werden könnte, ob krankheitsbeweisende Kriterien vorliegen.
Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 06.07.2010 beim Kläger das
Krankheitsbild einer Silikose nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht gesichert war und auch unter Berücksichtigung
nachträglich bekannt gewordener Tatsachen nicht zu sichern ist. Dies ergibt sich aus den medizinischen Ermittlungen, insbesondere
durch das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Prof. Dr. M vom
07.05.2015 (nebst Zusatzgutachten vom 20.07.2016 von Prof. Dr. R) sowie das im Gerichtsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten
von Dr. J vom 18.03.2019, die beide als Mitherausgeber der S2k -Leitlinie nach AWMF-Schema der Deutschen Gesellschaft für
Pneumologie und Beatmungsmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin zur Diagnostik und Begutachtung
der BK Ziff. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) der
BKV (S2k-Leitlinie) über eine besonders fundierte Fachkenntnis verfügen. Der Senat schließt sich insoweit nach eigener Prüfung
den in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil hinsichtlich des Nichtvorliegens
einer Silikose an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf sie Bezug (§
153 Abs.
2 SGG).
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die ursprünglich für die Einordnung der Erkrankung als Silikose herangezogenen
und nun nicht mehr auffindbaren Röntgenaufnahmen sowohl vom 17.11.2009 als auch vom 08.01.2014 zwar nach den beschriebenen
Befunden den Kriterien zur Stellung einer Verdachtsdiagnose genügten, durch diese aber nicht leitliniengerecht die Diagnose
einer Silikose im Vollbeweis gesichert werden konnte. Nach der S2k-Leitlinie (abrufbar unter https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020-010l_S2k_Diagnostik-Begutachtung-Quarzstaublungenerkrankung-Silikose_2016_12.pdf)
sind zwar die Anzeigekriterien für eine Silikose bereits erfüllt, wenn kleine rundliche Schatten von Typ p, q oder r mit einer
gewissen Reichlichkeit und gleichmäßigen Verteilung im Sinne eines Streuungsgrades nach ILO 2000 von 1/1 oder höher im Röntgenthorax-Bild nachweisbar sind (s. auch Kapitel 5.1.1 der Bochumer Empfehlung für die Begutachtung
von Quarzstaublungenerkrankungen (Silikosen), Stand 2020.02, abrufbar unter https://publikationen.dguv.de/versicherungsleistungen/berufskrankheiten/2482/bochumer-empfehlung).
Jedoch bedarf es wegen der häufig bestehenden Unsicherheit bei der Beurteilung der Röntgenaufnahmen des Thorax, insbesondere
bei gering gestreuter Silikose, im Rahmen der Erstbegutachtung grundsätzlich einer qualifizierte Low Dose Volumen HRCT (High
resolution Computertomografie) des Thorax, um die Diagnose Silikose zu sichern oder auszuschließen (Bochumer Empfehlung Kapitel
5.1.2, a.a.O., Sk2- Leitlinie, S. 25). Für die standardisierte Befundung der Low Dose-Volumen-HRCT ist die sowohl von Prof.
Dr. M als auch von Dr. J angewandte CT-Klassifikation ICOERD (International Classification of Occupational and Environmental
Respiratory Diseases) zwingend erforderlich. Um die sichere Diagnose einer Silikose in der CT-Untersuchung letztlich zu stellen,
ist der dortige Nachweis scharf berandeter Verdichtungen in beiden Oberlappen, die in Lungenkern und Lungenmantel lokalisiert
sein können, erforderlich. Beim Vergleich mit dem Referenzfilm muss mindestens die Streuungskategorie 1 im rechten wie auch
im linken Oberfeld erreicht sein (Gesamtstreuung mindestens 2) (s. S2k -Leitlinien a.a.O. S. 25 und Bochumer Empfehlung a.a.O.
S. 26). Diesbezüglich hat Dr. J überzeugend in Übereinstimmung mit Prof. Dr. M ausgeführt, dass die allein den Kriterien der
S2k - Leitlinien entsprechenden hochauflösenden CT- Bilder vom 08.01.2014 sowie vom 25.05.2015 eine solche Streuung gerade
nicht aufweisen und eine Silikose deshalb nicht gesichert ist.
Die insofern rechtswidrige und den Kläger begünstigende Anerkennung durch Bescheid vom 06.07.2010 konnte die Beklagte auch
nicht mehr nach § 45 SGB X zurücknehmen, da seit der Bekanntgabe des Bescheids mehr als zwei Jahre verstrichen waren (§ 45 Abs. 3 S. 1 SGB X).
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.
3 .
Anlass, die Revision §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, besteht nicht. Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des BSG, (Urteil vom 16.12.2004 - B 9 VS 1/04 R -, jurisRn.15) die das Sozialgericht offensichtlich übersehen hat, geklärt.