Gründe
I.
Streitig ist die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 16.05.2020 bis 24.05.2020.
Die bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte Klägerin war seit dem 11.03.2020 arbeitsunfähig krank. Nach Beendigung der
Entgeltfortzahlung bezog sie ab dem 22.04.2020 aufgrund einer ärztlich am 17.04.2020 für die Zeit bis zum 15.05.2020 festgestellten
und bescheinigten Arbeitsunfähigkeit von der Beklagten tägliches Krankengeld in Höhe von 48,89 Euro brutto bzw. 42,84 Euro
netto. Am 15.05.2020 bescheinigte der behandelnde Arzt weitere Arbeitsunfähigkeit für die Zeit bis zum 05.06.2020. Die Bescheinigung
wurde am 19.05.2020 auf Veranlassung der Klägerin auf dem Postweg an die Beklagte übermittelt und ging dort am 25.05.2020
ein.
Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit, dass ihr Anspruch auf Krankengeld vom 16.05.2020 bis zum 24.05.2020 ruhe,
weil die Arbeitsunfähigkeit binnen einer Woche hätte gemeldet werden müssen (Bescheid vom 26.05.2020). Den hiergegen erhobenen
Widerspruch, mit dem die Klägerin im Wesentlichen geltend machte, sie habe mit einer derart langen Postlaufzeit nicht rechnen
müssen, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 18.01.2021).
Das SG Münster hat die Beklagte durch Urteil vom 30.06.2021 antragsgemäß verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 16.05.2020
bis 24.05.2020 Krankengeld zu zahlen. Nach ständiger höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung treffe im Rahmen der Meldeobliegenheit
des §
49 Abs.
1 Nr.
5 SGB V den Versicherten das allgemeine Postübermittlungsrisiko. Demnach sei grundsätzlich ohne Belang, worauf ein verzögerter oder
unvollendeter Postweg beruhe. Diese Grundsätze berücksichtigten allerdings nicht die erstmals und insbesondere in der ersten
Phase der Corona-Pandemie großflächig und verbreitet aufgetretenen Verzögerungen in den etablierten und gewöhnlichen Betriebsabläufen
einer Vielzahl von Dienstleistungsunternehmen wie der Deutschen Post. Nach Ansicht des Gerichts habe die Klägerin alles Notwendige
und ihr Mögliche getan, als sie maximal drei volle Werktage für den Postversand kalkuliert habe.
Mit ihrer Beschwerde trägt die Beklagte vor, die Zulassungsgründe "grundsätzliche Bedeutung" und "Divergenz" seien gegeben.
Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Gemäß §
144 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) bedarf die Berufung der Zulassung in einem Urteil des Sozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer
Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro oder bei einer
Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,00 Euro nicht übersteigt.
Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Die Berufung ist
nicht kraft Gesetzes zugelassen, weil der hier streitige Zahlbetrag in Höhe von 440,01 Euro brutto bzw. 385,56 Euro netto
den maßgeblichen Beschwerdewert nicht erreicht.
Gründe für eine Zulassung der Berufung im Sinne von §
144 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Danach ist die Berufung nur zuzulassen, wenn (1) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2) das
Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG), des Bundessozialgerichts (BSG), des gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (GemS) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht
und auf der Abweichung beruht, oder (3) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend
gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Keiner dieser Zulassungsgründe liegt vor.
a) Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung i.S.d. §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG hat eine Rechtssache, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt,
um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Klärungsbedürftigkeit), und deren Klärung
auch durch das Berufungsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). Ein Individualinteresse genügt nicht (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
144 Rn. 28 f. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten
lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein (vgl. z.B. BSG, Beschluss v. 15.05.1997 - 9 BVg 6/97 zum im Wesentlichen gleichlautenden §
160 SGG; zum Ganzen vgl. LSG NRW, Beschluss v. 07.10.2011 - L 19 AS 937/11 NZB, juris Rn. 17).
Die Voraussetzungen der vom SG geprüften Meldeobliegenheit hat das BSG bereits in der in dem angefochtenen Urteil zitierten ständigen Rechtsprechung geklärt. Diese Rechtsprechung legen auch die
Senate des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen ihren Entscheidungen zugrunde. Eine grundsätzliche Bedeutung besteht insoweit
nicht. Auf die Frage, ob der vom SG getroffenen Sachentscheidung zu folgen ist, kommt es nicht an.
b) Ebenso wenig liegt der Zulassungsgrund der Divergenz vor. Eine Divergenz i.S.d. §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG setzt voraus, dass ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung
von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des LSG, des BSG, des GemS oder des BVerfG aufgestellt hat. Ein tragender Rechtssatz liegt nur vor bei fallübergreifender, nicht lediglich
auf Würdigung des Einzelfalls bezogener rechtlicher Aussage (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
160, Rn. 13 m.w.N). Für die Annahme einer Divergenz genügt es daher nicht, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien
entspricht, die das LSG, das BSG oder das BVerfG aufgestellt haben oder das SG die Rechtsprechung der genannten Gerichte nicht gekannt, übersehen oder verkannt hat (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
160, Rn. 14; Frehse, in: Jansen,
SGG, 4. Aufl. 2012, §
144 Rn. 18 jeweils m. w. N.). Die Begründung des Gerichts muss erkennen lassen, dass es den in §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichten widersprochen und von deren rechtlichen Aussagen abweichende, d.h. mit diesen unvereinbare rechtliche
Maßstäbe aufgestellt hat (vgl. auch BSG, Beschluss v. 23.06.2015 - B 14 AS 345/14 B, Rn. 3 m.w.N.).
aa) Nach diesen Maßstäben ist keine Divergenz gegeben. Das SG hat keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der von einem der in §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte aufgestellten Rechtssatz abweicht. Das SG ist zwar davon ausgegangen, dass die zur Meldeobliegenheit nach §
49 Abs.
1 Nr.
5 SGB V entwickelten Grundsätze nicht die - von ihm angenommenen - "großflächig und verbreitet aufgetretenen Verzögerungen in den
etablierten und gewöhnlichen Betriebsabläufen einer Vielzahl von Dienstleistungsunternehmen wie der Deutschen Post" berücksichtigten.
Es ist auf Basis ständiger Rechtsprechung allerdings gleichermaßen davon ausgegangen, dass die Klägerin mit der von ihr veranlassten
Aufgabe zur Post in der hier vorliegenden Konstellation alles ihr Mögliche unternommen habe, um den rechtzeitigen Zugang der
Bescheinigung sicherzustellen. Einen von der bisherigen ständigen Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz dergestalt, dass
das Übermittlungsrisiko bei Pandemien oder sonstigen großflächigen außergewöhnlichen Ereignissen stets und in jedem Fall von
den Krankenkassen zu tragen sei, hat das SG nicht aufgestellt.
bb) Auf die Frage, ob es in der vorliegenden Konstellation ggf. an einer hinreichenden Tatsachengrundlage für die vom SG angenommene Ausnahme von der Zurechnung des Übermittlungsrisikos auf den Klägerin gefehlt hat (vgl. auch BSG, Urteil v. 05.12.2019 - B 1 KR 5/19 R, Rn. 24), kommt es für die Beurteilung der Divergenz nicht an.
c) Einen Verfahrensmangel (§
144 Abs.
2 Nr.
3 SGG) hat die Beklagte nicht geltend gemacht.
d) Unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten möchte der Senat abschließend noch darauf verweisen, dass es auf die von der
Klägerin zitierte Entscheidung des BGH vom 19.11.2020 - V ZR 49/20 (vgl. z.B. auch BGH, Beschluss v. 29.06.2021 - VIII ZB 52/20) nicht ankommt. Eine Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit kommt nicht in Betracht,
weil es sich bei der versicherungsrechtlichen Obliegenheit zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit binnen Wochenfrist um eine materielle
Ausschlussfrist (BSG, Urteil v. 05.12.2019 - B 1 KR 5/19 R, Rn. 24), nicht aber um eine Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist handelt.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
3. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG). Mit der Ablehnung der Zulassung wird das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig (§
145 Abs.
4 Satz 4
SGG).