Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Übernahme der Kosten der Wahrnehmung des Umgangsrechts mit dem getrennt lebenden
Kind in den USA
Gründe:
Die Beschwerde ist zulässig und überwiegend begründet. Das Sozialgericht Koblenz (SG) hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz durch Beschluss vom 29.09.2010 zu Unrecht ohne Beiladung des zuständigen Trägers
der Grundsicherung vollständig abgelehnt. Der Antragsteller hat grundsätzlich einen Anspruch gegen die Beigeladene auf vorläufige
Leistung der notwendigen Kosten der Ausübung des Umgangsrechts mit seinem Sohn C C in den Vereinigten Staaten von Amerika
(Kalifornien) im Rahmen eines jeweils fünftägigen Aufenthaltes. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes war allerdings
nur von einer Übernahme alle drei Monate auszugehen, da besondere Umstände für eine höhere Besuchsfrequenz nicht glaubhaft
gemacht sind.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag, der gemäß §
86b Abs.
3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr
besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt
oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint
(Satz 2). Dazu sind gemäß §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit (iVm) §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch
der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden
soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen hierbei nicht isoliert nebeneinander.
Vielmehr verhalten sie sich in einer Wechselbeziehung zueinander, in welcher die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit
zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Ist eine vollständige
Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl.
BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237)
1. Ein Anordnungsanspruch gegen den Antragsgegner besteht deshalb nicht, weil dieser für die Erbringung der begehrten Leistungen
nicht zuständig ist.
Der Antragsteller bezieht berechtigt Leitungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Gemäß § 3 Abs 3 Halbs.
2 SGB II decken die Leistungen nach dem SGB II den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit Ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft
lebenden Personen. Sie sind also grundsätzlich abschließend. Zwar hat die Rechtsprechung in Bezug auf Kosten der Wahrnehmung
des Umgangs mit Kindern zunächst einen Rückgriff auf § 73 SGB XII zugelassen, was eine Zuständigkeit des Antragsgegners begründet
hätte (grundlegend BSG, Urteil vom 07.11.2006 - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1).
Dies kann jedoch seit dem 03.06.2010 nicht mehr angenommen werden, da nun und bereits vor Antragstellung beim SG am 17.09.2010 in § 21 Abs. 6 SGB II eine Regelung zur Abdeckung eines im Einzelfall unabweisbaren, laufenden und nicht nur einmaligen besonderen Bedarf
besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung
von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf
abweicht. Nach der Begründung der Neuregelung sollten im Anschluss an die Entscheidung durch das BVerfG am 09.02.2010 (vgl.
BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 -, SGb 2010, 227) gerade auch die Kosten des Umgangsrechts erfasst sein (vgl. die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zum Entwurf
eines Gesetzes zur Abschaffung des Finanzplanungsrates, BT-Drucks. 17/1465, S. 9). Für die Erbringung der Leistungen nach
§ 21 Abs. 6 SGB II ist gemäß §§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 36 Satz 1 SGB II die Beigeladene zuständig.
2. Die Beigeladene war im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, vorläufig die notwendigen Kosten der Ausübung
des Umgangsrechts des Antragstellers mit seinem Sohn C C in den Vereinigten Staaten von Amerika (Kalifornien) im Rahmen eines
jeweils fünftägigen Aufenthaltes alle drei Monate zu übernehmen. Insoweit besteht ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund.
a. Ein Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 21 Abs. 6 SGB II. Es handelt sich bei den Kosten des Umgangsrechts um einen im
Einzelfall unabweisbaren, laufenden und nicht nur einmaligen besonderen Bedarf.
Ein besonderer Bedarf liegt bereits deshalb vor, weil Kosten des Umgangsrechts in der dem Antragsteller gewährten Regelleistung
nicht enthalten sind (vgl auch BSG, Urteil vom 07.11.2006, aaO.). Diese Leistung enthält zwar einen gewissen Anteil für Fahrkosten,
allerdings betrifft dies nur die üblichen Fahrten im Alltag.
Die Kosten des Umgangsrechts stellen einen laufenden Bedarf dar, da die Ausübung des Umgangsrechts auf eine dauerhafte Aufrechterhaltung
der Nähebeziehung zum jeweiligen Kind ausgelegt ist.
Es handelt sich auch um einen unabweisbaren Bedarf, der aus Mitteln der Grundsicherung zu decken ist. Bereits unter Geltung
des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) war anerkannt, dass die Kosten des Umgangsrechts zu den persönlichen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören, für
die über die Regelsätze für laufende Leistungen hinaus einmalige oder laufende Leistungen zu erbringen waren (Bundesverfassungsgericht
(BVerfG), Beschluss vom 25.10.1994 - 1 BvR 1197/93 -, NJW 1995, 1342 f. m.w.N.). Dabei war im Hinblick auf Art.
6 Abs.
2 Satz 1
GG zu beachten, dass die Leistungen grundsätzlich mehr als das Maß an Umgang ermöglichen mussten, das im Streitfall zwangsweise
hätte durchgesetzt werden können (BVerfG aaO.). Die Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums müssen danach - und insoweit
ist weder eine zeitliche Zäsur (01.01.2005: In-Kraft-Treten des SGB XII) noch eine strukturelle Unterscheidung zwischen SGB
II und SGB XII gerechtfertigt - im Ergebnis die Ausübung des Umgangsrechts bei Bedürftigkeit ermöglichen. Wie dies im Einzelnen
zu erfolgen hat, ist abhängig von der einfachrechtlichen Ausgestaltung, die im Licht des Art
6 Abs
1 und
2 S 1
GG auszulegen ist (vgl auch BSG, Urteil vom 07.11.2006, aaO.).
Eine Gewährung der Kosten des Umgangsrechts scheidet nicht bereits deshalb aus, weil damit unangemessen hohe Kosten verbunden
sind. Die Kosten müssen sich in einem Bereich bewegen, der den Einsatz öffentlicher Mittel noch rechtfertigt, es dürfen also
keine außergewöhnlich hohen Kosten vorliegen. Auch hinsichtlich des Umgangsrechts mit den Kindern ist in der Grundsicherung
nämlich keine unbeschränkte Sozialisierung von Scheidungsfolgekosten möglich (vgl. bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006, aaO.).
Als Vergleichsmaßstab können die Kosten angesehen werden, die ein verständiger Umgangsberechtigter außerhalb des Bezugs von
Grundsicherungsleistungen aufwenden würde. Hierbei sind jedoch auch die Umstände des Einzelfalles zu beachten, insbesondere
die Ausübung des Umgangsrechts in der Vergangenheit.
Nach einer Recherche des Gerichts (www.opodo.de, recherchiert am 16.11.2010) fallen für einen Hin- und Rückflug nach Los Angeles
Kosten von ca. 590 EUR an. Hinzu kommen Kosten für die Unterbringung, die sich pro Übernachtung in einem Bereich von 38 bis
50 EUR bewegen (www.hrs.de, recherchiert am 22.11.2010). Dies sind Kosten, die ein verständiger Umgangsberechtigter ohne den
Bezug von Grundsicherungsleistungen allenfalls viermal im Jahr aufwenden würde, solange - wie hier - keine besonderen Anhaltspunkte
bestehen, dass eine für das betroffene Kind nachteilige Entwicklung vorliegt. Im Hinblick auf das bereits in der Vergangenheit
ausgeübte Umgangsrecht (einmal monatlich persönlich; vgl. zu diesem Aspekt LSG NRW, Urteil vom 06.09.2007 - L 9 AS 80/06 -, FamRZ 2008, 1789) und das derzeit ganz regelmäßig telefonisch in Anspruch genommene Umgangsrecht, erscheinen vier Besuche je Jahr im Falle
des Antragsteller auch nicht unangemessen. Die Kosten hierfür decken sich im Übrigen im Wesentlichen mit den durch den Antragsgegner
bereits für Fahrten nach B bewilligten Kosten, wenn diese auf drei Monate hochgerechnet werden. Eine Grenze der Angemessenheit
sieht das Gericht nicht bereits bei Beträgen von 500 EUR je Besuch erreicht (a.A. offenbar LSG NRW, Beschluss vom 10.05.2007
- L 20 B 42/07 SO ER, Juris). Dies würde der Bedeutung des grundrechtlich geschützten Umgangsrechts sowohl für den Umgangsberechtigten als
auch für das Kind nicht gerecht.
Der Dauer des Umgangsrechts mit 20 Tagen im Jahr kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Antragsteller noch zwei
weitere Kinder hat. Zwar würde eine solche Zeitdauer bei einem erwerbstätigen Umgangsberechtigten dazu führen, dass ein Teil
des Jahresurlaubs verbraucht wäre (mindestens 12 Tage). Im Hinblick auf den Umstand, dass die übrigen Kinder ganzjährig durch
den Antragsteller betreut werden, erscheint diese Aufteilung auch im Vergleich mit einem solchen Erwerbstätigen aber nicht
unangemessen.
Einer Gewährung der Leistungen zur Ausübung des Umgangsrechts kann auch nicht entgegengehalten werden, dass das Recht dadurch
nicht sinnvoll ausgeübt werden kann. Aus den vorgelegten E-Mail-Nachrichten ergibt sich, dass der Antragsteller regelmäßig
in telefonischem Kontakt mit dem Sohn steht. Die Nähebeziehung wird also aufrecht erhalten. Insoweit erscheint es sinnvoll
für die Entwicklung des Kindes, dass zumindest alle drei Monate auch ein persönlicher Eindruck von seinem Wohlergehen ermöglicht
wird.
Eine noch vom SG angenommene Vereitelung des Umgangsrechts durch die Mutter des Sohnes, die einer Leistungsbewilligung hätte entgegenstehen
können, kann nach den vorgelegten E-Mail-Nachrichten nicht mehr gesehen werden. Die Mutter hat in Aussicht gestellt, dass
der Antragsteller den Sohn bereits im Dezember 2010 sehen kann.
Schließlich kann dem Antragsteller auch nicht entgegengehalten werden, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG zu prüfen ist,
ob die Mutter des Kindes ggf. an den Umgangskosten zu beteiligen ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 05.02.2002 - 1 BvR 2029/00 -, NJW 2020, 1863). Ein solcher Anspruch wäre unabhängig von der Frage einer Grundlage dafür bei der im Ausland lebenden Mutter jedenfalls
nicht zeitnah durchzusetzen.
Durch die Beigeladene sind nur die notwendigen Kosten der Ausübung des Umgangsrechts zu übernehmen. Das Gericht geht davon
aus, dass sich diese im dargelegten Rahmen bewegen oder darunter liegen. Soweit der Antragsteller die Möglichkeit hat, eine
günstigere Unterkunft in Anspruch zu nehmen, z.B. bei der Kindesmutter, hat er diese wahrzunehmen. Er hat aufgrund seiner
zeitlichen Flexibilität seine Flüge auch so auszuwählen, dass sie möglichst günstig sind. Verpflegungskosten können grundsätzlich
nicht übernommen werden, da der Antragsteller insoweit regelmäßig in Deutschland Aufwendungen erspart, die mit der Regelleistung
bereits abgegolten sind.
b. Ein Anordnungsanspruch ergibt sich aus dem Umstand, dass der Antragsteller sein Kind bereits seit November 2009 nicht mehr
gesehen hat und ihm nun erstmalig wegen der Bereitschaft der Mutter zur Ausübung des Umgangsrechts wieder die Möglichkeit
hierzu eingeräumt ist. Bei einer noch längeren Aussetzung des Umgangsrechts bzw einer Beschränkung auf telefonische Kontakte
droht eine Entfremdung. Dies ergibt sich aus den vorgelegten E-Mail-Nachrichten, in denen über Schwierigkeiten bei der telefonischen
Kontaktaufnahme berichtet wird, die für das Kind nur schwer nachvollziehbar sind. Der Antragsteller hat im Übrigen bereits
seit Umzug des Kindes mit Nachdruck versucht, sein Umgangsrecht durchzusetzen.
3. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist im Hinblick auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen dem Antragsteller
und seinen Sohn zunächst eine vorläufige Regelung für die nächsten zwei Quartale zu treffen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
5. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum BSG angefochten werden (§
177 SGG).