Anspruch auf Erstattung des Herstellerrabatts durch einen pharmazeutischen Unternehmer
Apotheke mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU
Beitritt zu einem Rahmenvertrag
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Rückerstattung von gezahlten Herstellerrabatten gemäß §
130a Abs.
1 SGB V in Höhe von 398.650,23 €.
Die Klägerin ist eine pharmazeutische Unternehmerin mit Sitz in Deutschland. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft niederländischen
Rechts mit Sitz innerhalb der Niederlande. Sie betreibt unter anderem eine Versand-/Internetapotheke. Die Klägerin importiert
aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union Arzneimittel und bringt diese hier nach einem Anpassen an die deutschen arzneimittelrechtlichen
Bestimmungen als pharmazeutische Unternehmerin in Verkehr. Die von ihr in Verkehr gebrachten Arzneimittel werden unter anderem
auch von der Beklagten an Versicherte in der Bundesrepublik Deutschland abgegeben. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um
verschreibungspflichtige Arzneimittel.
Die Beklagte erklärte gegenüber dem GKV-Spitzenverband am 13.11.2008, dort eingegangen am 17.11.2008, den Beitritt zum Rahmenvertrag
über die Arzneimittelversorgung nach §
129 Abs.
3 Nr.
2 SGB V.
Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung sind die Arzneimittelkosten, die den Krankenkassen durch die Versorgung ihrer
Versicherten entstehen, unter anderem durch Apothekengroßhandels- und Herstellerrabatte zu verringern. Der Gesetzgeber hat
die gesetzliche Krankenversicherung unter anderem dadurch finanziell entlastet, dass die Arzneimittelhersteller Rabatte auf
Arzneimittel für ihre Versicherten gewähren müssen. Diese Rabatte sind von den Herstellern aber nicht unmittelbar an die Krankenkassen
abzuführen; vielmehr erhalten die Krankenkassen den Rabatt dadurch, dass sie die Rechnungen der Apotheken um den Herstellerrabatt
kürzen. Die Apotheken wiederum können von den Arzneimittelherstellern die Erstattung der gekürzten Beträge gemäß §
130a Abs.
1 SGB V verlangen. (BSG B 3 KR 14/08 R Rn 3)
Demnach erfolgte die Entrichtung der Herstellerrabatte durch die Beklagte im streitbefangenen Zeitraum von Januar 2010 bis
August 2016 durch Abzug der konkreten Herstellerrabatte im Rahmen der Abrechnung gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungen.
Die Klägerin erstattete der Beklagten aufgrund der ihr von dem damit befassten Rechenzentrum zugegangenen Abrechnungen im
streitbefangenen Zeitraum insgesamt 398.650,23 €, von denen sie nunmehr wegen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) vom 19.10.2016 meint, sie sei dazu nicht verpflichtet gewesen.
Am 5.12.2016 verlangte die Klägerin von der Beklagten die Erstattung der geleisteten Herstellerrabatte in Höhe von 398.650,23
€ bis spätestens 15.12.2016.
Nachdem die Beklagte dem nicht nachgekommen war, hat die Klägerin am 20.12.2016 Klage erhoben. Sie hat im Wesentlichen vorgetragen,
ihr stehe ein Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten zu; dieser sei auch nicht verjährt. Voraussetzung für das Entstehen
eines Erstattungsanspruchs sei nach §
130a Abs.
1 Satz 3
SGB V das Bestehen eines Anspruches der Krankenkasse auf Entrichtung des Herstellerrabattes nach §
130a Abs.
1 Satz 1
SGB V gegen den jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer. Gemäß §
130a Abs.
1 Satz 6
SGB V würden von der Rabattpflicht Fertigarzneimittel erfasst, deren Apothekeneinkaufspreis aufgrund der Preisvorschriften nach
dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmt sei. Von ausländischen Versandhandelsapotheken an deutsche Verbraucher gelieferte Fertigarzneimittel unterlägen
nicht den deutschen Preisvorschriften; insbesondere § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG sei unanwendbar. Diese Regelung habe der EuGH als mit Art. 34 und 36 AEUV für unvereinbar erklärt. Eine Verpflichtung gemäß §
130a Abs. 1 Satz 3
SGB V zur Erstattung von Herstellerrabatten existiere nicht. Zwar sei die Beklagte dem Rahmenvertrag zur Arzneimittelversorgung
gemäß §
129 SGB V beigetreten. Soweit der EuGH aber die Anwendung der Preisvorschriften auf ausländische Versandhandelsapotheken als mit dem
Gemeinschaftsrecht für unvereinbar erklärt habe, führe dies bei zutreffender Betrachtung zur Unanwendbarkeit des Rahmenvertrages
auf ausländische Versandhandelsapotheken. Der Rahmenvertrag schaffe nur die Grundlage für die Geltendmachung gesetzlich geregelter
Ansprüche, bestimme aber nicht den Anspruchsinhalt. Auch der Beitritt zum Rahmenvertrag führe als rein vertragliche Regelung
für sich allein nicht zu einem Erstattungsanspruch, denn der Vertrag allein könne keine hoheitliche Indienstnahme bewirken,
wie das BSG in der Entscheidung vom 17.12.2009 (B 3 KR 14/08 R) festgestellt habe. Bestünden keine rechtlichen Verpflichtungen nach dem Gesetz, könnten sie auch durch den Rahmenvertrag
nicht originär begründet werden.
Die Beklagte hat im Wesentlichen vorgetragen, der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch sei unbegründet, da die Erstattung
der geleisteten Herstellerabschläge durch die Klägerin an sie nicht rechtsgrundlos erfolgt sei. In Bezug auf die Rückerstattungsansprüche
sei sie, die Beklagte, nicht passiv legitimiert. Die richtigen Beklagten wären die wirtschaftlich von den konkret im Raum
stehenden Herstellerabschlägen begünstigten gesetzlichen Krankenversicherungen. Die Rückforderungsansprüche seien für den
Zeitraum vor dem 1.1.2012 verjährt. Insoweit werde ausdrücklich die Einrede der Verjährung erhoben. Die Erstattung der Abschläge
sei mit Rechtsgrund erfolgt, nämlich zur Erfüllung der sich aus §
130a Abs.
1 SGB V ergebenden Verpflichtung, die sich aus der Beitrittserklärung zum Rahmenvertrag nach §
129 Abs.
3 Nr.
2 SGB V im November 2008 ergebe. Mit diesem Beitritt habe sie, die Beklagte, die Voraussetzungen für die Erstattung der Herstellerabschläge
geschaffen. Dies folge auch aus den Urteilen des BSG vom 17.12.2009 (B 3 KR 14/08 R) und 24.1.2013 (B 3 KR 11/11 R), wonach die Anwendbarkeit des Erstattungsregimes nach §
130a Abs.
1,
1a SGB V vom Beitritt einer ausländischen Apotheke zum Rahmenvertrag abhänge. Der Beitritt zum Rahmenvertrag habe konstitutive Wirkung
und begründe die Einbindung ausländischer Versandapotheken in das Abrechnungs- und Erstattungssystem in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der Auffassung der Klägerin, infolge des Urteils des EuGH sei das nationale Preisrecht auf Arzneimittel, welche von Apotheken
mit Sitz im EU-Ausland an deutsche Versicherte abgegeben würden, nicht mehr anwendbar, was dazu führe, dass dies über §
130a Abs.
1 Satz 6
SGB V auf das Regime der Herstellerabschläge durchschlage, sei nicht zu folgen. Die Entscheidung des EuGH erzeuge eine direkte
Bindungswirkung nur für das konkrete Ausgangsverfahren. Das Urteil des EuGH entfalte insbesondere keine Auswirkungen auf die
Anwendbarkeit der Vorschriften zur Zahlung und Erstattung der Herstellerabschläge. Das ergebe sich schon aus dem Streitgegenstand
des Vorlagebeschlusses des OLG Düsseldorf, der zu der Entscheidung des EuGH geführt habe. Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens
habe der EuGH nicht über die europarechtliche Zulässigkeit der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel oder
die Anwendbarkeit für Apotheken mit Sitz im EU-Ausland befunden. § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG sei nicht insgesamt nichtig. Er sei nur insoweit nichtig, als er zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen für ausländische Apotheken
im Verhältnis zu inländischen Apotheken führe. Das betreffe vor allem das Verbot der Gewährung von Rabatten und Boni als maßgebliche
Wettbewerbsparameter für ausländische Apotheken. Im Übrigen fehle es an einer Bereicherung, welche sie, die Beklagte, im Wege
eines Erstattungsanspruches herausgeben könne. Bei wirtschaftlicher Betrachtung der Herstellerabschläge zeige sich, dass sie
durch die von der Klägerin vorgenommenen Erstattungen der an die gesetzlichen Krankenkassen geleisteten Herstellerabschläge
nichts erlangt habe.
Mit Urteil vom 14.3.2019 hat das Sozialgericht für das Saarland (SG) die Klage abgewiesen. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Erstattung der Herstellerrabatte im streitbefangenen
Zeitraum nicht rechtsgrundlos erfolgt. Die Beklagte sei dem Rahmenvertrag gemäß §
129 Abs.
3 Nr.
2 SGB V beigetreten. Damit entfalte der Rahmenvertrag Rechtswirkung für die Beklagte mit der Folge, dass diese an der Arzneimittelversorgung
der GKV-Krankenversicherung teilnehmen könne. Damit sei die Beklagte auch den Regelungen der §§
130,
130a SGB V unterworfen. Die Voraussetzungen, nach denen der Abschlag zu gewähren sei, lägen vor. Entgegen der Auffassung der Klägerin
entfalte das Urteil des EuGH vom 19.10.2016 keine Rechtswirkung der Gestalt, dass die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum
nicht mehr der Rabattpflicht des §
130a SGB V unterworfen gewesen wäre mit der Folge, gegenüber der Beklagten nicht zur Erstattung der Abschläge verpflichtet zu sein,
wie es §
130a Abs.
1 Satz 3
SGB V vorsehe. Der vorliegende Sachverhalt sei mit dem der Entscheidung des EuGH nicht vergleichbar. Die Kammer stimme auch ausdrücklich
der Auffassung der Beklagten zu, Kern des Vorlageverfahrens sei die europarechtliche Zulässigkeit der Preisbindung auf der
Ebene zwischen den Apothekern und den Endverbrauchern. Auf Herstellerrabatte oder andere finanzielle Leistungen zwischen den
pharmazeutischen Unternehmen und den gesetzlichen Krankenkassen sei der EuGH in seiner Entscheidung nicht eingegangen.
Gegen das ihr am 17.5.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23.5.2019 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt
sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen (Blatt 400). Sie betont, der von der Beklagten erklärte Beitritt zum Rahmenvertrag
könne seit dem Urteil des EuGH nicht mehr als wirksam angesehen werden, weil die Beklagte an das Arzneimittelpreisrecht nicht
gebunden sei.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 14.3.2019 aufzuheben und
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 398.650,23 € nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten hieraus über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung wiederholt sie ihr bisheriges Vorbringen und weist darauf hin, dass von der in § 2b Abs. 2 Satz 5 des Rahmenvertrages
angeordneten entsprechenden Anwendbarkeit alle „als preisgebunden ausgewiesenen Fertigarzneimittel“ erfasst würden. Maßgeblich
sei damit allein, dass die Arzneimittel in der Lauer-Taxe als preisgebunden ausgewiesen bzw. gekennzeichnet seien. Nicht erforderlich
sei hingegen, dass die Vorschriften des nationalen Arzneimittelpreisrechts in Bezug auf diese Arzneimittel auch (umfassend)
eingehalten oder gelten würden. Für die Anwendbarkeit von §
130a Abs.
1 Satz 6
SGB V sei maßgeblich, ob auf der Stufe zwischen Apotheke und gesetzlicher Krankenkasse Preisbindung oder Preisfreiheit herrsche.
Nur und ausschließlich auf diese Ebene komme es für die Ausnahmevorschrift des §
130a Abs.
1 Satz 6
SGB V an. Ob die preisrechtlichen Vorschriften im Rahmen der übrigen Stufen der Arzneimittel Lieferkette gelten bzw. Anwendung
fänden, sei schlichtweg unerheblich.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte. Der Inhalt der Akte war Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die zulässige Leistungsklage (§
54 Abs.
5 SGG) zu Recht abgewiesen.
Der von der Klägerin geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch besteht nicht. Dieser besagt, dass Leistungen,
die auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ohne Rechtsgrund erbracht worden sind, zu erstatten sind. Diese Voraussetzungen
sind nicht erfüllt, weil die Beklagte gegen die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der von ihr an die Krankenkassen geleisteten
Abschläge hatte. Dies ergibt sich aus §
130a Abs.
1 SGB V. Im streitigen Zeitraum Januar 2010 bis August 2016 sind zwei Fassungen maßgeblich:
In der ab dem 1.1.2010 geltenden Fassung vom 17.7.2009 lautet §
130a Abs.
1 SGB V wie folgt:
(1) 1Die Krankenkassen erhalten von Apotheken für ab dem 1.1.2003 zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel einen Abschlag in Höhe
von 6 vom Hundert des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer. 2Pharmazeutische Unternehmer sind verpflichtet, den Apotheken den Abschlag zu erstatten. 3Soweit pharmazeutische Großhändler nach Absatz 5 bestimmt sind, sind pharmazeutische Unternehmer verpflichtet, den Abschlag
den pharmazeutischen Großhändlern zu erstatten. 4Der Abschlag ist den Apotheken und pharmazeutischen Großhändlern innerhalb von zehn Tagen nach Geltendmachung des Anspruches
zu erstatten. 5Satz 1 gilt für Fertigarzneimittel, deren Apothekenabgabepreise aufgrund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz oder aufgrund des § 129 Abs. 5a bestimmt sind. 6Die Krankenkassen erhalten den Abschlag nach Satz 1 für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen auf den Abgabepreis
des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer, der bei Abgabe an Verbraucher auf Grund von Preisvorschriften nach
dem Arzneimittelgesetz gilt. 7Wird nur eine Teilmenge des Fertigarzneimittels zubereitet, wird der Abschlag nur für diese Mengeneinheiten erhoben.
In der ab dem 1.4.2014 geltenden Fassung vom 27.3.2014 lautet die Vorschrift wie folgt:
(1) 1Die Krankenkassen erhalten von Apotheken für zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel einen Abschlag in Höhe von 7 vom Hundert
des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer. 2Für Arzneimittel nach Absatz 3b Satz 1 beträgt der Abschlag nach Satz 1 6 vom Hundert. 3Pharmazeutische Unternehmer sind verpflichtet, den Apotheken den Abschlag zu erstatten. 4Soweit pharmazeutische Großhändler nach Absatz 5 bestimmt sind, sind pharmazeutische Unternehmer verpflichtet, den Abschlag
den pharmazeutischen Großhändlern zu erstatten. 5Der Abschlag ist den Apotheken und pharmazeutischen Großhändlern innerhalb von zehn Tagen nach Geltendmachung des Anspruches
zu erstatten. 6Satz 1 gilt für Fertigarzneimittel, deren Apothekenabgabepreise aufgrund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz oder aufgrund des § 129 Abs. 5a bestimmt sind, sowie für Arzneimittel, die nach § 129a abgegeben werden. 7Die Krankenkassen erhalten den Abschlag nach Satz 1 für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen sowie für Arzneimittel,
die nach § 129a abgegeben werden, auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer, der bei Abgabe
an Verbraucher auf Grund von Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz gilt. 8Wird nur eine Teilmenge des Fertigarzneimittels zubereitet, wird der Abschlag nur für diese Mengeneinheiten erhoben.
Der Unterschied zwischen beiden im streitigen Zeitraum geltenden Fassungen besteht im Wesentlichen darin, dass sich der nach
Abs. 1 Satz 1 zu leistende Abschlag erhöht hat und ein neuer Satz 2 eingefügt worden ist, sodass die Erstattungspflicht des
Pharma-Unternehmens in der ab dem 1.4.2014 geltenden Fassung in Satz 3 und nicht mehr in Satz 2 geregelt ist.
Nach §
130a Abs.
1 Satz 2 (ab dem 1.4.2014: Satz 3)
SGB V sind pharmazeutische Unternehmer somit verpflichtet, den Apotheken den von diesen nach Satz 1 geleisteten Abschlag an die
Krankenkassen zu erstatten. Ein Abschlag nach Satz 1 ist von den Apotheken zu leisten für Fertigarzneimittel, deren Apothekenabgabepreise
aufgrund der Preisvorschriften nach dem AMG oder aufgrund des §
129 Absatz
5a SGB V ( betrifft die Abgabe von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ) bestimmt sind, sowie für Arzneimittel, die nach §
129a SGB V ( von Krankenhausapotheken ) abgegeben werden (§
130a Abs.
1 Satz 5 [ab dem 1.4.2014: Satz 6]
SGB V). Diese Voraussetzungen sind hier im streitigen Zeitraum erfüllt.
1. Die Frage, ob Arzneimittelhersteller zur Erstattung des von einer ausländischen Versandapotheke geleisteten Herstellerrabatts
verpflichtet sind, war bereits mehrfach Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten, wobei diesen Fällen gemeinsam war, dass die ausländische
Versandapotheke nicht dem Rahmenvertrag nach §
129 SGB V beigetreten war.
Zunächst hatte der 1. Senat des BSG eine Erstattungspflicht mit der Begründung verneint, für Fertigarzneimittel, die nach Deutschland importiert würden, gölten
Apothekenabgabepreise weder aufgrund der Preisvorschriften nach dem AMG noch seien sie aufgrund des §
129 Abs.
5a SGB V bestimmt (Urteil vom 28.7.2008 - B 1 KR 4/08 R, juris Rn. 23). Nachdem sich der BGH dieser Rechtsauffassung nicht anschloss (Vorlagebeschluss vom 9.9.2010 - I ZR 72/08), entschied der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, dass die deutschen Vorschriften für den Apothekenabgabepreis
auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel gelten, die Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen
Union im Wege des Versandhandels nach Deutschland an Endverbraucher abgeben (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des
Bundes, Beschl. v. 22.8.2012 - GmS-OGB 1/10). Der Gesetzgeber stellte daraufhin in dem mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften
vom 19.10.2012 neu eingefügten § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG klar, dass die Arzneimittelpreisverordnung auch für jene Arzneimittel gilt, die von Apotheken eines EU- oder EWR-Mitgliedstaates
an den Endverbraucher versandt werden. Die von einer niederländischen Versandapotheke gegen § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG erhobene Rechtssatzverfassungsbeschwerde nahm das BVerfG nicht zur Entscheidung an (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 4.11.2015
- 2 BvR 282/13, 2 BvQ 56/12). Auf einen Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf (Beschl. vom 24.3.2015 - I-20 U 149/13, 20 U 149/13) entschied schließlich der EuGH am 19.10.2016 (C-148/1), dass Art. 34 AEUV dahin auszulegen sei, dass eine nationale Regelung, die vorsehe, dass für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel einheitliche
Apothekenabgabepreise festgesetzt würden, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung i.S.d.
Art. 34 AEUV darstelle, weil sie sich auf die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch in anderen Mitgliedstaaten ansässige
Apotheken stärker auswirke als auf die Abgabe solcher Arzneimittel durch im Inland ansässige Apotheken. Da Versandapotheken
mit ihrem eingeschränkten Leistungsangebot die von traditionellen Apotheken geleistete Versorgung (individuelle Beratung der
Patienten durch ihr Personal vor Ort, Sicherstellung einer Notfallversorgung mit Arzneimitteln) nicht angemessen ersetzen
könnten, sei davon auszugehen, dass der Preiswettbewerb für sie ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor sein könne als für traditionelle
Apotheken, weil es von ihm abhänge, ob sie einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt fänden und auf diesem konkurrenzfähig
blieben. Des Weiteren befand der EuGH, dass Art. 36 AEUV dahin auszulegen sei, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vorsehe, dass für verschreibungspflichtige
Humanarzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festgesetzt würden, nicht mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens
von Menschen im Sinne dieses Artikels gerechtfertigt werden könne, weil sie nicht geeignet sei, die angestrebten Ziele zu
erreichen.
Der 3. Senat des BSG hatte zuvor im Jahre 2009 dem Urteil des 1. Senats vom 28.7.2008 zwar im Ergebnis zugestimmt, also ebenfalls einen Erstattungsanspruch
einer Versandapotheke nach §
130a Abs
1 S 2 (ab 1.4.2014: S. 3)
SGB V verneint, dieses Ergebnis jedoch auf eine andere Begründung gestützt (Urteil vom 17.12.2009 - B 3 KR 14/08 R). Der 3. Senat des BSG hielt §
130a Abs
1 S 2
SGB V für nicht anwendbar, wenn die Teilnahme der Versandapotheke an der Arzneimittelversorgung in Deutschland allein auf individuellen
vertraglichen Vereinbarungen mit einzelnen Krankenkassen und nicht auf einem Beitritt zum Rahmenvertrag nach §
129 SGB V beruhe, da in diesem Fall Zahlungen der Versandapotheke iS von §
130a Abs
1 S 1
SGB V nur auf Vertrag beruhen könnten und vertragliche Zahlungspflichten nicht auf Dritte abwälzbar seien. An dieser Rechtsprechung
hat der 3. Senat auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes
vom 22.8.2012 festgehalten (Urteil vom 24.1.2013 - B 3 KR 11/11 R sowie Beschluss vom 29.11.2016 - B 3 KR 21/16 B).
2. Dies zugrunde legend besaß die Beklagte gegen die Klägerin einen Erstattungsanspruch nach §
130a Abs
1 S 2 (ab 1.4.2014: S. 3)
SGB V, sodass die Erstattungen der Klägerin an die Beklagte mit Rechtsgrund erfolgt sind. Die Apothekenabgabepreise der Fertigarzneimittel,
für die die Beklagte einen Abschlag an die Krankenkassen abgeführt hatte, waren aufgrund der Preisvorschriften nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) oder aufgrund des §
129 Absatz
5a SGB V ( betrifft die Abgabe von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ) im Sinne des §
130a Abs.
1 Satz 5 (ab dem 1.4.2014: Satz 6)
SGB V bestimmt. Dies ergibt sich zwar gemäß der Rechtsprechung des EuGH nicht unmittelbar aus den gesetzlichen Preisvorschriften,
sondern ist Folge des Beitritts der Klägerin zum Rahmenvertrag nach §
129 SGB V im hier streitigen Zeitraum.
§ 2b Abs. 2 des Rahmenvertrages in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung lautet wie folgt:
Ausländische Apotheken sind ab dem auf den Erklärungseingang beim Deutschen Apothekerverband folgenden Kalendermonat berechtigt,
auf Grundlage des § 78 Abs. 3 AMG bezogene, für den Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes zugelassene und in den Preis- und Produktinformationen nach § 2 Abs. 6 als preisgebunden ausgewiesene Fertigarzneimittel zu Lasten der Krankenkassen abzurechnen (Satz 1). Für Abrechnungen
unter den Voraussetzungen nach Satz 1 gelten die Preisvorschriften nach § 78 Arzneimittelgesetz sowie § 7 Heilmittelwerbegesetz (sog. Rabattverbot) (Satz 2). Die weiteren Einzelheiten ergeben sich aus diesem Rahmenvertrag sowie den ergänzenden Verträgen
nach §
129 Abs.
5 SGB V (Satz 3). Auf Verlangen sind den Krankenkassen oder deren Verbänden Nachweise über die Bezugsquellen vorzulegen (Satz 4).
Die Regelungen des Sozialgesetzbuches, Fünftes Buch, insbesondere zu gesetzlichen Abschlägen, zur Zuzahlung der Versicherten,
zur Arzneimittelabrechnung und Datenübermittlung und die Arzneimittelabrechnungsvereinbarung nach §
300 Abs.3
SGB V gelten entsprechend (Satz 5).
Da die Beklagte nach dem Regime des §
129 SGB V an der GKV-Arzneimittelversorgung teilnimmt und deshalb den Regelungen dieser Vorschrift sowie der §§
130,
130a SGB V unterworfen ist, ist sie auch erstattungsberechtigt (vergleiche BSG, Urteil vom 28.7.2008 - B 1 KR 4/08 R, juris Rn. 32 ff.; Urteil vom 17.12.2009 - B 3 KR 14/08 R, juris Rn. 18; Urteil vom 24.1.2013 - B 3 KR 11/11 R, juris Rn. 20; Beschluss vom 29.11.2016 - B 3 KR 21/16 B, juris Rn. 11).
Dem steht auch nicht die Entscheidung des EuGH (vom 19.10.2016 - C-148/15) entgegen. Der EuGH hat lediglich entschieden, dass eine nationale Regelung wie § 78 Abs. 1 AMG, die vorsieht, dass für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festgesetzt werden,
gegen EU-Recht verstößt. Die Geltung des deutschen Arzneimittelpreisrechts ergibt sich vorliegend aber nicht kraft Gesetzes
bzw kraft Verordnung, sondern auf Grund des freiwilligen Beitritts der Beklagten zum Rahmenvertrag (§
129 Abs
3 Nr
2 SGB V iVm §
2b Abs
2 S 2 des Rahmenvertrages; vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6.7.2017 - L 5 KR 105/16, juris Rn. 30; Luthe in: Hauck/Noftz, April 2020,
SGB V, § 130a Rn. 15; Wesser, jurisPR-MedizinR 10/2016 Anm. 3). Unterwirft sich die ausländische Versandapotheke freiwillig den
für sie sonst nicht geltenden Preisvorschriften, um sich dadurch andere Vorteile zu sichern, kann nicht gleichzeitig geltend
gemacht werden, dass die Preisvorschriften nicht gelten. Ob sich, wie die Klägerin meint, aus der Begründung zum Entwurf des
Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (Drs. 19/21732) ergibt, dass der Gesetzgeber von einer anderen Tragweite der Entscheidung
des EuGH ausgeht, kann dies offen bleiben, da diese Einschätzung für den Senat nicht bindend wäre.
Die Berufung hat somit keinen Erfolg.
Die Revision wird zugelassen. Das BSG hat sich bislang nicht dazu geäußert, ob und ggf. welche Folgen die Rechtsprechung des EuGH (vom 19.10.2016 - C-148/15) auf einen Anspruch auf Erstattung des Herstellerrabattes bei bereits zuvor erfolgten Beitritt zum Rahmenvertrag nach §
129 SGB V hat.