Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von den Festbetrag übersteigenden Kosten einer Hörgeräteversorgung.
Die 1965 geborene und bis zum Jahr 2016 bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin ist als Fachreferentin Entgeltabrechnung
bei der D AG tätig. Aufgrund einer Schwerhörigkeit beiderseits (Schallempfindungsstörung), wegen der bei ihr ab dem 20. Mai
2014 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt ist, verordnete die Fachärztin für HNO-Heilkunde Dr. F. der Klägerin
am 18. Oktober 2013 Hörhilfen.
Unter Vorlage dieser Verordnung sowie eines Kostenvoranschlags des Hörgerätestudios C. GmbH in H (C. GmbH) vom 29. November
2013 über insgesamt 2.514,00 € beantragte die Klägerin bei der Beklagten am 16. Dezember 2013 die Versorgung mit Hörgeräten
der Marke ReSound Alera 5 AL562-DVIRW NP beiderseits (Eigenanteil jeweils 400,00 €). Der Kostenvoranschlag enthielt den handschriftlichen
Vermerk, die Klägerin sei audiologisch mit Hörgeräten zum Festbetrag versorgbar; eine entsprechende Versorgung habe sie jedoch
abgelehnt. Auf einer von der Beklagten vorgefertigten Versichertenerklärung des Hörgeräteakustikers vom 6. Dezember 2013 unterzeichnete
die Klägerin Folgendes: „Obwohl ich über die Möglichkeiten einer aufzahlungsfreien Hörsystemversorgung aufgeklärt worden bin,
wünsche ich ausdrücklich die Versorgung mit einem die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung übersteigenden
Hörsystem. Die daraus entstehenden Mehrkosten habe ich selbst zu tragen. Die von mir persönlich zu tragende Aufzahlung ist
insbesondere durch subjektive Faktoren (Klang etc), Ästhetik (Größe, Design etc.) und ein automatisches Einstellen der unterschiedlichen
Hörsituationen bedingt. Ich habe mich beruflich bedingt für ein die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung
übersteigendes Hörsystem entschieden, das folgende besondere Merkmale aufweist: automatisches Einstellen der unterschiedlichen
Hörsituationen." Wegen der Ausgestaltung des dabei verwendeten Vordrucks mit elektronisch vorzunehmenden Ankreuzmöglichkeiten
wird auf Bl. 143 der Gerichtsakten verwiesen.
Mit Bescheid vom 17. Januar 2014 lehnte die Beklagte die Versorgung mit Hörgeräten über den Festbetrag hinaus ab, da keine
entsprechende Indikation gegeben sei. Nach den Angaben des Hörgeräteakustikers seien Hörgeräte zum Festpreis audiologisch
ausreichend. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung seien eventuell beruflich bedingte Mehranforderungen an eine Hilfsmittelversorgung
irrelevant; hierfür sei der Träger der beruflichen Rehabilitation (z.B. Rentenversicherung) zuständig.
Hiergegen erhob die Klägerin am 21. Januar 2014 Widerspruch. Sie sei auf die ausgewählten Hörhilfen angewiesen, da andere
Geräte keine ausreichende Versorgung ermöglichten. Bei Störgeräuschen und in größeren Gruppen sei sonst kein genügendes Sprachverständnis
gegeben. Dies habe eine vergleichende Anpassung unter Einbeziehung mehrerer aufzahlungsfreier Hörgeräte gezeigt. Ihr augenblicklicher
Hörstatus sei derart schlecht, dass sie dringend auf neue Hörgeräte angewiesen sei. Sofern sie bis zum 31. Januar 2014 keine
positive Nachricht erhalte, sehe sie sich gezwungen, die Geräte selbst zu beschaffen und Kostenerstattung geltend zu machen.
Nach einem Gesprächsvermerk vom 19. Februar 2014 erklärte die C. GmbH auf Nachfrage der Beklagten, die Klägerin habe Hörgeräte
ohne Aufzahlung getestet. Insoweit existierten keine Messergebnisse, da die Klägerin eine Versorgung mit vollautomatischen
Hörgeräten wünsche.
Unter dem 27. Februar 2014 erteilte die C. GmbH der Klägerin für die Hörgeräte abzüglich der Krankenkassenanteile (1.614,00
€) und der bereits geleisteten Zuzahlung (20,00 €) eine Rechnung über 800,00 €, die diese vollständig beglich.
Am 11. März 2014 stellte die Klägerin bei der Beigeladenen einen Antrag auf Kostenübernahme, den diese mit Schreiben vom 24.
März 2014 an die Beklagte weiterleitete.
Mit Bescheid vom 7. April 2014 hob die Beklagte den Bescheid vom 17. Januar 2014 auf und lehnte die Erstattung der den Festpreis
übersteigenden Kosten der Hörgeräteversorgung ab. Soweit ihre Entscheidung als erstangegangener Träger gemäß §
14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX, in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen und hier maßgeblichen Fassung – a.F.) ergehe, liege nach dem Leistungsrecht der
Rentenversicherung kein berufsspezifischer Mehrbedarf für spezielle Hörgeräte vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 20. August 2014 beim Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben und ergänzend gemeint, ein Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich bereits wegen Eingreifens der Genehmigungsfiktion
des §
13 Abs.
3a Satz 7 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V). Im Übrigen lägen auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Erstattung der Mehrkosten vor. Mangels Weiterleitung
des Antrags sei die Beklagte als erstangegangener Träger zuständig geworden und habe daher eigenständig auch die berufsbedingte
Notwendigkeit einer höherwertigen Hörgeräteversorgung zu prüfen. Insoweit seien tätigkeitsbedingte Anforderungen wie eine
fernmündliche und persönliche Kommunikation mit Mitarbeitern und auskunftsberechtigten Dritten, Dienstbesprechungen und Fortbildungen
von Belang. Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass der Beschaffungsweg nicht eingehalten worden sei. Denn
eine Selbstbeschaffung sei erst nach Erteilung des Bescheides vom 17. Januar 2014 erfolgt.
Ergänzend hat die Klägerin im Erörterungstermin am 29. Mai 2017 erklärt, sie habe die erworbenen Hörgeräte zunächst sechs
Monate im Probelauf getestet. Ebenso habe sie zwei aufzahlungsfreie Geräte für jeweils zwei Tage im beruflichen Umfeld erprobt.
Hierbei seien jedoch Probleme beim Verstehen von Dozenten bei Schulungen aufgetreten. Daneben seien beim Telefonieren Pfeifgeräusche
entstanden, wenn der Hörer nicht optimal positioniert gewesen sei.
Die Beklagte hat gemeint, zwar sei die Frist des §
13 Abs.
3a SGB V nicht eingehalten worden. Gleichwohl greife die Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs.
3a Satz 9
SGB V nicht ein. Zudem scheide eine Kostenerstattung schon deshalb aus, weil die Klägerin sich bereits am 6. Dezember 2013 im Sinne
eines unbedingten Verpflichtungsgeschäfts gegenüber der C. GmbH unabhängig von der noch ausstehenden Entscheidung über die
Versorgung gebunden habe.
Mit Urteil vom 21. Februar 2018 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Ob die Klägerin Anspruch auf Versorgung mit den streitbefangenen
digitalen Hörgeräten als Sachleistung gehabt habe und die Beschränkung auf den Festbetrag rechtswidrig gewesen sei, könne
dahinstehen. Eine Kostenerstattung scheitere jedenfalls an der vorausgesetzten Kausalität. Denn indem die Klägerin von vornherein
auf die Versorgung mit den über dem Vertragspreis liegenden Hörgeräten festgelegt gewesen sei, habe sie den Beschaffungsweg
verlassen. Dies gelte sowohl für einen Erstattungsanspruch aus §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V als auch aus §
13 Abs.
3 Satz 1 Alt. 2
SGB V bzw. §
15 Abs.
1 Satz 4
SGB IX a.F. Mangels Unaufschiebbarkeit der Leistung scheide auch §
13 Abs.
3 Satz 1 Alt. 1
SGB V als Anspruchsgrundlage aus. Zwar sei eine Leistung nicht schon mit deren Auswahl selbst verschafft, da diese dem Hilfsmittelbewilligungsverfahren
notwendig vorgeschaltet sei. Anspruchshindernd sei vielmehr erst ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhältnis zwischen
dem Berechtigtem und dem Leistungserbringer (Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 20/08 R – juris, Rn. 12). Entsprechendes sei hier aber der Fall. Wenngleich die Klägerin den Kaufpreis für die den Festbetrag übersteigenden
Geräte erst nach Antragstellung bei der Beklagten und Ablauf der Frist des §
13 Abs.
3a SGB V gezahlt habe, sei sie zur Überzeugung der Kammer zu diesem Zeitpunkt schon auf die streitige höherwertige Versorgung festgelegt
gewesen. Denn sie habe bereits am 6. Dezember 2013 einen bindenden Vertrag mit dem Hörgeräteakustiker geschlossen. Dies ergebe
sich aus der von ihr an diesem Tag unterzeichneten Erklärung. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin
die Versorgung mit Hörgeräten als zwingend notwendig betrachtet habe, sei davon auszugehen, dass die Entscheidung für die
vollautomatischen Hörgeräte von ihr bereits endgültig und unabhängig vom Bescheid der Beklagten getroffen worden sei. Aus
der Tatsache, dass sie den Rechnungsbetrag ohne eine weitere, zeitlich später abgeschlossene vertragliche Verpflichtung gezahlt
habe, folge ebenfalls mit hinreichender Deutlichkeit, dass der zwischen ihr und der C. GmbH getroffenen Abrede nicht lediglich
eine unverbindliche Auswahlentscheidung zur Vorbereitung eines Leistungsantrags an die Beklagte zugrunde gelegen habe. Auf
den Zeitpunkt der Rechnungslegung komme es nicht an, da dieser nur die Fälligkeit der Vergütung betreffe. Eine Kostenerstattung
komme schließlich auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes bzw. nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
in Betracht.
Gegen das ihr am 27. März 2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27. April 2018 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Berufung eingelegt und (nochmals) ihren Arbeitsvertrag nebst der zugehörigen Stellenbeschreibung vorgelegt. Das SG habe eine vertragliche Bindung bereits am 6. Dezember 2013 zu Unrecht angenommen. Um überhaupt einen Antrag auf Kostenübernahme
stellen zu können, sei sie zur vollständigen Ausfüllung der vom Hörgeräteakustiker vorgelegten Versichertenerklärung verpflichtet
gewesen. Werde der Ansicht des SG gefolgt, seien Versicherte stets bereits vor der Antragstellung vertraglich gebunden und eine Kausalität zwischen Leistungsablehnung
und Kostenbelastung scheide immer aus. Mit der Versichertenerklärung habe sie der Beklagten lediglich mitgeteilt, welches
Gerät sie aus welchen Gründen ausgewählt habe. Ein fester Entschluss zur Versorgung mit einem höherwertigen Hörgerät sei damit
nicht verbunden gewesen. Mit Unterzeichnung der Versichertenerklärung habe sie sich auch nicht in der Pflicht zum Erwerb der
probeweise überlassenen Hörgeräte gesehen. Aufgrund der in dieser Erklärung mitgeteilten Erforderlichkeit zum Zwecke der beruflichen
Tätigkeit sei sie bei Stellung des Leistungsantrags, dem notwendigerweise die Versichertenerklärung und ein entsprechender
Kostenvoranschlag beizufügen gewesen seien, davon ausgegangen, dass die Beklagte die Versorgung übernehme. Erst mit deren
Ablehnungsentscheidung vom 17. Januar 2014 habe sie sich mit der tatsächlichen Tragung eines Eigenanteils in Höhe von 800,00
€ konfrontiert gesehen, sollte sie sich hierfür entscheiden. Nachfolgend habe sie im Februar 2014 gegenüber dem Hörgeräteakustiker
erklärt, die probeweise überlassenen Hörgeräte erwerben zu wollen. Mit der am 27. Februar 2014 ausgestellten Rechnung sei
sie auf Zahlung der über dem Festpreis liegenden Kosten in Anspruch genommen worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 21. Februar 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 7.
April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2014 zu verurteilen, ihr 800,00 € für die Anschaffung des
Hörgerätesystems ReSound Alera 5 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG im Ergebnis für zutreffend und hat weitere instanzgerichtliche Rechtsprechung angeführt.
Der Berichterstatter hat darauf hingewiesen, dass Leistungen zum Behinderungsausgleich nach der Rechtsprechung des BSG nicht vom Anwendungsbereich des §
13 Abs.
3a SGB V erfasst seien (Urteil vom 15. März 2018 – B 3 KR 18/17 R – SozR 4- 2500 § 13 Nr. 41). Auf eine „besondere berufliche Betroffenheit" im Sinne einer außergewöhnlichen Tätigkeit komme
es bei der Hörgeräteversorgung nicht an (Hinweis auf BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R – SozR 4-3250 § 14 Nr. 19).
Auf gerichtliche Nachfrage hat die C. GmbH auszugsweise ihren mit der Beklagten bestehenden Vertrag über die Versorgung von
Versicherten mit Hörgeräten in der Fassung vom 1. November 2013 übermittelt. Ergänzend hat sie mit Schreiben vom 13. Februar
2019 ausgeführt: Am 29. November 2013 sei die Klägerin über die Höhe der ggf. anfallenden Zuzahlung informiert worden, und
am 6. Dezember 2013 habe sie sich ausdrücklich gegen aufzahlungsfreie Hörhilfen entschieden, woraufhin der Kostenvoranschlag
bei der Beklagten eingereicht worden sei. Am 17. Januar 2014 habe die Beklagte nur die Genehmigung für den Festbetrag erteilt;
die Klägerin habe sich trotzdem für die Geräte mit Zuzahlung entschieden, wie aus der am 27. Februar 2014 unterschriebenen
(und beigefügten) Empfangsbestätigung über die verordnete Hörhilfe zu erkennen sei. An diesem Tag habe die Klägerin auch die
(ebenfalls beigefügte) „Erklärung für die nachfolgend beschriebene Sonderanfertigung“ unterzeichnet.
Im Erörterungstermin am 21. Mai 2019 hat die Klägerin u.a. erklärt, sie habe nach Erhalt der Verordnung ihrer HNO-Ärztin das
Hörgerätestudio aufgesucht. Nachdem sie dort mehrere Geräte getestet habe, die nicht gepasst hätten, habe sie etwa eine Woche
verschiedene Kassengeräte probiert. Hierbei seien aber Schwierigkeiten aufgetreten, die sich vor allem darauf bezogen hätten,
dass sie beruflich häufig mit Seminaren zu tun habe. Dabei sei sie nicht nur Seminarteilnehmerin, sondern habe solche auch
zu führen. Deshalb habe sie über längere Zeit andere Geräte erprobt, die mehrfach angepasst und auf ihre Bedürfnisse eingestellt
worden seien. Das Hörgerätestudio habe dann bei der Beklagten die Übernahme der Kosten beantragt. Nachdem es den Ablehnungsbescheid
erhalten habe, habe sie zu Hause mit ihrem Mann beraten, ob sie trotzdem die besseren Geräte nehmen solle. Das Hörgerätestudio
habe dann gefragt, ob ein entsprechender Vertrag geschlossen werden solle und auf die Möglichkeit eines Kostenübernahmeantrags
beim Rentenversicherungsträger hingewiesen.
Der Zeuge J. hat in diesem Termin als die Klägerin betreuender Mitarbeiter der C. GmbH im Wesentlichen bekundet, die Hörgeräteversorgung
eines Kunden laufe immer nach demselben Muster ab: Der Kunde erscheine mit der Verordnung des HNO-Arztes, er führe dann einen
Hörtest durch, stelle dabei verschiedene Geräte vor und erläutere deren Vor- und Nachteile. Der Kunde probiere dann die verschiedenen
Geräte und entscheide sich im Ergebnis durch seine Unterschrift für ein Modell. Er könne zuvor allerdings auch selbst verschiedene
Anbieter aufsuchen. Seinerzeit habe die Klägerin sich für ein Angebotsgerät entschieden, das u.a. auch eine Vollgarantie über
die Vertragslaufzeit beinhaltet habe.
Wie lange eine Testung erfolge, sei kundenabhängig. Einige Kunden entschieden sich sofort, andere würden eine Woche testen
und wieder andere nutzten ein Gerät zur Probe auch über ein halbes Jahr. Der Kunde habe immer eine Probezeit. Der Fall, dass
er in den Laden komme und sofort ein Hörgerät kaufe, komme praktisch nicht vor. Im Rahmen einer Erprobung sei insbesondere
das Hören und Verstehen in schwierigen Situationen wichtig. Wenn Sprache und Lärm zusammenkämen, existierten zwischen einzelnen
Geräten erhebliche Unterschiede. Insbesondere dann, wenn ein Hörgerät auch beruflich genutzt werde, sei der Versorgungsstatus
aufzunehmen und ein kompletter Kostenvoranschlag an die Krankenkasse zu übermitteln. Diese behalte sich dann in der Regel
vor, die Versorgung zu übernehmen oder den Antrag an die Rentenversicherung weiterzuleiten.
Die Versorgung sei abgeschlossen, wenn der Kunde sage „ja, ich nehme die Hörgeräte“. Dann würden die Formulare ausgefüllt
und an die Krankenkasse geschickt. Die „Erklärung für die nachfolgend beschriebene Sonderanfertigung“ habe mit der Krankenkassenversorgung
nichts zu tun, sondern diene der Dokumentation der Anforderungen nach dem Medizinproduktegesetz. Eine vertragliche Bindung mit dem Kunden komme mit dessen Unterschrift unter die Empfangsbestätigung zustande. Hierdurch
bestätige der Kunde auch den Erhalt der Geräte und der sechsjährige Hörgeräteversorgungszeitraum beginne. Es sei nachvollziehbar,
dass seinerzeit mit der Rechnungslegung bis zur Entscheidung der Krankenkasse über die Versorgung gewartet worden sei. Entsprechendes
sei insbesondere dann der Fall, wenn das Hörgerät beruflich genutzt werde. Die gemessenen Hörverluste seien mit jedem Gerät
ausgleichbar. Das besage aber nicht, dass jedes Hörgerät auch den Anforderungen in den betreffenden beruflichen Bereichen
gewachsen sei. Deswegen probiere der Kunde das Gerät in den fraglichen Situationen und entscheide dann, ob er es nehme.
Die mit Beschluss vom 17. Mai 2021 zum Verfahren hinzugezogene Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und unter dem 21. Juni
2021 bestätigt, dass bei der Klägerin (auch) zwischen Dezember 2013 und März 2014 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
nach §
11 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI) erfüllt waren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Verhandlung und
Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§
151 Abs.
1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 7. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23. Juli 2014 beschwert die Klägerin im Sinne der §§
157,
54 Abs.
2 Satz 1
SGG, da sie gemäß §
13 Abs.
3 Satz 1 Alt. 2
SGB V Anspruch auf Erstattung der streitigen Kosten hat. Ob sich ein Kostenerstattungsanspruch gegenüber der Beklagten daneben
auch auf Grundlage von §
15 Abs.
1 Satz 4 Alt. 2
SGB IX a.F. ergibt, kann daher dahinstehen.
Gemäß §
13 Abs.
3 Satz 1 Alt. 2
SGB V besteht Anspruch auf Kostenerstattung bei zu Unrecht abgelehnter Sachleistung. Da die Kostenerstattung demnach akzessorisch
zu dem durch Zweckerreichung erloschenen originären Sachleistungsanspruch ist (vgl. §
2 Abs.
2 Satz 1
SGB V), reicht sie nicht weiter als dieser. Sie setzt daher voraus, dass die Klägerin Anspruch auf Versorgung mit Hörgeräten der
Marke ReSound Alera 5 hatte (vgl. BSG, Urteil vom 6. März 2012 – B 1 KR 24/10 R – BSGE 110, 183). Dies ist der Fall.
Rechtsgrundlage des Sachleistungsanspruchs ist §
33 Abs.
1 Satz 1 Variante 3
SGB V. Danach haben Versicherte wie die Klägerin u.a. Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind,
um eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hörhilfen nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen
oder nach §
34 Abs.
4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch besteht im Hinblick auf die nach der Vorschrift vorgesehene Erforderlichkeit im Einzelfall
grundsätzlich nur, soweit das begehrte Hörgerät geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist sowie das Maß des
Notwendigen nicht überschreitet (vgl. §
12 Abs.
1 SGB V). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Inhaltlich bemisst sich der nach §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V geschuldete Versorgungsanspruch entscheidend danach, ob der sog. unmittelbare oder (nur) mittelbare Behinderungsausgleich
betroffen ist (siehe nur BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R – a.a.O.). Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines
vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Im Vordergrund steht dabei der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder
beeinträchtigten Körperfunktion. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion
– hier das Hören – selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Insoweit gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs
des Funktionsdefizits. Das Maß der notwendigen Versorgung würde deshalb verkannt, wenn die Krankenkassen ihren Versicherten
Hörgeräte ungeachtet hörgerätetechnischer Verbesserungen nur für eine Verständigung bei Einzelgesprächen zur Verfügung stellen
müssten. Ein möglichst vollständiger Behinderungsausgleich ist vielmehr erst dann erreicht, wenn hörbehinderten Menschen im
Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen bei störenden Umgebungsgeräuschen sowie in der Kommunikation mit mehreren
Personen eröffnet ist und ihnen die dazu nach dem aktuellen Stand des medizinischen und technischen Fortschritts (§
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung gestellt werden (so ausdrücklich auch §
19 Abs. 1 Hilfsmittel-Richtlinie – HilfsM-RL).
Beschränkter sind die Leistungspflichten, wenn die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht
oder nicht ausreichend möglich ist und deshalb Hilfsmittel zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung
benötigt werden (mittelbarer Behinderungsausgleich). Dann besteht nur Anspruch auf einen Basisausgleich (siehe nur BSG, Urteil vom 16. September 2004 – B 3 KR 19/03 R – BSGE 93, 176). Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im
gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (Gehen,
Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige
Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums).
Gemessen hieran stand der Klägerin ein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit dem von ihr ausgewählten Hörgerätesystem zu.
Sie ist entsprechend der ärztlichen Verordnung vom 18. Oktober 2013 unstrittig auf die beidseitige Versorgung mit Hörgeräten
angewiesen. Bei den von der Klägerin beschafften Hörhilfen handelt es sich auch um Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich,
wobei dieser hier unmittelbar betroffen ist. Denn die zusätzlichen Nutzungsvorteile der von der Klägerin gewählten Hörgeräte
beschränken sich nicht auf den angeführten beruflichen Gebrauch. Vielmehr mindern sie ihre Hörbehinderung im gesamten Alltagsleben.
Auch von der Beklagten wird nicht bestritten, dass der Klägerin ein normales Verstehen der Äußerungen mehrerer Personen oder
in geräuschvoller Umgebung nicht möglich ist. Gerade auch dem Ausgleich dieser Einschränkung dient – neben dem Nutzen und
der Notwendigkeit auch im Rahmen der beruflichen Tätigkeit – das von ihr gewählte Hörgerätesystem.
Zwar kommt für den unmittelbaren – ebenso wie den mittelbaren – Behinderungsausgleich nur das im Einzelfall ausreichende,
zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittel, nicht jedoch eine „Optimalversorgung“ in Frage. Deshalb besteht kein Anspruch
auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in
gleicher Weise geeignet ist (vgl. §
33 Abs.
1 Satz 5
SGB V). Denn die Krankenkassen haben nicht für solche „Innovationen“ aufzukommen, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für
den Versicherten bewirken, sondern lediglich einen besseren Gebrauchskomfort oder eine bessere Optik bieten. Um entsprechendes
geht es hier aber nicht.
Das gewählte Hörgerätesystem ist vielmehr erforderlich, um die Behinderung der Klägerin auszugleichen; es ist somit zugleich
wirtschaftlich (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2013 – B 3 KR 3/12 R – juris, Rn. 12). Dem steht auch nicht entgegen, dass sie laut dem auf dem Kostenvoranschlag vom 29. November 2013 enthaltenen
Vermerk audiologisch mit Hörgeräten zum Festbetrag versorgbar sei bzw. die gemessenen Hörverluste mit jedem Gerät ausgeglichen
werden könnten. Denn das erlaubt nach den unwidersprochenen Darlegungen des sachverständigen Zeugen J. gerade nicht den Schluss
auf einen gleichwertigen Behinderungsausgleich in nicht seltenen Situationen, bei denen Sprache und Lärm zusammentreffen.
Mittelbar bestätigt er damit die die substantiierte Darlegung der Klägerin, wonach die erprobten Festbetragsgeräte solchen
Situationen nicht gewachsen waren. Bei dieser Sachlage wird der nötige Behinderungsausgleich der Klägerin mit dem gewählten
Gerät besser als mit einem Festbetragsgerät erreicht. Anhaltspunkte für ein tatsächlich gleichwertiges, aber kostengünstigeres
Gerät bestehen ebenso wenig wie für ein Fehlen der in § 21 HilfsM-RL beschriebenen Voraussetzungen.
Dem lassen sich auch nicht vermeintlich fehlende Messergebnisse zu den von der Klägerin getesteten Festbetragsgeräten entgegenhalten.
Dass von ihr tatsächlich entsprechende Systeme jeweils über mehrere Tage erprobt worden sind, hat am 29. Mai 2017, 21. Mai
2019 und 24. Juni 2021 nicht nur die Klägerin vorgetragen, sondern bereits am 19. Februar 2014 auch die C. GmbH bestätigt.
Dieser hat die Beklagte in dem von ihr initiierten Versorgungsablauf praktisch die – grundsätzlich von ihr (ggf. auch unter
Einbindung des Medizinischen Dienstes) geschuldete – gesamte Bedarfsfeststellung, Versorgung und Abrechnung quasi als ihrer
Repräsentantin überantwortet (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R – a.a.O., Rn. 42). Ein Versäumnis des Hörgeräteakustikers in Bezug auf die nach § 30 Sätze 1 und 2 HilfsM-RL bestehende
Dokumentationspflicht ist ihr mithin organisatorisch zuzurechnen. Es geht darüber hinaus zu ihren Lasten, wenn sich das genaue
Ausmaß der Korrektur durch die seinerzeit verwendeten Festbetragsgeräte nicht mehr feststellen lässt.
Der gesetzlich geschuldete Versorgungsanspruch ist auch nicht mittels der von der Beklagten vorgefertigten Versichertenerklärung
beschränkbar, so dass dahinstehen kann, ob diese überhaupt rechtswirksam ist. Nicht unerhebliche Zweifel bestehen insoweit
insbesondere, weil hierdurch dem Versicherten eine Versorgung außerhalb eines Festbetragsgeräts in jedem Fall als ausgeschlossen
suggeriert wird und die als Gültigkeitsbedingung vorgegebene Verpflichtung zur vollständigen Ausfüllung ihm zugleich alternativlos
den „Wunsch“ eines die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung übersteigenden Hörsystems auf eigene Kosten aufzwingt.
Schließlich beruhte die Kostenlast der Klägerin auch wesentlich auf der rechtswidrigen Ablehnung der Sachleistung seitens
der Beklagten im Bescheid vom 17. Januar 2014 (§
13 Abs.
3 Satz 1
SGB V: „dadurch“; vgl. zur erforderlichen Kausalität etwa BSG, Urteil vom 4. April 2006 – B 1 KR 5/05 R – SozR 4-2500 § 13 Nr. 8 = juris, Rn. 24). Insbesondere war die Klägerin nicht von vornherein auf die ausgewählten Hörgeräte
festgelegt. Denn eine bereits vor der Entscheidung der Beklagten endgültige rechtliche Verpflichtung gegenüber der C. GmbH,
auf deren Grundlage diese auch im Falle der Leistungsablehnung durch die Beklagte die Abnahme und Bezahlung der Hörgeräte
verlangen konnte, war die Klägerin zur Überzeugung des Senats noch nicht eingegangen.
Dass die Hörgeräte von ihr als zwingend notwendig betrachtet worden sind, ist nachvollziehbar und besagt mitnichten etwas
über eine bereits am 6. Dezember 2013 eingegangene unbedingte Zahlungsverpflichtung. Andernfalls hätte die Klägerin in ihrem
Widerspruch vom 21. Januar 2014 nicht ausdrücklich auf eine erst noch beabsichtigte Selbstbeschaffung nach Ende Januar 2014
hinweisen müssen und wäre zudem eine unmittelbare Rechnungslegung ihr gegenüber bereits im Dezember 2013 zu erwarten gewesen.
Untermauert wird das plausible Vorbringen der Klägerin über den Versorgungsablauf mit Erprobung über längere Dauer unter Berücksichtigung
der beruflichen Anforderungen, dann Auswahl eines insoweit bewährten Geräts, dann Antragstellung auf entsprechende Versorgung,
dann in Abhängigkeit von der Entscheidung der Beklagten ggf. Entscheidung zur eigenen Übernahme der Mehrkosten durch entsprechende
Erklärung gegenüber der C. GmbH durch deren Angaben vom 13. Februar 2019. Denn diese hat hierin bestätigt, dass die Klägerin
sich erst nach der Ablehnung der Beklagten für die Geräte mit Zuzahlung entschied, und insoweit ausdrücklich auf die am 27.
Februar 2014 unterschriebene Empfangsbestätigung abgestellt. Entsprechend hat auch der Zeuge J. betont, eine vertragliche
Bindung mit dem Kunden komme erst mit dessen Unterschrift unter die Empfangsbestätigung zustande; erst hierdurch werde seine
Entscheidung für ein bestimmtes Modell dokumentiert. Diese Empfangsbestätigung datiert hier – ebenso wie die Rechnung – vom
27. Februar 2014. Auf der Rückseite der Rechnung ist zudem eine spezielle Zahlungsvereinbarung getroffen, nämlich bis spätestens
zum 9. März 2014.
Soweit der Zeuge angegeben hat, die Versorgung sei abgeschlossen, wenn der Kunde äußere „ja, ich nehme die Hörgeräte“, hat
er dies nicht etwa auf den Abschluss der Anpassung nach § 3 Abs. 9 Satz 1 des Vertrages vom 1. November 2013 bezogen, sondern
letzteren wiederum folgerichtig der Empfangsbestätigung zugeordnet. Den Abschluss der Versorgung hat der Zeuge vielmehr auf
die Auswahl des Gerätes durch den Kunden bezogen, nach der laut ihm die Formulare (Versichertenerklärung, Kostenvoranschlag,
Verordnung, Audiogramme usw.) ausgefüllt und an die Krankenkasse geschickt würden.
Auch hierauf hat die Klägerin zutreffend hingewiesen. Dass sie sich die Hörgeräte zum Zeitpunkt des Bescheides vom 7. April
2014 bereits beschafft hatte, ändert nichts an der Verursachung. Denn obgleich die Beklagte in diesem Bescheid ihre Entscheidung
vom 17. Januar 2014 formal aufgehoben hat, handelt es sich inhaltlich um dieselbe wiederholende Verfügung, nämlich die Ablehnung
einer Übernahme – nunmehr Erstattung – der den Festbetrag übersteigenden Kosten der Hörgeräteversorgung.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor, da die Entscheidung auf durch die zitierte Rechtsprechung des BSG geklärter Rechtslage und tatsächlicher Einzelfallbewertung beruht.