Krankenversicherung
Krankenhausvergütung
Notwendigkeit einer stationären psychotherapeutischen Behandlung eines alkoholabhängigen Versicherten
keine Rangfolge zwischen stationärer Krankenhausbehandlung und stationärer Rehabilitation
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Vergütungsanspruch der Klägerin und Berufungsbeklagten (im weiteren Klägerin) für eine stationäre
Behandlung eines Versicherten der Beklagten und Berufungsklägerin (im weiteren Beklagte).
Die Klägerin betreibt ein psychiatrisches Krankenhaus, das in den Krankenhausplan des Landes Sachsen-Anhalt aufgenommen worden
ist. Der bei der Beklagten versicherte W., geboren 1976, (im weiteren der Versicherte) befand sich vom 28. Dezember 2010 bis
4. Januar 2011 im Krankenhaus der Klägerin zur stationären Behandlung (Aufnahme- und Entlassungsdiagnose F10.2, psychische
und Verhaltensstörungen durch Alkohol, Abhängigkeitssyndrom). Es erfolgte eine Entgiftungsbehandlung, nachdem der Versicherte
nach einem epileptischen Krampfanfall mit 4,0 Promille Blutalkohol zuvor im Krankenhaus G. internistisch behandelt worden
war. Bei dem Versicherten lag eine langjährige Alkoholabhängigkeit vor. Bereits im Jahr 2007 erfolgte eine Entzugsbehandlung.
Danach lebte er für ca. ein Jahr in einer Wohneinrichtung für Suchtkranke. Nach Entlassung aus dieser Wohneinrichtung kam
es zu mehreren Rückfällen und kurzen Abstinenzzeiten. Es erfolgten weitere Entgiftungsbehandlungen.
Nach der medikamentösen Entgiftungsbehandlung bis 4. Januar 2011 erfolgte die Weiterbehandlung in der Klinik der Klägerin
vom 4. Januar bis 29. März 2011 im Rahmen einer stationären Psychotherapie unter suchtspezifischen Gesichtspunkten. Die Aufnahme
zeigte die Klägerin am 5. Januar 2011 gegenüber der Beklagten an und teilte dabei die Diagnose F40.1 (soziale Phobien) mit.
Die Beklagte gab eine Kostenübernahmeerklärung bis zum 18. Januar 2011 ab. Sie beauftragte unmittelbar den Medizinischen Dienst
der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) mit der Prüfung des Behandlungsfalls. Dieser zeigte den Prüfauftrag gegenüber
der Klägerin mit Schreiben vom 1. Februar 2011 an und forderte einen ärztlichen Verlaufsbericht an. Diesen übersandte die
Klägerin mit Schreiben vom 14. Februar 2011. Die vollstationäre Krankenhausbehandlung sei vorliegend erforderlich. Im Rahmen
der vorgeschalteten Entzugsbehandlung habe der Versicherte beginnend intrinsische Motivationsanteile benennen und damit auch
die Indikation für eine stationäre Psychotherapie begründen können. Die Behandlung solle hinsichtlich der sozialen Ängste,
der Selbstwertstörung und mangelnden Reife in der Persönlichkeit bei unzureichender Verselbstständigung erfolgen. In der Vergangenheit
habe sich gezeigt, dass bei Wegfall äußerer Strukturen der Versicherte sein Leben nicht mehr selbstständig und eigenverantwortlich
gestalten könne und zunehmend in eine schwere seelisch gestörte Symptomatik gerate. Im Rahmen der Therapie solle ein Konzept
erarbeitet werden, um die weitere ambulante Behandlung zu ermöglichen und mit dem Versicherten die mögliche Unterbringung
in einem Wohnheim vorzubereiten.
Der MDK führte im Gutachten vom 28. März 2011 aus, dass die Indikation für eine stationäre Psychotherapie gemäß S5 der Anl.
1 zur Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) medizinisch nicht nachvollziehbar sei. Der Versicherte habe sich passiv und
ausweichend gezeigt. Ein eigenes Therapieanliegen sei nicht ersichtlich. Es liege eine gerichtliche Behandlungsauflage vor.
Aus dem Verlauf der Alkoholkrankheit sei zu erkennen, dass der Versicherte im Rahmen äußerer Strukturgebung durchaus in der
Lage sei, abstinent zu bleiben. Im Anschluss an die Entgiftungsbehandlung sei daher die Verlegung in ein Übergangswohnheim
für Suchtkranke angezeigt gewesen. Begleitend dazu wären Maßnahmen der ambulanten Suchtkrankenhilfe und ambulanten psychiatrischen
Behandlung ausreichend gewesen.
Mit Schreiben vom 5. April 2011 teilte die Beklagte der Klägerin das Begutachtungsergebnis mit. Die bereits laufende S5-Behandlung
sei medizinisch nicht indiziert. Die vorab erteilte Kostenübernahme werde nicht aufrechterhalten. Rechnungen könnten daher
nicht beglichen werden. Die Klägerin wandte sich hiergegen mit ihrer Stellungnahme vom 3. Mai 2011. Wegen der schweren Störung
des Sozialverhaltens bei sozialen Bindungen, kombinierter und anderer Persönlichkeitsstörungen bei schwerer Anpassungsstörung
und einer sekundären Alkoholabhängigkeit sei die medizinische Indikation für die stationäre Behandlung gegeben. Die testpsychologische
Diagnostik habe einen deutlich erhöhten Wert bei Zwanghaftigkeit, Depressivität sowie erhöhte Werte bei Angst und Psychotizismus
ergeben. Eine ausreichende Motivation für die stationäre Behandlung sei gegeben gewesen. Aufgrund der seelischen Verfassung
zum Aufnahmezeitpunkt sei eine unmittelbare Verlegung in eine Wohneinrichtung nicht angezeigt gewesen. Auch sei eine Entwöhnungsbehandlung
nicht indiziert gewesen, da der Versicherte in der Vergangenheit bereits Erfahrungen mit dieser Art der Behandlungen gemacht
habe. Im Vordergrund habe vielmehr die Behandlung der seelischen Erkrankungen gestanden, damit er Angebote zur Bewältigung
des Suchtproblems ausreichend nutzen und eine für sich günstige Perspektive begründen könne. Die Behandlung habe Erfolg gezeigt,
insbesondere sei der Versicherte auf die eigene Emotionalität besser ansprechbar gewesen. Eine Instabilität im seelischen
Bereich sei für ihn nunmehr wahrnehmbar und auch formuliert worden. Er beabsichtige, eine Aussöhnung mit seiner Familie zu
erreichen, achte auf sein äußeres Erscheinungsbild und sein Auftreten in der Therapiegruppe.
In einem weiteren Gutachten vom 27. Mai 2011 führte der MDK aus, dass sich keine neuen medizinischen Gesichtspunkte aus der
Stellungnahme der Klägerin entnehmen ließen. Trotz der vorliegenden kombinierten Persönlichkeitsstörung sei der Versicherte
rehabilitationsfähig gewesen. Im Anschluss an die Entgiftung wäre sowohl eine weiterführende stationäre Langzeitentwöhnung
als auch die vorübergehende Unterbringung in einem betreuten Wohnen für Suchtkranke angezeigt gewesen. Begleitend dazu wäre
eine ambulante suchttherapeutische und psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung sinnvoll, zweckmäßig möglich und wirtschaftlich
gewesen. Ein medizinisches Erfordernis, den Versicherten vollstationär im Krankenhaus weiter zu behandeln, habe nicht bestanden.
Der stationäre Aufenthalt sei am 4. Januar 2011 als beendet anzusehen.
Die Beklagte teilte das Begutachtungsergebnis mit Schreiben vom 20. Juni 2011 der Klägerin mit. Die diesbezüglichen Rechnungen
für den Aufenthalt ab 4. Januar 2011 würden nicht beglichen.
Die Klägerin stellte bezüglich der stationären Behandlung vom 4. Januar bis 29. März 2011 insgesamt vier Rechnungen (am 2.
März 2011 über 4.663,10 €, am 3. März 2011 über 4.585,00 €, am 21. März 2011 über 2.456,25 € und am 6. April 2011 über 2.128,75
€) über einen Gesamtbetrag von 13.833,10 €. Zahlungen erfolgten nicht.
Mit der am 10. Oktober 2012 beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin den Gesamtbetrag zuzüglich Zinsen i.H.v. 4 % seit dem 1. Juni 2011 geltend gemacht. Vorliegend
sei eine stationäre Behandlung durchgeführt worden und auch erforderlich gewesen. Dies ergebe sich aus den umfangreichen Stellungnahmen
der behandelnden Ärzte. Im Vordergrund habe die Behandlung der seelischen Erkrankungen des Versicherten gestanden, nicht jedoch
die Suchtbehandlung. Um den Versicherten zu erreichen, sei ein komplexer Behandlungsansatz und das Zusammenwirken eines multiprofessionellen
Teams unter fachärztlicher Leitung erforderlich gewesen.
Die Beklagte hat auf die Gutachten des MDK verwiesen. Die Indikation für eine stationäre Krankenhausbehandlung sei nicht gegeben.
Die Verlegung in ein Übergangswohnheim mit begleitender ambulanter psychiatrischer Behandlung und Suchtkrankenhilfe sei ausreichend
gewesen.
Das SG hat mit der Beweisanordnung vom 23. November 2015 ein Gutachten des Facharztes für psychotherapeutische Medizin und Psychiatrie
Prof. Dr. S. eingeholt. Dieser hat im Gutachten vom 15. Juli 2016 zusammenfassend ausgeführt, dass unter Zugrundelegung der
Patientenakte eine stationäre Krankenhausbehandlung stattgefunden habe. Der Versicherte habe an Einzel- und Gruppengesprächen
sowie Maßnahmen der Ergotherapie, Feedbackrunden sowie gestaltungstherapeutischen Angeboten teilgenommen. Grundsätzlich könne
der Argumentation der behandelnden Ärzte zur Erforderlichkeit einer stationären Behandlung gefolgt werden. Bei dem Versicherten
sei eine tiefgreifende komplexe Persönlichkeitsstörung ersichtlich, die im Rahmen des festen Settings einer stationären Behandlung
zu behandeln sei. Insbesondere sei nachvollziehbar, dass damit eine günstige Prognose in Bezug auf die Abstinenz, aber auch
die bessere psychosoziale Anpassung erreicht werden könne. Unklar sei, ob und warum der Patient aufgrund einer richterlichen
Anordnung untergebracht worden sei.
Zu letzterem hat die Klägerin ausgeführt, dass keine Unterbringung auf richterliche Anordnung erfolgt sei. Der Versicherte
habe sich freiwillig in der Klinik aufgehalten. Der MDK hat zum Gutachten ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine S5-Behandlung
nicht eindeutig als gegeben angesehen werden könnten. Die Psychotherapiemaßnahmen wären auch in einer Rehaklinik möglich gewesen.
Mit Urteil vom 30. Mai 2017 hat das SG die Beklagte verurteilt, die Vergütung für den stationären Aufenthalt des Versicherten vom 4. Januar bis 29. März 2011 in
Höhe von insgesamt 13.833,10 € nebst 4 % Zinsen hieraus seit 1. Juni 2011 zu zahlen. Vorliegend habe eine Versorgung im Rahmen
stationären Behandlung nach §
39 Abs.
1 Satz 2
SGB V stattgefunden, die auch erforderlich gewesen sei. Der gegenteiligen Auffassung der Beklagten und des MDK könne nicht gefolgt
werden. Der Versicherte erfülle sowohl die persönlichen als auch sachlichen Voraussetzungen (Behandlungsziele und Behandlungsmittel)
der S5-Behandlung, wie auch der gerichtlich bestellte Sachverständige festgestellt habe. Es habe eine tiefgreifende komplexe
Persönlichkeitsstörung vorgelegen, die einer stationären Behandlung bedurft habe.
Gegen das ihr am 26. Juni 2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. Juli 2017 Berufung beim Landessozialgericht (LSG)
Sachsen-Anhalt eingelegt.
Sie hat an ihrer bisherigen Rechtsauffassung festgehalten und ihre Ausführungen weiter vertieft. Sowohl aus der psychischen
Situation des Versicherten im Aufnahmezeitpunkt als auch aus dem Behandlungsverlauf lasse sich die Indikation für eine stationäre
Psychotherapie nicht ableiten. Auch der Sachverständige habe festgestellt, dass eine akute psychotische Symptomatik oder Suizidalität
nicht bestanden habe. Warum bei der komplexen Persönlichkeitsstörung die Mittel der stationären Krankenhausbehandlung medizinisch
notwendig gewesen seien, sei weiterhin nicht ersichtlich. Insoweit könne auf die Gutachten des MDK verwiesen werden.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. Mai 2017 die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sowohl die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte als auch das Sachverständigengutachten hätten ergeben, dass eine stationäre
Behandlung stattgefunden habe und im konkreten Einzelfall erforderlich gewesen sei. Es sei ein Therapiekonzept mit tiefenpsychologischer
Orientierung angewandt worden, um die der Suchtproblematik zugrundeliegende Erkrankung zu therapieren. Dies sei insbesondere
notwendig gewesen, da die bisherigen Therapien in den Entwöhnungskliniken keine ausreichenden und langfristigen Erfolge erbracht
hätten.
Die Klägerin hat die Entlassungsberichte der stationären Aufenthalte vom 14. Dezember 2010 bis 4. Januar 2011 sowie 4. Januar
bis 29. März 2011 übersandt.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der
Klägerin vom 15. Dezember 2020 und der Beklagten vom 22. Dezember 2020).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der Verwaltungsakte sowie der Patientenakten des stationären Aufenthalts vom 4. Januar bis 29. März 2011 ergänzend verwiesen.
Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte den Rechtsstreit entscheiden, ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen, da sich die Beteiligten übereinstimmend
hiermit einverstanden erklärt haben (§§
154 Abs.
1,
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)).
1.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden. Die Berufung ist auch statthaft, da
der Beschwerdewert von 750 € nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG überschritten wird. Die Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Zahlung der Hauptforderung von 13.833,10 €.
2.
Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat zurecht entschieden, dass die Klägerin einen Vergütungsanspruch i.H.v. 13.833,10 € nebst Zinsen im tenorierten Umfang
hat. Sie durfte die zugunsten des Versicherten erbrachten stationären Leistungen gegenüber der Beklagten abrechnen.
a)
Rechtsgrundlage des streitigen Vergütungsanspruchs der Klägerin für die Behandlung des Versicherten ist §
109 Abs.
4 Satz 3
SGB V. Das Krankenhaus wird mit einem Versorgungsvertrag nach §
109 Abs.
1 SGB V für die Dauer des Vertrages zur Krankenhausbehandlung der Versicherten zugelassen. Es ist im Rahmen seines Versorgungsauftrags
zur Krankenhausbehandlung (§
39 SGB V) der Versicherten verpflichtet. Die Krankenkassen sind im Gegenzug verpflichtet, unter Beachtung der Vorschriften des
SGB V mit dem Krankenhausträger Pflegesatzverhandlungen nach Maßgabe des Krankenhausentgeltgesetzes, des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) und der
Bundespflegesatzverordnung (
BPflV) zu führen. Für die Klägerin gelten die Leistungs- und Vergütungsregelungen der
BPflV. Nach §
1 BPflV werden nach dieser Verordnung die vollstationären und teilstationären Leistungen der Krankenhäuser oder Krankenhausabteilungen
vergütet, die nach § 17b Abs. 1 Satz 1 KHG (in der Fassung bis 31. Dezember 2011) nicht in das Diagnosis Related Group (DRG)-Vergütungssystem einbezogen sind. Dieses
gilt danach nicht für die Leistungen der in § 1 Abs. 2 Psych-PV genannten Einrichtungen und der Einrichtungen für Psychosomatik
und Psychotherapeutische Medizin, soweit in der
BPflV nichts Abweichendes bestimmt wird. Das Krankenhaus der Klägerin war in dem hier betroffenen Zeitraum eine psychiatrische
Einrichtung i.S. des §
1 Abs.
2 Psych-PV. Die Anwendung der
BPflV war nicht nach §
1 Abs.
2 BPflV ausgeschlossen. Das Krankenhaus der Klägerin ist als Plankrankenhaus unstreitig in den Krankenhausplan des Landes Sachsen-Anhalt
aufgenommen worden und gehört auch nicht zu den Krankenhäusern, auf die das KHG gemäß § 3 KHG keine Anwendung findet.
Die konkrete Abrechnung erfolgte hier aufgrund der Pflegesatzvereinbarung nach §
17 Abs.
1 Satz 1
BPflV (in der Fassung bis 31. Dezember 2012). Die Abrechnungen mit den vier streitigen Rechnungen vom 2., 3., 21. März und 6. April
2011 geben den jeweiligen vollstationären Basispflegesatz, den vollstationären Abteilungspflegesatz sowie weitere Zuschläge
für den Gesamtaufenthalt an. Die Zahlungsverpflichtung der Beklagten entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar
mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus
durchgeführt wird und erforderlich und wirtschaftlich ist (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG], Urteil
vom 25. Oktober 2016 - B 1 KR 6/16 R, juris, Rn. 26).
Insoweit ist festzuhalten, dass die konkrete Abrechnung zwischen den Beteiligten zu keinem Zeitpunkt umstritten gewesen ist.
Eine Überprüfung hinsichtlich der einzelnen Pflegesätze und Zuschläge erübrigt sich deshalb.
b) Die Klägerin war auch berechtigt eine vollstationäre Krankenhausbehandlung abzurechnen, da diese im Sinne des §
39 Abs.
1 Satz 2
SGB V erforderlich gewesen ist.
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses
erforderlich macht (ständige Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 17. November 2015 - B 1 KR 18/15 R, juris, Rn. 11 ff.). Als besondere Mittel des Krankenhauses hat die Rechtsprechung des BSG eine apparative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und einen jederzeit präsenten oder rufbereiten Arzt herausgestellt.
Dabei ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen
Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt (BSG, a.a.O., Rn. 11). Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich allein nach den
medizinischen Erfordernissen. Eine „Einschätzungsprärogative“ kommt dem Krankenhausarzt nicht zu (BSG, Großer Senat, Beschluss vom 25. September 2007 - GS 1/06, juris). Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch
ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre Behandlung.
Das gilt auch dann, wenn der Versicherte zur Sicherstellung der ambulanten Behandlung einer Betreuung durch medizinische Hilfskräfte
in geschützter Umgebung bedarf und eine dafür geeignete Einrichtung außerhalb des Krankenhauses (noch) nicht zur Verfügung
steht (BSG, Großer Senat, a.a.O.).
Anhand der vorliegenden medizinischen Notwendigkeiten war die stationäre Krankenhausbehandlung für den Versicherten erforderlich.
So hat die Klägerin überzeugend dargelegt, dass bei diesem nach Durchführung der Entgiftungsbehandlung bis zum 4. Januar 2011
aufgrund der bestehenden schweren Persönlichkeitsstörungen eine Weiterbehandlung im stationären Setting notwendig gewesen
ist. Der bisherige Behandlungsverlauf mit Entziehungsmaßnahmen seit 2007 hat aufgezeigt, dass trotz der kontinuierlichen Behandlungen
eine dauerhafte Überwindung der Suchterkrankung durch den Versicherten nicht möglich gewesen ist. Vielmehr war dieser nur
zwischenzeitlich abstinent, soweit er sich in einer betreuten Wohnform aufgehalten hat. Die Ärzte der Klägerin haben anstelle
der Therapie der Suchtkrankheit im Rahmen der stationären Behandlung am 4. Januar 2011 den Fokus auf die dieser zugrundeliegenden
psychischen Störungen gelegt. Sie haben dargelegt, dass im Rahmen der Diagnostik während der Aufnahme erhöhte Werte bei Zwanghaftigkeit,
Depressivität sowie Angst und Psychotizismus aufgefallen seien. Die Beeinträchtigungsschwere wurde im seelischen Bereich mit
extrem angegeben. Es wurden Störungen im Bereich des Erlebens von Misstrauen, Selbstunsicherheit und emotionaler Vermeidung
aufgeführt. Unter diesen Voraussetzungen ist die Einleitung einer komplexen stationären Therapiemaßnahme mit Gruppengesprächen,
Einzelgesprächen und weiteren psychotherapeutischen Maßnahmen und Angeboten für den Senat nachvollziehbar. Dabei kann von
einer ausreichenden Behandlungsmotivation des Versicherten entsprechend den Ausführungen der Klägerin ausgegangen werden.
Bereits im Verlaufsbericht vom 14. Februar 2011 hat diese angegeben, dass der Patient an einer emotionalen Öffnung und einer
Besserung der Kommunikationsfähigkeit zu Überwindung der depressiven Symptomatik interessiert sei. Er wolle seine sozialen
Ängste überwinden und eine Verselbständigung erreichen.
Auch der Sachverständige Prof. Dr. S. hat im Gutachten vom 15. Juli 2016 neben der Einschätzung, dass es sich tatsächlich
um eine stationäre Behandlung gehandelt habe, bestätigt, dass die stationäre Behandlung medizinisch notwendig gewesen sei.
Die tiefgreifende komplexe Persönlichkeitsstörung, die auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt wird, sei Folge einer
charakteristischen Sozialisationserfahrung im Elternhaus. Es bestünden soziale Defizite, Probleme mit dem Selbstwertgefühl
und ein Erleben, benachteiligt zu sein und in seinen Bedürfnissen nicht gesehen und gewürdigt zu werden. Es bestehe eine niedrige
Frustrationstoleranz beim Versicherten und hieraus habe sich über Jahre ein sekundärer Alkoholismus entwickelt. Insoweit sei
nachvollziehbar, dass für eine günstige Prognose in Bezug auf die Abstinenz und eine bessere psychosoziale Anpassung des Patienten
eine intensive, ihn auch begrenzende, konfrontierende und fordernde psychotherapeutischen Maßnahme in einem festen Setting
indiziert sei.
Der Argumentation des MDK in dem Gutachten vom 28. März und 27. Mai 2011 kann unter Berücksichtigung der Ausführungen des
Gutachters daher nicht gefolgt werden. Der MDK hat darauf abgestellt, dass die bisherigen Entzugsbehandlungen und die Betreuung
in einer geschützten Wohnform zu einer Abstinenz des Versicherten geführt hätten. Dieser sei bei festen Strukturen durchaus
in der Lage, dem Alkohol fernzubleiben. Dies berücksichtigt jedoch nicht, dass neben der Suchttherapie die zugrundeliegenden
Diagnosen wie Anpassungsstörungen, Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen, kombinierte und andere
Persönlichkeitsstörungen einer intensiven Behandlung bedurft haben. Der bloße Verweis auf mögliche parallel verlaufende ambulante
psychiatrische Behandlungen und die ambulante Suchtkrankenhilfe vermag nicht zu überzeugen. So haben die behandelnden Ärzte
und auch der gerichtlich bestellte Sachverständige dargelegt, dass eine intensive Aufarbeitung in einem fordernden und festen
Setting wie einer stationären Krankenhausbehandlung erforderlich gewesen ist, um überhaupt zu dem Versicherten durchzudringen.
Darüber hinaus greift die Argumentation des MDK zu kurz, da nur auf die Abstinenz in der Vergangenheit während der Unterbringung
in einer betreuten Wohnform abgestellt wird. Die stationäre Behandlung hatte auch das Ziel, eine Verselbstständigung des Versicherten
zu erreichen. Damit sollte nach einer Übergangsphase in der betreuten Wohnform auch ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht
werden. Es ist gerade nicht ersichtlich, dass ein solches bei dem Versicherten insbesondere unter Berücksichtigung seines
jungen Alters von vornherein ausgeschlossen gewesen wäre und er dauerhaft in einer Einrichtung untergebracht werden musste.
Soweit der MDK darauf abstellt, dass die Voraussetzungen der S5-Behandlung nach der Anlage 1 zur Psych-PV nicht erfüllt seien,
folgt hieraus nichts anderes. Die Anlage enthält für psychiatrische Einrichtungen für Erwachsene eine inhaltliche Beschreibung
der aufgabentypischen Schwerpunkte, um den Personalbedarf zu bemessen. Die Behandlungsbereiche definieren dabei keine Kriterien
für die stationäre Behandlungsbedürftigkeit, sondern setzen diese vielmehr voraus und unterteilen lediglich für die Personalbedarfsberechnung
nach Art und Schwere der Krankheit sowie nach dem Behandlungszielen und -mitteln (§ 4 Abs. 1 Psych-PV). Die Klägerin hat insoweit
nachvollziehbar ausgeführt, eine S5-Behandlung in diesem Sinne mit psychotherapeutischen Maßnahmen unter Berücksichtigung
der suchtspezifischen Gesichtspunkte durchgeführt zu haben. Auch das Behandlungsziel der Befähigung zu einer ambulanten psychotherapeutischen
Behandlung ist anhand der Unterlagen nachvollziehbar. Die Alkoholabhängigkeit des Versicherten ist ebenso wie die schweren
Persönlichkeitsstörungen zwischen den Beteiligten unstreitig. Anhand des bisherigen Verlaufs war auch die erhebliche Rückfallgefahr
gegeben. Wegen des Befundes mangelnder Reife in der Persönlichkeit kam der Zugänglichkeit von Ärzten durch den Kläger bzw.
der Veranlassung von anleitendem Eingreifen durch nichtärztliches Personal gesteigerte Bedeutung zu. Der Senat ist überzeugt,
dass eine S5-Behandlung erforderlich gewesen ist und durchgeführt wurde. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit
eine Abweichung von der Kategorisierung nach der Anlage 1 zur Psych-PV überhaupt Einfluss auf die Frage der Abrechnung einer
stationären Behandlung im Krankenhaus haben kann.
Die stationäre Behandlung des Versicherten war auch wirtschaftlich, da insbesondere die nachvollziehbare Prognose gestellt
worden ist, zukünftige Kosten zu vermeiden. Insbesondere hat die Klägerin hier nachvollziehbar dargelegt, dass die unvorbereitete
Verlegung des Versicherten in das betreute Wohnen das Risiko berge, dass wiederum ein Rückfall in den Alkoholismus erfolge.
Gerade der Verlauf seit 2007 mit den immer wieder erfolgten Rückfällen des Versicherten zeigt für den Senat ausreichend auf,
dass tatsächlich eine Behandlung des Grundproblems und nicht vorrangig der Alkoholabhängigkeit als Folgeproblematik angezeigt
gewesen ist.
c) Soweit die Beklagte zuletzt darauf abgestellt hat, eine stationäre Entwöhnungsbehandlung (stationäre Rehabilitation) sei
vorrangig gewesen, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Eine Rehabilitationsmaßnahme nach §
40 Abs.
2 SGB V ist eine eigenständige Leistung neben den besonderen Formen der Krankenbehandlung. Sie zielt nicht nur darauf ab, eine Krankheit
zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankenbeschwerden zu lindern oder im Anschluss an die Krankenhausbehandlung
den dabei erzielten Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen. Sie hat auch die Abwendung und Minderung von (drohender)
Behinderung oder Pflegebedürftigkeit sowie den Ausgleich von deren Folgen zum Ziel. Zwischen stationärer Krankenhausbehandlung
und stationärer Rehabilitation besteht keine gesetzliche Rangfolge (vgl. Gamperl in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht,
Stand März 2021, § 39, Rn. 65). Die Auswahl der unterschiedlichen Maßnahmen erfolgt daher nach der Zielsetzung, dem Einsatz
der Mittel und den Wirtschaftlichkeitskriterien des §
12 SGB V.
Die Klägerin hat vorliegend darauf verwiesen, dass eine stationäre Behandlung mit umfangreichen Therapiekonzept stattgefunden
hat und auch erforderlich gewesen ist. Dies ergibt sich auch anhand der vorliegenden Patientenakte, die auch entsprechend
der Auswertung durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. die einzelnen Behandlungsschritte (siehe auch Verlaufsbericht vom 14.
Februar 2011) wiedergibt. Auch wenn die Dokumentation nicht in allen Details erfolgt ist, kann der Senat hieraus ableiten,
dass neben den Gruppengesprächen Einzelgespräche und weitere Therapien wie autogenes Training, Ergotherapiegruppe und Gestaltungstherapie
durchgeführt worden sind. Das Therapieangebot umfasste weitere Maßnahmen wie die Musiktherapie, Entspannungstherapie und auch
die Sporttherapie. Soweit die Beklagte einwendet, dass diese Maßnahmen auch Bestandteil einer stationären Rehabilitation sind
oder sein können, ist dem durchaus zuzustimmen. Der wesentliche Unterschied liegt jedoch im vorliegenden Einzelfall in der
akutstationären Behandlung in unmittelbarem Anschluss nach der medikamentös durchgeführten Entgiftung bis 4. Januar 2011.
Insoweit wurde auch nach den Ausführungen der Klägerin das Hauptaugenmerk auf die ärztlich gesteuerte und überwachte Therapie
der schweren Persönlichkeitsstörungen des Versicherten gelegt. Gerade die ärztliche Überwachung erscheint aufgrund der dargelegten
Unreife des Versicherten erforderlich. Maßgeblich war kein Rehabilitationsansatz im Nachgang zu einer bereits durchgeführten
ambulanten oder stationären Krankenbehandlung. Eine stationäre Entwöhnung, wie von der Beklagten angedacht, war gegenüber
der stationären Behandlung der Persönlichkeitsstörung als zugrundeliegender Erkrankung der Alkoholabhängigkeit nicht vorzuziehen.
d) Der Zinsanspruch i.H.v. 4 % ergibt sich aus den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Beteiligten (§ 7 der Budget-
und Entgeltvereinbarung für das Jahr 2011). Zinsen sind hier von der Klägerin erst ab 1. Juni 2011 gefordert worden. Die die
Rechnungsbeträge waren zu diesem Zeitpunkt fällig (letzte Rechnung vom 6. April 2011 mit Zahlungsziel 14 Tage). Einer Mahnung
bedurfte es entgegen der Regelung in der Budget- und Entgeltvereinbarung nicht, da die Beklagte bereits mit Schreiben vom
5. April 2011 unter Verweis auf das Gutachten des MDK die Begleichung von Rechnungen abgelehnt hatte (ernsthafte und endgültige
Erfüllungsverweigerung – §
286 Abs.
2 Nr.
3 Bürgerliches Gesetzbuch).
4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 GKG. Da die Beklagte sich gegen die Verurteilung zur Zahlung von 13.833,10 € als Hauptforderung gewandt hat, ist dieser Betrag
(auch) im Berufungsverfahren maßgeblich. Zinsen sind als Nebenforderung nach § 43 Abs. 1 GKG nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen.
5. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 SGG). Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage.