Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Beklagte Kosten des sozialpädagogischen Betreuungsbedarfs einer sogenannten
1:1-Betreuung des Klägers in der Einrichtung der Beigeladenen - wie vom Sozialgericht ausgeurteilt - zu übernehmen hat.
Der am ... 1992 geborene Kläger leidet an einer Muskeldystrophie und einer Intelligenzminderung mit autistischen Wesenszügen,
wodurch erhebliche Unruhezustände und autoaggressive Verhaltensweisen hervorgerufen werden, die auch durch eine medikamentöse
Therapie nur begrenzt beeinflussbar sind. Bereits seit dem 5. November 1996 lebt er in der von der Beigeladenen betriebenen
Kinder- und Jugendeinrichtung "A. N." (im Weiteren: A. N.). Seit dem 1. Februar 2002 bewohnt er in der Einrichtung ein Einzelzimmer.
Seit dem Abschluss der Schule im August 2011 besucht er vormittags eine Tagesförderstätte.
Mit Bescheid vom 21. August 2006 gewährte die Landeshauptstadt M. im Namen des überörtlichen Leistungsträgers der Sozialhilfe,
des Beklagten, dem Kläger Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) als Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Form von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft aufgrund
des Leitsymptoms einer geistigen Behinderung sowie dem Erfordernis schwerer/schwerster Pflege in Verbindung mit § 92 Abs. 1 SGB XII in der A. N. für den Zeitraum vom 1. Februar 2006 bis auf Weiteres. Es werde Eingliederungshilfe für behinderte Menschen
gemäß § 19 Abs. 3 i.V.m. §§ 53, 54 SGB XII in Höhe von derzeit monatlich 3.102,23 EUR (täglich 101,98 EUR) bewilligt. Es würden die maßgeblichen Sätze der jeweils geltenden
Entgeltvereinbarung gelten. Die Auszahlung erfolge an die Einrichtung.
Am 14. September 2006 beantragte der Kläger mit Schreiben vom 24. August 2006 bei der Landeshauptstadt M. eine tägliche, "mindestens
für die jeweiligen Nachmittags- und Abendstunden fixierte Eins-zu-Eins-Betreuung" in der A. N. Mit den Lebensjahren sei eine
dramatisch zunehmende Schwere der Grunderkrankungen zu verzeichnen. Er benötige eine auf ihn abgestimmte tägliche Unterstützung
bei der Einschlafphase, die sich bis zu einer Stunden hinziehen könne, bei der gesamten Körperpflege (eingeschlossen Windeln
und Toiletten-Training), der Einnahme von Mahlzeiten und der individuellen psycho-sozialen Betreuung, u.a. zur Reizableitung
bei und nach starken Auto- oder Fremdaggressionen. Dem Antrag beigefügt waren der Arztbrief des Universitätsklinikums M.,
Institut für Humangenetik, vom 3. April 2006, des Kinderzentrums M. gGmbH - Sozialpädriatisches Zentrum - vom 31. Juli 2006
sowie der Arztbrief der Fachärztin für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendpsychiatrie Dipl.-Med. L. vom 15. August 2006.
Am 10. Oktober 2006 ging ein Antrag der Beigeladenen auf einen "Sonderpersonalschlüssel" für den Kläger beim Beklagten ein.
Darin wird eine zusätzliche Fachkraft für den Kläger an vier Nachmittagen für je sechs Stunden, d.h. 24 Stunden in der Woche,
beantragt, die mit ihm arbeiten könne, so dass er Schutz, Erhaltung der vorhandenen Fähigkeiten und durch gleichmäßige Wiederholung
eine aufbauende Lebensqualität erreichen könne. Dem Antrag beigefügt ist eine Erläuterung der Wohnheimleitung - ohne Datum
-, wonach in der A. N. 17 Kinder und Jugendliche mit schwerer/schwerster Pflege wohnten, ohne dass bislang einem von Ihnen
ein "Sonderpersonalschlüssel" zustehe. Für den Kläger spitze sich die Lage zu, so dass eine Sonderbetreuung notwendig sei.
Ausweislich der Stellungnahme des reha-pädagogischen Fachdienstes vom 21. September 2007 sei aus Sicht des Gutachters Dipl.-
psych. G. ein Höchstmaß möglicher Hilfegewährung erforderlich, so dass in der vollstationären Einrichtung eine 1:1-Betreuung
in Betracht käme. In der Einrichtung A. N. lebten 17 Kinder und Jugendliche mit einer Einstufung in der schwere/schwerste
Pflege; eine 1:1 Betreuung sei bis dato noch nicht gewährt.
Mit Bescheid vom 5.Oktober 2007 teilte die Landeshauptstadt M. im Namen des Beklagten dem Kläger mit, eine gesonderte Vergütung
für den gutachterlicherseits anerkannten und empfohlenen Mehrbedarf an Pflege und Betreuung könne nicht gewährt werden. Die
Vergütungen gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII stellten Pauschalen dar und deckten nicht einen individuellen Hilfebedarf der einzelnen Leistungsberechtigten ab. Die individuelle
Hilfegewährung sei von der Einrichtung sicher zu stellen. Die pauschalen Vergütungssätze für die schwere/schwerste Pflege
in einem Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung entsprächen einer 1:1,5 Betreuung. Sie seien so bemessen, dass ein
höherer Hilfebedarf einzelner Leistungsberechtigter mit einem geringeren Hilfebedarf anderer Heimbewohner ausgeglichen werden
könne. Es werde davon ausgegangen, dass in den Vergütungssätzen für die schwere/schwerste Pflege bereits ein Anteil von 20
Prozent an Intensivbetreuungen bzw. 1:1-Betreuungen enthalten sei. Das bedeute, dass jede Einrichtung für geistig behinderte
Menschen so ausgestattet sei, dass ein Fünftel der behinderten Menschen in der schweren/schwersten Pflege intensiv betreute
Leistungsberechtigte seien könnten. In der A. N. lebten 17 Leistungsberechtigte, die in der schweren/schwersten Pflege eingestuft
seien. Bisher sei bei keinem Leistungsberechtigten die 1:1-Betreuung bewilligt. Der Anteil an 1:1-Betreuungen liege durch
den Bedarf des Klägers bei lediglich sechs Prozent der Leistungsberechtigten. Dem behinderungsbedingten Mehrbedarf könne deshalb
mit dem vorhandenen Personal entsprochen werden. Obwohl beim Kläger der Bedarf einer 1:1-Betreuung anerkannt werde, werde
kein gesonderter Vergütungssatz vereinbart. Die Beigeladene erhielt diesen Bescheid zur Information.
Am 29. Oktober 2007 legte der Kläger mit Schreiben vom 22. Oktober 2007 Widerspruch gegen den Bescheid vom 5. Oktober 2007
ein. Die individuelle Hilfegewährung sei durch die Ablehnung einer gesonderten Vergütung in der A. N. nicht sicher zu stellen.
Der bestehende Personalschlüssel decke lediglich die Grundversorgung ab; individuelle Hilfegewährung sei nicht möglich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2008 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Der Anspruch
des Klägers auf Leistungen der Eingliederungshilfe sei auf die Übernahme der Vergütung der zwischen der Beklagten und der
Beigeladenen vereinbarten Leistungen gerichtet. Die Beigeladene habe die individuelle Hilfegewährung für den Kläger auch ohne
höhere Vergütung sicher zu stellen. Zur Begründung wiederholte der Beklagte seine Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
Am 2. Juli 2008 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben und beantragt, den angefochtenen Bescheid des Beklagten
aufzuheben und diesen zu verurteilen, die Kosten des sozialpädagogischen Betreuungsbedarfs einer sogenannten 1:1- Betreuung
in der Einrichtung der Beigeladenen in einem Umfang von wochentags vier mal sechs Stunden im Zeitraum von 15.00 bis 21.00
Uhr zu übernehmen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Pflegeheimleitung habe erklärt, dass die vereinbarten Vergütungssätze
für eine 1:1-Betreuung nicht ausreichten. Auf etwaige Vereinbarungen zwischen dem Pflegeheim und dem Sozialhilfeträger habe
er keinen Einfluss. Nach seiner Ansicht könne der Anspruch auf individuelle Hilfe nur gegen den Beklagten, nicht jedoch gegen
den Pflegeheimträger geltend gemacht werden.
Der Beklagte hat die zwischen ihm und der Beigeladenen für die A. N. geschlossene Vereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII zu den Akten gereicht. Danach heißt es unter Punkt "6.9 Individuelle Sonderleistungen 6.9.2.: Auf der Basis eines individuellen
Entgeltes bei besonderem Hilfebedarf, der nicht nur kurzfristig gegeben ist". Die Beigeladene hat die Leistungsbeschreibungen
für die A. N., Stand September 2006, zu den Akten gereicht. Danach ergeben sich in den Punkten "3.3 Personal" und "6.9 Individuelle
Sonderleistungen" keine Änderungen.
Im Verhandlungstermin am 1. März 2011 hat das Sozialgericht den Heilpädagogen A. G., der bei der Beigeladenen tätig ist, als
Zeugen gehört. Dieser hat u.a. angegeben, dass der Kläger die notwendige Pflege und Behandlung immer erhalten habe; es seien
dann Überstunden von Mitarbeitern geleistet worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls
vom 1. März 2011 Bezug genommen. Die Beigeladene hat hierzu angegeben, es seien Überstunden geleistet und bezahlt bzw. "abgebummelt"
worden.
Mit Urteil vom 1. März 2011 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 5. Juni 2008 aufgehoben und den Beklagten antragsentsprechend verurteilt, die Kosten des sozialpädagogischen Betreuungsbedarfs
einer sogenannten 1:1-Betreuung des Klägers in der Einrichtung der Beigeladenen im Umfang von vier mal sechs Stunden wochentags
in der Zeit von 15.00 bis 21.00 Uhr bis auf Weiteres zu übernehmen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, der Kläger
bedürfe unstreitig einer 1:1-Betreuung. Die Kammer verkenne nicht, dass die zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen getroffene
Vergütungsvereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII den vorliegend geltend gemachten individuellen Anspruch des Klägers ausschließen könne. Hier stelle die geschlossene Vereinbarung
den Anspruch des Klägers aber nicht sicher, so dass eine ergänzende Finanzierung notwendig sei. Denn der Beklagte und die
Beigeladene hätten auf die veränderte Zusammensetzung der Bewohnerschaft nicht durch Anpassung der Vereinbarung reagiert,
so dass die erforderliche Korrektur durch das Gericht habe vorgenommen werden müssen.
Gegen das ihm am 17. März 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am Montag, den 18. April 2011, Berufung beim Landessozialgericht
Sachsen-Anhalt eingelegt. Zum einen sei zwischen den Beteiligten nicht unstreitig, dass der Kläger rund um die Uhr einer 1:1-Betreuung
bedürfe. Denn beantragt und ausgeurteilt sei "nur" eine 1:1-Betreuung von 15.00 bis 21.00 Uhr und nicht für 24 Stunden am
Tag. Schließlich sei völlig offen geblieben, in welchem Umfang tatsächlich Überstunden angefallen bzw. vergütet worden seien.
Es werde beantragt, der Beigeladenen aufzugeben, Nachweise zur Leistung und Bezahlung der Überstunden vorzulegen, zumal die
Mutter des Klägers angegeben habe, der Kläger werde in einer Gruppe von acht Kindern mit nur einer Erzieherin betreut. Zudem
sei zu berücksichtigen, dass die Beigeladene jeden Tag eine Vergütung von derzeit 106,88 EUR/Tag für den Kläger erhalte, obwohl
er sich an den Vormittagen in der Woche in der Schule befinde und an einem Nachmittag und an den Wochenenden bei der Mutter
aufhalte.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Ausführungen im angefochtenen Urteil für zutreffend. Ihm seien von der Beigeladenen keine Kosten in Rechnung gestellt
worden.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hat ausgeführt, von zurzeit 17 Bewohnern einschließlich des Klägers bedürften
sieben der schweren und schwersten Pflege und die Umstufung eines Bewohners von der mittleren zur schwersten Pflege sei in
Vorbereitung. Somit betrage der Anteil der Kinder mit schwerer und schwerster Pflege im Haus bereits 40 Prozent und werde
demnächst 47 Prozent betragen. Sie hat die aktuelle Erhebung des individuellen Bedarfs an Betreuung des Klägers beigefügt.
Daraufhin hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass der Beigeladene aufgrund eines angegebenen geänderten Hilfebedarfs einen
neuen Antrag gestellt hat, der zu prüfen und zu bescheiden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte
der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Übernahme von Kosten seines sozialpädagogischen Betreuungsbedarfs im Rahmen einer
so genannten 1:1-Betreuung in der Einrichtung der Beigeladenen besteht nicht. Denn dem Kläger sind zu keinem Zeitpunkt Kosten
entstanden, zu deren Erstattung der Beklagte verpflichtet werden könnte. Auch sind dem Kläger keine Kosten in Rechnung gestellt
worden, von denen er durch den Beklagten freizustellen wäre.
Gemäß §
15 Abs.
1 Satz 4 und 5 SGB Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (Soziale Pflegeversicherung -
SGB IX), der für die hier erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß §§ 53, 54 SGB XII Anwendung findet, besteht eine Erstattungspflicht des Sozialhilfeträgers auch, wenn er eine unaufschiebbare Leistung nicht
rechtzeitig erbringen kann oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Diese Regelung ist §
13 Abs.
3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Krankenversicherung -
SGB V) nachgebildet, sodass die hierzu von der Rechtsprechung konkretisierten Grundsätze im Wesentlichen übertragbar sind (vgl.
BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 5/07 R - SozR 4-3250 § 14 Nr. 8, Rn 22). Eine abstrakte Klärung bestimmter Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs durch
einen Sozialhilfeträger findet nicht statt (vgl. BSG, Urteil vom 16. Februar 2005 - B 1 KR 18/03 R - BSGE 94, 161 ff., Rn 9; BSG, Urteil vom 18. Juli 2006 - B 1 KR 24/05 R - BSGE 97, 6 ff., Rn 22). Vielmehr kommt es insbesondere auf die zivilrechtliche Durchsetzbarkeit der Ansprüche an. Voraussetzung für
die Kostenerstattung sind damit auch ordnungsgemäße Rechnungen und Zahlungsnachweise, damit z.B. auch die mögliche Verjährung
von Forderungen ausgeschlossen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 2006 aaO., Rn 24; LSG B, Urteil vom 13. März 2009 - L 1 KR 1170/05 - juris; zu alledem Senatsurteil vom 31. Januar 2013 - L 8 SO 5/09 - nicht veröffentlicht).
Nach dem Vorbringen des Klägers ist er einer Forderung der Beigeladenen zu keinem Zeitpunkt ausgesetzt gewesen. Der Zeuge
G. hat im Verhandlungstermin beim Sozialgericht angegeben, der Kläger habe die notwendige Pflege und Behandlung immer erhalten.
Die Beigeladene hat hierzu erläutert, insoweit seien Überstunden von Mitarbeitern geleistet worden, die bezahlt bzw. "abgebummelt"
worden seien. Auf die von dem Beklagten im Berufungsverfahren ausdrücklich ausgesprochene Aufforderung an die Beigeladene,
konkret darzulegen, in welchem Umfang für die Betreuung des Klägers tatsächlich Überstunden angefallen bzw. vergütet worden
seien, hat der Beigeladene keine entsprechenden Unterlagen vorgelegt. Insbesondere hat er keine Berechnungen der durch den
Mehrbedarf des Klägers entstandenen Kosten, die nicht durch die von dem Beklagten bewilligte Eingliederungshilfe abgedeckt
sind, beigebracht.
Schließlich ist die Frage, ob eine "Individuelle Sonderleistung" i.S. von Punkt 6.9 der zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen
geschlossenen Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII zu vergüten ist, im Verhältnis zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen und nicht zwischen dem Kläger und dem Beklagten
zu klären und setzt ebenso eine konkrete Darlegung voraus, weshalb die mit dem Beklagten vereinbarten Pauschalen nicht auskömmlich
sind und welche Sonderleistung mit welchem finanziellen Aufwand erbracht worden und dementsprechend zu vergüten ist.