Betreibensaufforderung; fiktive Klagrücknahme; Gesamtwürdigung; Klagebegründung; Klageerhebung; Klagerücknahme; Rechtsschutzinteresse;
Wegfall
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Krankengeld über den 14. April 2013 hinaus. Vorgreiflich streitig
ist zwischen den Beteiligten, ob das diesbezügliche Klageverfahren durch fiktive Klagerücknahme erledigt worden ist.
Die 1970 geborene Klägerin war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Nach dem Bezug von Übergangsgeld wegen einer
Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 4. September 2012 ab 9. August 2012 Krankengeld
in Höhe von kalendertägig 33,54 EUR brutto. Bis 20. September 2012 befand sich die Klägerin in stationärer Krankenhausbehandlung.
Am 21. September 2012 bescheinigte ihre Hausärztin T erstmals Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 16. Oktober 2012. Eine
weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde ausgestellt am 16. Oktober 2012 bis zum 2. November 2012.
Am 5. November 2012 suchte die Klägerin erneut ihre Ärztin T auf, die weitere Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 30. November
2012 bescheinigte. Aktenkundig sind weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 3. Dezember 2012 bis 10. Januar 2013, vom
10. Januar 2013 bis 4. Februar 2013, vom 8. Februar 2013 bis 8. März 2013 und vom 4. April 2013 bis 29. April 2013.
Mit Bescheid vom 4. April 2013 beendete die Beklagte die Krankengeldzahlung mit dem 14. April 2013. Zur Begründung verwies
sie auf die zwischen dem 2. und 5. November 2012 bestehende Lücke bzgl. der ärztlichen Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit.
Ab dem 5. November 2012 habe deshalb kein Anspruch auf Krankengeld mehr bestanden. Die gleichwohl erfolgte Weiterzahlung des
Krankengeldes habe auf einem Irrtum beruht. Da insoweit Vertrauensschutz bestehe, könne die Krankengeldbewilligung mit Wirkung
für die Vergangenheit nicht mehr aufgehoben und das gezahlte Krankengeld nicht zurückgefordert werden. Für die Zukunft müsse
die Krankengeldzahlung jedoch beendet werden.
Den gegen diesen Bescheid am 15. April 2013 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 5. Juni 2013 als unbegründet zurück. Sie wiederholte und vertiefte ihre Begründung des angefochtenen Bescheids. Wegen
der Einzelheiten wird auf Bl. 39 f. der Leistungsakte Bezug genommen.
Gegen den Bescheid vom 4. April 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juni 2013 hat die Klägerin am 4. Juli 2013
Klage beim Sozialgericht Itzehoe erhoben und zugleich einen Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten
gestellt.
Die Klage ist trotz einer entsprechenden Ankündigung in der Klageschrift und trotz Erinnerung mit richterlichen Verfügungen
vom 4. Oktober 2013, 7. Januar 2014, 9. Juli 2014, 27. August 2014 und 29. Oktober 2014 weder begründet worden, noch ist eine
sonstige Reaktion auf die richterlichen Verfügungen erfolgt.
Mit Betreibensaufforderung vom 11. Dezember 2014 hat die Vorsitzende der 20. Kammer den Bevollmächtigten der Klägerin aufgefordert,
das Verfahren dadurch zu betreiben, dass die angekündigte Klagebegründung und ein Klageantrag formuliert wird. Insbesondere
hat sie um Beantwortung der Frage gebeten, bis wann die Klägerin Krankengeld begehre. Die Betreibensaufforderung hat einen
Hinweis auf die Rechtsfolgen des §
102 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) enthalten und ist von der Vorsitzenden mit vollem Namen unterzeichnet worden. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 14 der
Gerichtsakte Bezug genommen.
Die Betreibensaufforderung ist dem Bevollmächtigten der Klägerin am 16. Dezember 2014 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt
worden. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 17 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Mit Verfügung vom 17. März 2015 ist das Verfahren aus dem Prozessregister ausgetragen worden.
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 5. Juni 2018 hat die Klägerin die Fortsetzung des Verfahrens beantragt.
Nach entsprechender Anhörung hat das Sozialgericht am 4. September 2018 durch Gerichtsbescheid festgestellt, dass das Verfahren
durch Klagerücknahme beendet worden ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage gemäß §
102 Abs.
2 SGG als zurückgenommen gelte. Der Prozessbevollmächtigte sei wirksam unter Hinweis auf die Folgen des Nichtbetreibens innerhalb
der dreimonatigen Betreibensfrist zum Betreiben des Verfahrens aufgefordert worden. Die Betreibensaufforderung sei von der
Vorsitzenden der Kammer richterlich verfügt und mit vollem Nachnamen unterzeichnet worden. Die Aufforderung sei inhaltlich
hinreichend bestimmt und verständlich. Sie habe die Rechtsfolge der Klagerücknahmefiktion ausgelöst, da die Klägerin auf die
Betreibensaufforderung drei Monate nicht reagiert habe. Das Gericht habe dabei insgesamt davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin
das Interesse an der Fortsetzung des Rechtsstreits verloren habe. Zwar sei die Klagebegründung keine zwingende Voraussetzung
für eine wirksame Klageerhebung. Die Vorschrift des §
92 Abs.
1 Satz 3 und 4
SGG sei allerdings vor dem Hintergrund zu betrachten, dass bei Sozialgerichten auch anwaltlich unvertretene Laien Schutz suchten.
Gerade von diesem Schutzzweck würden anwaltlich vertretene Kläger nicht erfasst. Für die Wahrung der prozessualen Rechte solcher
Kläger sei es nicht erforderlich, die formalen Anforderungen an die Klagebegründung herabzusetzen. Von einem Rechtsanwalt
als Organ der Rechtspflege müsse die Begründung der Klage vielmehr verlangt werden können, was sich im Wege der teleologischen
Reduktion des §
92 Abs.
1 Satz 3 und 4
SGG aus §
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
253 Abs.
2 Nr.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) ergebe. Diese Auslegung entspreche zwar nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Aber auch danach sei eine fiktive
Klagerücknahme eingetreten. Denn die Klägerin habe ihren prozessualen Mitwirkungspflichten nicht entsprochen und insbesondere
durch das entschuldigungslose Ausbleiben der zunächst angekündigten Klagebegründung den Eindruck vermittelt, das Interesse
am Rechtsstreit verloren zu haben. Dies gelte auch deshalb, weil die Klägerin auf die Betreibensaufforderung überhaupt nicht
reagiert und also auch keine Gründe dargelegt habe, warum sie sich zur Klagebegründung oder zur angeforderten Konkretisierung
des Begehrens außerstande gesehen habe. Denkbar sei darüber hinaus eine Verwirkung des Rechtsschutzinteresses, nachdem die
Klägerin erst drei Jahre, nachdem das Verfahren ausgetragen worden ist, Fortsetzung beantragt hat. Wegen der Einzelheiten
wird auf den Gerichtsbescheid (Bl. 28 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Gegen den ihr am 19. September 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 15. Oktober 2018 Berufung beim Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht eingelegt.
Auch die Berufung hat die Klägerin erst auf eine Betreibensaufforderung des Berichterstatters hin begründet.
Sie macht geltend, dass die Voraussetzungen für eine Klagerücknahmefiktion nicht vorgelegen hätten, weil die Klagebegründung
nicht zu ihren gesetzlichen Mitwirkungspflichten gehöre. Es handele sich bei dem §
92 Abs.
1 Satz 4
SGG nach wie vor um eine Soll-Vorschrift. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass sie bereits mit der Klageschrift einen Antrag auf
Prozesskostenhilfe gestellt habe, der zunächst hätte beschieden werden müssen. Die Nichtbescheidung des Prozesskostenhilfegesuchs
stelle sich als verfahrensfehlerhaft dar und führe zugleich zur Rechtswidrigkeit der Betreibensaufforderung. In der Sache
müsse die Klage Erfolg haben, denn die Beklagte habe der Klägerin durchgehend Krankengeld gezahlt und die Entscheidung auch
nicht rückwirkend aufgehoben. Die Lücke sei folglich in jedem Falle überzahlt. Dessen ungeachtet habe sie Anfang November
2012 auch alles aus ihrer Sicht Erforderliche getan, um eine lückenlose Bescheinigung ihrer Arbeitsunfähigkeit zu erlangen.
Sie habe am 2. November 2012 Kontakt zur Praxis ihrer Hausärztin aufgenommen, die sie jedoch wegen Überlastung abgewiesen
und auf den folgenden Montag (den 5. November 2012) verwiesen habe. Diesen Termin habe sie wahrgenommen. In einer solchen
Konstellation könne die Arbeitsunfähigkeit nach höchstrichterlicher Rechtsprechung krankengeldunschädlich auch noch rückwirkend
festgestellt werden.
Sie beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Itzehoe vom 4. September 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. April 2013 in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld nach Maßgabe
der gesetzlichen Vorschriften über den 14. April 2013 hinaus bis zum 14. November 2014 zu gewähren, hilfsweise,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Itzehoe vom 4. September 2018 aufzuheben und das Verfahren vor dem Sozialgericht Itzehoe
fortzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise,
festzustellen, dass der Rechtsstreit durch fiktive Klagerücknahme erledigt ist.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und geht ebenfalls von einer wirksamen Klagerücknahme aus.
Mit Beschluss vom 20. März 2019 hat der Senat dem Berichterstatter die Berufung nach §
153 Abs.
5 SGG übertragen, nachdem dieser die Beteiligten zuvor zu dieser Verfahrensweise angehört hat.
Dem Senat haben die Leistungsakten der Beklagten vorgelegen. Auf diese Akten und auf die Gerichtsakte wird wegen des der Entscheidung
zugrundeliegenden Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Berichterstatter entscheidet über die Berufung gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern, weil der Senat ihm die Berufung
nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 20. März 2019 gemäß §
153 Abs.
5 SGG zur Entscheidung übertragen hat.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§
151 Abs.
1 SGG). Sie ist zulassungsfrei statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 750,00 EUR übersteigt (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG; zur grundsätzlichen Anwendbarkeit dieser Vorschrift im Erledigungsfeststellungsstreit BSG, Urteil vom 19. März 2020 - B 4 AS 4/20 R - SozR 4-1500 § 144 Nr 10, juris Rn. 13 ff.).
Die Berufung ist jedoch weder mit dem Haupt- noch mit dem Hilfsantrag begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht
festgestellt, dass das Klageverfahren durch fiktive Klagerücknahme beendet worden ist.
Nach §
102 Abs.
2 Satz 1
SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht
betreibt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor.
Zutreffend hat das Sozialgericht zunächst das Vorliegen der formalen Voraussetzungen der fiktiven Klagerücknahme festgestellt.
Die Vorsitzende hat die Betreibensaufforderung mit ihrem vollen Nachnamen - und nicht nur mit Namensparaphe - unterzeichnet
(vgl. dazu BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 58/09 R - BSGE 106, 254 = SozR 4-1500 § 102 Nr 1, juris Rn. 49) und sie dem Bevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 16. Dezember
2014 zugestellt. Die Betreibensaufforderung ist auch hinreichend klar und konkret gewesen (dazu B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
102 Rn. 8c). Die Klägerin ist nicht nur allgemein zur Einreichung der (von ihrem Bevollmächtigten angekündigten) Klageschrift,
sondern auch konkret zur Formulierung eines bestimmten Antrags und zur Eingrenzung des Zeitraums aufgefordert worden, für
den Krankengeld begehrt werde. Gerade die letztgenannte Fragestellung ist nicht nur für die weitere Strukturierung der Sachverhaltsermittlung,
sondern auch z.B. für die Bestimmung des Beschwerdewerts (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG) von erheblicher Bedeutung und fällt angesichts der auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Dispositionsmaxime in
den originären Verantwortungsbereich der Klägerin. In der Aufforderung ist die Klägerin i.S. des §
102 Abs.
2 Satz 3
SGG zutreffend auf die Rechtsfolgen des Nichtbetreibens hingewiesen worden.
Die formal ordnungsgemäße Betreibensaufforderung hat auch die Fiktion der Klagerücknahme ausgelöst, weil für deren Erlass
hinreichende sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses vorgelegen haben und die Klägerin
das Verfahren sodann mehr als drei Monate lang nicht betrieben hat.
Die ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses beruht auf verfassungsrechtlichen Anforderungen,
die die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz [GG]) an die Ausgestaltung des grundsätzlich zulässigen Instrumentariums der fiktiven Klagerücknahme stellt. Sie dient insbesondere
dazu, den Eintritt der Wirkungen des §
102 Abs.
2 SGG auf Ausnahmefälle zu begrenzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1993 - 2 BvR 1972/92 - juris Rn. 14 m.w.N.). Der Senat folgt dabei hinsichtlich der an die "sachlichen Anhaltspunkte" für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses
zu stellenden Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der zufolge ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses erst
nach einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls angenommen werden darf und bei der Gesamtwürdigung sowohl die Umstände
vor und nach Erlass der Betreibensaufforderung als auch das Verhalten des Klägers zu berücksichtigen sind (BSG, Urteil vom 4. Juli 2017 - B 4 AS 2/16 R - BSGE 123, 62 = SozR 4-1500 § 102 Nr 3, juris Rn. 28).
Daran gemessen ist hier von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen. Der Senat berücksichtigt bezogen auf den
hier zu entscheidenden Fall, dass die Klägerin zunächst eine Klagebegründung in Aussicht gestellt, zu diesem Zweck Akteneinsicht
beantragt und diese auch genommen hatte. Danach hat die Klägerin dann allerdings - sich zu der eigenen Erklärung in Widerspruch
setzend - über Monate hinweg überhaupt keine Aktivitäten mehr entfaltet, weshalb sie nach gut einem halben Jahr erstmals an
die Einreichung der der Klageschrift erinnert worden ist. Erst nachdem auf diese und vier weitere Erinnerungen keine Reaktion
erfolgt war, hat das Sozialgericht die Klägerin mit Verfügung vom 11. Dezember 2014 - ca. 1,5 Jahre nach Klageerhebung - zum
Betreiben aufgefordert. Bei dieser Sachlage und vor dem Hintergrund der begehrten Leistung (Krankengeld), die in Wechselwirkung
mit anderen potentiell in Betracht kommenden Sozialleistungen steht und deren Anforderungen sehr stark von den aktuellen Gesundheits-
und Lebensverhältnissen abhängig ist, hat das Sozialgericht davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin das Interesse an dem
Rechtsstreit zwischenzeitlich verloren hat.
Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin geltend macht, seine Untätigkeit habe darauf beruht, dass das Sozialgericht das Prozesskostenhilfegesuch
der Klägerin nicht bearbeitet und aus diesem Grund verfahrensfehlerhaft zum Betreiben aufgefordert habe, kann er damit nicht
gehört werden. Zwar ist die Bereitstellung des Instrumentariums der Prozesskostenhilfe Ausdruck eines aus dem allgemeinen
Gleichheitssatz (Art.
3 Abs.
1 GG), dem Rechtsstaatsprinzip (Art.
20 Abs.
3 GG), dem Sozialstaatprinzip (Art.
20 Abs.
1 GG) und der Rechtsschutzgarantie (Art.
19 Abs.
4 GG) folgenden verfassungsrechtlichen Gebots, das nicht nur den Zugang zum Gericht als solchen, sondern auch eine im Wesentlichen
gleichberechtigte Wahrnehmung gerichtlichen Rechtsschutzes gewährleisten soll. Die Gewährleistung voraussetzungsloser Rechtsschutz-
und Rechtswahrnehmungsgleichheit ist damit aber nicht verbunden (Leopold in: Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK-
SGG, 2021, §
73a Rn. 10). Dementsprechend kann auch ein unbemittelter Beteiligter nicht die Erwartung hegen, eine erhobene Klage erst begründen
bzw. sein Begehren in den wesentlichen Zügen skizzieren zu müssen, nachdem ihm Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Da
die Gewährung von Prozesskostenhilfe ihrerseits nicht nur von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, sondern
auch von hinreichenden Erfolgsaussichten abhängig ist (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 Abs.
1 Satz 1
ZPO), setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe regelmäßig eine Darlegung des geltend gemachten Anspruchs in seinen wesentlichen
Zügen zwangsläufig voraus, um auch unter Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§
103 SGG) eine sachgerechte Entscheidung über den PKH-Anspruch überhaupt treffen zu können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. April 2010
- 1 BvR 362/10 - juris Rn. 15).
Letztlich wäre es für den Bevollmächtigten der Klägerin aber auch ein Leichtes gewesen, das Gericht spätestens nach Zustellung
der Betreibensaufforderung auf die seiner Ansicht nach vorrangige Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag hinzuweisen.
Ein entsprechender Schriftsatz, der kaum mehr als drei Zeilen Text beansprucht hätte, hätte die Klägerin in ihrem Anspruch
auf Rechtswahrnehmungsgleichheit nicht unverhältnismäßig belastet, wäre aber - da insoweit auch Umstände nach Erlass der Betreibensaufforderung
zu berücksichtigen sind (BSG, a.a.O.) - bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung u.U. ins Gewicht gefallen. So jedoch hat der Bevollmächtigte der Klägerin
auch nach Zustellung der Betreibensaufforderung nichts unternommen, um für die Klägerin das Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses
in irgendeiner Form zu dokumentieren. Dieses nach Lage der äußeren Umstände beredte Schweigen ihres Bevollmächtigten muss
sich die Kläger zurechnen lassen.
Soweit das Sozialgericht darüber hinaus meint, die Klagerücknahmefiktion sei (schon) deshalb eingetreten, weil der Bevollmächtigte
der Klägerin einer - bei teleologischer Reduktion der Vorschriften über das sozialgerichtliche Verfahren - aus §
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
253 Abs.
2 Nr.
2 ZPO folgenden Verpflichtung zur Klagebegründung nicht nachgekommen sei, folgt der Senat dem nicht. Dabei überzeugt schon die
Prämisse des Sozialgerichts nicht, §
253 Abs.
2 ZPO stelle wegen der Vertretungspflicht durch Rechtsanwälte (§
78 Abs.
1 Satz 1
ZPO) höhere Anforderungen an den Inhalt der Klageschrift. Denn gemäß §
495 ZPO gilt §
253 ZPO auch für das Verfahren vor den Amtsgerichten, das nicht notwendig als Anwaltsprozess geführt wird. Die Anforderungen an eine
ordnungsgemäße Klageerhebung sind vielmehr für das sozialgerichtliche Verfahren in §
92 SGG abschließend geregelt und lassen keinen Raum für die ergänzende Anwendung des §
253 ZPO. Letztlich kommt es auf die Frage einer ordnungsgemäßen Klageerhebung für die Prüfung der Voraussetzungen des §
102 Abs.
2 SGG auch nicht entscheidend an. Denn die Rechtsfolgen einer nicht den Anforderungen des §
92 Abs.
1 Satz 1
SGG entsprechenden Klage sind in §
92 Abs.
2 SGG geregelt: Der Vorsitzende hat den Kläger zur erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern und kann
eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es insbesondere an der Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens
fehlt. Ist eine derartige Frist fruchtlos abgelaufen, ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Eines Rückgriffs auf §
102 Abs.
2 SGG bedarf es dafür nicht.
Weil die Feststellung der Verfahrensbeendigung durch fiktive Klagerücknahme der rechtlichen Überprüfung durch den Senat im
Ergebnis standhält, kann offenbleiben, ob Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nur die Feststellung der Klagerücknahme
ist oder ob der Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens (Krankengeldanspruch für den Zeitraum 15. April bis 14. November 2013
unter Aufhebung der dem entgegenstehenden Bescheide) in vollem Umfang beim Landessozialgericht angefallen ist (dazu Groth
in: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl. 2016, Kap. VII Rn. 76a m.w.N.; offengelassen von
BSG, Urteil vom 10. Oktober 2017 - B 12 KR 3/16 R - juris Rn. 12 und Urteil vom 19. März 2020 - B 4 AS 4/20 R - SozR 4-1500 § 144 Nr 10, juris Rn. 19).
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß §
193 Abs.
1 Satz 1, Abs.
4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht ersichtlich.