Kostenerstattung für eine Infusionstherapie mit intravenösen Immunglobulinen, Vitaminen und Spurenelementen zur Behandlung
eines Chronic Fatigue Syndroms durch die gesetzliche Krankenversicherung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
Gründe:
I. Die Antragstellerin verfolgt mit ihrer Beschwerde das Ziel weiter, von der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung
eine (ambulante) Infusionstherapie durch Prof. Dr. med. d. in Düsseldorf als Sachleistung zur Verfügung gestellt zu bekommen.
Die 1959 geborene Antragstellerin, die unter einem CFS/CFID-Syndrom (Chronic fatigue Syndrom oder chronisches Erschöpfungssyndrom)
leidet, beantragte mit Schreiben vom 3. Mai 2009, bei der Antragsgegnerin am 12. Mai 2009 eingegangen, die Übernahme ihrer
"privatärztlichen Behandlungskosten einschließlich der Kosten für Medikamente, Laboruntersuchungen und Fahrten". Dem Antrag
waren auf den 22. April 2009 datierte vorläufige Therapiepläne des Prof. Dr. d. und des Dr. L. beigefügt. Am 6. Mai 2009 begann
die Antragstellerin mit der Behandlung.
Die Antragsgegnerin holte darauf eine sozialmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung
Thüringen e. V. (MDK), Dr. W., ein. Diese führt in ihrem Gutachten vom 29. Mai 2009 aus, dass die Versicherte annehme, am
CFS/CFID-Syndrom erkrankt zu sein und aus diesem Grunde eine privatärztliche Behandlung in Düsseldorf für erforderlich halte.
Vorgelegt werde ein vorläufiger Therapieplan, der eine Infusionstherapie mit intravenösen Immunglobulinen, Vitaminen und Spurenelementen
vorsehe. Das chronische Erschöpfungssyndrom sei eine chronische Krankheit, die charakterisiert werde durch eine lähmende geistige
und körperliche Erschöpfung bzw. Erschöpfbarkeit sowie durch eine spezifische Kombination weiterer Symptome. Eine allgemein
anerkannte ursächliche Behandlung des CFS/CFID-Syndroms gäbe es zurzeit nicht. Aus diesem Grund existierten auch keine allgemeinen
Therapieempfehlungen. Die Behandlung solle daher individuell und symptombezogen erfolgen. Es sei aber nicht anzunehmen, dass
ohne die beantragte Infusionsbehandlung eine Verschlimmerung des Gesundheitszustandes mit Todesfolge oder eine schwere irreversible
Behinderung oder Pflegebedürftigkeit eintrete. Eine lebensbedrohliche Erkrankung könne derzeit nicht festgestellt werden.
Die von der Antragstellerin beantragte Behandlungsmethode sei nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss beraten worden.
Die Antragsgegnerin lehnte daraufhin mit Bescheid vom 8. Juni 2009 den Kostenübernahmeantrag der Antragstellerin ab. Eine
Kostenübernahme für die beantragte Infusionstherapie sei nicht möglich, da diese Behandlungs- bzw. Diagnostikmethode im Rahmen
der vertragsärztlichen Versorgung nicht zur Verfügung stehe.
Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch trug die Antragstellerin im Wesentlichen vor, konventionelle Behandlungsmethoden
stünden nicht zur Verfügung. Die infolge der Infusionstherapie bereits eingetretenen Behandlungserfolge würden bestätigen,
dass die Erkrankung aufgehalten werde. Damit handele es sich jedenfalls um eine vertretbare Therapie, die zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung abgerechnet werden könne. Außerdem legte sie ein ärztliches Attest des Prof. Dr. d. vom 3. August 2009
vor, indem dieser die Diagnose "CFS/CFID-Syndrom (ICD 10: G 93.3)" stellte und ausführte, dabei handele es sich "um eine schwere
lebensbeeinträchtigende Erkrankung".
Nach Beiziehung eines "G-2 Gutachten(s): Chronisches Müdigkeitssyndrom (CFS)/Untersu-chungs- und Behandlungskonzept von Dr.
A. H. und Dr. M. d. B./Sozialmedizinische Expertengruppe Methoden- und Produktbewertung (SEG 7) der MDK-Gemeinschaft" des
Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V. vom 29. Januar 2008 veranlasste die Antragsgegnerin eine
weitere sozialmedizinischen Stellungnahme des MDK (Dr. M.) vom 6. November 2009. Dieser kam in seinem Gutachten zum Ergebnis,
dass die Übernahme der Behandlungskosten für die begonnene außervertragliche Behandlung weiterhin nicht empfohlen werden könne.
Die bei der Behandlung neben Nahrungsergänzungsmitteln im Rahmen der Infusionstherapie verwendeten Immunglobuline und Antioxidantien
seien nicht für die Behandlung des CFS/CFID-Syndroms zugelassen. Die Voraussetzungen für einen sogenannten off-label-Einsatz
lägen nicht vor. Die schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten seien nicht ausgeschöpft. Beispielhaft seien die Durchführung
einer stationären Rehabilitation oder auch eine Psychotherapie zu nennen. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2009 wies
die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, es läge keine
akut lebensbedrohliche Erkrankung vor, außerdem gebe es Behandlungsalternativen.
Hiergegen hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Gotha (SG) am 15. Januar 2010 Klage erhoben (Az.: S 38 KR 330/10). Bereits zuvor, mit am 9. Dezember 2009 beim SG eingegangenem Schriftsatz hat die Antragstellerin beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
ihr entsprechend der Verordnung der behandelnden Ärzte die Infusionstherapie bei CFS/CFID-Syndrom zu finanzieren. Sie leide
unzweifelhaft an einem CFS/CFID-Syndrom, wie das ärztliche Attest des Prof. Dr. d. B. vom 3. August 2009 bestätige. Dabei
handele es sich um eine schwere lebensbeeinträchtigende Erkrankung. Ambulante Behandlungsmöglichkeiten könnten nicht angeboten
werden. Sie habe die am 6. Mai 2009 begonnene Behandlung bislang selbst finanziert, wodurch ihr Kosten in Höhe von ca. 48.000,00
EUR entstanden seien. Unter Berücksichtigung des nunmehr vorliegenden vorläufigen Therapieplanes vom 28. Oktober 2009 belaufe
sich der Kostenaufwand pro Woche auf ca. l.549,65 EUR. Diese Kosten müssten voraussichtlich für weitere 26 Wochen aufgewandt
werden, sodass in diesem Umfang ein Anspruch auf Kostenübernahme bestehe. Ein Anordnungsgrund sei gegeben. Jede Verzögerung
der Fortsetzung der Infusionstherapie bedeute eine gesundheitliche Gefährdung. Aufgrund der erschöpften finanziellen Möglichkeiten
sei eine besondere Eilbedürftigkeit gegeben. Jede Woche ohne Therapie schade ihr.
Demgegenüber hat die Antragsgegnerin die Auffassung vertreten, es seien weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund
erkennbar. Bei der streitigen Infusionstherapie handele es sich um eine neue ambulante Behandlungsmethode i.S.d. §
135 Abs. l
SGB V. Da der gemeinsame Bundesausschuss sich noch nicht mit der Infusionstherapie beim chronischen Müdigkeitssyndrom befasst habe,
wäre eine Kostenübernahme nur bei Vorliegen eines Systemmangels oder der Voraussetzungen aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes
vom 6. Dezember 2005 (Az.: l BvR 347/98) möglich. Die wesentlichen Merkmale beider Fallkonstellationen seien hingegen nicht erfüllt. Es läge keine notstandsähnliche
Situation bzw. eine durch nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage vor. Der Antragstellerin stünden vertragsärztliche
Behandlungsmaßnahmen, z.B. die Durchführung einer stationären Rehabilitation bzw. einer Psychotherapie, zur Verfügung. Auch
unter der Annahme, dass die beiden genannten Behandlungsalternativen nicht geeignet wären, fänden sich aber in internationalen
Leitlinien durchaus das CFS/CFID-Syndrom betreffende Behandlungsempfehlungen, die auf den Ergebnissen anvisierter, kontrollierter
und konzipierter Studien basierten. Nach den Ausführungen des G-2 Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände
der Krankenkassen e. V. vom 29. Januar 2008 seien die klinische Relevanz des Untersuchungskonzeptes, das von der Arbeitsgruppe
von bzw. um Dr. Hilgers und anderen, darunter auch von Herrn Dr. d. B., bei Verdacht auf ein CFS/CFID-Syndrom in individuell
jeweils geringer Modifikation eingesetzt werde, wie auch die Wirksamkeit des auf den Ergebnissen dieser Diagnostik basierenden
Therapiekonzeptes oder einzelner, über die Empfehlungen internationaler Leitlinien hinausgehender Bestandteile dieses Konzeptes
nach übereinstimmenden Analysen der Datenlage in aktuellen HTA-Berichten (HTA: "Medizintechnik-Folgenabschätzung") nicht belegt.
Darüber hinaus sei nicht klar, ob die Diagnose "CFS/CFID-Syndrom" als gesichert anzusehen sei. Da die streitgegenständliche
Leistung auch bereits in Anspruch genommen worden sei, sei ein Anordnungsgrund nicht ersichtlich.
Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 6. Januar 2010 abgelehnt. Zur Begründung hat es
im Wesentlichen ausgeführt, dass es an einem Anordnungsanspruch fehle, da schon nicht zuverlässig festgestellt werden könne,
ob die bei der Antragstellerin durch Prof. Dr. d. B. diagnostizierte Erkrankung "CFS/CFID-Syndrom" tatsächlich vorliege, so
dass schon aus diesem Grund nicht beurteilt werden könne, ob die angewandte Therapie zweckmäßig und wirtschaftlich sei. Selbst
wenn man jedoch vom Vorliegen dieser Krankheit ausgehe, könne im Rahmen eines gerichtlichen Eilverfahrens nicht zuverlässig
festgestellt werden, dass es sich um zweckmäßige Behandlungsstrategien handele. Zudem sei diese Erkrankung nicht lebensbedrohlich.
Welche konkreten Beeinträchtigungen die Antragstellerin erfahre, sei nicht ersichtlich. Außerdem liege auch kein Anordnungsgrund
vor, da der Vortrag der Antragstellerin, jede Verzögerung bedeute eine gesundheitliche Gefährdung, durch nichts belegt sei.
Auch der Hinweis auf die finanzielle Situation der Antragstellerin begründe keinen Anordnungsanspruch.
Mit ihrer am 11. Februar 2010 eingelegten Beschwerde gegen den ihren Bevollmächtigten am 11. Januar 2010 zugestellten Beschluss
hat die Antragstellerin zur Begründung im Wesentlichen über ihr erstinstanzliches Vorbringen hinaus ergänzend ausgeführt,
dass sich "der Umfang der Behandlungskosten im Sinne eines Minimalbedarfs für einen Monat" einschließlich der Kosten für Nahrungsergänzungsmittel
auf 2.277,76 Euro belaufe. Auch die Charité in Berlin bestätige das Vorliegen der Diagnose "CFS/CFID-Syndrom". Die Erkrankung
sei schwer und lebensbedrohlich, dies würden die Folgeerkrankungen des chronischen Erschöpfungssyndroms, wie z.B. Multiple
Sklerose, Aids oder Krebs mit sich bringen. Zudem handele es sich bei der begehrten Infusionstherapie nicht um eine neue ambulante
Behandlungsmethode, da die Medikamente alle kassenärztlich zugelassen seien. Durch einen Behandlungsabbruch verschlechtere
sich ihr Gesundheitszustand "in nicht hinnehmbarer Weise". Aufgrund der erschöpften finanziellen Mittel habe sie im Dezember
2009 die private Behandlung bei Prof. Dr. d. B. abbrechen müssen. Während der Weiterbehandlung in Erfurt sei es in Folge eines
Schocks durch toxische Wirkung zu einem Kreislaufzusammenbruch gekommen. Deshalb bestehe auch ein Anordnungsgrund. Die Antragstellerin
hat neben einem Arztbericht der C. vom 7. Januar 2010 eine Schilderung ihrer Krankengeschichte, einen weiteren Therapieplan
vom 22. Juli 2010, ein Gutachten nach Aktenlage des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit E. vom 4. Juni 2010 sowie eine
Blattsammlung mit medizinischen Aufsätzen zum Krankheitsbild "CFS/CFID-Syndrom" vorgelegt.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 6. Januar 2010 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung
zu verpflichten, ihr vorläufig, längstens jedoch bis zum Eintritt der Rechtskraft einer Hauptsacheentscheidung, die weitere
(ambulante) Infusionstherapie durch Prof. Dr. d. B. als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie stützt sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen in ihrem Widerspruchsbescheid sowie im angefochtenen Beschluss
des
SGG. Darüber hinaus weist sie darauf hin, dass im Bericht der C. vom 7. Januar 2010 als Diagnose lediglich ein Verdacht auf ein
CFS/CFID-Syndrom angegeben werde. Es werde weiterhin davon ausgegangen, dass bei der Antragstellerin keine lebensbedrohliche
Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorliege. Auch der ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit
E. sei in sozialmedizinischen Stellungnahme vom 4. Juni 2010 zu dem Ergebnis gekommen, dass aus ärztlicher Sicht eine Behandlung
in einer Fachklinik bzw. die Einleitung eines Rehabilitationsverfahrens dringend angezeigt sei.
Der Senat hat im Laufe des Beschwerdeverfahrens einen Befundbericht der C. vom 19. April 2010 beigezogen. Dort wird u.a. ausgeführt,
dass die gestellten Diagnosen ("Verdacht auf Chronic Fatigue Sydrom sowie auf chronisch aktive Herpesinfektion") weder lebensbedrohlich
noch tödlich sind.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des Antrags- bzw.
Beschwerdeverfahrens, des Hauptsacheverfahrens (Az.: S 38 KR 330/10) sowie auf den Inhalt der Behördenakte Bezug genommen.
II. Die Beschwerde ist nach §§
172 Abs.
1,
173 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) statthaft und zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat im angefochtenen Beschluss zu Recht entschieden, dass die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erlass der begehrten einstweiligen
Anordnung hat.
Nach §
86b Abs.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint
(Satz 2, sog. Regelungsanordnung). Die §§
920,
921,
923,
926,
928 bis
932,
938,
939 und
945 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) gelten entsprechend (Satz 4).
Ein Anordnungsantrag ist begründet, wenn das Gericht auf Grund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§
86b Satz 4
SGG i. V. m. §§
920 Abs.
2,
294 Abs.
1 ZPO) und/oder im Wege der Amtsermittlung (§
103 SGG) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund bejahen kann. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn das im Hauptsacheverfahren
fragliche materielle Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Ein Anordnungsgrund ist zu bejahen, wenn es für
den Antragsteller unzumutbar erscheint, auf den (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwiesen zu werden.
Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verlangt dabei eine besondere Ausgestaltung, wenn ohne die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren
nicht mehr zu beseitigen wären. Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage
im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. z.B. Bundesverfassungsgericht &61500;BVerfG&61502;,
Beschlüsse vom 12. Mai 2005 - Az.: 1 BvR 569/05, vom 29. November 2007 - Az.: 1 BvR 2496/07 und vom 25. Februar 2009 - Az.: 1 BvR 120/09, jeweils nach juris). Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen,
denn die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders,
wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie
nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 25.
Februar 2009, aaO.). Das muss erst recht gelten, wenn es um das Leben als Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - Az.: 1 BvR 347/98, nach juris) geht.
Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung erfordern allerdings, dass das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen
treffen und dem Antragsteller nicht schon im vollen Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter dem Vorbehalt einer
entsprechenden Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren darf, was er sonst nur mit der Hauptsacheklage erreichen könnte
(sog. Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache; vgl. Kopp/Schenke,
Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Auflage 2003, §
123 Rdnr. 13 sowie Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, §
86b Rdnr. 31).
Im Hinblick auf das in Art.
19 Abs.
4 des Grundgesetzes (
GG) zum Ausdruck kommende Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gilt dieses grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme
der Hauptsacheentscheidung allerdings dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung notwendig erscheint, um die sonst zu erwartenden
unzumutbaren und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigenden Nachteile für den Antragsteller zu vermeiden, und gleichzeitig
ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. Kopp/Schenke, aaO., § 123 Rdnr. 14 m.w.N.).
Für eine Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache bedarf es mit anderen Worten erhöhter Anforderungen an das Vorliegen
sowohl des Anordnungsanspruchs (dazu unter b) als auch des Anordnungsgrundes (vgl. hierzu unter a).
a) Zu dem allein relevanten Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (vgl. Kopp/Schenke, aaO., § 123 Rdnr. 27) liegt hier zum
einen ein für eine Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache erforderlicher qualifizierter Anordnungsgrund nicht
vor.
Der Senat lässt es im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausdrücklich dahinstehen, ob die Antragstellerin
tatsächlich an einem CFS/CFID-Syndrom leidet. Dies wird im Hauptsacheverfahren noch zu überprüfen sein, nachdem die entsprechende
Diagnose vom C.C. für Innere Medizin und Dermatologie B. auch nach eingehender Untersuchung der Antragstellerin ausweislich
des vom Senat eingeholten Befundbericht vom 19. April 2010 lediglich als Verdachtsdiagnose gestellt worden ist.
Selbst wenn man im Falle der Antragstellerin vom Vorliegen eines CFS/CFID-Syndroms ausgeht, ist darin keine lebensbedrohliche
bzw. regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung zu sehen. Dies hat der bereits erwähnte Befundbericht der C. unter Ziffer 9
eindeutig klargestellt. Ohne Belang sind dagegen die von der Antragstellerin aufgezeigten schweren "Folgeerkrankungen". Der
Senat hat bereits Zweifel daran, ob hierbei ein Zusammenhang mit dem CFS/CFID-Syndrom wissenschaftlich nachgewiesen ist. Jedenfalls
aber liegt bei der Antragstellerin derzeit keine solche "Folgeerkrankung" vor.
Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass der Antragstellerin sonstige schwere, irreparable Nachteile drohen, würde sie
auf eine Entscheidung in der Hauptsache verwiesen. Insbesondere fehlen jegliche objektive Hinweise darauf, dass sich ohne
die sofortige Weiterführung der begehrten Behandlung die Erkrankung der Antragstellerin verschlimmert. Selbst der mit der
Beschwerdebegründung vorgetragene Kreislaufzusammenbruch infolge eines Schocks durch toxische Wirkung im Rahmen der Weiterbehandlung
belegt diese Verschlechterung nicht hinreichend, da dieser Kollaps nicht zwangsläufig mit dem Abbruch der begehrten Therapie
zusammenhängen muss. Auch hierfür fehlen objektive Anhaltspunkte, so dass genauso gut die konkrete Art der Weiterbehandlung
oder aber ein nur vorübergehender Schwächeanfall hierfür ursächlich sein kann. Die daneben geltend gemachte "zusätzliche Symptomatik"
ist weder ärztlicherseits belegt, noch bestehen nach Überzeugung des Senats ausreichend Anhaltspunkte dafür, dass hierfür
der Abbruch der begehrten Therapie ursächlich ist.
Zusammengefasst ist für den Senat jedenfalls nicht erkennbar, weshalb die vorläufige Gewährung der begehrten Therapie für
die Klägerin dringlich sein soll.
b) Zum anderen liegt im Falle der Antragstellerin aber auch kein qualifizierter Anordnungsanspruch vor, denn ein Erfolg ihres
Begehrens in der Hauptsache ist nicht überwiegend wahrscheinlich.
Nach §
27 Abs.
1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß §
27 Abs.
1 S. 2 Nr.
5 i.V.m. §
28 Abs.
1 SGB V die (ambulante) ärztliche Krankenbehandlung. Von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringende Leistungen müssen zudem
ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein (§
12 Abs.
1 SGB V). Im Bereich der hier in Betracht kommenden ambulanten Behandlung dürfen nach §
135 Abs.
1 SGB V neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden grundsätzlich nur nach Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zu
Lasten der Krankenkassen erbracht werden. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6.
Dezember 2005, aaO.), der sich das Bundessozialgericht (BSG, vgl. z.B. Urteil vom 7. November 2006 - Az.: B 1 KR 24/06 R, nach juris) angeschlossen hat, ist dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen die Schaffung eines Prüfverfahrens zur Sicherung
der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse einer Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der
Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit auch nicht verwehrt.
Der Senat kann sich nach dem derzeitigen Sach- und Streitsstand nicht die erforderliche Überzeugung davon verschaffen, dass
die begehrte Therapie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist, nachdem eine Empfehlung des GBA für die Krankheit der
Klägerin offenkundig nicht vorliegt. Ob dieses Fehlen eventuell auf ein sogenanntes Systemversagen im Sinne der Rechtsprechung
des BSG (vgl. hierzu z.B. Urteile vom 19. März 2002 - Az.: B 1 KR 36/00 R sowie vom 26. September 2006 - Az.: B 1 KR 3/06, jeweils nach juris) zurück zu führen ist, kann der Senat im Rahmen des vorliegenden
einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht entscheiden.
Ein Systemversagen läge dann vor, wenn dem GBA ein Untätigbleiben bzw. eine verspätete Bearbeitung eines Antrags bei Vorliegen
der Voraussetzungen für eine Anerkennung im Übrigen vorgeworfen werden könnte oder aber bei einer verzögerten oder unterbliebenen
Antragstellung der hierzu berechtigten Institutionen, wenn dies auf willkürlichen oder sachfremden Gründen beruhte. In diesem
Fall wäre eine Durchbrechung der vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bzw. jetzt Gemeinsamen Bundesausschuss in
dessen Richtlinien getroffenen oder unterlassenen Feststellungen zulässig.
Hier kann der Senat bereits nicht das "Vorliegen der Voraussetzungen für eine Anerkennung im Übrigen" feststellen, denn er
kann nicht aus eigener Sachkunde entscheiden, ob die begehrte Infusionstherapie die in §
135 Abs.
1 Satz 1
SGB V genannten Voraussetzungen für eine Anerkennung, insbesondere deren Wirksamkeit, erfüllt. Hierzu bedürfte es einer Beweisaufnahme,
etwa in Form der Einholung eines Gutachtens. Weil dies aber mit einem gegebenenfalls erheblichen Zeitaufwand verbunden und
daher nicht mit dem Charakter eines einstweiligen Anordnungsverfahrens zu vereinbaren wäre, hätte eine solche Beweisaufnahme
im Rahmen des anhängigen Hauptsacheverfahrens zu erfolgen. Der Senat muss im vorliegenden Fall den Sachverhalt auch nicht
ausnahmsweise bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vollständig aufklären, denn die Voraussetzungen, unter denen
das BVerfG (vgl. Beschlüsse vom 12. Mai 2005 - Az.: 1 BvR 569/05, 29. November 2007 - Az.: 1 BvR 2496/07 und 25. Februar 2009 - Az.: 1 BvR 120/09, nach juris) dies verlangt, liegen hier nicht vor. Wie oben unter a) zum Anordnungsgrund bereits ausgeführt, drohen nämlich
im Falle der Antragstellerin ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach Überzeugung des Senats gerade keine schweren
und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen
wären. Insofern bedarf es daher vorliegend auch keiner, anstatt der vollständigen Sachverhaltsaufklärung zu treffenden Folgenabwägung.
Schließlich kann die Antragstellerin die begehrte Infusionstherapie für sich auch nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung
nach den Maßstäben des Beschlusses des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (aaO.) beanspruchen. Danach ist mit den Grundrechten aus
Art.
2 Abs.
1 des Grundgesetzes (
GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art.
2 Abs.
2 Satz 1
GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine
allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende medizinische Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung
einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht
auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Hier fehlt es nach Überzeugung des
Senats einerseits, wie oben unter a) beim Anordnungsgrund bereits ausgeführt, an einer lebensbedrohlichen bzw. regelmäßig
tödlich verlaufenden Krankheit.
Beim CFS/CFID-Syndrom handelt es sich andererseits auch nicht um eine "zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung"
(vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - Az.: B 1 KR 12/06 R, nach juris). Gemeint ist damit nicht "lediglich" - wie etwa für die Zulassung des Off-Label-Use von Medikamenten ausreichend
- eine schwerwiegende Erkrankung. Das BSG (aaO.) führt hierzu aus: "Ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig
bewusst vom Gesetzgeber gezogene Grenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass das vom BVerfG herangezogene Kriterium bei
weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal
lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des
SGB V und die dazu ergangenen untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche
der Versicherten anzusehen" und weiter: "Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen
Regelungen daher nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden
Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet,
dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf
innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den
ggf gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion
gelten." Dem hat sich der erkennende Senat bereits in früheren Verfahren angeschlossen und ist im Falle der Antragstellerin
überzeugt, dass das geltend gemachte CFS/CFID-Syndrom weder mit einem nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans
noch einer herausgehobenen Körperfunktion einhergeht.
Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass der Senat sich auch keine Überzeugung davon verschaffen konnte, dass keine (schul-)medizinisch
anerkannten Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).