Sozialhilferecht - "Bagatellgrenze" bei der Kostenerstattung zwischen Trägern der Sozialhilfe; Kostenerstattung zwischen Trägern
der Sozialhilfe, Umfang der -, Sozialhilfe, Umfang der Kostenerstattung zwischen Trägern der -.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt Kostenerstattung gemäß § 107 Abs. 1
BSHG, welche die Beklagte unter Hinweis auf § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG verweigert.
Die Klägerin hat der hilfebedürftigen Frau B. und deren Tochter in der Zeit vom 1. Dezember 1995 bis zum 28. Februar 1997
Sozialhilfe (laufende Hilfe zum Lebensunterhalt) gewährt. Die Hilfeempfängerinnen waren zum 1. Dezember 1995 aus dem Zuständigkeitsbereich
der Beklagten in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin gezogen und zogen zum 1. März 1997 wieder in den Zuständigkeitsbereich
der Beklagten zurück.
Unter dem 13. Dezember 1995 meldete die Klägerin bei der Beklagten einen Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 107 Abs. 1
BSHG an. Die unter dem 15. November 1996 für die Zeit bis zum 30. November 1996 geltend gemachten Kosten in Höhe von insgesamt
13.070,35 DM hat die Beklagte erstattet. Mit Schreiben vom 7. Februar 1997 forderte die Klägerin die Beklagte auf, auch die
in der Zeit vom 1. Dezember 1996 bis 28. Februar 1997 angefallenen Sozialhilfekosten in Höhe von insgesamt 2.725,72 DM zu
erstatten; dies lehnte die Beklagte unter Hinweis auf § 111 Abs. 2
BSHG mit der Begründung ab, im zweiten Jahr der Hilfegewährung sei die Bagatellgrenze von 5.000 DM nicht überschritten worden.
Das Verwaltungsgericht hat auf die daraufhin erhobene Klage die Beklagte verpflichtet, an die Klägerin für die in der Zeit
vom 1. Dezember 1996 bis zum 28. Februar 1997 an Frau B. und ihre Tochter erbrachte Hilfe zum Lebensunterhalt Kostenersatz
in Höhe von 2.725,72 DM nebst 4 % Zinsen ab dem 11. Juni 1997 zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Von den zu § 111 Abs. 2
BSHG vertretenen Auffassungen sei derjenigen zu folgen, wonach bei Erreichen der Bagatellgrenze, bezogen auf einen Zeitraum der
Leistungsgewährung von bis zu 12 Monaten, sämtliche Aufwendungen des kostenerstattungsfähigen Zeitraums (zwei Jahre) unabhängig
von ihrer Höhe zu erstatten seien, solange keine rechtserhebliche Unterbrechung der Hilfegewährung eingetreten sei. Der Wortlaut
des § 111 Abs. 2
BSHG sei insoweit nicht eindeutig, doch lasse sich diese Auslegung mit der Entstehungsgeschichte der Vorschrift begründen. Da
die Bagatellgrenzenregelung als Ausnahmebestimmung eng auszulegen sei, müsse es bei einmaliger Überschreitung der Bagatellgrenze
bei der Regelung der Erstattung bleiben, und zwar sowohl bezogen auf die davor liegende Zeit als auch auf die anschließende
Erstattungszeit.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision beantragt die Beklagte, die Klage abzuweisen; sie rügt Verletzung
des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG: Mit der mit Wirkung zum 1. Januar 1994 gleichzeitig mit einer zeitlichen Begrenzung für die Erreichung der Bagatellgrenze
eingeführten zahlenmäßigen Begrenzung auf 5.000 DM habe der Gesetzgeber eine erhebliche Begrenzung der Kostenerstattung bezweckt.
Dies erfordere es, dass die Bagatellgrenze für jeden 12-Monats-Zeitraum gesondert erreicht werde.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Sie meint, der Zeitraum, in dem die Bagatellgrenze überschritten sein müsse,
sei vom Kostenerstattung begehrenden Sozialhilfeträger frei wählbar und für die übrigen Zeiträume das erneute Überschreiten
der Bagatellgrenze nicht erforderlich.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht stützt in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
die Rechtsauffassung der Beklagten. Er meint, über den Beginn des Abrechnungszeitraums und über dessen Ende, das höchstens
zwölf zusammenhängende Monate nach Beginn eintrete, könne der erstattungsberechtigte Träger der Sozialhilfe selbst entscheiden.
Mit dem so vom erstattungsberechtigten Träger festgelegten Ende sei dieser Abrechnungszeitraum tatsächlich abgeschlossen.
Für darüber hinausgehende Sozialhilfeleistungen beginne dann ein neuer Abrechnungszeitraum, für den dieselben Voraussetzungen
zu gelten hätten wie für den vorausgegangenen. Nur damit werde das Ziel des Gesetzgebers erreicht, die Kostenerstattungsansprüche
auf wirtschaftlich sinnvolle Fälle zu begrenzen.
II.
Die Revision der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß §
101 Abs.
2
VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte ohne Verstoß gegen
Bundesrecht auch für die Zeit der Leistungsgewährung vom 1. Dezember 1996 bis zum 28. Februar 1997, in welcher Kosten von
5.000 DM nicht (mehr) erreicht wurden, als erstattungspflichtig angesehen.
Gemäß der Regelung in § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG, welche mit Wirkung zum 1. Januar 1994 (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG - vom 23. Juni
1993 >BGBl I S. 944<) die bisher geltende Fassung ersetzt hat, wonach "Kosten unter 400 Deutsche Mark ... außer im Falle des
§ 107 Abs. 1 nicht zu erstatten" waren, sind "Kosten unter 5.000 Deutsche Mark, bezogen auf einen Zeitraum der Leistungsgewährung
von bis zu zwölf Monaten, ... nicht zu erstatten". Nach Abrechnung und Erstattung der Kosten in Höhe von 13.070,35 DM für
die Hilfegewährung vom 1. Dezember 1995 bis 30. November 1996 verbleiben bezüglich der nachfolgenden Zeit der Leistungsgewährung
von drei Monaten zwar lediglich Kosten von 2.725,72 DM, also Kosten unter 5.000 DM, doch steht dies einem Kostenerstattungsanspruch
nicht entgegen. Denn aufgewendete Kosten sind jedenfalls dann insgesamt zu erstatten, wenn - wie hier - bereits in den ersten
zwölf Monaten des Zeitraums der Leistungsgewährung mindestens 5.000 DM erreicht werden. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Die Bedeutung der Formulierung in § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG "Kosten unter 5.000 Deutsche Mark ... sind ... nicht zu erstatten" erschließt sich aus dem Wortlaut nicht eindeutig. Sie
könnte zunächst dahin verstanden werden, dass auch bei höheren Kosten ein Sockelbetrag von unter 5.000 DM von der Erstattung
ausgenommen sein soll mit der Folge, dass die Erstattung auf den überschießenden Betrag beschränkt wäre. Unter Berücksichtigung
des mit der Neuregelung des Kostenerstattungsrechts durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms
verfolgten Zwecks einer Begrenzung der verwaltungsaufwendigen Kostenerstattungsfälle (vgl. BTDrucks 12/4401 S. 84 zu Nr. 17:
"Die Tatbestände und damit die Fälle der Kostenerstattung, die erhebliche Verwaltungskosten verursachen, sollen reduziert
werden sowie eine Vereinfachung der gebliebenen Kostenerstattung und eine erste Angleichung an SGB X erreicht werden. ... Gleichzeitig soll eine schnelle Entscheidung über die Hilfe sichergestellt und sollen die bisher zahlreichen
Konfliktfälle zwischen Trägern der Sozialhilfe verringert werden. ... Zur weiteren Begrenzung der Kostenerstattung wird die
Bagatellgrenze in § 111 Abs. 2 von bisher 400 DM ohne Zeitbegrenzung auf 5.000 DM für den Zeitraum der Hilfegewährung von
bis zu zwölf Monaten festgelegt.") ist eine Bagatellgrenzenregelung jedoch nur dann sinnvoll, wenn es unterhalb der Grenze
keine Erstattung und oberhalb der Grenze volle Erstattung gibt. Die Bagatellgrenzenregelung ist daher eine Entweder-oder-Regelung
und der Bagatellgrenzbetrag kein immer ausgenommener Sockelbetrag, vielmehr ist beim Erreichen des Betrags von 5.000 DM der
gesamte Kostenbetrag voll zu erstatten.
Auch die Bedeutung der Voraussetzung in § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG "bezogen auf einen Zeitraum der Leistungsgewährung von bis zu zwölf Monaten" erschließt sich nicht von selbst (vgl. zu den
verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten Schwabe in ZfF 2000, S. 217 ff.).
Die Auffassung des Oberbundesanwalts, der "Zeitraum der erstattungsfähigen Leistungsgewährung" lege Abrechnungszeiträume fest
und bewirke zwischen diesen eine rechtliche Zäsur mit der Folge, dass für jeden einzelnen Abrechnungszeitraum die Überschreitung
der Bagatellgrenze erforderlich sei (im Anschluss an Großmann, NDV 2000, 72), findet im Wortlaut der Bestimmung keinen Anhalt, denn weder verwendet das Gesetz den Begriff des "Abrechnungszeitraumes"
noch muss sich ein "Zeitraum der erstattungsfähigen Leistungsgewährung" mit dem von einer Abrechnung erfassten Zeitraum decken.
Da § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG keine Regelungen für das Abrechnungsverfahren aufstellt, kann der Erstattungsberechtigte im Rahmen der zeitlichen Vorgabe
aus § 111
SGB X seine Abrechnungszeiträume selbst wählen und ist insbesondere nicht gehalten, in vollen Zwölf-Monats-Zeiträumen abzurechnen.
Geht man entsprechend dem Gesetzeswortlaut davon aus, dass die Bagatellgrenze sich auf einen objektiv feststellbaren Leistungszeitraum
und nicht auf vom Erstattungsberechtigten bestimmte, rechtlich selbständige Abrechnungszeiträume bezieht, muss es für eine
Erstattung bei über zwölf Monate hinausgehenden Leistungen jedenfalls genügen, dass - wie hier - in den ersten zwölf Monaten
des Zeitraums der Leistungsgewährung die Bagatellgrenze erreicht wird. Dies entspricht dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel
einer Vereinfachung des Kostenerstattungsverfahrens und dem Erfordernis normativer Klarheit und Vorhersehbarkeit.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs.
2
VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus §
188 Satz 2
VwGO.