Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung
Unterlassen einer einfachen Beiladung kein Verfahrensmangel
Gründe:
Mit Urteil vom 18.1.2018 hat das LSG Sachsen-Anhalt einen Anspruch der Klägerin auf Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung
abgelehnt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf Verfahrensfehler.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 S 3
SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Die Klägerin rügt, das LSG habe ihren Antrag, den Geschäftsführer der Fa 1 A P. GmbH, gemäß §
75 Abs
2 SGG beizuladen, verfahrensfehlerhaft abgelehnt. Dieser hätte gemäß dem Beipackzettel bestätigen können, dass das von ihr - der
Klägerin - gegen ihre Darmerkrankung eingenommene Medikament "Loperamid" nicht auf Dauer, höchstens zwei Tage, eingenommen
werden könne, da sonst schwere Verstopfungen auftreten könnten, was eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von sechs Stunden/Tag
ausschließen würde.
Einen solchen Verstoß hat die Klägerin nicht ausreichend dargelegt. Nach §
75 Abs
2 S 1 Alt 1
SGG sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen
gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Eine Beiladung ist in diesem Sinne notwendig, wenn die in dem Rechtsstreit mögliche
Entscheidung zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift, also durch Stattgabe der Klage oder durch deren
Abweisung unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen des Dritten gestaltet, bestätigt oder verändert werden (vgl BSGE 11, 262, 265 = SozR Nr 17 zu §
75 SGG; BSGE 46, 232, 233 = SozR 2200 § 658 Nr 3; BSG SozR 1500 § 75 Nr 34 S 29 f). Erforderlich ist insoweit zumindest eine (Teil-)Identität des Streitgegenstands im Verhältnis zu den beiden
Hauptbeteiligten (vgl BSGE 85, 278, 279 = SozR 3-3300 § 43 Nr 1 S 2; BSGE 93, 283, 285 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1; BSG Beschluss vom 21.7.2009 - B 7 AL 119/08 B - Juris RdNr 7; BSG SozR 4-2600 §
118 Nr 12 RdNr 17; vgl auch Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
75 RdNr 10 mwN).
Da die Beschwerdebegründung den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegt, allenfalls bruchstückhaft schildert
und es gleichzeitig versäumt, die Feststellungen anzugeben, die das LSG bindend (§
163 SGG) getroffen hat, fehlen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Konstellation hier vorliegen könnte.
Darüber hinaus hätte die Klägerin - neben der Darstellung des gesamten Verfahrensverlaufs - insbesondere ihre Sachanträge
im Klage- und Berufungsverfahren und den zugrunde liegenden Lebenssachverhalt schildern müssen, um den Streitgegenstand zu
verdeutlichen. Anschließend hätte sie die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts wiedergeben sowie die Entscheidungsgründe
und die Argumentationsstruktur des angefochtenen Urteils herausarbeiten müssen, um aufzuzeigen, dass die Entscheidung auf
der unterlassenen Beiladung beruhen kann. Aus dem Beschwerdevorbringen erschließt sich aber nicht ausreichend, mit welcher
entscheidungserheblichen Begründung das LSG das Anliegen der Klägerin abgelehnt hat. Im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde
ist es aber keinesfalls Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus der angefochtenen Entscheidung auf Basis allgemeiner Ausführungen
der Beschwerdeführerin das herauszufiltern, was sich möglicherweise als Verfahrensmangel darstellen könnte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 S 21 f). Vielmehr muss die Beschwerdebegründung den Senat in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und
Verwaltungsakten allein aufgrund des klägerischen Vortrags ein Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und
rechtlichen Streitpunkte zu machen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 26.6.2006 - B 13 R 153/06 B - Juris RdNr 9 mwN). Daran fehlt es.
Das Unterlassen einer einfachen Beiladung iS von §
75 Abs
1 S 1
SGG stellt keinen Verfahrensmangel dar (BSGE 95, 141, 143 RdNr
6 mwN = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 14 mwN). Dabei kann offenbleiben, ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn das Berufungsgericht
die einfache Beiladung ermessensfehlerhaft verneint hat (vgl Schmidt, aaO, § 75 RdNr 8b mwN). Denn auch insofern sind keine
Tatsachen bezeichnet, die einen Ermessensfehler und einen darauf basierenden Verfahrensmangel schlüssig ergeben könnten.
Ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) hat die Klägerin nicht hinreichend dargetan. Die Klägerin trägt vor, in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG "die Einholung
eines Gutachtens von Prof. Dr. K., wie in dem Schriftsatz vom 4. Januar 2018 verlangt", beantragt zu haben.
Damit hat sie jedoch keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag (iS von §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG iVm §
118 Abs
1 S 1
SGG, §
403 ZPO) bezeichnet. Denn nach §
403 ZPO wird der Sachverständigenbeweis durch die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte angetreten. Die Klägerin verkennt, dass
sich der Beweisantrag im Rahmen eines Rentenverfahrens möglichst präzise mit dem Einfluss dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen
auf das verbliebene Leistungsvermögen befassen muss. Je mehr Aussagen von Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zum
Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen
eingehen (Fichte, SGb 2000, 653, 656). Liegen bereits Gutachten zum Gesundheitszustand und - daraus herleitend - zum verbliebenen Leistungsvermögen vor und
hat sich dadurch schon ein gewisses Leistungsbild manifestiert, bedarf es besonderer Angaben, weshalb die Einholung eines
weiteren Gutachtens erforderlich ist (Fichte aaO). Hierfür muss der Beschwerdeführer gezielt zusätzliche Einschränkungen des
verbliebenen Leistungsvermögens durch weitere - oder anders zu beurteilende - dauerhafte Gesundheitsbeeinträchtigungen "behaupten"
und möglichst genau bezeichnen ("dartun"). Denn Merkmal eines Beweisantrags ist die Behauptung einer bestimmten entscheidungserheblichen
Tatsache und die Angabe des Beweismittels für diese (zum Ganzen BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN, RdNr 8). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin diese Anforderungen an die Bezeichnung des Beweisthemas
und des Beweismittels zum Zeitpunkt der Antragstellung erfüllt habe, hat sie nicht dargetan. Der Vortrag, da "keine ordentliche
Sachaufklärung durch die Gutachten Dr. Günther und Dr. F. erfolgte und die Gutachten einem Verwertungsverbot unterliegen"
und deshalb der Beweisantrag "gem. §
106 SGG vom Amts wegen" gestellt worden sei, ein Gutachten bei Prof. Dr. K. einzuholen, genügt dafür nicht.
Des Weiteren hat die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) nicht ausreichend dargetan.
Ein solcher Verstoß liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und
in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (sog Erwägensrüge, vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 13 S 12; BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern
können (sog Überraschungsentscheidung iS von §
128 Abs
2 SGG; vgl BVerfGE 98, 218, 263; BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz
selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene
Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36 S 53). Ferner ist Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles
getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Vortrag, eine Verletzung rechtlichen Gehörs
liege vor, da die Beschwerdeführerin nicht ordnungsgemäß angehört worden sei, genügt dafür in keinem Fall.
Mit dem Vortrag, das Urteil leide "an wesentlichen Verfahrensmängeln, in Gestalt eines unfairen, skandalösen Verfahrens unter
Verletzung von §§
60,
103 SGG", ist eine Verletzung ebenfalls nicht schlüssig bezeichnet.
Das allgemeine verfassungsrechtliche Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren, dessen Verletzung die Klägerin rügt, beruht
auf Art
1 Abs
1, Art
2 Abs
1 iVm Art
20 Abs
3 GG (vgl BVerfGE 38, 105, 111; 57, 250, 274 f; 122, 248, 271 f; BVerfG [Kammer] Beschluss vom 3.1.2001 - 1 BvR 2147/00 - Juris RdNr 7) sowie auf Art 6 Abs 1 S 1 EMRK (BSG Beschluss vom 17.12.2010 - B 2 U 278/10 B - Juris RdNr 4). Danach darf sich das Gericht nicht widersprüchlich verhalten (vgl BVerfGE 69, 381, 387), darf aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten (vgl BVerfGE
51, 188, 192; 75, 183, 190; 78, 123, 126) und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten
Situation verpflichtet (vgl BVerfGE 38, 105, 111 ff; 40, 95, 98 f; 78, 123, 126; 110, 339, 342). Anhaltspunkte dafür, dass das LSG gegen das Prozessgrundrecht auf ein
faires Verfahren verstoßen hat, hat die Klägerin nicht dargetan.
Sofern die Klägerin mit dem am 11.6.2018 beim BSG eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag das Fehlen einer Begründung durch die Beklagte rügt und die Begründungspflicht
als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, des Rechts auf Gehör, des Willkürverbots, der Parteiöffentlichkeit und als Ausfluss
aus Art 6 Abs 1 EMRK ansieht und deren Fehlen zur Verfassungsbeschwerde berechtigte, kann sie damit nicht gehört werden. Der Senat kann nur Vorbringen
berücksichtigen, das innerhalb der Begründungsfrist beim BSG eingegangen ist. Die Beschwerdebegründungsfrist ist hier - bei Zustellung des Urteils des LSG am 12.2.2018 - am 12.4.2018
abgelaufen (vgl §
160a Abs
2 S 1
SGG), der Vortrag zu den geltend gemachten Verfahrensfehlern erst am 11.6.2018 und damit nach Ablauf der - nicht verlängerten
- Beschwerdebegründungsfrist neu in das Verfahren eingeführt worden (vgl BSG Beschluss vom 26.6.2006 - B 1 KR 19/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 10 RdNr 4). Dies gilt auch für das Vorbringen eines anderen Zulassungsgrundes, ein solches Vorbringen
ist nach Fristablauf unzulässig (vgl BSG Beschluss vom 13.6.2001 - B 10/14 EG 4/00 B - Juris RdNr 13; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160a RdNr 13b mwN).
Soweit die Klägerin im Kern ihres Vorbringens das Ergebnis der Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 S 1
SGG) des LSG angreift, kann sie damit nicht gehört werden. Denn nach der ausdrücklichen Regelung des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann eine Verfahrensrüge hierauf nicht gestützt werden. Auch die - vermeintliche - inhaltliche Unrichtigkeit der Berufungsentscheidung
kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.