Ermittlung von Entgeltpunkten nach dem FRG bei einer Tätigkeit als Hauptökonom in Rumänien
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens wegen höherer Rentenleistungen um die Zuordnung der seitens
des Klägers in Rumänien zurückgelegten Beitragszeiten zum Wirtschaftsbereich 19 (Wissenschaft, Hoch- und Fachschulwesen) bzw.
6 (Maschinen- und Fahrzeugbau) anstelle des Wirtschaftsbereichs 12 (Sonstige produzierende Bereiche) in der Zeit vom 27.12.1974
bis 26.10.1980 sowie vom 09.03.1981 bis 19.10.1988.
Der 1949 in Rumänien geborene Kläger zog am 22.09.1989 in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) zu. Er ist Inhaber des Vertriebenenausweises
A.
Nach einer Fachschulausbildung studierte er von 1968 bis 1973 Wirtschaftswissenschaften. Im Anschluss daran war er vom 26.12.1973
bis 27.10.1980 und - nach seinem zwischenzeitlich geleisteten Militärdienst - vom 09.03.1981 bis 20.10.1988 bei dem Institut
für Wissenschaft und Forschung Technologische Ingenieurschaft "T." (heutiger Name S.) als Hauptökonom tätig.
In einem Kontenklärungsbescheid vom 03.08.2001 erkannte die Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg, die Rechtsvorgängerin
der Beklagten (im Folgenden einheitlich Beklagte), bei dem Kläger die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten an. Unter
anderem stufte sie die Zeiten vom 27.12.1974 bis 26.10.1980 und vom 09.03.1981 bis 19.10.1988 als Pflichtbeitragszeiten in
den Bereich 12 (Sonstige produzierende Bereiche), Qualifikationsgruppe I, ein und berücksichtigte diese Beschäftigungszeiten
als glaubhaft gemachte Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) mit 5/6. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2001 zurück.
Mit Bescheid vom 11.04.2007 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung als vorläufige Leistung
für die Zeit vom 01.03.2007 bis 31.03.2009. Dabei stufte sie erneut die Zeiten vom 27.12.1974 bis 26.10.1980 sowie vom 09.03.1981
bis 19.10.1998 als glaubhaft gemachte Zeiten nach dem FRG in den Bereich 12, Qualifikationsgruppe I, ein. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch. Mit Bescheid vom 23.05.2007 stellte
die Beklagte die Rente des Klägers neu fest unter Berücksichtigung einer weiteren Arbeitslosigkeitszeit im Jahre 2005. Mit
Bescheid vom 04.11.2008 stellte die Beklagte die als vorläufige Leistung erbrachte Rente endgültig fest. Mit Widerspruchsbescheid
vom 27.11.2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 11.04.2007 zurück. Im hiergegen erhobenen
Klageverfahren vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) machte der Kläger eine höhere Rente unter Geltendmachung von nachgewiesenen Pflichtbeitragszeiten geltend (S 8 R 4182/08). Das SG wies die Klage ab (Urteil vom 08.10.2009). Auf die Berufung des Klägers hob das Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg
(L 9 R 4758/09) mit Urteil vom 30.08.2011 das Urteil des SG auf und verurteilte die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 04.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
27.11.2008, dem Kläger höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab 01.03.2007 bis 31.03.2009 unter Berücksichtigung
der Zeiten vom 26.12.1973 bis 19.10.1988 als nachgewiesene Beitragszeit zu gewähren.
Bereits mit Bescheid vom 13.02.2009 hatte die Beklagte dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit bis 31.03.2012
weitergewährt. Am 04.02.2010 bat der Kläger die Beklagte außerdem um Neuberechnung seiner Erwerbsminderungsrente, da die Zeiten
nach dem FRG falsch berechnet worden seien. Im Einzelnen wandte er sich gegen die Anerkennung der Zeit vom 26.12.1973 bis 26.12.1974 lediglich
als Ausbildungs- und nicht als Beschäftigungszeit, gegen die Eingruppierung in den Wirtschaftsbereich 12 und nicht 19 sowie
gegen die Berücksichtigung seiner Beitragszeiten als lediglich glaubhaft gemachte Zeiten. Mit Bescheid vom 01.03.2010 gewährte
die Beklagte dem Kläger eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen für die Zeit ab 01.01.2010. Der Kläger erhob hiergegen
am 22.03.2010 unter Bezugnahme auf sein Schreiben vom 04.02.2010 Widerspruch.
Die Beklagte wertete den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 01.03.2010 als Überprüfungsantrag auf Anerkennung
der rumänischen Versicherungszeiten für die Zeit vom 26.12.1973 bis 20.10.1988 als nachgewiesene Beitragszeiten und lehnte
diesen mit Bescheid vom 14.06.2010 ab.
In Umsetzung des Urteils des LSG Baden-Württemberg vom 30.08.2011 berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 11.10.2011 die
Erwerbsminderungsrente für die Zeit ab 01.03.2007 neu unter Berücksichtigung der Zeit vom 26.12.1973 bis 19.10.1988 als nachgewiesene
Beitragszeit. Ebenso berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 13.10.2011 seine Altersrente für schwerbehinderte Menschen für
die Zeit ab 01.01.2010 neu wiederum unter Berücksichtigung dieser Beitragszeit.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 01.03.2010 mit
der Begründung zurück, der Widerspruch sei nicht zulässig. Eine Änderung der Anerkennung der Versicherungszeiten sei durch
den angegriffenen Bescheid nicht erfolgt. Eine geänderte Anerkennung der rumänischen Versicherungszeiten könne nur im Rahmen
des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erfolgen.
Die Beklagte wertete den Widerspruch des Klägers vom 22.03.2010 (erneut) als Antrag auf Überprüfung und stellte mit Bescheid
vom 22.05.2012 die Rente wegen voller Erwerbsminderung des Klägers für die Zeit ab 01.03.2007 neu fest. Der Bescheid vom 11.04.2007
werde insoweit zurückgenommen. Die Zeit von 26.12.1973 bis 26.12.1974 werde mit der Qualifikationsgruppe I und dem Wirtschaftsbereich
12 anerkannt. Eine Anerkennung in den Wirtschaftsbereich 19 komme für die Zeit vom 27.12.1974 bis 26.10.1980 sowie vom 09.03.1981
bis 19.10.1988 nicht in Betracht. Dem Wirtschaftsbereich 19 seien nur wissenschaftliche Forschungsinstitute und Laboratorien
zuzuordnen. Forschungs- und Entwicklungszentren der wirtschaftsleitenden Organe, also auch Institute der Industrie, gehörten
dagegen dem Wirtschaftsbereich 12 an. Da der Kläger in der industriellen Forschung beschäftigt gewesen sei, sei ihm der Wirtschaftsbereich
12 zuzuordnen. Außerdem stellte die Beklagte mit Bescheid vom 23.05.2012 die Altersrente für schwerbehinderte Menschen für
die Zeit ab 01.01.2010 mit derselben Begründung wie im Bescheid vom 22.05.2012 neu fest.
Der Kläger erhob gegen beide Bescheide am 25.06.2012 Widerspruch. Hierzu teilte er mit, dass der Bescheid vom 22.05.2012 seinem
Bevollmächtigten erst am 29.05.2012 zugestellt worden sei. Zur Begründung führte er unter Vorlage einer Adeverinta Nr. 233
der Firma S. vom 28.08.2012 aus, dass er in einem Unternehmen beschäftigt gewesen sei, welches als unabhängiges Forschungsinstitut
für Maschinen, Anlagen und Aggregate sowie im Bereich der Forschung als Pilotprojekt für die rumänische Entwicklung gegründet
worden sei. Dieses Forschungsinstitut sei 1979 umgewandelt worden in ein Institut für wissenschaftliche Forschung. Demnach
lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Wirtschaftsbereiches 19 vor.
Mit Bescheid vom 11.12.2012 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers "auf Überprüfung des Wirtschaftsbereiches für die Zeit
vom 27.12.1974 bis 26.10.1980" ab. Der Kläger habe im Widerspruchsverfahren die Adeverinta Nr. 233 vorgelegt. Hieraus gehe
hervor, dass sein damaliger Arbeitgeber in der Entwicklung und Fortentwicklung der Herstellung von Werkzeugmaschinen tätig
gewesen sei. Dies sei der industriellen Forschung zuzuordnen. Somit sei die bisherige Zuordnung des Wirtschaftsbereiches 12
korrekt. Dieser Bescheid werde gemäß §
86 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.
Der Kläger erhob hiergegen am 20.12.2012 (vorsorglich) Widerspruch. Hierzu trug er sinngemäß vor, er habe gegen die Bescheide
vom 22.05.2012 und 23.05.2012 Widerspruch eingelegt und keinen weiteren Überprüfungsantrag gestellt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2013 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 22.05.2012,
23.05.2012 und 11.12.2012 zurück. Bei der Ermittlung von Entgeltpunkten nach dem FRG müsse zusätzlich zu der Einstufung in eine Qualifikationsgruppe je nach Art des Beschäftigungsbetriebes ein entsprechender
Wirtschaftsbereich zugeordnet werden. Diese Zuordnung sei danach vorzunehmen, welchem Bereich der Beschäftigungsbetrieb angehöre.
Sei der Beschäftigungsbetrieb Teil einer größeren Unternehmenseinheit gewesen, sei diese für die Zuordnung maßgebend. Kämen
mehrere Bereiche in Betracht, sei der Bereich mit dem niedrigsten Durchschnittsverdienst maßgeblich. Der zugeordnete Wirtschaftsbereich
12 (Sonstige produzierende Betriebe) umfasse auch Forschungs- und Entwicklungszentren von Instituten der Industrie und des
Handels. Der geltend gemachte Wirtschaftsbereich 19 umfasse im Forschungsbereich in erster Linie wissenschaftliche Forschungsinstitute
und Laboratorien sowie Akademien und medizinischtheoretische Institute des Gesundheits- und Sozialwesens. Laut der vorgelegten
Adeverinta Nr. 233 habe der Kläger Marktstudien hinsichtlich der Werkzeugmaschinen und der Entwicklung der Produktion durchgeführt.
Laut seiner eigenen weiteren Mitteilung habe der Betrieb neue Prototypen auf den Markt gebracht. Er selbst habe die hierzu
erforderliche Studie für Optimierung und Effizienz gemacht. Danach seien bei seinem Betrieb Forschungen zu Industrie- und
Handelszwecken im Vordergrund gestanden. Es handele sich weniger um Forschung im akademischwissenschaftlichen Bereich.
Hiergegen hat der Kläger am 04.06.2013 vor dem SG Klage erhoben und ergänzend vorgetragen, das Institut sei damals das einzige Forschungsinstitut für die einschlägige Arbeitsgruppe
(Entwicklung und Projektierung von Maschinen) in Rumänien gewesen. Nachdem die Studien fertiggestellt gewesen seien, habe
das Ministerium die Produktion erst bewilligen müssen. Er habe in den Bereichen Hydraulik, Kühlung, Neue Motoren und CNC-Systeme
gearbeitet. Die Zuordnung in den Wirtschaftsbereich 12 sei somit unzutreffend gewesen. Mit Urteil vom 25.02.2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe den streitigen Zeitraum zutreffend dem Wirtschaftsbereich
12 zugeordnet. Dieser Wirtschaftsbereich umfasse als Sammelbereich die Wirtschaftsbereiche, die Dienstleistungen oder Erzeugnisse
anböten, die unter den Begriff der Produktion fielen, aber nicht handwerklicher Natur seien. Dabei enthalte der Bereich auch
die Teilgebiete der Forschungs- und Entwicklungszentren der wirtschaftsleitenden Organe und die Forschung und Erprobung von
Produkten, Prozessen und technologischen Verfahren. Aus den Beschreibungen des Klägers ergebe sich, dass es sich bei dem Beschäftigungsbetrieb
um ein Forschungs- und Entwicklungszentrum der wirtschaftsleitenden Organe und somit um einen Betrieb gehandelt habe, der
nach den oben genannten Grundsätzen dem Wirtschaftsbereich 12 zuzuordnen sei. Sowohl die Beschreibungen des Klägers als auch
jene in der Adeverinta Nr. 233 belegten, dass in dem Betrieb vorbereitende Forschungsarbeiten für Herstellung und Produktion
von Werkzeugmaschinen durchgeführt worden seien. Dagegen finde sich kein Bezug zu akademischer Forschung, welche die Zuordnung
zum Wirtschaftsbereich 19 rechtfertigen könnte. Selbst wenn man jedoch die Zuordnung zum Wirtschaftsbereich 19 für möglich
halten würde, bleibe dennoch der von der Beklagten angenommene Wirtschaftsbereich 12 maßgeblich, da dieser den niedrigeren
Durchschnittsverdienst ausweise.
Gegen das den Klägerbevollmächtigten am 10.03.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 04.04.2014 bei dem LSG Baden-Württemberg
Berufung eingelegt und vorgetragen, er sei in einem unabhängigen Forschungsinstitut für Maschinen, Anlagen und Aggregate tätig
gewesen. Da das Forschungsinstitut 1979 in ein Institut für wissenschaftliche Forschung umgewandelt worden sei, sei widerlegt,
dass die Forschung nicht akademischer Natur sei. Im Übrigen käme für die Zuordnung alternativ auch der Wirtschaftsbereich
6 in Frage. In dem in Rede stehenden Unternehmen seien Maschinen zur Fertigung von Autos oder ähnlichen Produkten erstellt
worden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 25. Februar 2014 sowie den Bescheid vom 11. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 6. Mai 2013 aufzuheben und die Bescheide vom 22. Mai 2012 und 23. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.
Mai 2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, unter teilweiser Rücknahme der Bescheide vom 4. November 2008, 13. Februar
2009 sowie vom 1. März 2010 ihm eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. März 2007 bis 31. Dezember
2009 und eine höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen für die Zeit ab 1. Januar 2010 zu gewähren unter Zuordnung
seiner Beitragszeiten vom 26. Dezember 1974 bis 27. Oktober 1980 sowie vom 9. März 1981 bis 20. Oktober 1988 in den Wirtschaftsbereich
19 oder 6.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie stützt sich zur Begründung auf die Ausführungen im Urteil des SG. Ergänzend trägt sie vor, auch eine Einordnung in den Wirtschaftsbereich 6 komme nicht in Betracht. Im Vordergrund des Unternehmens
habe nicht eine Produktion gestanden, sondern vielmehr die Entwicklung neuer Maschinen für die Unternehmen in Rumänien. Doch
selbst bei Zweifeln hinsichtlich des Haupterwerbszweckes des ehemaligen Arbeitgebers und damit einhergehenden möglichen mehreren
Wirtschaftsbereichen sei die Zuordnung zu dem Bereich vorzunehmen, der die niedrigsten Durchschnittsverdienste aufweise.
Mit den Beteiligten ist am 13.08.2015 ein Erörterungstermin durchgeführt worden. Der Kläger ist hierbei persönlich angehört
worden. Ferner haben sich die Beteiligten darin mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Insoweit
wird auf die Niederschrift zum Termin und wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
gemäß §
124 Abs.
2 SGG entschieden hat, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§
144 SGG). Sie ist jedoch nur teilweise begründet. Das SG hat die Klage überwiegend zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht kein Recht auf teilweise Rücknahme der angegriffenen Bescheide
sowie Neuberechnung seiner Erwerbsminderungsrente und Altersrente für schwerbehinderte Menschen und somit auch nicht auf eine
höhere Rentenleistung zu. Der Bescheid vom 11.12.2012 ist jedoch rechtswidrig und war daher aufzuheben.
Gegenstand des Berufungsverfahrens sind zunächst die Bescheide vom 22.05.2012 und 23.05.2012, mit denen die Beklagte über
einen als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gewerteten Rechtsbehelf des Klägers entschieden und die jeweiligen Bescheide über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente
bzw. Altersrente für schwerbehinderte Menschen abgeändert und höhere Renten gewährt hat, jedoch nur unter Zugrundelegung eines
Teils der vorgetragenen Begründungen. Die vom Kläger in seinem Widerspruch vom 22.03.2010 als weiteres Begründungselement
vorgetragene fehlerhafte Zuordnung in den Wirtschaftsbereich 12 behielt die Beklagte mit den angegriffenen Bescheiden ausdrücklich
bei und gewährte insoweit keine höhere Rente. Dass die Beklagte im Bescheid vom 22.05.2012 lediglich den Bescheid vom 11.04.2007
über die Bewilligung der Erwerbsminderungsrente als vorläufige Leistung teilweise zurückgenommen und nicht eine Überprüfung
des endgültigen Bewilligungsbescheides vom 04.11.2008 vorgenommen hat, führt nicht zu einer Rechtswidrigkeit der Entscheidung.
Zwar ist der Bescheid vom 11.04.2007 durch den Bescheid vom 04.11.2008 vollständig ersetzt worden (vgl. Urteil des erkennenden
Senats vom 30.08.2011, L 9 R 4758/09), so dass auch nur noch dieser - ebenso wie der Bescheid vom 13.02.2009 - einer Änderung zugänglich war. Da die Beklagte
jedoch mit dem angegriffenen Bescheid vom 22.05.2012 die als endgültige Leistung gewährte Erwerbsminderungsrente abänderte,
und zwar auch für die Zeit über den 31.03.2009 hinaus (Bewilligungszeitraum des Bescheides vom 13.02.2009), kann der angegriffene
Verwaltungsakt vom 22.05.2012 inhaltlich als Ergebnis einer Überprüfung der Bescheide vom 04.11.2008 und 13.02.2009 gesehen
werden. Mit dem Bescheid vom 23.05.2012 nahm die Beklagte den Bescheid vom 01.03.2010 teilweise zurück. Mit dem ebenfalls
angegriffenen Bescheid vom 11.12.2012 lehnte die Beklagte ein von ihr als Überprüfungsantrag gewertetes Gesuch des Klägers
auf Anerkennung des Wirtschaftsbereichs 19 für die Zeit vom 27.12.1974 bis 26.10.1980 ab.
Statthafte Klageart zur Erreichung des vom Kläger angestrebten Ziels ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und
Leistungsklage nach §
54 Abs.
1, Abs.
4 SGG.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen
worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu
Unrecht erhoben worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, werden Sozialleistungen
nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme
erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X).
Der Bescheid vom 11.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2013 war aufzuheben. Nach der genannten Vorschrift
sind die Behörden zwar zur Rücknahme eines Verwaltungsaktes auf Antrag oder von Amts wegen befugt. Zu einer die Rücknahme
ablehnenden Regelung ist die Behörde jedoch nur dann legitimiert, wenn ein Betroffener ein Begehren geäußert hat, das von
der Rücknahme eines Verwaltungsaktes abhängt (vgl. Steinwedel in: Kasseler Kommentar, SGB X, Stand September 2013, § 44 Rn. 22). Mit den ebenfalls angegriffenen Bescheiden vom 22.05.2012 und 23.05.2012 hat die Beklagte bereits über das Gesuch
des Klägers auf Gewährung höherer Rentenleistungen unter Zuordnung der in Rede stehenden Beitragszeiten zu einem anderen Wirtschaftsbereich
entschieden. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Bescheid vom 22.05.2012, in dem die Beklagte Ausführungen zu der jeweiligen
Einordnung machte. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der vom Kläger am 25.06.2015 erhobene Widerspruch gleichzeitig
als neuer Antrag auf Überprüfung des noch streitigen Sachverhalts auszulegen war. Dies hat der Kläger auch in seinem Widerspruch
vom 20.12.2012 bestätigt. Im Übrigen wäre im entgegengesetzten Fall der Bescheid über den weiteren Überprüfungsantrag auch
nicht nach §
86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Da ein ablehnender Verwaltungsakt in die Rechtsposition des Betroffenen eingreift
und somit eine belastende Regelung darstellt, war der vorliegende Bescheid ohne weitere Sachprüfung aufzuheben.
Die Beklagte hat das Recht jedoch richtig angewandt, als sie die Höhe der dem Kläger gewährten Renten unter Zugrundelegung
von Entgeltpunkten ermittelte, deren Höhe wiederum sie unter Einordnung seiner in Rumänien zurückgelegten Beitragszeiten in
der Zeit vom 27.12.1974 bis 26.10.1980 sowie vom 09.03.1981 bis 19.10.1988 in den Wirtschaftsbereich 12 und nicht in die Bereiche
6 oder 19 eingruppierte.
Die Höhen der dem Kläger gemäß §
43 Abs.
2 SGB VI bewilligten Erwerbsminderungsrente und der gemäß §
236a SGB VI bewilligten Altersrente für schwerbehinderte Menschen bestimmen sich nach §
63 SGB VI. Gemäß Absatz
1 der Vorschrift richtet sich die Höhe einer Rente vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge
versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen. Das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt
und Arbeitseinkommen wird in Entgeltpunkte umgerechnet, §
63 Abs.
2 Satz 1
SGB VI.
Da der Kläger als Vertriebener im Sinne des § 1 Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) anerkannt ist, findet auf die von ihm in Rumänien zurückgelegten Beitragszeiten das FRG Anwendung (§ 1a FRG). Die Ermittlung von Entgeltpunkten nach dem FRG bestimmt sich nach § 22 dieses Gesetzes. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 FRG werden für Zeiten der in §§ 15 und 16 genannten Art Entgeltpunkte in Anwendung von §
256b Abs.
1 Satz 1 erster Halbsatz, Satz 2 und 9 des
SGB VI ermittelt. Hierzu werden für Zeiten nach dem 31. Dezember 1949 die in Anlage 14 des
SGB VI genannten oder nach §
256b Abs.
1 Satz 2
SGB VI festgestellten Durchschnittsjahresverdienste um ein Fünftel erhöht und für Zeiten vor dem 1. Januar 1950 Entgeltpunkte auf
Grund der Anlagen 1 bis 16 dieses Gesetzes ermittelt (§ 22 Abs. 1 Satz 2 FRG). Die Bestimmung des maßgeblichen Bereichs richtet sich danach, welchem Bereich der Betrieb, in dem der Versicherte seine
Beschäftigung ausgeübt hat, zuzuordnen wäre, wenn der Betrieb im Beitrittsgebiet gelegen hätte (§ 22 Abs. 1 Satz 3 FRG). Ist der Betrieb Teil einer größeren Unternehmenseinheit, ist für die Bestimmung des Bereichs diese maßgeblich (§ 22 Abs. 1 Satz 4 FRG). Kommen nach dem Ergebnis der Ermittlungen mehrere Bereiche in Betracht, ist von ihnen der Bereich mit den niedrigsten Durchschnittsverdiensten
des jeweiligen Jahres maßgeblich (§ 22 Abs. 1 Satz 5 FRG). Ist eine Zuordnung zu einem oder zu einem von mehreren Bereichen nicht möglich, so erfolgt die Zuordnung zu dem Bereich
mit den für das jeweilige Jahr niedrigsten Durchschnittsverdiensten (§ 22 Abs. 1 Satz 6 FRG).
Die Beklagte hat, orientiert an diesen Vorschriften, die Zuordnung der streitgegenständlichen Beschäftigungszeiten zutreffend
zu dem Wirtschaftsbereich 12 vorgenommen. Der Gesetzgeber unterscheidet in der Anlage 14 zum
SGB VI 23 Wirtschaftsbereiche. Grundlage für dessen Gliederung ist die Wirtschaftsstruktur der ehemaligen Deutschen Demokratischen
Republik (DDR).
Die für die Zuordnung der ausgeübten Tätigkeit zu einem der in Anlage 14 genannten Wirtschaftsbereiche maßgebenden tatsächlichen
Umstände sind im Wege der Glaubhaftmachung nachzuweisen (vgl. Dankelmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB VI, Stand Dezember 2015 §
256b Rn. 106).
Der Wirtschaftsbereich 12 (Sonstige produzierende Bereiche) umfasst als Sammelbereich die Wirtschaftsbereiche, die Dienstleistungen
oder Erzeugnisse anbieten, die unter dem Begriff der Produktion subsumiert werden, die aber nicht handwerklicher Natur sind.
Der Begriff umschließt dabei auch die Teilgebiete der
- Forschungs- und Entwicklungszentren der wirtschaftsleitenden Organe (z. B. Institute der Industrie, der Land- und Forstwirtschaft,
des Verkehrs, des Post- und Fernmeldewesens und des Handels)
- Projektierungs- und Anlagenbaubetriebe
- geologische Untersuchungen
- Betriebe des staatlichen Vermessungs- und Kartenwesens
- Verlage/Reparaturkombinate, textiles Reinigungswesen, Rechenbetriebe
- sonstige produzierende Betriebe (z.B. DEFA-Studios)
(vgl. BT-Drucks. 12/405, S. 138; Dankelmann, a.a.O. Rn. 201ff.).
In den Wirtschaftsbereich 19 (Wissenschaft, Hoch- und Fachschulwesen) dagegen fallen
- wissenschaftliche Forschungsinstitute und Laboratorien
- Akademien (ohne Lehrtätigkeit)
- Institute des Gesundheits- und Sozialwesens
- sonstige Einrichtungen der Wissenschaft und Forschung
- der Teilbereich Hoch- und Fachschulwesen mit den Hoch- und Fachschulen
Dem Wirtschaftsbereich 6 (Maschinen- und Fahrzeugbau) gehören unter anderem an
- Energiemaschinenbau
- Bau-, Baustoff- und Keramikmaschinenbau
- Werkzeugmaschinenbau
- Werkzeug- und Vorrichtungsbau
- Plast- und Elastverarbeitungsmaschinenbau
- Bau von technologischen Spezialausrüstungen
- Bauteile- und Maschinenelementeindustrie
- Bau von Metallkonstruktionen
(vgl. Dankelmann, a.a.O. Rn. 233 ff. bzw. 134 ff.)
Maßgebend für die Zuordnung ist der Hauptzweck des Beschäftigungsbetriebes. Nach Angaben des Klägers ist das ihn ehemals beschäftigende
Unternehmen als Forschungsinstitut gegründet und 1979 in ein "Institut für wissenschaftliche Forschung" umbenannt worden.
Unternehmensgegenstand war nach seinen Angaben die Entwicklung von maßgeschnittenen Maschinen und Aggregaten für die Auto-
oder Elektroindustrie im Auftrag anderer Unternehmen. Nach der vorgelegten Adeverinta Nr. 233 war das Unternehmen ein Pilotelement
in der Entwicklung und Fortentwicklung der Herstellung von Werkzeugmaschinen. Nach Überzeugung des Senats bestand ein typischer
Arbeitsablauf des Unternehmens aus vier Abschnitten: Der erste Arbeitsabschnitt kann dabei als Entwicklungsphase bezeichnet
werden. Der Kläger gab hierzu im Erörterungstermin an, zunächst hätten die Ingenieure einen Entwurf erstellt, bevor die verschiedenen
Teile sowie Bauart, Materialien und Methodik geprüft bzw. "erforscht" worden seien. Nach Abschluss dieses Prozesses wurde
von der Produktionsabteilung ein Prototyp gebaut und getestet, ob es den Anforderungen genüge. Dieser Teil kann als Zwischenproduktionsphase
charakterisiert werden. Anschließend wurde in einem dritten Abschnitt das entsprechende Ministerium eingeschaltet und ein
Genehmigungsverfahren eingeleitet (Genehmigungsphase). Nach Vorliegen der Genehmigung begann dann die eigentliche Produktion
(Produktionsphase), in der nach Angaben des Klägers manchmal nur eine Maschine gebaut worden sei, manchmal auch zwei, drei
oder vier. Dieser letzte Abschnitt endete mit der Auslieferung der hergestellten Maschine oder des Aggregats an das beauftragende
Unternehmen.
Vor diesem Hintergrund ist die Einordnung durch die Beklagte in den Wirtschaftsbereich 12 rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Wirtschaftsbereich 12 erfasst auch Forschungs- und Entwicklungszentren der wirtschaftsleitenden Organe. Unter wirtschaftsleitenden
Organen können hierbei beispielsweise die Industrie, die Landwirtschaft, der Verkehr oder der Handel gesehen werden. Außerdem
enthält der Bereich auch Projektierungs- und Anlagenbaubetriebe. Stark zusammengefasst bestand ein Arbeitsprozess aus zwei
Hauptabschnitten, nämlich der Entwicklung der Maschinen einerseits sowie der Herstellung der entwickelten Produkte andererseits.
Dabei ist nach Auffassung des Senats unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers der Schwerpunkt der Arbeit im Entwicklungsbereich
zu sehen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der unternehmerische Produktionsumfang sich meist nur auf wenige Ausfertigungen,
sogenannte Unikate, erstreckte. Zum anderen ist unter Berücksichtigung der jeweiligen Teilarbeitsprozesse dem zeitlichen Umfang
im Entwicklungsbereich das größere Gewicht beizumessen. Schließlich war auch die Produktion der einzelnen Teile nicht ohne
den vorangegangenen unerlässlichen Entwicklungsprozess möglich. Zudem hat der Kläger angegeben, das Unternehmen habe außerdem
Projektierungsaufgaben durchgeführt. So hat er in einem im Erörterungstermin vorgelegten Schreiben ausgeführt, dass er zu
Hydraulikaggregaten deren Bestandteile und Preise ermittelt und danach die Arbeitsvorbereitung durchgeführt habe.
Die Zuordnung zu dem Wirtschaftsbereich 6 dagegen würde erfordern, dass zumindest der Schwerpunkt des Unternehmens oder dessen
alleiniges Tätigkeitsfeld im Produktionsbereich angesiedelt wäre. Dies kann jedoch aus den oben genannten Gründen nicht angenommen
werden.
Auch eine Bewertung als Unternehmen des Wirtschaftsbereichs 19 kommt nicht in Betracht. Den Teilbereichen der Wirtschaftsgruppe
19 ist gemein, dass sie der Wissenschaft und Forschung angehören. Das vorliegend zu bewertende Unternehmen befasste sich jedoch
nicht mit Strukturen, Zusammenhängen und Mechanismen grundlegender Art, sondern wurde jeweils mit konkreten Fallkonstellationen
betraut, für deren Einzelfall eine maßgeschnittene Lösung zu entwickeln war. Zwar gehört zum Begriff der Forschung auch die
praxisbezogene oder angewandte Forschung, bei der die gewonnenen Erkenntnisse in technische Entwicklungen umgesetzt werden.
Aber auch diese Unterart der Forschung beschäftigt sich mit allgemeinen, wenn auch praxisbezogenen Fragestellungen und bietet
keine Lösungen für wirtschaftliche Einzelaufträge an. Den Ausführungen des Klägers, insbesondere unter Berücksichtigung seiner
Angaben im Erörterungstermin vom 13.08.2015, ist nicht zu entnehmen, dass die Grundlagenforschung Hauptbetätigungsfeld des
Unternehmens war. Vielmehr beschrieb der Kläger eine im Einzelfall erfolgte Forschung bzw. Entwicklung mit direktem Anwenderbezug.
Unbeachtlich ist ferner, dass das Unternehmen als wissenschaftliches Institut benannt war, denn ausschlaggebend für die Eingruppierung
in die maßgebliche Wirtschaftsgruppe ist der tatsächliche Betriebsgegenstand, somit die den Hauptzweck des Unternehmens prägenden
Arbeitsabläufe und Betätigungsfelder, und nicht die bloße Bezeichnung.
Da die Beklagte nicht zu verpflichten ist, den Rentenbescheid teilweise zurückzunehmen, kommt auch ein Leistungsanspruch nach
§ 44 Abs. 4 SGB X nicht in Betracht.
Aus diesen Gründen war lediglich der Bescheid vom 11.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2013 aufzuheben
und die Berufung im Übrigen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt, dass zum einen die Berufung nur insoweit Erfolg hatte, als einer der drei angegriffenen Bescheide aufzuheben
war, zum anderen, dass das hauptsächliche Begehren des Klägers auf die Gewährung einer höheren Rentenzahlung ausgerichtet
war, dem jedoch nicht entsprochen worden ist.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.