Unzulässigkeit der Abtrennung einer Eventualwiderklage in einem Krankenhausabrechnungsstreit im sozialgerichtlichen Verfahren
Tatbestand
Strittig ist die Vergütungshöhe einer Krankenhausbehandlung.
Die Klägerin betreibt das in den Krankenhausplan des Freistaates Bayern aufgenommene Kreiskrankenhaus A-Stadt. Für die dortige
stationäre Geburtsbehandlung des bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten C. vom 1. bis 6.September 2010 machte die
Klägerin gegenüber der Beklagten mit am 3.11.2010 eingegangener Rechnung eine Vergütung iHv 5.450,05 EUR geltend. Die Beklagte
zahlte diesen zunächst vollständig. Nach Einschaltung des MDK gelangte die Beklagte zur Auffassung, die Abrechnung sei unzutreffend
kodiert und deshalb überhöht. Mit Zahlungsavis vom 17.11.2011 verrechnete die Beklagte die geleistete Zahlung mit anderen
unstreitigen Forderungen und zahlte schließlich auf die gegenständliche Forderung einen Teilbetrag von 3.298,34 EUR. Mit Klage
vom 10.06.2013 (Aktenzeichen Sozialgericht München: S 3 KR 639/13) hat die Klägerin den Differenzbetrag von 2.151,71 EUR geltend gemacht.
Die Beklagte hat für den Fall der Unwirksamkeit der Verrechnung/Aufrechnung mit Eventualwiderklage vom 24.4.2014 Rückzahlung
iHv 2.151,71 EUR beantragt. Das Sozialgericht hat ein Sachverständigengutachten des Dr. L. mit zwei ergänzenden Stellungnahmen
eingeholt. Zur Erstellung eines weiteren Sachverständigengutachtens gemäß gerichtlicher Beweisanordnung vom 13.5.2015 ist
es nicht gekommen. Mit Schreiben vom 19.11.2015 hat das Sozialgericht die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung des
Rechtsstreits durch Gerichtsbescheid angehört.
Die Widerklage hatte das Sozialgericht von der Klage abgetrennt und dem Verfahren das Aktenzeichen S 3 KR 610/14 zugewiesen. Ohne weitere Sachaufklärung hat das Sozialgericht mit Schreiben vom 19.11.2015 die Beteiligten zur beabsichtigten
Entscheidung des Rechtsstreits - also der Widerklage - durch Gerichtsbescheid und mit weiterem Schreiben vom 14.1.2016 zur
beabsichtigten Anordnung des Ruhens des Verfahrens gehört. Die Beteiligten haben sich nicht geäußert. Mit Beschluss vom 22.2.2016
hat das Sozialgericht gleichwohl "aufgrund der übereinstimmenden Anträge der Beteiligten ..." das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Mit Gerichtsbescheid vom 4.1.2016 hat das Sozialgericht die Klage S 3 KR 639/13 abgewiesen. Im Tatbestand hat das Gericht u.a. auf die Widerklage S 3 KR 610/14 verwiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, der Sachverhalt sei geklärt, es bestünden keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art. Den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen sei zu folgen. Über die Kosten von
Klage und Widerklage werde einheitlich entschieden.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt zur Weiterverfolgung ihres Zahlungsbegehrens und beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 4.1.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 2.151,71
EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von vier Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.11.2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte S 3 KR 610/14. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet im Sinne einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache
an das Sozialgericht gemäß §
159 Abs.
1 Nr.
2 SGG. Danach kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht
zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und
aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Hierüber entscheidet das LSG nach eigenem Ermessen von Amts wegen, ein Antrag des
Berufungsklägers ist nicht erforderlich (Keller, in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
159 Rdnr. 5; Bayer. LSG, Urteil vom 5. Februar 2014 - L 2 U 406/13, Rn. 19, zitiert nach [...]).
1. Das Sozialgericht hat elementare Verfahrensregeln missachtet und das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters
außer Acht gelassen. Die Behandlung der wirtschaftlich und rechtlich mit der Hauptsache aufs engste in Zusammenhang stehenden
Eventualwiderklage vom 24.4.2014 war verfahrensrechtlich nicht zulässig sowie willkürlich. Denn die vorgenommene Verfahrens-Abtrennung
ist nicht zulässig (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
100 Rdnr. 7), weil durch die Abtrennung der Widerklägerin die prozessualen Privilegien der Widerklage entzogen werden und weil
ein weiteres gerichtskostenpflichtiges Verfahren mit Verdopplung der Kostenrisiken für die Beteiligten eröffnet wird. Das
abgetrennte Verfahren wird dem gesetzlich nach §
100 SGG zugewiesenen Richter der Hauptsache entzogen. Es wird die Möglichkeit divergierender Gerichtsentscheidungen eröffnet. Zudem
war sich das Sozialgericht nach den Ausführungen im Gerichtsbescheid vom 4.1.2016 augenfällig nicht im Klaren, wie es die
Widerklage behandelt, weil es im Tatbestand auf die Widerklage Bezug genommen hat - andererseits in der Kostenentscheidung
einheitlich über Klage und Widerklage befunden hat. Daneben fällt es nicht wesentlich ins Gewicht, dass das Sozialgericht
die Widerklage ohne Antrag der Beteiligten "auf Antrag der Beteiligten" zum Ruhen gebracht hat.
2. Das Sozialgericht durfte nicht durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache Schwierigkeiten rechtlicher Art aufwies
und der Sachverhalt keineswegs geklärt war, so dass die Entscheidung gegen zwingende Regelungen des §
105 Abs.
1 Satz 1
SGG verstößt.
a) Das Sozialgericht hat beiseite gelassen, dass auf die gegenständliche stationäre Behandlung die Bestimmungen der im Behandlungsjahr
2010 geltenden Pflegesatzvereinbarung Anwendung finden und dass dort die besonderen Regelungen zu Zahlung und Fälligkeit einer
Vergütung zwingend zu beachten sind. Das Sozialgericht hat eine Aufrechnung angenommen, obgleich die Beklagte nur ein Zahlungsavis
übersandt, nicht aber eine Aufrechnung erklärt hatte; die somit vorliegende Verrechnung erlaubt §
52 SGB I nicht. Sonderregelungen dazu finden sich nicht in einem - nicht existenten - Landesvertrag nach §
112 SGB V und auch nicht in der gültigen Pflegesatzvereinbarung.
b) Auch tatsächlich war der Sachverhalt keineswegs geklärt, denn auf die gerichtliche Beweisanordnung vom 13.5.2015 hin ist
kein Sachverständigengutachten erstellt worden.
Der Senat macht von dem ihm in §
159 SGG eröffneten Ermessen, die Sache zurückzuverweisen, Gebrauch, weil eine Kombination mehrerer massiver Rechts- und Verfahrensverstöße
vorliegt und weil nur durch die Zurückverweisung eine zutreffende Sachbehandlung der Eventualwiderklage durch den gesetzlichen
Richter sicherzustellen ist.
Der Berufungsstreitwert entspricht dem Wert der geltend gemachten Forderung sowie der erstinstanzlichen Festsetzung.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch weicht das Urteil von einer Entscheidung
des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab
(§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG).