Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Eingruppierung eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis (HMV) der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Die Klägerin produziert und vertreibt ua die Knieorthese SofTec® Genu und begehrt deren Aufnahme in die Produktart 23.04.03.3
"Rahmenorthesen zur Führung und Stabilisierung des Kniegelenks mit Extensions-/Flexionsbegrenzung" des vom beklagten Spitzenverband
Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) geführten HMV. Bei dem Produkt SofTec® Genu handelt es sich um eine Orthese zur Führung und Stabilisierung des instabilen Kniegelenks,
die - im Unterschied zu anderen in der Produktart 23.04.03.3 des HMV gelisteten Produkten - keine feste, selbsttragende Rahmenkonstruktion aufweist. Die Führungsschienen sind vielmehr mit einem
textilen Trägermaterial verbunden. Das Produkt wurde ursprünglich in der Produktgruppe 05 (Bandagen) gelistet.
Im Oktober 2008 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Umlistung der genannten Knieorthese von der Produktgruppe 05
in die Produktgruppe 23 (Orthesen/Schienen) und innerhalb der Gruppe in die Produktart 23.04.03.3 "Rahmenorthesen zur Führung
und Stabilisierung des Kniegelenks mit Extensions-/Flexionsbegrenzung". Sie berief sich darauf, dass die Orthese SofTec® Genu
wegen ihrer speziellen Konstruktion geeignet sei, ein schwer oder komplex instabiles Kniegelenk zu stabilisieren und somit
die funktionelle prä- oder postoperative Versorgung von Bandrupturen im Kniebereich sicherzustellen.
Der Beklagte lehnte den Antrag auf die begehrte Umlistung in die Produktart 23.04.03.3 ab, weil das Produkt aufgrund der Konstruktionsmerkmale
der Produktart 23.04.03.2 "Knieführungsorthesen mit 4-Punkt-Prinzip und Extensions-/Flexionsbegrenzung" zuzuordnen sei. Er
vergab für das Hilfsmittel dort zugleich die Positionsnummer 23.04.03.2012 (Bescheid vom 4.5.2009; Widerspruchsbescheid vom
21.12.2009).
Das dagegen angerufene SG hat die Klage abgewiesen, weil ein Anspruch eines Hilfsmittelherstellers auf Eingruppierung in eine bestimmte Produktart
des HMV nicht bestehe und die Eingruppierung zu Recht erfolgt sei (Urteil vom 10.10.2013).
Das LSG hat die Berufung der Klägerin unter Berücksichtigung und Auswertung mehrerer im erstinstanzlichen Verfahren eingeholter
Gutachten und medizinischer Stellungnahmen zurückgewiesen: Die Voraussetzungen für die begehrte Eingruppierung lägen nicht
vor. Die Orthese SofTec® Genu erfülle nicht die Qualitätsanforderung einer selbsttragenden Rahmenkonstruktion. An Indikationen
oder Stabilisierungsgraden der Hilfsmittel sei die Systematik des HMV nicht ausgerichtet. Es fehle zudem ein Nachweis dafür, dass die Orthese SofTec® Genu einen medizinischen Nutzen für alle
Indikationen von Knieinstabilitäten habe. Alle Darlegungs- und Nachweispflichten im Zusammenhang mit der Behauptung, die Orthese
SofTec® Genu sei auch zur Stabilisierung des schwer und/oder komplex instabilen Kniegelenks geeignet, träfen aber die Klägerin
selbst. Zu Recht habe das SG auch ihren auf die Bildung einer neuen Produktart im HMV und dementsprechende Aufnahme des Hilfsmittels gerichteten Hilfsantrag als unzulässig abgewiesen. Hinsichtlich dieses Antrags
habe der Beklagte keine Verwaltungsentscheidung getroffen. Eine solche habe auch gar nicht ergehen müssen, da bei Fortschreibung
und Weiterentwicklung des HMV die Spitzenorganisation der Hersteller - und nicht die Klägerin - im Rahmen des gesetzlichen Stellungnahmeverfahrens zu beteiligen
sei (Urteil vom 28.3.2017).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§
139 Abs
4 SGB V). Eine bloße konstruktionsbezogene Interpretation der Systematik des HMV, wie sie das LSG vorgenommen habe, lasse sich weder mit dem Sinn und Zweck des HMV noch mit dem Gesetzeskonzept der Hilfsmittelversorgung nach dem
SGB V vereinbaren. Diese Auslegung werde der marktsteuernden Wirkung des HMV nicht gerecht. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art
19 Abs
4 GG) sei vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit der Hersteller verletzt. Die Bedeutung des HMV beruhe ua darauf, dass die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Verordnung von Hilfsmitteln in der
vertragsärztlichen Versorgung (HilfsM-RL) nach §
92 Abs
1 S 2 Nr
6 SGB V zumindest bei Vertragsärzten den Anschein erwecke, sie seien bei der Verordnung von Hilfsmitteln an das HMV gebunden. Entscheidungen über die Aufnahme von Hilfsmitteln in das HMV hätten daher eine objektiv berufsregelnde Tendenz. Eine Fehllistung eines Produktes im HMV könne im Hinblick auf das Verordnungsverhalten des Arztes sowie auf das Genehmigungs- bzw Erstattungsverhalten der Krankenkassen
(KKn) vor dem Hintergrund des untergesetzlichen Regelwerks die gleichen, wenn nicht noch gravierendere Auswirkungen haben
als eine völlig unterbliebene Aufnahme des Produkts. Das LSG habe bei alledem die Aussagekraft des medizinischen Erkenntnismaterials
und damit die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Orthese SofTec® Genu verkannt. Hinsichtlich des abgewiesenen Hilfsantrags
habe das LSG seine prozessuale Aufklärungspflicht und ihren (der Klägerin) Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt; ihr Begehren
auf Schaffung einer neuen Produktart im HMV sei nämlich bereits sowohl im Widerspruchsverfahren beantragt als auch im Widerspruchsbescheid beschieden worden.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 28. März 2017 und des Sozialgerichts Altenburg vom 10. Oktober 2013 aufzuheben
sowie den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 4. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember
2009 zu verurteilen, die Orthese SofTec® Genu in die Produktart 23.04.03.3 des Hilfsmittelverzeichnisses nach §
139 SGB V aufzunehmen,
hilfsweise,
den Beklagten unter Aufhebung der vorgenannten Urteile und Bescheide zu verpflichten, eine neue Produktart im Hilfsmittelverzeichnis
nach §
139 SGB V zu schaffen, die hinsichtlich ihrer Indikationen der Produktart 23.04.03.3 entspricht und die Orthese SofTec® Genu in diese
neue Produktart aufzunehmen,
weiter hilfsweise,
das vorgenannte Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses
Gericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.
Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Der Beklagte hat die Aufnahme der SofTec® Genu Orthese in die Produktart 23.04.03.3 des HMV revisionsrechtlich beanstandungsfrei abgelehnt und das Hilfsmittel der Produktart 23.04.03.2 zugeordnet (hierzu 1.). Die
Revision ist auch hinsichtlich der Hilfsanträge unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf Aufnahme der SofTec® Genu
Orthese in eine neu zu schaffende Produktart hat und kein Grund für eine Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung
sowie Entscheidung an das LSG besteht (hierzu 2.). Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin greifen nicht durch (hierzu
3.).
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuordnung der Orthese SofTec® Genu in die Produktart 23.04.03.3 des HMV. Zwar hat ein Hilfsmittelhersteller nicht nur einen Anspruch nach §
139 Abs
4 S 1
SGB V auf Aufnahme des Hilfsmittels in das HMV dem Grunde nach (dazu a), sondern darüber hinaus auch - unter Berücksichtigung der konkreten Eigenschaften des Hilfsmittels
- auf Zuordnung in die sachlich zutreffende Produktart (dazu b). Die streitige Orthese ist aufgrund ihrer Konstruktionsmerkmale
jedoch ohne Rechtsfehler in der Produktart 23.04.03.2 gelistet worden (dazu c). Für eine besondere Qualitätsanforderung der
Produktart 23.04.03.3 ist die Eignung der Orthese im Übrigen nicht nachgewiesen (dazu d).
a) Anspruchsgrundlage für die Aufnahme in das HMV ist §
139 Abs
1 S 2
SGB V iVm §
139 Abs
3 und
4 SGB V (idF zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378, Fassung mW ab 1.4.2007 - nachfolgend aF). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach-
und Rechtslage bei der - wie hier erhobenen - kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage ist grundsätzlich die letzte mündliche
Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl hierzu allgemein zB Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
54 RdNr 34, 40b).
Nach §
139 Abs
1 SGB V erstellt der GKV-Spitzenverband ein systematisch strukturiertes HMV (S 1). Im HMV sind von der Leistungspflicht umfasste Hilfsmittel aufzuführen (S 2). Die Aufnahme eines Hilfsmittels in das HMV erfolgt auf Antrag des Herstellers gemäß §
139 Abs
3 S 1
SGB V. Ein Hilfsmittel ist nach §
139 Abs
4 SGB V in das HMV aufzunehmen, wenn der Hersteller die Funktionstauglichkeit und Sicherheit, die Erfüllung der Qualitätsanforderungen nach
Abs 2 der Vorschrift und, soweit erforderlich, den medizinischen Nutzen nachgewiesen hat und es mit den für eine ordnungsgemäße
und sichere Handhabung erforderlichen Informationen in deutscher Sprache versehen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats
räumt §
139 Abs
4 S 1
SGB V dem Hersteller von Hilfsmitteln einen Anspruch auf Aufnahme eines Hilfsmittels in das HMV ein (vgl nur BSGE 87, 105, 108 = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 5; BSG SozR 4-2500 § 139 Nr 5 RdNr 11 mwN). Die Aufnahme als solche steht vorliegend auch nicht im Streit, da der Beklagte die Aufnahme der Orthese
in das HMV unter Zuteilung der Positionsnummer 23.04.03.2012 bereits verfügt hat (Bescheid vom 4.5.2009).
b) Ein Hilfsmittelhersteller kann über die Einzellistung (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 139 Nr 5 RdNr 13 ff mwN) hinaus ebenso verlangen, dass das Hilfsmittel sachgerecht entsprechend der Systematik des HMV nach §
139 Abs
1 S 1
SGB V zugeordnet wird. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut von §
139 Abs
1 und 4
SGB V, folgt jedoch aus der ganz erheblich marktsteuernden Wirkung des HMV, die neben dem Verordnungsverhalten der Ärzte auch die Berufsausübungsfreiheit (Art
12 Abs
1 GG) der Hersteller im Hinblick auf die Aufnahme ihrer Hilfsmittel berührt (vgl BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139 Nr 7, RdNr 29).
Einer solchen sachgerechten Zuordnung würde es nicht entsprechen, wenn Hilfsmittel beispielsweise nur alphabetisch oder numerisch
nach dem Datum des Antragseingangs aufgelistet würden. Die systematische Gliederung des HMV berechtigt auch nicht dazu, die Aufnahme von Hilfsmitteln von vornherein gänzlich abzulehnen, weil sie sich überhaupt keiner
bereits eingeführten Produktart zuordnen lassen. Denn die Ordnung des HMV hat sich am Bestand der vorhandenen (rechtmäßigen) Eintragungen im HMV auszurichten (BSGE 113, 33 = SozR 4-2500 § 139 Nr 6, RdNr 20), dh an den konkreten Eigenschaften des Hilfsmittels.
Der Beklagte ist jedoch in diesen Grenzen in der Gestaltung und Entwicklung der systematischen Struktur des HMV weitgehend frei. Das HMV ist kein Rechtsakt untergesetzlicher Normgebung. Es reicht ungeachtet seiner marktsteuernden Wirkung nicht über eine Auslegungs-
und Orientierungshilfe hinaus und entfaltet daher keine normative Wirkung (stRspr, vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 139 Nr 9 RdNr 23; vgl auch Entwurf der Bundesregierung zum Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz - HHVG, BT-Drucks 18/10186
S 38 zu Nummer 14 zu Buchst e zu Abs 9). Die Verpflichtung zur Fortschreibung des HMV (§
139 Abs
8 S 1
SGB V aF bzw Abs
9 bis
11 idF HHVG) verdeutlicht zudem, dass es sich um ein "lernendes System" handelt, welches der Weiterentwicklung des technischen
und medizinischen Fortschritts oder dem Erkenntnisgewinn Rechnung tragen soll. Diese Anforderung an das HMV setzt ein gewisses Maß an Zukunftsoffenheit und somit Gestaltungsfreiheit voraus.
Auch Einzelfragen der Systematisierung unterliegen der weitreichenden Gestaltungsfreiheit des Beklagten. Dazu gehört zB die
Festlegung, in welchem Umfang konstruktive, anwendungsbezogene oder indikationsbezogene Merkmale (vgl §
139 Abs
2 S 1
SGB V) zur Differenzierung verwendet werden und auf welchen Gliederungsebenen sich dies niederschlägt. Für die Frage, wie die Systematik
des HMV im Einzelnen ausgestaltet sein soll, enthält das Gesetz nur wenige Vorgaben. Obwohl §
139 SGB V die Einbeziehung von Indikationen in die Struktur des HMV erlaubt, dürfen auch andere Gesichtspunkte oder materialbezogene Kriterien verwendet werden (zB Konstruktionsmerkmale und
Anwendungsgebiete nach Körperregionen). Für Weiterentwicklungen und Änderungen der Systematik sieht das Gesetz grundsätzlich
keine Individualansprüche des einzelnen Herstellers vor, sondern ein spezifisches Fortschreibungsverfahren unter Einbeziehung
der Interessen und des Sachverstandes von Verbänden der Hersteller und Leistungserbringer (§
139 Abs
8 S 3
SGB V aF; jetzt §
139 Abs
11 SGB V idF des HHVG).
c) Nach diesen Maßgaben ist ausgehend von den jeweiligen Produktart-Kennzeichnungen des HMV die Ablehnung der Aufnahme des Hilfsmittels SofTec® Genu in die Produktart 23.04.03.3 und seine gleichzeitige Zuordnung in
die Produktart 23.04.03.2 revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Entscheidend dafür ist, dass die Systematik des HMV auf einer nicht sachwidrigen Kombination ua aus indikations- und konstruktionsbezogenen Merkmalen beruht, die sich im Rahmen
der Gestaltungsfreiheit des Beklagten bewegt.
aa) Unter Zugrundelegung der systematischen Struktur des HMV (idF der vom LSG getroffenen - von den Beteiligten inhaltlich nicht beanstandeten - Feststellungen zur Bekanntmachung der
Spitzenverbände der KKn über die Erstellung der Produktgruppe 23 "Orthesen/Schienen" etc vom 2.6.2008, BAnz Nr 90 vom 19.6.2008
S 2143 iVm mit der dort in Bezug genommenen Quellenangabe; vgl zuletzt Bekanntmachung der Fortschreibung der Produktgruppe
23 vom 13.11.2018, BAnz AT 13.11.2018 B5) erfolgt auf der ersten Gliederungsebene allgemein jeweils eine Einteilung von Produktgruppen
teilweise nach Diagnosen/Indikationen (zB Gruppe 11: Hilfsmittel gegen Dekubitus), aber auch nach Verwendungsweisen (zB Gruppe
3: Applikationshilfen) oder Konstruktionsmerkmalen (zB Gruppe 23: Orthesen/Schienen). Auf der zweiten Gliederungsebene wird
weiter nach Anwendungsorten differenziert (zB Gruppe 23.04: Knie). Im Fall der Produktgruppe 23 wird auf der dritten Gliederungsebene
eine Einteilung der Untergruppen nach Anwendungsgebieten vorgenommen (zB Untergruppe 23.04.03: Knieorthesen zur Führung und
Stabilisierung). Auf der vierten und letzten Gliederungsebene erfolgt schließlich die Einteilung der Produktarten in der vorliegend
von der Klägerin angestrebten Untergruppe 23.04.03.2 anhand von Konstruktionsmerkmalen (zB Produktart 23.04.03.2: "Knieführungsorthesen
mit 4-Punkt-Prinzip und Extensions-/Flexionsbegrenzung"; Produktart 23.04.03.3: "Rahmenorthesen zur Führung und Stabilisierung
des Kniegelenks mit Extensions-/Flexionsbegrenzung").
bb) Die Differenzierung zwischen den Produktarten 23.04.03.2 und 23.04.03.3 beruht demnach auf einer Kombination aus indikations-
und konstruktionsbezogenen Merkmalen. Diese Differenzierung steht nicht im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben von §
139 Abs
2 SGB V. Ein Anspruch der Klägerin auf Zuordnung der SofTec® Genu Orthese in die Produktart 23.04.03.3 anstatt in die Produktart
23.04.03.2 besteht demgemäß nicht. Da die Zuordnung nicht rechtsfehlerhaft erfolgt ist, besteht aus Anlass dieses Einzelfalls
erst recht kein Anspruch auf Schaffung einer neuen Produktart im HMV (s dazu auch noch unter 2.).
Hinsichtlich der Konstruktionsmerkmale unterscheiden sich die Arten der im HMV erfassten Orthesen zunächst im Wesentlichen dadurch, dass bei der Systematisierung am Material des Hilfsmittels angeknüpft
wird. Zur Produktart 23.04.03.2 heißt es dazu "meist aus einem textilen Trägermaterial"; bei der Produktart 23.04.03.3 wird
dagegen eine "selbsttragende Rahmenkonstruktion ... aus festem Material (z.B. Aluminium oder Kunststoff)" verlangt. Bezüglich
der Indikationen ist nur bei der Produktart 23.04.03.3 eine Begrenzung des Bewegungsumfangs in mindestens zwei Ebenen erforderlich;
zudem wird dort beispielhaft anstelle einer "mittleren" Instabilität des Kniegelenks (wie bei Produktart 23.04.03.2) eine
"schwere und/oder komplexe" Instabilität verlangt; hinzu kommt die Indikation der "funktionellen prä- und/oder postoperativen
Versorgung von Bandrupturen".
cc) Das Hilfsmittel der Klägerin erfüllt vor diesem Hintergrund sämtliche Voraussetzungen für die Listung in der Produktart
23.04.03.2. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen - und daher den Senat bindenden - Feststellungen des LSG (§
163 SGG) steht fest, dass die Orthese SofTec® Genu gerade keine "selbsttragende Rahmenkonstruktion" im Sinne der Beschreibung der
Produktart 23.04.03.3 aufweist, sondern im Wesentlichen aus einem textilen Material besteht. Die Orthese SofTec® Genu entspricht
damit den konstruktiven Anforderungen für die Eingruppierung in die Produktart 23.04.03.2. Darüber hinaus steht nicht fest,
dass die Orthese für die in der Produktart 23.04.03.2 bezeichneten Indikationen geeignet ist, dh für "Indikationen, bei denen
eine Sicherung der physiologischen Führung des Kniegelenks und/oder Entlastung des Gelenkapparates notwendig ist in mindestens
zwei Ebenen ...". Schon deshalb fehlen wesentliche Voraussetzungen für die Zuordnung zur Produktart 23.04.03.3.
dd) Die Indikation für das Hilfsmittel ist - soweit sie über die Gemeinsamkeiten beider Produktarten hinausgeht - hier demgegenüber
nicht von entscheidender Bedeutung für die Zuordnung im HMV. Dies zeigt sich darin, dass die spezifischen Indikationen bei den Orthesen ausdrücklich (nur) beispielhaft aufgeführt werden
und die allgemeine Beschreibung der Indikation in der Produktart 23.04.03.2 die (speziellere) der Produktart 23.04.03.3 mit
einschließt. Infolge dessen kann offenbleiben, ob sich die vorliegend zu beurteilende Orthese dazu eignet, ein schwer oder
komplex instabiles Kniegelenk zu stabilisieren und/oder bei der funktionellen prä- und/oder postoperativen Versorgung von
Bandrupturen eingesetzt zu werden (vgl auch sogleich d). Denn eine Aufnahme in die Produktart 23.04.03.3 würde der systematischen
Struktur des HMV widersprechen, die für die Zuordnung zu dieser Produktart eine bestimmte Konstruktionsweise verlangt, welche das Hilfsmittel
der Klägerin gerade nicht aufweist. Durch eine Aufnahme des Hilfsmittels SofTec® Genu in die Produktart 23.04.03.2 wird auch
weder eine unrichtige noch eine den Wettbewerb zu Lasten der Klägerin verfälschende Information durch den Beklagten verbreitet.
Dieser hat vielmehr lediglich dem Begehren der Klägerin nach Nennung einer ihrer Ansicht nach dem Produkt angemesseneren und
vorteilhafteren Information - vergleichsweise wie in der Produktart 23.04.03.3 - nicht entsprochen. Darauf besteht jedoch
nach den Umständen kein Anspruch.
d) Neben der systematischen Gliederung des HMV, die auch unter praktischen Gesichtspunkten dazu dient, zutreffende Informationen über in das HMV aufgenommenen Produkte möglichst leicht aufzufinden, bestand schon nach §
139 Abs
2 S 1
SGB V aF die Möglichkeit (bzw die Verpflichtung ab 11.4.2017), im HMV besondere Qualitätsanforderungen für Hilfsmittel festzulegen (geändert durch das HHVG vom 4.4.2017, BGBl I 778, vgl BT-Drucks
18/10186, aaO, S 37 Zu Nummer 14 [§ 139] Zu Buchst a Zu Doppelbuchst aa). Das Aufstellen von Qualitätsanforderungen im HMV ist von der Erstellung einer systematischen Struktur zu unterscheiden. Hat der Beklagte solche Qualitätsanforderungen festgelegt,
müssen diese aber auch im Fall nicht obligatorischer Festlegung erfüllt sein, damit das Hilfsmittel aufgenommen wird (vgl
§
139 Abs
4 SGB V aF). Ob eine Qualitätsanforderung rechtmäßig festgelegt wurde, unterliegt grundsätzlich der gerichtlichen Kontrolle bei der
Prüfung des Aufnahmeanspruchs. Die Festlegung von Qualitätsstandards ist, wie der erkennende Senat bereits entschieden hat,
nur dann rechtmäßig, wenn sie dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, den medizinischen
Fortschritt berücksichtigen und der Sicherung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten
mit Hilfsmitteln dienen (vgl BSGE 121, 230 = SozR 4-2500 § 139 Nr 8, RdNr 28). Dem Beklagten kommt auch bei der Entwicklung von Qualitätsvorgaben für Hilfsmittel eine
relativ weite Gestaltungsfreiheit zu. Maßnahmen zur Qualitätssicherung dürfen zur Reduzierung von Versorgungsrisiken bereits
dann getroffen werden, wenn deren Notwendigkeit noch nicht durch vergleichende Studien nach Grundsätzen der evidenzbasierten
Medizin belegt sind (BSG aaO, RdNr 29 mwN).
aa) Als besondere Qualitätsanforderungen bei Orthesen für die Produktart 23.04.03.2 sind im HMV ua folgende Merkmale aufgenommen worden: "Stabilisierende oder selbsttragende Elemente, Physiologische Gelenkführung, 4-Punkt-Stabilisierungssystem,
Einstellbare Flexions/Extensionsbegrenzung, Unelastische Zugelemente". Für die Produktart 23.04.03.3 lauten die entsprechenden
besonderen Qualitätsanforderungen dagegen "Selbsttragende Rahmenkonstruktion, Physiologische Gelenkführung, 4-Punkt-Stabilisierungssystem,
Einstellbare Flexions/Extensionsbegrenzung".
Soweit die "selbsttragende Rahmenkonstruktion" demnach nicht nur als deskriptives Merkmal für die Zuordnung in eine bestimmte
Produktart des HMV fungiert, sondern vom Beklagten ausdrücklich auch als Qualitätsanforderung im Sinne des §
139 Abs
2 S 1
SGB V aF festgelegt wurde, vermag dies für die Klägerin nicht zu einem günstigeren Ergebnis zu führen. Mit der Qualitätsanforderung
"selbsttragende Rahmenkonstruktion" für die Produktart 23.04.03.3 wurde lediglich ein in der systematischen Struktur des HMV vorgezeichneter Gliederungsaspekt wiederholt und der für die Zuordnung des Hilfsmittels maßgeblichen Umschreibung "Rahmenorthesen
zur Führung und Stabilisierung des Kniegelenks mit Extensions-/Flexionsbegrenzung" nichts wesentlich Neues hinzugefügt. Es
kann daher offenbleiben, ob die Notwendigkeit der Qualitätsanforderung "selbsttragende Rahmenkonstruktion" nach wissenschaftlichen
Maßstäben zur Sicherung der Qualität und Wirksamkeit des Hilfsmittels hinreichend wahrscheinlich ist. Vorliegend ist nach
den - ebenfalls mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen - aufgrund umfangreicher Ermittlungen getroffenen Feststellungen des
LSG nicht nachgewiesen, dass die Orthese der Klägerin in gleicher Weise wie Orthesen, die die Qualitätsanforderung "selbsttragende
Rahmenkonstruktion" erfüllen, dazu geeignet ist, ein schwer oder komplex instabiles Kniegelenk zu stabilisieren und die funktionelle
prä- oder postoperative Versorgung von Bandrupturen im Kniebereich sicherzustellen.
bb) Die Klägerin hat folglich keinen Anspruch auf Aufnahme des Hilfsmittels SofTec® Genu in die Produktart 23.04.03.3. Ihr
Hilfsmittel ist unter Berücksichtigung von konstruktions- und qualitätsbezogenen Aspekten ohne Gesetzesverstoß in die Produktart
23.04.03.2 eingeordnet worden.
2. Hinsichtlich der Hilfsanträge der Klägerin ist ihre Revision ebenfalls unbegründet.
a) Maßgeblich ist jedenfalls auch insofern, dass kein Anspruch auf eine neu zu schaffende Produktart besteht, wenn die Orthese
SofTec® Genu der Struktur des HMV folgend - wie unter 1. ausgeführt - systemgerecht einer Produktart zugeordnet wurde. Ob ein subjektives Recht gegenüber dem
Beklagten auf Schaffung einer neuen Produktart bzw einer anderen systematischen Ordnung besteht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen
für die Aufnahme eines Hilfsmittels erfüllt sind, eine systematische Einordnung in das bisherige HMV aber nicht möglich ist, weil sich das Hilfsmittel sachlich keiner der vorhandenen Produktgruppen zuordnen lässt, kann hier
dahingestellt bleiben. Die Orthese SofTec® Genu lässt sich nämlich ohne Schwierigkeiten der Produktart 23.04.03.2 zuordnen,
da sie hierfür sowohl die konstruktionsbezogenen als auch die qualitativen Voraussetzungen erfüllt.
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass zwar entgegen der Ansicht des LSG eine Verwaltungsentscheidung über den im Widerspruchsverfahren
von der Klägerin gestellten Antrag auf Schaffung einer neuen Produktart vorlag. Der Widerspruchsbescheid enthält hierzu Ausführungen.
Deshalb geht auch die Klägerin in ihrem Revisionsvorbringen davon aus, dass der Antrag dort abschlägig beschieden worden ist.
Aus diesem Umstand folgt für die Klägerin aber kein günstigeres Ergebnis, insbesondere liegt kein sich darauf entscheidungserheblich
auswirkender Verfahrensfehler vor. Das LSG hat über den Antrag im Berufungsverfahren entschieden. Sofern der Antrag - dem
Verständnis des LSG folgend - als Antrag auf allgemeine Fortschreibung bzw Änderung des Systematik des HMV nach §
139 Abs
8 SGB V aF auszulegen ist, ist dem LSG beizupflichten, dass dafür zunächst ein gesetzlich vorgesehenes Stellungnahmeverfahren der
Spitzenorganisationen der betroffenen Hersteller und Leistungserbringer durchzuführen und in die Entscheidung einzubeziehen
ist (vgl §
139 Abs
8 S 3
SGB V aF bzw §
139 Abs
11 S 1
SGB V idF des HHVG).
b) Für eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG besteht kein Anlass; der weitere Hilfsantrag der Klägerin bleibt
ebenfalls erfolglos. Insbesondere sind Verfahrensfehler, die zu einer Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung führen könnten,
nicht ersichtlich. Es liegen nach dem Revisionsvorbringen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass das LSG zum Nachteil
der Klägerin prozessuale Aufklärungspflichten (§
106 SGG), ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) oder auf effektiven Rechtsschutz (Art
19 Abs
4 GG) verletzt haben könnte.
3. Schließlich greifen auch die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen das gewonnene Ergebnis nicht durch.
Nach der Rechtsprechung des Senats haben die Entscheidungen des GKV-Spitzenverbandes bzw seiner Rechtsvorgänger über die Aufnahme
eines Hilfsmittels in das HMV gegenüber dem Hersteller des Hilfsmittels objektiv eine berufsregelnde Tendenz, sodass sie sich zwar grundsätzlich an Art
12 GG messen lassen müssen. Das HMV hat nämlich eine marktsteuernde Wirkung mit erheblichen Auswirkungen für die Hersteller von Hilfsmitteln, da auf das Verordnungsverhalten
der Ärzte gegenüber den KKn und Versicherten mit Hilfe des HMV Einfluss genommen wird (vgl BSGE 87, 105, 107 = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 3). Werden an ein Hilfsmittel besondere Anforderungen gestellt, die an andere Hilfsmittel
der Produktgruppe im HMV nicht gestellt werden, kann sich dies daher durchaus wie ein "staatlicher" Eingriff auf den Wettbewerb auswirken (vgl BSGE
121, 230 = SozR 4-2500 § 139 Nr 8, RdNr 28; BSG SozR 4-2500 § 135 Nr 22 RdNr 64 ff; allgemein zu marktbezogenen staatlichen Informationen vgl BVerfGE 105, 252, LS 1 und 265 ff [Diethylenglykol]).
Im Falle der Klägerin liegt aber eine Beeinträchtigung ihres Grundrechts aus Art
12 Abs
1 iVm Art
3 Abs
1 GG auf freie Berufsausübung im Wettbewerb mit anderen Hilfsmittelherstellern nicht vor. Wenn sie durch Listung ihres Produkts
gegenüber Herstellern von Knieorthesen mit Rahmenkonstruktion, die unter die Produktart 23.04.03.3 fallen, anders behandelt
wird, weil ihr Produkt trotz der von ihr behaupteten Eignung nicht als Therapiealternative für bestimmte Indikationen im HMV genannt wird, handelt es sich um eine der Sache nach korrekte Information, die sich systemgerecht in die vorhandene - revisionsrechtlich
nicht zu beanstandende - Struktur des HMV einfügt. Hierdurch bedingte etwaige Wettbewerbsnachteile als Folge inhaltlich zutreffender, aber im Sinne der Vermarktungschancen
(möglicherweise) nicht optimaler Listung eines Hilfsmittels im HMV sind jedoch verfassungsrechtlich unproblematisch und von Betroffenen hinzunehmen (vgl BVerfGE 105, 252, 265). Das - Belange der Klägerin berührende - Regelungsziel für die Schaffung des HMV und seine Charakterisierung als Auslegungs- und Orientierungshilfe insbesondere für Vertragsärzte sowie für alle anderen
mit der Hilfsmittelversorgung in der GKV befassten Akteure ist durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt.
Selbst durch eine vermeintliche "Fehllistung" wird der Leistungsanspruch von Versicherten der GKV und der hiermit korrespondierende
Vergütungsanspruch von Leistungserbringern gegen die KKn nicht etwa normativ eingeschränkt: Das HMV ist insbesondere keine abschließende, die Leistungspflicht der KK ausgestaltende "Positivliste" (stRspr; vgl nur BSG SozR 4-2500 § 139 Nr 5 RdNr 15). Die marktsteuernde Wirkung des HMV resultiert - auch nach den Ausführungen der Klägerin im Revisionsverfahren - zu erheblichen Teilen aus der Bezugnahme auf
das HMV in untergesetzlichen Regeln, die nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind. Eine Verdichtung des Anspruchs auf
Aufnahme in das HMV und sachgerechte Listung hin zu einem "Optimierungsgebot" zugunsten betroffener Leistungserbringer würde zudem die Weiterentwicklungs-
und Fortschreibungssystematik des §
139 SGB V und die hierfür gesetzlich vorgesehene Gestaltungsfreiheit des Beklagten relativieren; zugleich würde die Anerkennung eines
solchen Gebots letztlich auch die Einflussmöglichkeiten der Verbände der Hersteller und Leistungserbringer auf Bundesebene
begrenzen. Zu berücksichtigen ist schließlich ebenfalls, dass Herstellern wie der Klägerin andere Möglichkeiten zur Verfügung
stehen, ihre Hilfsmittel bei Versicherten, Vertragsärzten und Leistungserbringern zu bewerben und auf dem Markt zu etablieren,
wenn sie tatsächlich die behaupteten Vorteile aufweisen (zu diesem Gesichtspunkt vgl bereits BVerfGE 105, 252, 266).
5. Die Streitwertentscheidung folgt aus §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 47 und § 52 Abs 1 GKG.